Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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4. Sonntag nach Trinitatis, 9. Juli 2006
Predigt zu 1. Petrus 3, 8-17, verfasst von Stefan Knobloch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die Verwurzelung im Glauben suchen

Man könnte meinen, der heutige Bibeltext aus 1 Petr 3,8-17 habe uns wenig zu sagen. Er kommt so moralisch einher. Er scheint sich lediglich in phrasenhaften Anmutungen an den „Gutmenschen“ zu ergehen. Und das haben wir schon zu oft gehört! Außerdem leben wir unter ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen als die damals - offenbar aufgrund ihres Glaubens - in Bedrängnis geratenen jungen Gemeinden des nördlichen und westlichen Kleinasiens, an die sich der erste Petrusbrief richtet. Schließlich sollten wir aus der Tatsache, daß es nicht gelungen ist, in die Präambel der europäischen Verfassung einen ausdrücklichen Gottesbezug aufzunehmen – den ja die Präambel des Grundgesetzes immerhin enthält -, nicht so etwas wie eine Verfolgungssituation des Glaubens und der Kirchen ableiten. Das wäre maßlos übertrieben.

In der Tat tut unser Text vermeintlich zunächst alles, um bei uns nicht anzukommen. Das aber rührt vor allem davon her, daß uns seine eigentlichen Kern- und Haftpunkte im ersten Hören verborgen bleiben, so daß bei uns nicht mehr zurückbleiben könnte als der Eindruck eines säuerlich-moralischen Textes.

Wenn wir den Text aber etwas gegen den Strich unserer Hörgewohnheiten bürsten und ihn von seinen eigenen Haftpunkten her lesen, dürfte er uns als Text entgegentreten, der uns etwas zu sagen hat und unsere Nachdenklichkeit anregen kann.

1. Segnen

Ein erster Haftpunkt liegt in der Aufforderung vor, die damaligen Gemeindemitglieder – und damit auch wir heute – sollten „segnen“ statt Böses mit Bösem und Kränkung mit Kränkung zu vergelten. Denn wir seien berufen, „in der Wirklichkeit des Segens zu leben“, so möchte ich den Gedanken des ersten Petrusbriefes präziser ausdrücken als in der mißverständlich futurisch-zukünftig gehaltenen Formulierung, wir würden den Segen einmal erlangen, als seien wir nicht schon in seinem Besitz und unter seinem Einfluß. Die Aufforderung, wir sollten „segnen“ statt Böses mit Bösem zu vergelten, ist nicht eine Aufforderung an den „Gutmenschen“ in uns, wir könnten gewissermaßen aus eigener Kraft auch anders leben, nämlich Segenskräfte von uns ausgehen lassen; wir müßten es nur entsprechend wollen. Die Aufforderung des ersten Petrusbriefes zu „segnen“ setzt vielmehr als unverzichtbare Basis voraus, daß wir in der Annahme des Glaubens und in Annahme des Evangeliums von Gott und in Gott Gesegnete sind. Wir sind mit seiner segensreichen Wirklichkeit in Berührung gekommen. Wir sind – was freilich nicht mißverstanden werden darf – Instrumente seines Segens geworden. Denn nach biblischen Verständnis ist allein Gott der Träger und Spender allen Segens, nur er allein.

Die Wirklichkeit des Lebens aus dem Glauben verdichtet der erste Petrusbrief hier gewissermaßen im Begriff des „Segens“. Er eröffnet den Horizont, unter dem die Christen ihr Leben leben. Zu diesem Horizont, in dem zu leben sie von Gott in Jesus Christus ermächtigt sind, paßt es nicht, Böses mit Bösem, Kränkung mit Kränkung zu vergelten. Dazu paßt allein, Instrument des Segens Gottes zu werden. Deshalb sollen die Gläubigen voller Mitgefühl, voller Liebe, barmherzig und demütig leben. Womit freilich nicht gesagt ist, daß das immer gelingt. Aber der Haftpunkt wird eindeutig: Gottes „Segen“, Gottes Heilshandeln in Christus bildet die Grundlage, auf der die Gläubigen zum Segen werden sollen.

2. Gerecht sein

Was sich hier im Stichwort des Segens verdichtet, verdichtet das Zitat des Psalms 34 im Wort „die Gerechten“. Wieder müssen wir auch diesen Begriff in seiner biblischen Semantik verstehen lernen und ihn möglicherweise unserer Gerechtigkeitsvorstellungen entkleiden. Denn wieder geht es nicht um eine zuerst vom Menschen zu erbringende oder erbrachte Leistung, die ihn vor sich, vor den anderen und vor Gott zu einem Gerechten macht, so daß er sich darüber auf die eigene Schulter klopfen dürfte. „Gerecht“ wird der Mensch durch die Annahme des Evangeliums, durch die Annahme des Heilshandelns Gottes an ihm.

