Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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3. Sonntag nach Trinitatis, 2. Juli 2006
Predigt zu Lukas 15, 11-32, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Es ist so schwer mit Geschwistern; wenn sie sich nicht um das eine zanken können, finden sie etwas anderes, um das sie sich streiten. Das fängt schon an, wenn sie noch Kinder sind. Ihr Haus hallt wieder von Neckereien und Schimpfworten. Sie können sich um die lächerlichsten Sachen streiten. Der Große neckt den Kleinen; und der Kleine petzt und heult wegen nichts und wieder nichts.

Die Eifersucht ist in der Regel der große Antrieb bei diesem Spiel; aber das erkennt man nur selten. Stattdessen sagt man, der Große sei unartig und der Kleine verwöhnt. Hin und wieder, wenn Ruhe auf dem Schlachtfeld herrscht, glauben die Eltern, die Zwistigkeiten gingen bald vorüber. Da sind das Trotzalter und die Pubertät und alle die anderen Krisenalter, von denen man meint, die Kinder durchliefen sie. Aber am nächsten Tag ist es wieder dasselbe; und die lieben Kleinen hassen einander um eines einzigen Wortes willen.

Das Schlimmste ist, dass das nur selten ganz vorübergeht. Die Eifersucht der Kindheit sitzt fest und lodert in einem bis ins hohe Alter. Vielleicht lernt man, sie so einigermaßen im Zaum zu halten; aber geschieht da etwas, was sie wieder entfachen kann, entsteht sehr bald ein gewaltiger Brand. Und dann sind es nur noch Kleinigkeiten, was die Geschwister einander angetan hatten, als sie noch kleine Kinder waren, gemessen an dem, was jetzt passiert. Die Phantasie blüht, wenn man ersinnen soll, wie man den anderen so viel wie möglich belästigen kann.

Oft sind es Erbstreitigkeiten, die das Feuer auflodern lassen. Man mag jahrelang in einer Art bewaffneter Neutralität miteinander gelebt haben und gemeint haben, es ginge doch so ganz gut; aber wenn dann der letzte der Eltern ins Grab gelegt ist, dann taucht der alte Streit wieder auf, und zwar mit neuer Kraft. Eine hässliche Vase, ein wertloses Gemälde, ein altes Sofa kann plötzlich einen Streit auslösen, der einem neuen Weltkrieg gleichkommt. Obwohl man in der festen Überzeugung von zu Hause aufgebrochen ist, dass man sich wirklich nicht herablassen will, um derartige Wertlosigkeiten zu streiten, ist es dann trotzdem so wie damals, als man noch Kind war: Plötzlich hat einen die Eifersucht in ihrer Macht; und man kann überhaupt nicht sehen, dass es jetzt schon nicht mehr um ein altes Sofa geht, sondern um das Recht auf die Liebe der Eltern.

Ja, so stark ist die Liebe der Eltern, ein so wichtiger Faktor für Kinder, – auch wenn sie erwachsen geworden sind. Die Eltern glauben, ihre Kinder hätten einen Fehler, wenn sie sich nicht einigen könnten; aber sie haben nur die Bedeutung ihrer eigenen Liebe zu den Kindern überschätzt. Sie haben ihre Kinder unterschiedlich behandelt; oder sie haben dem einen mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem anderen; oder mehr zurechtgewiesen – vielleicht sogar aus gutem Grund.

Unsere Kinder sind so verschieden! sagen sie zu anderen, während die Kinder selbst dabeisind. Und der große Bruder hört aufmerksam zu, wenn die Eltern nur im geringsten andeuten, dass er im Vergleich zu seinem kleinen Bruder, dem verwöhnten Balg, nicht gut genug ist. Einen Augenblick später kneift der ihn oder tut irgendwas anderes Unerlaubtes aus Hass gegen das Bild, das ihm überall entgegentritt: Er ist nicht gut genug.

Damals, als der große Bruder Kain hieß, übermannte ihn die Eifersucht eines schönen Tages in ihrer vollen Stärke; und er schlug seinen kleinen Bruder tot. Plötzlich kochte es in ihm: er hasste seinen Bruder, seine Eltern, sich selbst, das Leben und Gott; und er nahm einen Stein und schmiss ihn seinem Bruder an den Kopf; und er schlug ihn noch weiter, bis es ganz still um ihn wurde und rot. Ein eigentümlicher Friede senkte sich herab, eine große Gleichgültigkeit; er fühlte nur eine große Leere; als hätte er auch sich selbst erschlagen. Gott trieb Kain hinaus in das Land der Eifersucht, östlich vom Paradies, und machte ihm ein Zeichen auf die Stirn, dass niemand ihn erschlagen sollte. Und er lebt immer noch.

