Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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1. Sonntag nach Trinitatis, 18. Juni 2006
Predigt zu Jeremia 23, 16-29, verfasst von Lothar Grigat
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Gott ist Liebe! In dieser Liebe nimmt er uns Menschen an, so wie wir sind, stellt sich auf unsere Seite und wendet sich uns Menschen in seiner unendlichen Liebe zu!

So oder so ähnlich, liebe Gemeinde, ist in der letzten Zeit immer wieder die Kernaussage vieler Predigten von Pfarrerinnen und Pfarrern, auch bei mir. Und ich weiß, dass es für viele aus unseren Gemeinden ja geradezu wie eine Erlösung gewirkt hat, dass da kaum noch vom Gericht Gottes und seinen Strafen geredet wurde. Denn wie sehr haben ja auch viele unter uns immer wieder gelitten unter einem angstmachenden Gott, obwohl sie ganz fest in ihrem Glauben zu hause waren, und mussten ihr Schicksal als verdiente Strafe Gottes erleiden. In solchen Situationen hat dann das Evangelium von der liebevollen Annahme vielen Menschen wieder Mut gemacht, sie aufgerichtet und ihnen neue Kraft geschenkt.

Und doch bleiben da Fragen: Woher eigentlich wissen wir denn so genau, was Gottes Wille mit uns Menschen ist? Und woher wissen wir, was Gott heute verurteilen und wozu er ja sagen würde? Ist nicht oft genug so auch der liebevolle Gott unter der Hand zum harmlosen Gott geworden?

Ich denke, solche Fragen gilt es auszuhalten, denn wenn wir uns nicht mehr selbst in Frage stellen, dann ist die Gefahr groß, Gott zu verharmlosen. Wenn wir von vornherein ganz genau wissen, auf welcher Seite Gott steht, dann verharmlosen wir ihn; wenn wir für alles und jedes Verständnis haben und wenn wir jedem Recht geben, dann verharmlosen wir ihn.

Und darum, liebe Gemeinde, müssen wir uns heute auf die Botschaft eines Mannes einlassen, der es sich selbst nicht leicht gemacht mit seinem Leben, der oft genug schrecklich verlassen war, oft sehr empfindsam, manchmal aber auch wahnsinnig direkt. Ich rede von Jeremia, dem Propheten, der häufig auf Unverständnis stieß, der verlacht wurde und immer wieder bedroht. Von ihm hören wir als heutigen Predigttext:

16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN.
17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohl gehen -, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.
18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört?
19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen.
20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.
21 Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie.
22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?
24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR.
25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.
26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen
27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal?
28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR.
29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Also, das muss Widerspruch hervorrufen! So will niemand gern angesprochen werden, wie dies der Prophet hier macht und wie er auf seine Zuhörer damals losgeht. Wen meint er denn, wenn er so harsch formuliert? Wer sind denn seine Gegner? Doch nicht gottlose Heiden, Ungläubige, Gottesferne, sondern das sind Gelehrte, sind kluge Prediger, Theologen, denen es um eine „Kirche in rechter Ordnung“ geht. Kein Wunder also, dass dies Widerspruch hervorrufen musste. Aber ich denke, auch bei uns heute wird angesichts dieser Rede der Widerspruch laut: woher will denn Jeremia so genau wissen, was die wahren und was die falschen Propheten sind? Ist das nicht doch nur seine unerträgliche Rechthaberei?

Vielleicht schon, aber sehen Sie, liebe Gemeinde, ich will dennoch versuchen, die Wahrheit aus seiner Rede herauszufiltern, auch wenn ich mich mit der Grobheit seiner Formulierungen nicht anfreunden kann. Nun denn:

