Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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2. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juni 2006
Predigt zu 1. Korinther 14, 1-3.22-25, verfasst von Rudolf Rengstorf
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Eine geschlossene Gesellschaft war das, zu der der Gastgeber, von dem wir eben gehört haben, geladen hatte. Die Gäste waren handverlesen und gehörten alle zu den Kreisen der besseren Gesellschaft, in denen der Gastgeber zu Hause war. Doch dann drohte sein Fest zu platzen, weil eine Absage nach der anderen kam. Und er entschied sich kurzerhand dafür, die geschlossene in eine offene Gesellschaft umzufunktionieren und alle in sein Haus zu holen, die nichts anders vor hatten. Hauptsache, das Haus wird voll, war seine Devise. Mit leeren Plätzen vor Augen mag ich nicht feiern. Und so lud er sie ein von den Straßen und Gassen, von Hecken und Zäunen: Arme und Behinderte, Straßenmädchen und Strauchdiebe. Alle waren sie ihm recht; jeder so, dass er mit ihm und ihr feiern wollte.

Bei uns hier in der Kirche sollte es nicht anders zugehen. Und in der Tat: An den Türen steht nicht: „Geschlossene Gesellschaft“. Unsere Glocken tragen die Einladung an alle Ohren, und die Türen stehen offen für alle, die eintreten möchten. Trotzdem sind wir meist unter uns, viele Plätze bleiben leer. Woran liegt das?

Der Abschnitt, der für die heutige Predigt vorgesehen ist, kann da weiterführen. Er steht im ersten Brief, den Paulus an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei die Situation dort völlig anders gewesen als bei uns. Da wurde der Gottesdienst von der Zungenrede beherrscht, die bei uns völlig aus der Übung gekommen und höchstens noch bei begeisterten Kindern oder Fußballanhängern vorkommt. Also bei Menschen, die von einer Begeisterungswoge erfasst und so mitgerissen werden, dass ihnen die Worte fehlen und sie nur mit Stammeln und Lallen ausdrücken können, wie ihnen ums Herz ist. So ging es den Gemeindegliedern in Korinth damals mit Gott. Hören, wir, was Paulus dazu sagt und was, wie ich meine, auch für unsere Gottesdienste ein hilfreicher Fingerzeig sein kann:

Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes,
am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!
Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott.
Denn niemand versteht ihn. Vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen
Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung
und zur Ermahnung und zur Tröstung...
Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammen käme
und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein,
würden sie nicht sagen: Ihr seid von Sinnen?
Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder
Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und überführt;
was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen
auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.

Also, nichts gegen eure Begeisterung für Gott, sagt Paulus. Aber ihr müsst darauf achten, dass eure Gottesdienste verständlich sind. Das geschieht vor allem durch die prophetische Rede. Prophetische Rede, damit meint Paulus nicht das, was wir heute darunter weithin verstehen, nämlich die Gabe, die Zukunft vorhersagen zu können, also das ansprechen zu können, wovon an sich niemand etwas wissen kann. Ganz im Gegensatz dazu zielt prophetische Rede in der Bibel immer auf das, was jetzt dran ist. Was Klarheit schafft in den Köpfen und zum Ausdruck bringt, was die Menschen im Herzen bewegt. Prophetische Rede spricht so, dass die, die es hören, sagen: Du hast mir aus dem Herzen gesprochen und zwar so, dass wir uns jetzt gemeinsam daran halten können. Prophetische Rede bringt die in ihrer Frömmigkeit, ihrer Gottesbegeisterung vereinzelten Menschen zusammen und lässt sie zu einer Gemeinde werden, die weiß, was sie will und wozu sie da ist.

An sich müsste Paulus - so sollte man annehmen - sehr angetan sein von unseren Gottesdienstes. Alles geht vernünftig zu in allgemein verständlicher Sprache. Und alles, was man tun soll, wird einem erklärt oder vorgemacht. Und so wird gewährleistet, dass alle sich gleich verhalten und um Gottes Willen keiner aus der Reihe tanzt und die anderen stört.

