Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Pfingstsonntag, 4. Juni 2006
Predigt zu 1. Korinther 2, 12-16, verfasst von Wolfgang Vögele
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Göttliche Begeisterung und alltägliche Weisheit

„Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muß geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen“ (Jes 40,13)? Wir aber haben Christi Sinn.“

Liebe Gemeinde,

wir alle sehen und spüren das intensiv: In begeisterten, in geistüberfüllten Zeiten leben wir. An Pfingsten und vor der Fußballweltmeisterschaft – in dieser Reihenfolge – steht jedem das Bild der singenden Fußballfans vor Augen. Sie drängen in großer Menge aus dem Regionalexpress, um vom Bahnsteig aus hinüber ins Stadion zum Heimspiel zu ziehen.

Unbeirrt erwarten die Fans den Sieg ihrer Mannschaft, nachdem der Schiedsrichter endlich angepfiffen hat. Sie tragen alle ähnliche Kleidung, Schals in den Vereinsfarben, dazu die Mannschaftstrikots ihrer Lieblingsspieler. Gemeinsam fahren sie zum Spiel. Gemeinsam feuern sie ihre geliebte, verehrte Elf an. Gemeinsam trinken sie, gemeinsam jubeln sie, gemeinsam trauern sie nach einer Niederlage.

Wer sie als unbeteiligter Passant auf dem Bahnsteig sieht, der geht ihnen manchmal lieber aus dem Weg. Denn er spürt die Energie und die Kraft, die von solchen Gruppen ausgeht. Er spürt die Begeisterung, aus denen heraus solche Fanclubs vor dem Spiel und nach dem Spiel leben, eine Begeisterung, die sich manchmal rücksichtslos Bahn schafft.

Ganz offensichtlich macht das den Fußball so anziehend, er ist eine Möglichkeit, Gefühle auszuleben, Begeisterung zu spüren, das eigene Leben für 90 Minuten zu vergessen und ganz in einem Gruppengefühl aufzugehen, das jenseits und größer ist als ich selbst.

Sie können ganz leicht den Test darauf machen: Allein Fußball im Fernsehen zu schauen, ohne eine Mannschaft zu favorisieren, ist eine tödlich langweilige Sache. Zu zweit, zu dritt oder in einer noch größeren Gruppe macht das viel mehr Spaß, vor allem wenn man für eine Mannschaft mitfiebert und bei jedem Foul mitzittert und bei jeder Flanke auf ein Tor hofft.

Genug vom Fußballgeist. Ein anderes Beispiel: Auf großen Parkwiesen kann man sie manchmal sehen. Menschen, die einen ruhenden Pol bilden inmitten großer Gruppen von grillenden Familien, herumtobenden Hunden, spielenden Kindern und kickender Jugendlicher. Ruhig und still und mit geschlossenen Augen sitzen sie auf einer Decke und meditieren. Der fröhliche Lärm um sie herum, das Durcheinander kann ihnen nichts anhaben. Mit verschränkten Beinen, angewinkelten Armen und geradem Rücken sitzen sie da. Den meisten Menschen, die an ihnen vorüber laufen, fallen sie gar nicht auf, aber wer zufällig aufmerksam wird, der bemerkt sofort die Ausstrahlung, die von ihnen ausgeht: Sie verströmen eine Ruhe, eine Konzentration, die sich durch nichts ablenken läßt. Sie ruhen in sich selbst. Die Beobachterin spürt an ihnen einen bestimmten Geist, der sich von der fröhlichen Unruhe der grillenden Familien abhebt.

Man könnte die Reihe der Beispiele fortsetzen und jedem würden ohne weiteres weitere Bilder unterschiedlicher Geister vor das Auge rücken. Geist und Begeisterung finden sich zum Beispiel auch im Politischen: Denken Sie an den Geist von 1968, den Geist von 1989, den Geist der Aufklärung, den unseligen Geist des Krieges von 1918. Manche dieser Geister ergreifen von uns Besitz; gegen andere wehren wir uns.

Nur vordergründig sieht es so aus, als würden wir in geistlosen Zeiten leben. Das Gegenteil ist der Fall. Geist hat mit Begeisterung zu tun, aber auch mit Gemeinschaft, mit einer Kraft und Energie, die sich über das bewusste Ich hinwegsetzt und einen Menschen in eine bestimmte Stimmung hineinversetzt.

