Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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6. Sonntag nach Trinitatis, 23. Juli 2006
Predigt zu Apostelgeschichte 8, 26-39, verfasst von Mirko Peisert
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


„Wie werde ich Christ!“ – Eine Filmkritik

Liebe Gemeinde!

Wie werde ich Christ?
Was muss ich dafür tun?

Ich hätte Lust, zu dieser Frage einmal einen Film zu drehen. So einen kurzen Werbespott zum Beispiel für die Kinowerbung. Ein Kurzfilm, der darüber aufklärt: Wie werde ich Christ. Denn viele Menschen wissen das gar nicht mehr.

Überlegen sie doch einmal: Wie könnte so ein Film aussehen? Was würden sie filmisch, daraus machen aus dem Thema: Wie werde ich Christ?

Vielleicht einen Film, der durch seine großartigen Bilder aus alten gotischen Kirchen überwältigt und mit bewegender Kirchenmusik im Hintergrund tief ins Herz trifft; großes Gefühlskino, nach dem einem die Tränen in den Augen stehen?

Oder denken sie eher an einen Action-Streifen? Etwas Spannendes mit zahlreichen Überraschungseffekten und vielleicht auch ein wenig Erotik? Sicherlich würde sich das zumindest am besten verkaufen.

Oder schwebt ihnen doch ein stillerer Film vor, ein Film der ins Nachdenken bringt. Vielleicht ein Film der die Lebensgeschichte eines Christen erzählt?

Wie sähe ihr Film aus?

Ich will ihnen mal ein mögliches Drehbuch vorstellen, das mich überzeugt hat, auch wenn es ursprünglich gar nicht als Drehbuch gedacht war.
Der Evangelist Lukas hat es geschrieben. Von ihm stammt der heutige Predigttext aus der Apostelgeschichte im 8. Kapitel.

Und vielleicht schließen sie einfach einmal die Augen, wenn ich ihnen jetzt diesen Drehbuch-Text vorlese. Versuchen sie sich schon mal ihren Film dazu vorzustellen!

Lukas berichtet:

Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.
Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.
Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen!
Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest?
Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf.
In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.«
Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?
Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse?
Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn.
Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.

Konnten sie sich die Geschichte als einen Kurzfilm vorstellen?

Der exotische, fremde Reisende auf dem Weg nach Äthiopien. Die Begegnung mit Philippus und die spannende Diskussion um die Bibel.
Schließlich die Taufe…

Vielleicht sind sie enttäuscht: Das ist doch langweilig! So was will heute doch keiner mehr sehen! Viel zu wenig Action!

Ich gebe zu, das Drehbuch von Lukas ist schon etwas anspruchsvoller, aber es ist ja auch schon ziemlich alt.

Dennoch bin ich sicher, Lukas hätte heute ganz bestimmt diese Geschichte verfilmt und einen anregenden Filmstreifen draus gemacht. Deshalb möchte ich mir diesen Predigttext auch als ein Drehbuch noch etwas genauer anschauen.

1. Die Hauptdarsteller

Das erste, was mir auffällt: Lukas konzentriert sich sehr auf einen Hauptdarsteller, den Kämmerer, Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien. Das Drehbuch erzählt seine Geschichte und auf ihn kommt es an:

Er macht sich auf den Weg ins ferne Jerusalem.
Er ist neugierig und studiert die Bibel.
Er lädt den fremden Prediger ein zu sich in den Wagen.
Er bittet Philippus um Hilfe und stellt ihm Fragen.
Er entscheidet sich am Ende sich taufen zu lassen.

Lukas hat diesen Hauptdarsteller äußerst geschickt gewählt: Ein erfolgreicher Mann, wahrscheinlich im mittleren Alter, Single und Finanzminister. Er stellt etwas dar.
Solche Männer kommen bei uns in der Gemeinde kaum vor und das war damals bestimmt gar nicht anders. Ich bin sicher seine Geschichte, die würde viele andere ins Nachdenken bringen und beeindrucken.

Ich denke, Lukas konzentriert sich aber auch auf einen Hauptdarsteller, weil der Glaube auch eine ganz persönliche Entscheidung ist. Im Glauben steht jeder für sich allein, da muss und darf nur jeder für sich entscheiden.
Und deshalb gefällt mir, wie sehr Lukas sich ganz auf diese eine Person und seine Geschichte konzentriert.

Wer nun ein bisschen genauer schaut, der kann erkennen, dass es noch einen zweiten, ebenso wichtigen Darsteller gibt. Lukas macht das sehr geschickt, denn der andere tritt persönlich gar nicht in Erscheinung und dennoch scheint er im Hintergrund die Fäden zu ziehen.

Das ist der Heilige Geist.

