Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Pfingstsonntag, 4. Juni 2006
Predigt zu Johannes 14, 15-21, verfasst von Erik Bredmose Simonsen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


In der Sprache entsteht die Welt. Das Kind lernt die Welt durch die Sprache kennen. Für das Kind, das noch keine Sprache hat, besteht alles nur aus unbestimmten Formen. Das Kind sieht eine ganze Menge, aber es weiß noch nicht, was das ist, was es sieht. Dieses Wissen kommt erst, wenn das Kind beginnt, die Dinge voneinander zu unterscheiden und den verschiedenen Dingen, die es sieht, Namen zu geben.

Recht besehen ist das ein phantastischer Prozess, eine phantastische Entwicklung, die das Kind durchmacht, wenn es nach und nach mit den Nuancen der Sprache vertraut wird, so dass es in wachsendem Maße imstande ist, alles, was es sieht, in verschiedene Kategorien einzuteilen: Menschen, Tiere, Häuser, Autos usw.

Nun beginnt das Kind ja aber nicht damit diese übergeordneten Kategorien kennen zu lernen. Es beginnt vielmehr mit dem, was ihm ganz nahe ist und was konkret ist, was es tagtäglich sehen, hören, merken und fühlen kann: Mutter, Vater, Großmutter, Großvater, Schwester Karen, den Hund Fido usw.

Und nun entwickelt es sich von hier aus: Zuerst nennt das Kind alle Hunde, die es sieht, „Fido“, lernt dann aber, dass alle anderen Hunde als Fido also „Hund“ heißen; dann fängt das Kind an, mit der neu erworbenen Einsicht alle vierbeinigen Wesen Hund zu nennen, woraufhin es wiederum belehrt wird, dass das nicht alles Hunde sind, sondern Pferde, Kühe, Schafe, Katzen und Kaninchen.

Und dann lernt es weitere Unterscheidungen, so dass es z.B. innerhalb der Kategorie Hund erkennt, dass es etwas gibt, was „Pudel“, „Schäferhund“, „Labrador“ heißt, usw.

Die Welt des Kindes wird immer größer und immer nuancierter, während es in die Sprache hineinwächst, und umgekehrt wird das Kind durch die Sprache mit seiner Welt allmählich vertraut.

Aber die Sprache besteht nicht nur aus Bezeichnungen für das, was wir sehen. Mit ihrer Hilfe können wir auch unsere Bedürfnisse ausdrücken, z.B. wenn wir Hunger haben oder durstig sind, wenn wir schläfrig sind oder wenn uns etwas weh tut, und wir können Gefühle ausdrücken, wenn wir froh sind, wenn wir traurig sind usw.

Die Muttersprache ist unsere Herzenssprache,
nur lose ist all fremde Rede,
sie allein in Mund und Buch
kann ein Volk wach machen.

So singen wir mit Grundtvig in einem seiner volkstümlichen Lieder. Die Muttersprache ist die Sprache, in der wir aufgewachsen sind, in der wir unsere Welt kennen gelernt haben und in der wir gelernt haben, uns in Lust und Not auszudrücken, in Leid und Freud. Und über die Muttersprache teilen wir unser Leben mit anderen, wenn wir miteinander reden.

Wenn Grundtvig sagt: „nur lose ist all fremde Rede“, dann liegt darin keinerlei Verachtung für andere Sprachen, sondern nur das ganz Fundamentale, dass die Muttersprache für jeden – ist man nun Deutscher, Russe, Chinese oder Däne – Herzenssprache ist.

Die Muttersprache ist diejenige Sprache, in die wir alle hineingewachsen sind, sie hat uns geformt und sie hat daran mitgewirkt, dass wir die sind, die wir nun einmal sind. Und in unserer Muttersprache können wir uns über alles, was Bedeutung für uns hat, über das Große und das das Tiefe, ausdrücken.

All dies zog Gott in Betracht, als er seinen Geist in die Welt schickte. Wir haben in der Lesung aus der Apostelgeschichte gehört, wie der Heilige Geist zu den Aposteln kam, die bange, mutlos und verzagt in einem Haus in Jerusalem saßen. Es erregte einiges Aufsehen, denn der Geist kam, so dass man es hören und merken konnte: Es kam ein Brausen vom Himmel wie von einem heftigen Windstoß, und es erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen, und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, verteilten sich und setzten sich auf einen jeden von ihnen.

All dies war an sich schon bemerkenswert, aber am meisten Aufsehen erregte doch die Wirkung dieses Ereignisses, denn mit einem Mal begannen die Jünger, in anderen Sprachen zu predigen, so dass sie verstanden werden konnten von den vielen verschiedenen Völkern und Nationalitäten, die in Jerusalem versammelt waren, um das Pfingstfest zu feiern. Die Verwunderung und Verwirrung waren groß, als jedermann die Jünger das Evangelium in seiner eigenen Muttersprache verkünden hörte.

Und fast hätte ich gesagt, dass es natürlich so hat sein müssen, denn das Evangelium verbindet sich mit der Welt, wie sie ist, und mit den Menschen in der Welt, wie sie sind und wo sie sind.

Der Heilge Geist schafft eine neue und geistliche Wirklichkeit, die uns aus der gewöhnlichen Welt heraushebt und über sie erhebt, und er bedient sich keiner besonders heiligen oder göttlichen Sprache, sondern trägt das Wort Gottes hinaus in die Welt in unseren Sprachen, auf dass ein jeder es hören und es als lebendige und lebenspendende Rede zu sich nehmen kann, ohne dass damit besondere Fähigkeiten oder Vorkenntnisse verbunden sein müssen.