In diese Welt der Begeisterung, die einem naturwissenschaftlichen Weltbild immer verschlossen bleiben wird, gehört der Geist hinein, von dem der Apostel Paulus spricht. Er unterscheidet sehr genau zwischen dem Geist Gottes und dem Geist (besser: den Geistern) der Welt. Und Paulus malt diesen Unterschied in starken, schroffen Gegensätzen vor Augen. Er will zu einem sicheren Urteil verhelfen. Die Korinther sollen ganz genau unterscheiden können, wann sie der Geist Gottes beseelt und wann sie anderen Geistern nachlaufen.

Gottes Geist ist kein Geist, der von den Menschen Vorleistungen oder Vorbereitungen fordert. Es geht nicht darum, sich in Trance oder in einen Zustand der Ruhe und Meditation zu versetzen. Gottes Geist hilft uns, Gottes Geschenke zu erkennen, sagt Paulus. In der Taufe nimmt Gott einen Menschen an, er sagt ihm seinen dauerhaften Beistand, seinen Segen und seine Begleitung zu, egal was ihm im Leben geschieht, egal welche Fehler er macht und egal was ihm auch zustößt. Die Liebe, die Gott einem Menschen in der Taufe zusagt, ist unverbrüchlich und unauflösbar, sie kann durch nichts gefährdet werden. Diese Beharrlichkeit Gottes gewinnt eine solche Tiefe, daß Gott selbst dann an seiner Zusage festhält, wenn sich ein Mensch von ihm abwendet, wenn er nichts mehr von Gott wissen will, wenn er Gott leugnet, ihn verflucht oder ihm abschwört.

Gottes Geist hilft zu der unverbrüchlichen Erkenntnis, daß Gott sich unbeirrbar an seine Zusagen und Verheißungen hält. Gottes Geist ist ein Geist der Dankbarkeit und der Freude, der Begeisterung und des Staunens über die Schönheit der Schöpfung, über die dauerhafte Hoffnung auf Gott und über die Zuversicht, in seiner Barmherzigkeit und in seinem Segen zu leben: Gott läßt mich niemals allein.

Und diese Freude über Gott, diese Begeisterung ist daran zu erkennen, daß sie nicht bei sich selbst bleibt. Diese Freude will weitergegeben und verbreitet sein, als fröhlicher Gesang, als beharrliches Gebet, als überzeugende Verkündigung. Kein griesgrämiges Christentum ist hier gemeint, keine verklemmte Sündenangst und zwanghafte Bußfrömmigkeit, sondern die Freude, das Staunen und die Zuversicht darüber, daß Gottes Gnade über alle Versuche des Menschen triumphiert, sich von ihm abzuwenden.

In Gottes Geist lernen wir Dankbarkeit. Zum zweiten sagt Paulus: Wir müssen zwischen Gottes Geist und menschlicher Weisheit unterscheiden. Menschliche Weisheit ist etwas sehr wichtiges, sie hat mit Klugheit und Besonnenheit, mit Vernunft und Nüchternheit zu tun. Und als solche hat Weisheit in der letzten Zeit neue Aktualität gewonnen und in Büchern über Lebenskunst, Alltags- und Klugheitsregeln die Bestsellerlisten gestürmt. Viele Menschen wollen sich neu orientieren, weil sie sich überfordert fühlen vom Streß des Berufs, von der Vielfalt der Angebote, von den einstürmenden Anforderungen, die sich nicht mehr gelassen und überlegt bewältigen lassen. Wer nicht mehr zur Besinnung kommt im Alltag, weil er zu viele Aufgaben lösen, zu viele Überstunden absolvieren, zu vielen Ansprüchen nachkommen muß, der kommt vielleicht mit Hilfe von Büchern und Gesprächen zur Besinnung: Er kann sich neu orientieren, überflüssigen Ballast abwerfen und sich auf die wichtigen Aufgaben des Lebens konzentrieren. Das ist auch gut so und hilfreich.

Und trotzdem sagt Paulus, mit Gottes Geist habe das nichts zu tun. Und der Vergleich macht das ganz schnell deutlich. Die Weisheit sagt: Ordne dein Leben und orientiere dich neu, dann wirst du ein glückliches Leben führen. Gottes Geist sagt: Verlasse dich auf Gott und seine Verheißungen. Die Weisheit sagt: Denke nach! Stelle dir Aufgaben! Verwirkliche Deine Ziele! Gottes Geist sagt: Mache gar nichts! Verlasse dich allein auf Gott! Er hat alles schon getan. Die Weisheit sagt: Mit Vernunft und Nachdenken wird es schon klappen! Gottes Geist sagt: Es ist schon alles getan. Du muß Dir keine Sorgen machen.

