Göttinger Predigten im Internet
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8. Sonntag nach Trinitatis, 6. August 2006
Predigt zu 1. Korinther 6, 9-14.18-20, verfasst von Luise Stribrny de Estrada
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Schwestern und liebe Brüder!

Den Predigttext für den heutigen Sonntag finden wir im ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth im sechsten Kapitel. Nachdem der Apostel über Recht und Unrecht unter Christen deutliche Worte gefunden hat, fährt er fort:

1.Korinther 6,9-14.18-20

“Dieser Moralapostel!” ist meine erste Reaktion auf diese Predigt des Paulus. Er scheint sich richtig darin zu gefallen, alle möglichen Verstösse gegen die Moral aufzulisten. Und er stempelt die Leute, die so gefehlt haben, dann auch gleich als Ehebrecher, Diebe undsoweiter ab, auch wenn sie das vielleicht nur einmal getan haben. Sie sind auf ihr Vergehen gegen Gottes Gebot festgelegt, dadurch definiert. – Und was ist mit uns? Gehören wir selbst in eine dieser negativen Kategorien, müssen uns zumindest als Geizige, womöglich auch als Unzüchtige (was ist damit überhaupt gemeint?) angesprochen fühlen? Ich ärgere mich über Paulus pauschale Verurteilung: “All diese werden nicht in’s Reich Gottes kommen”! Was masst er sich an? Von Jesus kennen wir ganz andere Worte: Dass der Hirte auch noch dem letzten verlorenen Schaf nachgeht oder dass man sich im Gottesreich über einen bekehrten Sünder mehr freuen wird als über 100 Gerechte.

Besonders provoziert uns Paulus durch das, was er als sexuelle Verfehlungen bezeichnet: Unzucht, Ehebruch, Homosexualität und Prostitution. So wie er wollen die meisten von uns das nicht alles in Bausch und Bogen verdammen. Wir vermuten dahinter schnell eine muffige, unterdrückerische Moral, die Dinge verbieten will, die dann erst recht geschehen. Aber beim genaueren Hinsehen rührt Paulus an Fragen, die aktuell sind: Welche Verbindlichkeit hat die Ehe? Ist gleichgeschlechtliche Liebe erlaubt? Welchen Stellenwert hat sie im Vergleich zur Ehe? Wie beurteilen wir Männer, die zu Prostituierten gehen? Darüber wird in unserer Gesellschaft leidenschaftlich diskutiert, was sich zum Beispiel in Filmen oder Theaterstücken niederschlägt.

Ein Film, der kürzlich gedreht wurde und das thematisiert, zeichnet das Leben von Professor Kinsey, dem Verfasser des Kinsey-Reports nach. Er wird als Wissenschaftler vorgestellt, der aufklärerisch wirken will, indem er über Dinge spricht, die bisher tabu waren. Sein Report basiert auf zahlreichen Interviews und zeigt auf, welche unterschiedlichen Formen von Sexualität es gibt. Er wertet nicht, sondern beschreibt. Immer wieder fragen die Interviewpartner: Bin ich normal? Oder bin ich etwa nicht normal? Kinsey möchte die Menschen ermutigen, ihre Sexualität ohne Angst zu leben, und sie als Ausdruck ihrer Persönlichkeit zu begreifen. Das ist seine Mission. - Er stösst aber in seinem privaten Leben damit an Grenzen: Als er seiner Frau von einem homosexuellen Seitensprung mit einem Mitarbeiter erzählt, ist sie zutiefst verletzt. Sie antwortet ihm: «Natürlich weiss ich, dass du auch Männer anziehend findest. Aber ich hatte mich darauf verlassen, dass du das nicht ausleben würdest. Hast du nie daran gedacht, dass die Ehe dazu da ist, eine Beziehung und den anderen, den du liebst, zu schützen? Dass du mir zuliebe bestimmte Dinge nicht tust, obwohl du sie tun könntest?»