Der Heilige Geist ist gekommen, um unsere Ohren und Augen zu öffnen für die Wirklichkeit und Wahrheit, die der Welt in Jesus Christus zuteil wurde. Und das kann natürlich nur durch unsere Herzenssprache geschehen – wie sonst sollten wir damit irgend etwas Echtes und Relevantes verbinden können?

Durch seinen Sohn Jesus Christus verband Gott sich ganz konkret in Fleisch und Blut mit der Welt. Die Welt wurde – mitten in all dem, was sie zu spalten und zu zerstören droht – zu einem guten Ort. Auf diese Weise schloss Gott einen neuen Pakt mit der Menschheit. Wir hörten in der Lesung vorhin, wie der Mensch ungehorsom war gegenüber dem alten Pakt, dem Pakt, der auf dem Berg Sinai geschlossen wurde, als Moses die Zehn Gebote erhielt. Der alte Pakt beruhte auf einem gegenseitigen Verhältnis: der Mensch hatte das Gesetz zu halten, dann würde Gott mit ihm sein. Aber die Menschheit konnte also ihren Teil des Pakts nicht einhalten. So wie der alte Pakt zusammengesetzt war, hätte man also erwarten können, dass Gott den ungehorsamen Menschen nur aufgeben und verwerfen würde. Das tat er aber nicht, dazu war seine Liebe zur Schöpfung zu groß. Gott bot sozusagen die andere Backe dar und schenkte uns eine neue Möglichkeit. Gott errichtete einen neuen Pakt, der nicht auf Gegenseitigkeit gebaut war, sondern allein auf seine Liebe. Er sandte seinen Sohn in die Welt, damit er in Gehorsam gegen seinen Vater im Himmel für die Menschheit das Leben leben sollte, das der Mensch nicht leben wollte und konnte. Und dieser Pakt wurde endgültig besiegelt, als Jesus am Kreuz sein Leben hingab. Er gab seinen Leib und sein Blut für uns, wie es im Abendmahlsritual heißt. Jedesmal wenn wir das Abendmahl feiern, wird uns bestätigt, dass sein neuer Pakt mit uns feststeht. Und wir brauchen nicht mehr etwas zu leisten, denn Christus hat alles für uns getan. Das Einzige, was wir sollen, ist dies, dass wir das alles annehmen und daran glauben, dass das, was er damals tat, auch uns hier und heute gilt.

Gott hat sich in Jesus Christus mit der Welt eins gemacht, womit er für sie eingestanden ist. Und dadurch hat Gott dann auch zu uns gesagt, dass wir nicht danach trachten sollen, die Welt hinter uns zu lassen, sondern dass wir im Gegenteil leben und unseren Einsatz hier leisten sollen. Es gibt für den Menschen keinen besseren Ort, an dem er leben kann, als genau hier auf Gottes grüner Erde. Hier sollen wir miteinander leben in Verantwortung und Liebe, – und wenn wir anderer Meinung sind, ja, dann lassen wir nicht bloß unseren Nächsten im Stich, wir verachten auch all das, was Jesus Christus für uns getan hat.

Der Heilige Geist fährt dort fort, wo Jesus aufhörte, könnten wir sagen.

Als Jesus gen Himmel gefahren war, sandte er stattdessen seinen Geist in die Welt, auf dass er uns weiterhin nahe sein konnte und auf dass der neue Pakt in der ganzen Welt bekannt werden konnte.

Der Heilige Geist trägt das Wort Gottes weiter in die Welt, und er ist keinerlei Einschränkungen ausgesezt, ja er entfernt die Grenzen, die es geben mag. Wie Jesus in diese zweideutige Welt ging und sich mit ihr, wie sie ist, verband, so kommt auch der Heilige Geist zu uns, ohne sich zu fein zu fühlen. Auch er verbindet sich mit der Welt, wie sie ist.

Der Heilige Geist ist keine handgreifliche Größe, die einzufangen und zu beobachten wäre, aber seine Wirkungen sind sichtbar und hörbar, indem er sich mit Menschen verbindet und sie zum Reden bringt und dazu, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes und dem neuen Pakt weiterzuerzählen, so wie es an jenem Pfingstag vor zweitausend Jahren geschah, als die Apostel plötzlich anfingen, in allen möglichen Sprachen der Welt zu predigen.

Der Heilige Geist bedient sich der gewöhnlichen Menschensprache, der ganz gewöhnlichen einfachen Alltagssprache, die wir gebrauchen, wenn wir täglich miteinander reden: der Muttersprache. Und durch sie bahnt er sich einen Weg in der Welt von Mensch zu Mensch.

Deshalb können wir seine Sprache hören und verstehen, wenn wir denn unsere Ohren für sie öffnen wollen. Wir sollen uns m.a.W. nicht so sehr darauf konzentrieren, was wir unter dem Heiligen Geist zu verstehen haben, sondern darauf, uns für eine Wirkungen unter uns und in uns zu öffnen. Es ist eine frohe neue Botschaft, die er uns bringt und die wir nach seinem Willen weitergeben sollen. Amen.

Pastor Erik Bredmose Simonsen
Præstebakken 11
DK-8680 Ry
Tel.: +45 86 89 14 17
E.mail: ebs@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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