Der Unterschied wird deutlich. Wer sich auf die eigene Weisheit verlässt, verlässt sich auf sich selbst. Wer Gottes Geist annimmt und empfängt, der verlässt sich auf Gott. Dieser Unterschied ist allerdings nicht so zu verstehen, daß derjenige, der sich auf Gott und seinen Geist einlässt, seinen Verstand und seine Weisheit aufgeben sollte, weil er meint, beides nicht mehr zu benötigen. Ganz im Gegenteil! Jeder soll Vernunft gebrauchen, Weisheit ausbilden und Erfahrungen verarbeiten. Aber er muß sich selbst nicht mehr überfordern. Denn das Wichtigste ist schon getan. Das Wichtigste, die Verheißung und der Segen Gottes für das eigene Leben, das ist schon geschehen, schon beschlossene Sache. Ich darf das hören und akzeptieren.

Und wer das erkannt hat, der gewinnt gegenüber dem eigenen Leben nochmals eine besondere Gelassenheit – und Freude und Dankbarkeit, die er in vernünftiges Handeln und weisheitliches Nachdenken mit einbringen kann.

Dieses läßt sich noch weiter zuspitzen. Denn am Ende der kurzen Predigttextpassage sagt Paulus: Wir haben aber Christi Sinn. Was ist Christi Sinn? Der Geist Gottes hilft nicht nur, Gottes geschenkte Barmherzigkeit zu erkennen. Er gibt der neu geschenkten Weisheit Gottes auch eine bestimmte Richtung. Und das nennt Paulus „Christi Sinn“. Damit ist gemeint: Sich selbst um der anderen willen zurückzunehmen. Wegzugeben um zu erhalten. Den Blick von sich selbst wegzurichten und – plötzlich – die anderen zu sehen, die Menschen neben mir, meine Familie, meine Freunde, meine Kollegen. Und es nicht das Kleinste, was ich für sie tun kann, daß ich für sie bete, stellvertretend bete.

Nochmals zur Erinnerung: Die Weisheit sagt: Gebrauche deine Vernunft, um dich selbst vollkommen zu machen. Der Geist Gottes, der auf Christi Sinn hinweist, sagt: Vergiß dich und verliere dich, dann wirst du deine Vollkommenheit in Gott finden. Ich muß gar nicht vollkommen werden. Ich kann mit meinen Niederlagen und Fehlern leben, ich kann alle Brüche und Untiefen einfach stehen lassen – und mich an Gott freuen, der mich vollkommen macht. Das ist Christi Sinn, das Gegenteil von menschlicher Weisheit.

Wer aus dem Geist Gottes lebt, der muß nicht seiner eigenen Vollkommenheit nachlaufen. Er kann sich für das Unvollkommene begeistern. Er wird sich auf das Ungewöhnliche, das Nichtselbstverständliche einlassen, wenn er anderen damit helfen kann. Er kann den Schritt über die Routinen der Alltagsweisheit hinaus tun. Die Alltagsweisheit erhält eine neue Perspektive. Sie ordnet sich ein in die große Geschichte Gottes mit den Menschen. Sie stimmt ein in die Begeisterung für Gott.

Ich schließe darum mit dem wunderschönen Pfingstlied (EG 133,6-8):

„Du bist ein Geist der Freuden, von Trauern hältst du nichts, erleuchtest uns im Leiden mit deines Trostes Licht. Ach ja, wie manches Mal hast du mit süßen Worten mir aufgetan die Pforten zum güldnen Freudensaal.

Du bist ein Geist der Liebe, ein Freund der Freundlichkeit, willst nicht, daß uns betrübe Zorn, Zank, Haß, Neid und Streit. Der Feindschaft bist du feind, willst, daß durch Liebesflammen sich wieder tun zusammen, die voller Zwietracht seind.

Du, Herr, hast selbst in Händen die ganze weite Welt, kannst Menschenherzen wenden, wie dir es wohlgefällt; so gib doch deine Gnad zu Fried und Liebesbanden, verknüpf in allen Landen, was sich getrennet hat.“

Amen.

PD Dr. Wolfgang Vögele
Goldaper Str.29
12249 Berlin
wolfgang.voegele@aktivanet.de

 

 

 


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