  1. Wenn wir bei der Verkündigung von Gottes Wort, wenn wir beim Hören einer Predigt, beim Lesen in der Bibel immer nur uns selber wiederfinden wollen und keine Überraschungen mehr zulassen, dann betrügen wir uns um Gottes Wahrheit! Wenn wir aus lauter Angst, in der Auseinandersetzung der Meinungsmacher zwischen die Fronten geraten zu können, immer nur ausgewogen formulieren, dann betrügen wir uns und andere um Gottes Wahrheit. Oder etwas anders formuliert: ich glaube, wir sind der Wahrheit Gottes viel eher auf der Spur, wenn wir ratlos sind, erschrocken vielleicht und manchmal mit innerem Widerstand. Gott stellt unser Verständnis von Welt und Leben immer wieder neu in Frage, und wo wir dem Willen Gottes ausweichen, wo diese Welt nicht mehr Gottes Welt ist, da wird sie nicht überleben.
  2. Ich glaube, wir müssen auch das neu hören: Ja, Gott kann zornig sein! Auch über mich, auch über unsere Gemeinde, auch über „seine“ Kirche. Wenn Glauben zur Belanglosigkeit verkommt, dann muss Gott zornig werden. Nicht, weil wir damit seine Eitelkeit verletzen. Sondern weil die Welt ohne Gott in selbstmörderischer Überheblichkeit auf den Abgrund zurast. Wenn Gottes Wille nur noch der Rahmen für unsere eigene Selbstgefälligkeit geworden ist, dann muss Gott zornig werden. Wenn wir Gott zum nützlichen Gebrauchsgegenstand für besondere, vor allem feierliche und gefühlige Anlässe reduzieren, dann muss Gott zornig werden.
  3. Ja, es bleibt wahr: Gott kann uns ganz nahe sein! Aber die Entscheidung darüber liegt nicht bei uns. Gott entscheidet. Und so hat er auch die Möglichkeit, uns fern zu sein, sich von uns zu entfernen. Ich denke, es hat viel zu lange unser Denken bestimmt, zu meinen, wir könnten uns Gott nähern oder ihm fernbleiben, das sei unsere Entscheidung; und viel zu oft haben wir nicht bedacht, dass Gott frei ist in seiner Entscheidung, uns nahe zu kommen oder der ferne Gott zu sein. Wir verfügen nicht über Gott. Wir sind ihm ausgeliefert. Das ist die harte Wirklichkeit. Und viel zu oft nehmen wir das gelassen hin, gehen zum nächsten Tagesordnungspunkt über, ohne dass wir dabei noch etwas empfinden und verharmlosen dabei Gottes Wahrheit.
  4. Und: Gottes Wort ist radikal, ist hart, wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt. Was da zerschlagen wird, ist uns nur zu vertraut: wie eine Felsenwand umgibt uns der Wille, sich nicht ins Leben hineinreden zu lassen! Wir sind selber die letzte Instanz über unser Leben, und darum umschließt uns wie eine Mauer unsere Einsamkeit und Verlorenheit. Wenn wir aus dem radikalen Wort Gottes die Eindeutigkeit entfernen und es mehrdeutig machen, wenn wir niemandem in seinem Lebensverständnis zu nahe treten wollen, es gar in Frage stellen wollen, dann lösen wir die Radikalität von Gottes Willen auf.

Die Zeiten sind vorbei, liebe Gemeinde, wo wortgewaltige Pfarrer ihre Gemeinden mit Wucht und aller Härte in Grund und Boden reden konnten. Das ist wahr. Und das ist wohl auch wirklich gut so. Denn wir sind alle, Prediger wie Zuhörer, Gott ausgeliefert.

Aber: wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann? Sie kennen vielleicht dies Kinderspiel. Die Antwort: Niemand! Richtig.

Und: wirklich fürchte ich mich vor den Menschen, die sich überhaupt nicht mehr in Frage stellen lassen, die immer recht haben, die andere ausnutzen und die ganz und gar unbarmherzig sind, auch zu sich selbst. Und dann ist die Frage schon zu Recht, wie Gottes Wort wieder unter uns radikal werden kann. Ich glaube, nicht durch uns, nicht durch empörende oder gar groteske Formulierungen. Sondern ganz allein dadurch, dass wir es wieder lernen, Gottes Wahrheit nach zu buchstabieren, mühsam, Wort für Wort aufnehmen, genau hinhören. Er kam in sein Eigentum – und es gehörte ihm nicht mehr! Das ist offensichtlich die schreckliche Wahrheit, in der wir derzeit leben. Und diesem Erschrecken sollen wir widerstehen: wir haben keinen Besitz – es gehört ohnehin alles Gott! Wir werden keine Macht ausüben – Gott allein ist der Allmächtige! Wir werden nicht uns selbst verherrlichen – Gott allein gebührt die Ehre! Und das gilt! Gilt auch im Blick auf unsere Rechtsansprüche; gilt gegenüber unserem Wissen und Können; gilt gegenüber aller menschlichen Selbstgefälligkeit! Und vielleicht wird dann, aber wirklich erst dann, Gott sich wieder uns zuwenden und uns nahe kommen.

Hoffentlich vergeht aber bis dahin nicht noch so schrecklich viel Zeit. Amen.

Dekan Lothar Grigat, Homberg (Efze)
kirchenkreis-homberg@ekkw.de

 


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