Die Themen, die Paulus provokant anspricht, beschäftigen uns heute so wie damals. Können wir uns durch den Korintherbrief etwas von ihm sagen lassen; kann der Apostel uns weiterhelfen, obwohl wir in einer ganz anderen Zeit und Umwelt leben? Ich glaube, dass er uns Erhellendes über den Umgang mit unserer Sexualität und mit unserem Körper zu sagen hat.

Mir fällt positiv auf, dass ihm der Leib wichtig ist. Paulus spricht nicht davon, dass der Körper schlecht oder wertlos ist, und sagt auch nicht, dass wir froh sein sollen, ihn irgendwann endlich zu verlassen. Zu seiner Zeit redeten die Gnostiker so, für die der Körper nicht zählte, sondern nur der Geist, später entstand innerhalb der Kirche eine starke leibfeindliche Strömung. Ganz anders Paulus: Er bejaht, dass wir Menschen durch unsere Körperlichkeit bestimmt sind. Für ihn als Juden ist klar, dass wir von Gott geschaffen sind und dass Gott jedem von uns seinen Leib gegeben hat mit allem, was dazu gehört: Mit unserem Geschlecht, unserer Sexualität, mit der Möglichkeit, Kinder zu gebären und zu zeugen. Wir sind als Frauen und Männer Ebenbilder Gottes, er spiegelt sich in uns. In Gottes Augen sind wir schön, auch wenn es uns manchmal schwerfällt, das anzunehmen. Gott wünscht sich, dass wir akzeptieren, seine Geschöpfe zu sein und einstimmen in das Lob des Beters im Psalm: “Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.” (Ps. 139,14)

Jede und jeder von uns ist durch seinen Körper geprägt. Besonders am Anfang und am Ende unseres Lebens steht alles, was den Leib betrifft, im Vordergrund: Berührungen, Zärtlichkeit, Körperpflege, Essen und Trinken, die Verdauung. Entscheidend für unser Lebensgefühl ist, dass wir uns mit unserem Körper im Einklang befinden und mit ihm zufrieden sind. Was fällt Euch/Ihnen ein, wenn Sie an den Körper denken? Ich assoziiere gesund sein und krank sein, Leben, alt werden und Tod. Auferstehung fällt mir ein, mit welchem Leib auch immer… Mein Körper definiert mich als Frau oder Mann mit allem, was dazu gehört: Sexualität, Erotik, Lust, mit der in uns gelegten Möglichkeit zur Fruchtbarkeit.

Stimme ich mit meinem Körper überein, fühle ich mich wohl in ihm? Warum oder warum nicht? Gibt es Menschen, die mir sagen, dass ich schön bin und kann ich mich selbst schön finden? Viele fühlen sich von den Normen unter Druck gesetzt, die ihnen vorschreiben wollen, wie dick oder dünn, wie gross sie sein oder welche Masse sie haben sollen. Dann versuchen sie einzugreifen und ihre Körper umzumodeln, durch Sport, Diäten oder sogar plastische Operationen. - Dagegen spricht Gott uns zu: Du bist mein Geschöpf, ich habe dich so gewollt wie du bist. Das kann eine gute Basis sein, auf die wir unser Körpergefühl gründen.

Paulus kreist in unserem Predigtabschnitt um den Körper, hat dazu negative und positive Einfälle. Er entwickelt eine Theologie der Leiblichkeit. Dabei zieht sich als Grundmelodie hindurch, dass unser Körper Gott wichtig ist, dass ihm keineswegs egal ist, wie wir mit ihm umgehen. Das lässt sich auch daran ablesen, dass der Apostel Kernthemen des Glaubens mit seiner Theologie der Leiblichkeit verknüpft: die Taufe, die Auferstehung und den Heiligen Geist. “Ihr seid reingewaschen durch den Namen des Herrn”, sagt er seiner Gemeinde, “Gott wird auch uns auferwecken”, und: “Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes.”