Einige Jahre später heißt der große Bruder Esau. Ja, das heißt: Er und Jakob waren eigentlich Zwillinge; aber Esau war zuerst geboren worden. Die Geschichte erzählt, dass der Streit zwischen ihnen schon begann, als sie noch im Mutterleibe der Rebekka waren; und als sie geboren wurden, hatte Jakob Esau an der Ferse festgehalten, damit er nicht als erster herauskäme.

Esau wurde groß und stark und mächtig. So recht ein Junge nach dem Geschmack des Vaters; vielleicht hin und wieder recht wild – nicht zuletzt mit Mädchen, als er in das Alter kam. Dafür nahm sich die Mutter Jakobs an; und das war recht wichtig und sollte große Bedeutung erhalten. Sie wurde nie müde, ihm zu erzählen, wie gut und tüchtig er war; und wozu er es noch bringen würde in der Welt. Und er hatte keinerlei Grund zu Komplexen gegenüber seinem großen Bruder, denn er war viel tüchtiger als er, sagte seine gute Mutter zu ihm.

Und so kam es denn auch; er war seinem Bruder vielleicht wirklich überlegen. Zwar musste Jakob für viele Jahre von zu Hause flüchten, damit es ihm nicht wie Abel erginge; aber es erging ihm außerordenlich gut in der Fremde; und er wurde ein mächtiger und reicher Mann. Trotzdem saß die Furcht vor der Rache des Bruders ununterbrochen in ihm; und er musste den Segen Gottes wie auch alle seine eigene List herbeizwingen, um Esau zu überwinden und sich mit ihm zu vergleichen. Zu dieser Zeit waren die Eltern schon viele Jahre tot gewesen, es hätte also eigentlich gar keinen Grund zur Eifersucht gegeben; aber sie wohnte dennoch noch immer in ihnen beiden.

Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht! Das mag wohl an die Lage Jakobs viele Jahre vorher erinnern, aber er ist denn doch nicht so listig, dass er sich das Erstgeburtsrecht eintauscht. Wenn er nur das bekommt, was ihm zusteht, so ist er zufrieden und will von zu Hause fortreisen, ehe es zu mehr Streit zwischen ihm und seinem Bruder kommt. Das ist doch eigentlich ganz klug gehandelt; und auch seine einzige Möglichkeit, sich ein ordentliches Leben zu verschaffen.

Der große Bruder hat während dieses Gesprächs ein Auge an jedem Finger! Obwohl er noch ganz und gar nichts zu sagen hat, sollte ihm doch nur ungern etwas verloren gehen. Der verwöhnte Kerl von einem kleinen Bruder hat doch eigentlich sowieso schon mehr als genug bekommen. Ein Faulpelz ist er immer schon gewesen, und er hat nie richtig gelernt, etwas zu leisten wie sein großer Bruder.

Ja, das Ende der Geschichte ist bereits im Anfang enthalten. Es geht völlig schief für ihn, den kleinen Dummkopf. Er gerät völlig außer Rand und Band mit seinem vielen Geld und seiner Freiheit. Das Vermögen ist schnell aufgebraucht, denn so etwas geht tatsächlich in Windeseile. Das süße Leben fordert einen hohen Preis. Und da muss er sich an die Arbeit machen; und das liegt ihm gar nicht so besonders, denn auch wenn er daheim mitgeholfen hat, so war das doch immer zu den Bedingungen des kleinen Bruders geschehen, ohne wirkliche Verantwortung und Energie.

Völlig heruntergekommen, als Unglück und Fiasko seiner Verwöhntheit ein barsches Ende bereitet haben, wird er endlich auch seine Eifersucht los. Er hat keinerlei Ansprüche mehr – nicht einmal, der kleine Bruder zu sein. Tagelöhner vielleicht, wenn er Glück hat! Seine sogenannte Umkehr ist nicht das Ergebnis eines starken Entschlusses; sondern er ist ein schwacher Ausweg am Tiefpunkt seines Lebens. Er geht in sich, wie es heißt.

