Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Christi Himmelfahrt, 25. Mai 2006
Predigt zu Lukas 24,46-53, verfasst von Hans-Ole Jørgensen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Anna hat die ersten Jahre ihres Lebens unter recht freudlosen Verhältnissen in verschiedenen Kinderheimen zugebracht, aber dann wird sie von einem älteren Geschwisterpaar auf dem Lande adoptiert, und bei ihnen hat sie ein glückliches Leben. Die Geschichte spielt sich in England ab, es ist eine Erzählung, die auch verfilmt worden ist.

Es gehört mit zu dem Glück, dass sie eine richtige Freundin bekommt, ein Mädchen, das in der Nähe wohnt und mit dem sie tagtäglich viel schöne Zeit verbringt, im Spiel wie im Ernst – bis eines Tages ein Ereignis eintritt, das dem ein Ende macht.

Was geschieht, ist sehr unschuldig – und keines der beiden Mädchen kann eigentlich etwas dafür – aber die Eltern der Freundin verbieten den Mädchen daraufhin, dass sie weiter Kontakt miteinander haben. Das Verbot ist ungerecht. Aber der Wille der Eltern ist nicht zu ändern, und die Mädchen müssen ihr unglückliches Schicksal hinnehmen.

Sie treffen sich jedoch kurz darauf noch einmal im Wald, im Schutz der Dunkelheit, damit sie nicht entdeckt werden. Sie wollen einander Lebewohl sagen. Sie weinen zusammen und sie schwören sich ewige Treue.

Und hier fallen dann die Worte, diejenigen Worte, die genauso merkwürdig sind wie die Sache mit Christi Himmelfahrt, die aber trotzdem voller verständlichen Sinnes und voller Wahrheit sind: „Weine nicht!“ sagt Anna zu ihrer Freundin. „Ich werde immer bei dir sein. Ich werde dir immer folgen, auch wenn wir uns nicht mehr treffen können. Du wirst immer in meinem Herzen wohnen!“

Und die Freundin versteht die Worte, natürlich. Weil sie wahr sind. Und sie nimmt sie mit sich als eine Stärke des Herzens. Auf dem schweren Weg.

Denn obgleich wir die Form der Nähe vorziehen, die sich im Sichtbaren vollzieht, wissen wir sehr wohl, dass es auch dieses Andere gibt: Nähe im Unsichtbaren, Nähe trotz des körperlichen Getrenntseins.

Das wussten die Jünger auch, die bei der Himmelfahrt Christi nahe dabei waren.

Denn wenn wir darüber nachdenken, was diese Himmelfahrt für sie bedeuten sollte, dann war es doch nur auf eine bestimmte Weise dies, dass Jesus jetzt von ihnen genommen wurde und dass sie von jetzt an selbst einstehen mussten für das, was sie künftig tun sollten. Die andere Seite der Sache war, dass sie ihn erst jetzt richtig, im Ernst bekamen, dass er jetzt erst – sitzend zur Rechten des Vaters – der ganzen Schöpfung nahe war.

Auf den ersten Blick konnte alles leicht wie ein Verlust aussehen, wie die traurige Tatsache, dass der Jesus, der ihr Herr und Meister gewesen war, dem sie gefolgt waren und an den sie sich geknüpft hatten, jetzt verschwand. Aber so erleben sie sich nicht nur. Alle Texte berichten, dass die Himmelfahrt bei den zurückbleibenden Jüngern Freude auslöste. Keine Trauer, sondern Freude.

Das Ereignis selbst wird ohne viele Einzelheiten erzählt. Im Großen und Ganzen wird nur berichtet, dass Jesus in den Himmel aufgehoben wurde und dass eine Wolke ihn vor ihren Augen wegnahm – wie um zu sagen, dass wir bis hierher und nicht weiter folgen können. Was sie selbst im Einzelnen bei dem, was sie so schildern, gedacht haben, wissen wir nicht, aber das Eine wissen wir: sie wurden von einer großen und wunderbaren Freude ergriffen – von einer Freude, die sie zunächst dazu veranlasste, nach Jerusalem zurückzugehen, wo sie Gott im Tempel priesen, und die die Jünger seither in einem ununterbrochenen Verlauf bis zu uns in die Welt hinausgehen ließ. Das war ihnen ja als das Letzte gesagt worden und dazu hatten sie den Segen erhalten, mit dem Wort und den Werken des Evangeliums hinaus in die Welt zu gehen.

Und diese Freude, ja, sie lässt sich nicht erklären, wenn Christi Himmelfahrt von Verlust und Trennung handelt. Sie lässt sich nur erklären, weil das, was diese Jünger an jenem Tage erleben, der Anfang einer größeren Nähe ist als die bisherige Gemeinschaft mit ihm, von dem sie sich abhängig wussten. Sie verlieren ihn nicht. Denn wie Grundtvig es später sagt – in dem Lied das wir beim Abendmahl singen werden: „Nahe wie sein Wort zu jeder Stunde ist er nun unserm Herz und Mund, Herr über Zeit und Raum!“ Vor seiner Himmelfahrt war auch Christus durch Zeit und Ort gebunden, so wie wir es sind. Jetzt kann er – als Herr über die Zeit und den Raum – überall und zu jeder Zeit erscheinen. Das Unsichtbare enthält seine Nähe.

Der Himmel ist Gottes Wohnung, das Wort und der Ort und der Raum für alles Gute. Und dort gehört auch Christus hin.