Und nun stelle ich mir vor, Paulus wäre heute morgen wirklich hier unter uns. Die Ruhe und Ordnung unseres Gottesdienstes würde er gewiss zu schätzen wissen. Und er würde, wenn man ihm das erklärte, auch Verständnis dafür haben, dass von Begeisterung hier wenig zu spüren ist. Norddeutsche sind eben keine Orientalen. Wir brauchen Ruhe und Besinnung, um etwas in unserem Herzen zu bewegen und uns zum Zwiegespräch mit Gott anregen zu lassen.

Schön, würde Paulus sagen, aber gilt das auch für Eure jungen Leute, die Mädchen und Jungen hier - Konfirmanden nennt Ihr sie. Die machen mir nicht den Eindruck, dass sie Eure Lieder, die alten Texte und erst recht nicht die lange wohlformulierte Predigt, bei der nichts passiert, zu schätzen wissen. Seht nur, wie unruhig sie hin und her rutschen, ständig auf die Uhr sehen und ganz offenkundig darauf warten, dass sie wieder raus dürfen. Sie kommen, weil sie müssen, hat mir einer von ihnen gesagt. Für sie ist das, was hier geschieht, mehr eine Prozedur als eine prophetische Rede. Denn dass sie im Herzen getroffen und dazu bewegt werden, einzustimmen in euer Gotteslob. davon ist wirklich nichts zu spüren.

Naja, würden wir wohl sagen, das ist ja auch ein ganz schwieriges Alter. Aber wenn sie konfirmiert werden und in der Kirche erwachsen sein wollen, müssen sie doch etwas vom Gottesdienst wissen und ihn eingeübt haben. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Paulus sich mit dieser Erklärung zufrieden geben würde.

Keine Frage, würde er wohl sagen: Hier wird sehr verständlich gesungen und gebet und auch klug geredet. Aber die innere Erbauung, die die einen dabei erleben, bedeutet den anderen nichts. So war das damals in Korinth auch mit dem Zungenreden, das die von außen kommenden nicht verstanden. Und deshalb empfehle ich auch euch: Bemüht euch um die prophetische Rede, die das Herz anspricht und Gemeinschaft unter euch stiftet.

Und als einem, der auch von außen zu euch herein gekommen ist, ist mir gleich aufgefallen, wie sehr man hier unter euch allein bleibt. Gewiss, vorne an der Tür wurde mir ein Gesangbuch in die Hand gedrückt, Doch seitdem bin ich mir selber überlassen. Die anderen Leute in der Bank nehmen mich gar nicht wahr. Jeder vermeidet es offenbar mit den anderen Kontakt aufzunehmen. Den meisten Gottesdienstbesuchern kann ich noch nicht einmal ins Gesicht sehen. Ich sehe entweder auf ihren Rücken oder sie auf meinen. Und meint Ihr, das ist reizvoll und überzeugend für Menschen, die von außen hereinkommen? Ich erlebe eure Freude nicht und nicht das, was euch zu schaffen macht. Ich erlebe kein Lachen, keine Gefühlsbewegung. Über all das wird geredet, es kommt zur Sprache, gewiss. Aber das Herz versteht nur, wenn es auch etwas zu sehen und zu spüren bekommt.

Ihr singt: „Nun daket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen". Aber weder vom Herzen noch von den Händen ist etwas zu spüren. Ihr reduziert den Menschen in euren Gottesdiensten auf Kopf, Mund und Ohren. Und dann wundert ihr euch, dass Außenstehende davon nicht ^angezogen, sondern eher abgestoßen werden?

Die ganze Klarheit und Verständlichkeit eures Gottesdienstes hilft euch nicht, wenn ihr nicht beherzigt, womit ich meine Empfehlung zu einem überzeugenden Gottesdienst überschrieben habe: Strebt nach der Liebe!

Die Liebe, die aus Gottes Herzen kommt, und euch und die Menschen um euch herum wie auch die von außen Hereinkommenden froh und frei machen will - sie ist das Herz der prophetischen Rede.

Du hast recht, Paulus. Wir hören das auch nicht zum ersten Mal. Und deshalb wird es Zeit, dass es von unseren Ohren in die Herzen dringt und wir der Liebe den entscheidenden Platz bei der Gestaltung des Gottesdienstes einräumen. Amen.

Superintendent Rudolf Rengstorf
Stade
Rudolf.Rengstorf@evlka.de


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