Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Pfingstmontag, 5. Juni 2006
Predigt zu Epheser 4, 10-16, verfasst von Katharina Coblenz-Arfken
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

Pfingsten „das liebliche Fest“ ist gekommen, frisches Birkengrün schmückt auch unsere Kirche. Überall grünt es und blüht. Auf dem Dornbusch leuchtet goldgelb der Ginster.
Wir feiern den Geburtstag der Kirche, das Kommen des heiligen Geistes.
Lukas hat uns erzählt, wie die Freunde und Freundinnen Jesu hinter geschlossenen Türen saßen, weil sie Angst hatten, dass ihnen das gleiche passiert wie Jesus: Hinrichtung auf Grund ihrer Lebensweise und ihres Glaubens. So zogen sie es vor, nach seinem Tod in geschlossener Gesellschaft zu bleiben. Zwar hatten ein paar Frauen aufgeregt erzählt, wie sie Jesus als Auferstandenen gesehen hatten und gehört, wie er zu ihnen sprach: „Fürchtet euch nicht!“
Die Jünger sahen ihn dann auch. Aber ihre Ohren müssen taub gewesen sein. Sie konnten es nicht glauben. Nun, 50 Tage nach Ostern, als zu dem jüdischen Erntefest viele Leute nach Jerusalem kamen, schlossen sie sich erst recht ein.
Dann geschah das Unvorhergesehene. Sie spürten eine Bewegung von außen.
Ein nicht aufzuhaltender Wind erfüllte das Haus, wurde sichtbar, wärmte und erleuchtete sie – wie Feuerzungen auf ihren Köpfen. Die Sprache kam wieder wie Musik, allen verständlich. Die Angst wich. Sie öffneten sich, öffneten die Tür. Sie bekannten sich zu Christus und erzählten weiter, was sie mit ihm erlebt hatten und dass er lebt und da ist und wirkt.
Das ist der Geburtstag der Kirche.
Der Epheserbrief enthält die wichtigsten theologischen Aussagen des Neuen Testaments über die Kirche.
Ich lese einen Abschnitt aus dem 4. Kapitel vor:

Eph 4,10-16:
Derselbe, der herabstieg, ist auch hinaufgestiegen bis zum höchsten Himmel, um das All zu erfüllen
Und er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, wieder andere als Evangelisten, zu Vorstehern oder Lehrern, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu befähigen – für den Aufbau des Leibes Christi.
So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen.
Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, hin und hergetrieben von jedem Widerstreit der Meinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert, der Verschlagenheit, die in die Irre führt.
Wir wollen uns von der Liebe geleitet an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir sie erreicht haben.
Er, Christus, ist das Haupt.
Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnem Gelenk.
Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist.
So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut.

Ein schönes Bild. Christus ist das Haupt und wir alle haben Teil am Leib Christi.
Gestern sagte mir eine Besucherin: „Wenn der kleine Zeh wehtut, weint das Auge.“
Es ist alles miteinander verbunden und es ist eine alte Weisheit, dass man z.B. mit dem Blick in die Augen, der sogenannten Irisdiagnose, feststellen kann, was einem Menschen fehlt.
Alles wirkt wunderbar zusammen. Ein Glied funktioniert nicht ohne das andere.

Wenn Christus das Haupt ist, dann kommen wir durch ihn zur Einheit, zur Vollkommenheit.
Sehnt sich nicht jeder Mensch nach Vollkommenheit?
Ganzheitlichkeit ist heute ein Schlagwort.
Auch Goethe hat das in seinem Gedicht „Urworte orphisch“ folgendermaßen beschrieben:

„Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
bist also bald und fort und fort gediehen
nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
so sagten schon Sybillen, so Propheten;
und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“

Hat er damit nicht auch eine Hymne an Schöpfer gedichtet?.. Jeder Mensch ist an eine bestimmte Form gebunden.
Bei Goethe geht es um die Möglichkeit, die Form zu füllen - wie eine Verpflichtung seinen Lebensplan zu erfüllen. Als könne das der Mensch von allein.

Der Schreiber des Epheserbrief entwirft ein mystisches Bild: Christus wird geschaut als alles durchwirkende Gestalt, ja als kosmischer Christus wird er uns hier vorgestellt.
Der Mensch ist darin eingebunden. Ja, um des Menschen willen wird Christus hier geschaut.
Eine Mystikerin des Mittelalters, Hildegard von Bingen, sah dieses Bild in einer großartigen Schau und es bestimmte ihr Leben. Sie formulierte es in einem Lied zum Lob Gottes:
„Von der Erde bis hoch zu den Sternen überflutet die Liebe das All.
Sie ist liebend zugetan allen, da sie dem Höchsten den Friedenskuss gab.“
Und wenn das so ist, dass diese liebende Energie in allen ist, dann hat das für mein Leben Konsequenzen.
Wie kann ich teilhaben an diesem vollkommenen Leib Christus, wie kann ich wachsen in der Liebe? So dass ich nicht Spielball der Wellen werde, dem Widerstreit der Meinungen ausgeliefert und den betrügerischen Versprechungen der Werbung auf den Leim gehe?

Vielleicht versuchen Sie einmal diese Übung. Es ist eine einfache Übung. Mir hat sie geholfen. Stellen Sie sich den Menschen vor, mit dem Sie Schwierigkeiten haben. Sehen Sie ihn als Gottes Geschöpf, in dem genauso die Möglichkeit zur Vollkommenheit steckt.
Könnte es sein, dass sich im Miteinander etwas ändert?
Wir kennen alle unsere Schattenseiten: Zorn, Wut, Enttäuschung über das Zu- kurz- Gekommen-Sein.
Aber bei diesem Christus am Kreuz sehe ich seine geöffneten Arme. Die großen einladenden Hände. Sie segnen und geben Kraft. Wir Menschen können das annehmen, diese Liebe aufnehmen, spüren und weitertragen.

Der Schreiber des Epheserbriefes gibt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten große Mühe, das weiterzusagen.
Deshalb finden wir in diesem Brief auch sehr viele Ratschläge. Fast zu viele.
Einen habe ich als Kind schon immer gehört. Meine Mutter prägte ihn uns Geschwistern ein: „Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.“ Versöhnt euch vor dem Schlafengehen.
Jeder weiß, wie schwer das manchmal ist.
Luther sagte: „Der Heilige Geist – das ist die Flamme des Herzens, die Lust hat zu dem, was Gott gefällt.“
Mit meiner Kraft bin ich manchmal am Ende. Aber um Gottes Geist kann ich bitten, ja ich soll es auch immer wieder tun. So beginnen auch die meisten Pfingstlieder mit einer Bitte: „Nun bitten wir den Heiligen Geist“, „Komm, Heilger Geist. ..!“, „Komm. O komm, du Geist des Lebens“, „ O Heilger Geist kehr bei uns ein...“
Wir bitten um Gottes Geist, um zu vollkommenen Menschen zu werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darzustellen.
Wir sind dabei nicht allein. Er ist bei uns. (Bei Abendmahlsgottesdienst: Im Abendmahl lädt er uns ein, die Gaben des Lebens zu teilen.)
Aufgabe der Kirche ist es, diese Kraft Christi, die alles durchwirkt, den Menschen weiterzusagen.
Wir haben alle daran teil.

Amen

Liedvorschlag EG : 130,1-3.5

Dr. Katharina Coblenz-Arfken
Dragonerstr. 17
37154 Northeim – Hohnstedt
Tel.: 0555151107
z.Zt. Kurpastorin in Neuendorf auf Hiddensee
Arfkencoblenz@aol.com


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