Gerecht wird aber so nicht nur der, der für sich in Glaube und Taufe und in einem christlichen Leben diese Annahme lebt, in wessen Leben es aber nicht zu dieser Annahme kommt, der sei vor Gott verworfen. So zu denken ist uns verwehrt. Es ist vielmehr so, daß die Gläubigen als „Gerechte“, das heißt, als soziale, den Glauben reflex und ausdrücklich bekennende Gemeinschaft, sich als Zeichen dafür verstehen sollen, daß Gott zu allen Menschen steht, daß er heilshandelnd ist und ins Heil beruft, zugeneigt, lebendig und barmherzig.

„Die Augen des Herrn blicken auf die ‚Gerechten’,“ lautet das Zitat aus Psalm 34, „seine Ohren hören ihr Flehen.“ Die damaligen Leser und Hörer des ersten Petrusbriefes – aber eben nicht nur sie – sollen wissen, daß sie auch in der Zeit aktueller Bedrängnisse nicht der Verläßlichkeit Gottes und seiner bergenden Heilsbotschaft entbehren. Sie sind und bleiben „Gerechte“, das heißt, sie sind und bleiben die an Gott als ihren Lebenshorizont und ihre Lebensgrundlage Glaubenden.

Man kann auch das unmittelbar vorangehende Wort des Friedens dazunehmen, das gewiß im ursprünglichen Kontext des Psalms 34 eine einfache Einladung zu Frieden und Friedfertigkeit gewesen sein mag, das aber im nachösterlichen Kontext des ersten Petrusbriefes eine tiefere Bedeutung angenommen hat. Der Auferstandene hatte seinen Jüngern immer wieder den „Frieden“ angesagt: „Friede sei mit euch.“ Das bedeutete mehr als, nach Verrat und Untreue, die Aufforderung: „Vertragen wir uns wieder. Petrus, ich trage dir deinen Verrat nicht nach.“ Der Friedensgruß ist unter eschatologischer Perspektive zu lesen: „Tretet ein in den eschatologisch-endgültigen Frieden, der durch meinen Tod und meine Auferstehung endgültig Wirklichkeit geworden ist. In ihm sollt ihr euer Leben gestalten.“ Dies vorausgesetzt blicken die Augen des Herrn auf die Gerechten und seine Ohren hören ihr Flehen. Wie zur Ermutigung fügt der erste Petrusbrief noch an: „Das Antlitz des Herrn richtet sich gegen die Bösen.“ Wir haben diesen Satz wohl so zu deuten: Das Treiben der Bösen kann dem Gang der Dinge nicht mehr die entscheidende Richtung geben. Denn die entscheidende Richtungsänderung hat Gott der Welt in seinem Heilshandeln längst gegeben.

3. Gerechtigkeit/Rechtfertigung

Diese Richtungsänderung markiert der erste Petrusbrief ein weiteres Mal im Stichwort der „Gerechtigkeit“. Es kann sein, so sagt er seinen Lesern, daß sie um der Gerechtigkeit willen Leid auf sich nehmen müßten. Dann aber seien sie in Wahrheit glücklich zu preisen. Wieder ist mit Gerechtigkeit zunächst nicht das rechtschaffene Leben der Gläubigen gemeint, die sich aufgrund ihrer moralischen Lauterkeit von der (bösen) Umwelt abgehoben hätten. Nein, gemeint ist wieder die von Gott in Christus geschenkte Gabe seiner Botschaft, eine Gabe, die allein von ihm kommt, der aber die Gläubigen mit ganzer Kraft zustreben sollen. Beides gehört zusammen: die Gabe von Gott und das auf sie ausgerichtete Streben der Menschen. Ganz so, wie es das Matthäusevangelium klassisch zum Ausdruck gebracht hat: „Euch soll es zuerst um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit gehen“ (Mt 6,33). Reich Gottes, aber auch Gerechtigkeit stehen hier zunächst als Formeln für Gottes Gabe. Auf der anderen Seite aber muß die Gerechtigkeit auch verstanden werden als das - von Gott unterstütze - Streben des Menschen, sich der Gabe Gottes existentiell zu verschreiben.

