1. Sonntag nach Trinitatis, 18. Juni 2006 |
Gott ist Liebe! In dieser Liebe nimmt er uns Menschen an, so wie wir sind, stellt sich auf unsere Seite und wendet sich uns Menschen in seiner unendlichen Liebe zu! So oder so ähnlich, liebe Gemeinde, ist in der letzten Zeit immer wieder die Kernaussage vieler Predigten von Pfarrerinnen und Pfarrern, auch bei mir. Und ich weiß, dass es für viele aus unseren Gemeinden ja geradezu wie eine Erlösung gewirkt hat, dass da kaum noch vom Gericht Gottes und seinen Strafen geredet wurde. Denn wie sehr haben ja auch viele unter uns immer wieder gelitten unter einem angstmachenden Gott, obwohl sie ganz fest in ihrem Glauben zu hause waren, und mussten ihr Schicksal als verdiente Strafe Gottes erleiden. In solchen Situationen hat dann das Evangelium von der liebevollen Annahme vielen Menschen wieder Mut gemacht, sie aufgerichtet und ihnen neue Kraft geschenkt. Und doch bleiben da Fragen: Woher eigentlich wissen wir denn so genau, was Gottes Wille mit uns Menschen ist? Und woher wissen wir, was Gott heute verurteilen und wozu er ja sagen würde? Ist nicht oft genug so auch der liebevolle Gott unter der Hand zum harmlosen Gott geworden? Ich denke, solche Fragen gilt es auszuhalten, denn wenn wir uns nicht mehr selbst in Frage stellen, dann ist die Gefahr groß, Gott zu verharmlosen. Wenn wir von vornherein ganz genau wissen, auf welcher Seite Gott steht, dann verharmlosen wir ihn; wenn wir für alles und jedes Verständnis haben und wenn wir jedem Recht geben, dann verharmlosen wir ihn. Und darum, liebe Gemeinde, müssen wir uns heute auf die Botschaft eines Mannes einlassen, der es sich selbst nicht leicht gemacht mit seinem Leben, der oft genug schrecklich verlassen war, oft sehr empfindsam, manchmal aber auch wahnsinnig direkt. Ich rede von Jeremia, dem Propheten, der häufig auf Unverständnis stieß, der verlacht wurde und immer wieder bedroht. Von ihm hören wir als heutigen Predigttext: 16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. Also, das muss Widerspruch hervorrufen! So will niemand gern angesprochen werden, wie dies der Prophet hier macht und wie er auf seine Zuhörer damals losgeht. Wen meint er denn, wenn er so harsch formuliert? Wer sind denn seine Gegner? Doch nicht gottlose Heiden, Ungläubige, Gottesferne, sondern das sind Gelehrte, sind kluge Prediger, Theologen, denen es um eine „Kirche in rechter Ordnung“ geht. Kein Wunder also, dass dies Widerspruch hervorrufen musste. Aber ich denke, auch bei uns heute wird angesichts dieser Rede der Widerspruch laut: woher will denn Jeremia so genau wissen, was die wahren und was die falschen Propheten sind? Ist das nicht doch nur seine unerträgliche Rechthaberei? Vielleicht schon, aber sehen Sie, liebe Gemeinde, ich will dennoch versuchen, die Wahrheit aus seiner Rede herauszufiltern, auch wenn ich mich mit der Grobheit seiner Formulierungen nicht anfreunden kann. Nun denn:
Die Zeiten sind vorbei, liebe Gemeinde, wo wortgewaltige Pfarrer ihre Gemeinden mit Wucht und aller Härte in Grund und Boden reden konnten. Das ist wahr. Und das ist wohl auch wirklich gut so. Denn wir sind alle, Prediger wie Zuhörer, Gott ausgeliefert. Aber: wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann? Sie kennen vielleicht dies Kinderspiel. Die Antwort: Niemand! Richtig. Und: wirklich fürchte ich mich vor den Menschen, die sich überhaupt nicht mehr in Frage stellen lassen, die immer recht haben, die andere ausnutzen und die ganz und gar unbarmherzig sind, auch zu sich selbst. Und dann ist die Frage schon zu Recht, wie Gottes Wort wieder unter uns radikal werden kann. Ich glaube, nicht durch uns, nicht durch empörende oder gar groteske Formulierungen. Sondern ganz allein dadurch, dass wir es wieder lernen, Gottes Wahrheit nach zu buchstabieren, mühsam, Wort für Wort aufnehmen, genau hinhören. Er kam in sein Eigentum – und es gehörte ihm nicht mehr! Das ist offensichtlich die schreckliche Wahrheit, in der wir derzeit leben. Und diesem Erschrecken sollen wir widerstehen: wir haben keinen Besitz – es gehört ohnehin alles Gott! Wir werden keine Macht ausüben – Gott allein ist der Allmächtige! Wir werden nicht uns selbst verherrlichen – Gott allein gebührt die Ehre! Und das gilt! Gilt auch im Blick auf unsere Rechtsansprüche; gilt gegenüber unserem Wissen und Können; gilt gegenüber aller menschlichen Selbstgefälligkeit! Und vielleicht wird dann, aber wirklich erst dann, Gott sich wieder uns zuwenden und uns nahe kommen. Hoffentlich vergeht aber bis dahin nicht noch so schrecklich viel Zeit. Amen. Dekan Lothar Grigat, Homberg (Efze)
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