Der Körper ein Tempel des Heiligen Geistes… Das bedeutet, dass Gott in jedem und jeder von uns wohnt, dass er ein Teil von uns ist. Unser Körper wird dadurch aufgewertet, dass er Wohnstatt Gottes sein darf, so etwas ähnliches wie eine Kirche, in der Gott auch zuhause ist. Gott legt einen Teil von sich in unseren Leib. Daran sollen wir denken, wenn wir mit unserem eigenen Körper umgehen, und auch, wenn wir mit den Körpern anderer Menschen zu tun haben.

Geht sorgfältig und achtsam mit euren Körpern um, denn Gottes Geist wohnt in ihnen! – das ist die Botschaft des Paulus an die Korinther. Ihr denkt, es ist egal, wie ihr eure Sexualität lebt, ob ihr euch häufig betrinkt, was ihr esst, mit wem ihr Umgang habt, denn ihr seid ja frei, als Christen alles zu tun, was ihr wollt. Natürlich ist euch alles erlaubt, weil ihr durch die Taufe mit dem Namen Christi verbunden seid, aber es dient nicht alles zum Guten. Wenn ihr euren Leib nicht achtet, kann es leicht passieren, dass ihr euch von etwas oder jemandem abhängig macht und dadurch eure Freiheit einbüsst. Deshalb überlegt selbst, worauf ihr lieber verzichtet wollt, weil es das Gute nicht fördert, und handelt entsprechend.

Was können wir uns konkret darunter vorstellen? Ich denke für das Erleben von Körperlichkeit und Sexualität ist eine Beziehung notwendig, in der einer sich auf den anderen verlassen kann. Dazu gehört, sich auf die Bedürfnisse und Gefühle des anderen einzulassen und Rücksicht auf sie zu nehmen. Eine langfristige Beziehung oder Ehe schaffen einen geschützten Raum, wo ich mich auch mit meinen Fehlern, Irrtümern und Schwächen angenommen fühle. Um diesen besonderen Raum zu schützen, gehört Treue dem oder der anderen gegenüber dazu. Natürlich gehören auch Einschränkungen dazu, ich kann dann nicht jeder Attraktion nachgehen, verzichte auf andere mögliche Partner, aber ich gewinne eine Beziehung, die meinem Leben Halt und Form gibt. Gut wäre es, wenn wir das in unseren Ehen und Beziehungen leben würden, auch um Kindern ein Vorbild zu geben, an dem sie sich orientieren können.

Paulus beschliesst unseren Abschnitt mit den Worten: “Preist Gott mit eurem Leibe.” Wer Christ ist, ist es mit Leib und Seele. Das schlägt sich zum Beispiel in der Musik nieder, beim Singen, das den Körper zum Klingen bringt und den Geist mit einbezieht. Dass Seele und Leib eine Einheit bilden, wird auch deutlich, wenn wir Kinder taufen und das Abendmahl zusammen feiern. Zu beiden Sakramenten gehört das Leibliche mit dazu: Das Benetzen mit Wasser, das Essen und Trinken von Brot und Wein. Dazu kommt das Wort, dass das Geschehen benennt und deutet. Leib und Seele werden angerührt durch das, was hier geschieht.

So haben wir mit Paulus einen grossen Bogen beschrieben, in dessen Mittelpunkt der Körper steht. Dabei ist deutlich geworden, wie wichtig Gott unser Leib ist.

Daran wollen wir uns erinnern, wenn uns unser Körper zu schaffen macht, wenn wir nicht mit ihm im Reinen sind: Gott wohnt in ihm, er wohnt in jedem von uns. Wir sind herausgehoben durch seine Gegenwart.

Was für ein Segen!

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

Luise Stribrny de Estrada,
Pastorin der deutschen evangelischen Gemeinde in Mexiko.
marclui@prodigy.net.mx

 


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