Der erste Petrusbrief rechnet damit, ja, er weiß darum, daß die Gläubigen offensichtlich aufgrund ihres Glaubens gesellschaftliche Einbußen und Benachteiligungen hinnehmen müssen. Um so näher lag es für ihn, exakt deshalb die Gerechtigkeit durch Gott in Jesus Christus ins Spiel zu bringen. Denn sie wurde im Leiden, im Sterben und Tod Jesu am Kreuz ins Werk gesetzt. Die Fixierung auf diesen „Ausschnitt“ der Rechtfertigung war im frühen Christentum so stark ausgeprägt, daß man den Eindruck haben kann, demgegenüber sei die Bedeutung des gesamten Lebens Jesu, seine Verkündigung und sein öffentliches Wirken in den Hintergrund geraten. So kommt es nicht von ungefähr, daß das Glaubensbekenntnis die Bedeutung Jesu gewissermaßen auf die Aspekte reduziert hat: „... incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est. Crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Pilato; passus et sepultus est.” An Jesu Menschwerdung schließt sich unmittelbar seine Kreuzigung, sein Leiden und seine Bestattung an. In der bedrängten Situation der Gemeinden im nördlichen und westlichen Kleinasien hatte der Hinweis auf die Leidkomponente der Gerechtigkeit Sinn. Er wirkte motivierend und stabilisierend.

Deshalb sollten sie Christus in ihrem Herzen heilig halten. Wir ahnen, was wir meinen, wenn uns etwas heilig ist, wenn wir etwas heilig halten, mit dem wir keine Späße und Witze machen. Das schwingt sicher auch hier mit. In erster Linie aber ist es auch hier wieder so, daß als das eigentliche Subjekt, als eigentlicher Handlungsträger der Heiligung wiederum Gott mitzuhören ist, und nicht der Mensch. Wenn der erste Petrusbrief also die Gläubigen auffordert, Christus heilig zu halten, heißt das nichts anderes als, sie sollten treu in der Wirklichkeit ihres Glaubens, in der Wirklichkeit des Evangeliums verbleiben.

4. Zeugnis geben

Und das ist dann die Stelle, an der sie gewissermaßen in die Offensive gehen sollen. Sie sollen, wenn sie nach ihrem Lebens- und Glaubensgrund gefragt werden, Rede und Antwort stehen, sie sollen von der Hoffnung Zeugnis ablegen, die sie in Christus erfüllt. Dies allerdings sollen sie nicht besserwisserisch, arrogant und überheblich tun, sondern bescheiden und ehrfürchtig. Ehrfürchtig meint hier wohl soviel wie, in Ehrfurcht und Respekt vor der anderen Lebens- und Weltanschauung, auch vor der möglichen anderen religiösen Ausrichtung der Leute zu agieren, die sie nach ihrem Glauben, nach dem Grund ihrer Hoffnung gefragt haben.

5. Bezüge zu uns heute?

Hat der Text nun nach diesem nachdenklichen Durchgang etwas mit uns zu tun bekommen? Oder bleibt er uns weiter fremd und ohne Bezug zu uns?

Ein erster Bezug dürfte allein schon in dem gewiß schwer einlösbaren Anspruch an uns liegen, uns in unserem Christsein wirklich auf das Evangelium, auf die Botschaft Jesu einzulassen, über alle bloß ritualisierten Formen des christlichen Lebens hinaus.

Ein zweiter Bezug aber kann möglicherweise darin liegen, daß wir anderen Glaubensformen und anderen religiösen Gemeinschaften und Traditionen , heutzutage insbesondere den unter uns lebenden Muslimen, mit Ehrfurcht und Respekt begegnen, ja mit einem offenen und unverstellten Interesse. Die Aufforderung, von der Hoffnung Zeugnis zu geben, zielt nicht darauf ab, in einem blickverengten falschen missionarischen Anspruch andere eines besseren belehren zu wollen. Wo uns heute die unter uns lebenden Muslime so nahegerückt sind – und uns weiterhin so fremd sind, was an beiden Seiten liegt -, kommt es wohl besonders darauf an, Wege zueinander zu suchen, die Fremdheit im Alltag abzubauen, um sich schließlich im Raum des gegenseitigen Vertrauens dem zu nähern, wovon sie und wovon wir auf der Basis des Glaubens tatsächlich leben.

In einem solchen Austausch kann es für uns zu einer bewußten Vergewisserung, zu einer bewußteren Übernahme unseres Glaubens kommen, so daß wir dann in der Tat eher in der Lage sind, jedem Rede und Antwort zu stehen, der uns nach dem Grund unserer Hoffnung fragt. Auch wenn die Bedingungen solcher Fragen und unserer Auskunft andere sind als die der damaligen Gläubigen im nördlichen und westlichen Kleinasien.

Prof. Dr. Stefan Knobloch
dr.stefan.knobloch@t-online.de


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