Groß ist daher die Überraschung und die Freude über den Empfang, der ihm zuteil wird. Der Vater fällt ihm um den Hals und will seine Entschuldigungen und Erklärungen gar nicht anhören. Gerechtigkeit und Vernunft sind außer Kraft gesetzt, weil die Liebe des Vaters alles ist. Die Umarmung, die Kleidung, der Ring, das Fest sind alles Zeichen der Liebe, die kein Ende nehmen will.

Aber draußen steht Abel und murrt. Der gute Sohn, der immer das Richtige gesagt und getan hat. Der seinen Eltern nie Schande gemacht hat. Der niemals verlangt oder bekommen hat, was ihm zusteht; – mit gutem Grund – denn er wird einmal alles erben. Bei ihm sind Vernunft und Gerechtigkeit bestimmt nicht außer Kraft gesetzt. Ganz im Gegenteil! Sie haben Gültigkeit wie nie zuvor. Was nützt es, ein anständiger Mensch zu sein, wenn man nicht dafür belohnt wird? Was nützt es, ein guter Sohn zu sein, wenn einem Verdienste nicht angerechnet werden? Was nützt es, dass der kleine Bruder in der Gestalt eines armen Bettlers nach Hause kommt, wenn er seine Strafe nicht bekommt?

Es ist ein sehr menschlicher großer Bruder. Man kann gar nicht anders als ihm zuzustimmen. Selbstverständlich soll alles nach Verdienst und Würdigkeit gehen; sonst wären es ja keine ordentlichen Eltern. Das ist es ja überhaupt, was an Eltern zu allen Zeiten verkehrt gewesen ist. Sie verstehen nicht, was Gerechtigkeit ist. Anscheinend ziehen sie den einen dem anderen vor! Es ist ein dummer Vater und eine dumme Geschichte. Selbstverständlich ist es in Ordnung, dass sie ihn nicht völlig zurückweisen; aber ihn für sein empörendes und unmoralisches Betragen auch noch zu belohnen, das geht zu weit! Er hätte zum Tagelöhner gemacht werden sollen. So dass man mit ihm hätte hunzen können. Jetzt kann er einfach zu Hause umherlaufen, als wäre gar nichts geschehen.

Ja, bleibt ganz ruhig! Es ist gar nicht wirklich; es ist nur ein Gleichnis. Es ist kein Rezept für Eltern. In dem Gleichnis geht es darum, wie Gott ist. – Ja, aber das macht die Geschichte wahrlich keine Spur besser. Dann wäre es ja nicht einfach nur eine Familienepisode, die wir nur allzu gut kennen; sondern dann ist es ja das Prinzip des Lebens selbst. Gott ist also ganz und gar nicht gerecht; das Leben ist überhaupt nicht gerecht! Es geht nicht nach Verdienst und Würdigkeit; sondern nach dem Herzen Gottes. Es ist die Liebe, die im Himmel wie auf Erden herrscht.

Wer kann sich darüber freuen? Das können alle kleinen Brüder… und kleine Schwestern… und alle diejenigen, die nicht gut genug sind. Alle die, die nicht mehr auf die Gerechtigkeit pochen wollen, sondern die einsehen, dass Gottes Liebe unendlich viel mehr wert ist als die Gerechtigkeit, wenn es eben um sie selbst geht.

Lieber Abel! Du bist nicht umsonst gestorben, denn jetzt hat Gott deinen mörderischen großen Bruder in Gnaden angenommen. Lieber Esau und Jakob! Euer Bruderzwist ist nicht ohne Bedeutung gewesen, denn jetzt hat Gott eingesehen, dass Er eure ganze Eifersucht beiseite fegen und seine Liebe in reichem Maße über euch beide ausgießen muss.

Liebe Brüder und Schwestern, die ihr das verzehrende Gift der Eifersucht in euren Herzen habt! Hört, wie Gott euch liebt mit allen euren Fehlern, Komplexen und Niederlagen! Liebe Eltern, die ihr keinen Überblick und keine Kontrolle über all das bekommen könnt, was ihr euren Kindern antut! Liebt sie vor allem; und erzählt ihnen, dass auch Gott sie liebt, so wie sie sind – die Großen wie die Kleinen, die Artigen und Unartigen, die Erfolgreichen und die Erfolglosen. Hört niemals auf, ihnen zu sagen, dass ihr sie liebt – sie alle. Und denkt daran, dass ihr Liebe genug habt, denn ihr empfangt all die Liebe, die ihr nur braucht, und mehr dazu, von Gott.

Amen

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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