Der Heilige Geist ist es nämlich, der Philippus überhaupt erst auf den Weg bringt. Er beauftragt ihn. Er führt die beiden Männer zusammen. Er schenkt Philippus die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt. Und der Heilige Geist beendet auch die Geschichte.

Glaube das ist eine ganz persönliche Entscheidung – das ist das eine – doch zugleich ist der Glaube auch ein Geschenk. Denn Gottes Geist schafft die richtigen Bedingungen, dass der Glaube entstehen kann.

2. Der Dialog

Einige von ihnen haben vielleicht beim Hören des Predigttextes gedacht: Wo bleibt denn das Gefühl in diesem Drehbuch? Das ist doch wieder eine typische Männergeschichte, die Lukas sich ausgedacht hat. Es wird diskutiert und gelesen, alles dreht sich um den Verstand. Der Kopf arbeitet, doch das Herz bleibt außen vor.
Aber ist Glaube nicht eine Gefühlssache. Eine Herzensangelegenheit. Und: Lässt sich das Evangelium überhaupt mit dem Verstand fassen?

Ich gebe zu, es wäre kein großes Gefühlskino, was man aus Lukas Drehbuch machen könnte. Eher wohl ein Film, der durch seine Dialoge überzeugt.

Der Kämmerer liest neugierig in der Bibel. Aber er versteht nicht, was er liest. Philippus hilft ihm und unterrichtet ihn. „Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.“ Und durch Philippus Hilfe fängt der fremde Finanzminister an, die Geschichte Jesu zu verstehen.

Ich bin sicher, ohne ein solches Verstehen kann auch kein Glaube wachsen. Die Geschichte unsere Gottes ist kein großes Geheimnis, dass dunkel und undurchdringlich ist. Ich soll meinen Verstand nicht an der Tür abgeben, wenn ich in de Kirche gehe.
Die Botschaft von Jesus Christus, die muss sich auch alle kritischen Fragen gefallen lassen.
Für manche Fragen braucht man dann sogar auch mal einen Experten, so wie den Philippus. Ja, für manche Fragen braucht man auch jemanden, der Theologie studiert hat, denn vieles in der Bibel ist tatsächlich nicht leicht zu verstehen.

3. Die Schlussszene

Jetzt aber zur Schlussszene: Was sagen sie zu dieser Taufszene?

Kein Taufbecken, keine Paten, keine Taufkerze, noch nicht mal ein Taufspruch oder eine christliche Gemeinde. Was ist das für eine Taufe?

Ich habe mit meinen Konfirmanden in der letzten Woche einmal gesammelt, was ich für eine Taufe benötige. Die Liste war zuerst lang, aber dann wurde sie immer kürzer. Am Ende blieb nur noch 1.) der Täufling, 2.) das Wasser und 3.) jemand der die Taufe vollzieht. Wie hier bei Lukas!

Für uns in der Gemeinde steht die Taufe ja meist für den Anfang. Wenn ein Kind getauft wird, dann steht die Taufe am Anfang, vor den ersten eigenen Schritten im Glauben. Die Taufe ist der erste Schritt.

Hier bildet die Taufe eher einen Abschluss. Die Taufe steht am Ende einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Glauben. Ja, die Taufe steht am Abschluss einer Suche nach Gott. Die Taufe ist ein Bekenntnis des eigenen Glaubens.

Taufe ist nicht der Anfang, sondern die Besiegelung des Glaubens.

Ich will damit nicht sagen, dass es nicht gut und richtig wäre, wenn wir kleine Kinder taufen. Und sicherlich werden beim Kämmerer auch wieder ganz neue Fragen aufgetaucht sein. Aber Lukas erinnert mich daran, dass die Taufe auch eine bewusste, persönliche Entscheidung ist. Die Taufe ist auch Ausdruck des eigenen Glaubens.

4. Mein Film

Liebe Gemeinde,

Ich hoffe, ich konnte ihnen das Drehbuch von Lukas ein wenig schmackhaft machen.

Sicherlich sähe ihr Drehbuch noch ganz anders aus! Vielleicht steht dann nicht ein einzelner, sondern die Gemeinschaft im Mittelpunkt. Vielleicht möchten sie auch viel mehr das Gefühl und die innere Begeisterung betonen. Und vielleicht spielt ihre Taufszene in einem festlichen Osternachgottesdienst. Bei Kerzenschein.

Wie werde ich Christ?

Ich kann mir ganz unterschiedliche Filme dazu vorstellen. Genauso unterschiedlich, wie die Wege die uns zu Gott geführt haben.

Nur eins bleibt gleich.

Gott führt die Regie.

AMEN.



Pastor Mirko Peisert
Ev.-luth. Neustädter Kirchengemeinde St. Marien
Sülbecksweg 31
37574 Einbeck
05561-3377
Mirko.Peisert@evlka.de


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