Es ist kein eingezäunter Ort, und obwohl es nicht hier ist, erleben wir in unserem Leben, dass etwas himmlisch sein kann, dass der Himmel sozusagen undicht sein und lecken kann, dass er „von seinem Fett tropfen“ kann, wie es gelegentlich im Alten Testament heißt. Aber wenn Kinder fragen, wo Gott denn wohnt, und wir antworten und sagen, er wohnt im Himmel, dann ist es noch immer gut, nach oben zu zeigen, weg von uns selbst. Es ist ohne Bedeutung, dass wir den Ort nicht näher ausmachen können. Das Entscheidende ist, dass er nicht einer ist, der in uns wohnt. Denn wäre er das, dann könnte er nicht „sein Angesicht über uns erheben und uns Frieden geben“. Und all das Übrige.

Würden wir von unseren eigenen Prämissen aus oder jedenfalls von den am meisten verbreiteten Prämissen unserer eigenen Zeit aus den Himmel eingrenzen und Gott einen Ort anweisen, dann würde die Tendenz nach innen, in uns hinein gehen. Gott würde zu etwas Innermenschlichem gemacht, zu einem Gefühl oder einer Kraft in uns. Das würde er, teils weil wir Steine in die Schuhe bekommen, wenn wir uns in die großen Weiten begeben und etwas für uns völlig unbegreiflich sein lassen, und teils weil alles, was uns zu Herzen geht, uns ja sozusagen auch durchs Innerste geht. Aber würden wir wir Gott zu einem Teil von uns selbst machen – wenn das denn möglich wäre –, dann würden wir ihm das Leben nehmen. Wir würden an dem Ast sägen, auf dem wir selbst sitzen, wir würden auf die Möglichkeit verzichten, in Gott etwas anderes zu sehen als in uns selbst, es wäre, wie wenn Leute eine Volkshochschule besuchen, um sich selbst zu finden, und dann gewaltig enttäuscht sind, wenn sie ihr Ziel erreichen. Ja, war da nichts anderes? Nein, eben nicht. Du hast nur dich selbst gefunden.

Segen setzt einen Anderen voraus; was zu etwas taugen soll, muss von anderwoher kommen.

Es ist richtig, wie man so oft betont hat, dass die Richtung in dem Ereignis der Himmelfahrt Christi am Ende nach unten geht. Sie tut es für die Jünger und für uns. Denn die Männer, die mit ihren auf den Himmel gerichteten Augen dastehen und Jesus nach oben in den Himmel verschwinden sehen, erfahren sehr schnell, dass sie so nicht ausharren sollen, sondern sie sollen hinausgehen in die Welt und Gutes tun mit dem Segen im Rücken, den sie als Letztes von ihrem Herrn und Meister erhalten haben. Und das sollen wir auch tun. Aber für Jesus geht die Bewegung nach oben. Denn jetzt soll er nach Hause. Nach vollendetem Werk kehrt er nun zurück zu seinem Ausgangspunkt, der bei Gott im Himmel ist.

Und von dort kommt er nun, jedesmal wenn er seine Nähe die Welt füllen lässt. Von dort schickt er nun seinen Geist, und in ihm ist er seinem Geschöpf nahe, mit seiner Freude, wenn das Leben blüht, und er ist bei uns mit seiner Trauer, wenn es zerbricht und durch Unglück und Bosheit zerstört wird, und immer mit dem Wort, auf das wir unsere Kirchen gebaut haben, mit dem Wort, das für einen Menschen das ist, was für den Dürstenden das Wasser ist.

Das Wort brauchen wir, weil wir nicht mehr im Paradies leben und deshalb Sünde und Tod und so manches andere Dunkle bei uns ist, dem widersprochen werden muss, wenn wir leben können sollen. Das Wort brauchen wir, weil wir nicht zu den Kräften hinfühlen können, die wir nötig haben. Sondern sie auch hören und verstehen müssen. Das Wort brauchen wir, weil wir – auf jede Weise – Menschen sind.

Hier geht die Richtung von oben nach unten. Und Gott ist, dass da ein „Oben“ ist.

Wir haben unsere Kirchen als Häuser für den Gott gebaut, der nicht in Häusern wohnt, die Händen bauen könnten. Das mag nach einem Widerspruch aussehen. Aber so ist es wie ein Zugeständnis an unsere Menschlichkeit, so ist es, weil wir nicht Herren über Zeit und Raum sind, sondern Menschen aus Fleisch und Blut und deshalb Stätten brauchen, wo wir ihm begegnen können, und Zeiten, zu denen wir es tun können. Wenn denn aus der Begegnung mit Gott, die von Wort und Sakramenten getragen ist, etwas werden soll.
Lass dein Wort mit Freuden springen
in unsrer hohen Gasthalle!

So werden wir in dem nächsten Lied singen, das eines von den neuen Liedern im Gesangbuch ist. Es handelt davon, wie das Haus der Kirche ist. Ein Ort für Gott, sein Volk zu besuchen. In den Worten und mit den Sakramenten, die er uns hinterlassen hat. Denn wie geistlich es auch ist und wieviel auch vom inneren Menschen dazugehört, um wirken zu können: es ist gut, dass es von deutlichen Worten oder von etwas getragen wird, das man be-greifen kann.

Hätten Anna und ihre Freundin einander etwas Konkretes geschenkt, als sie sich trennen mussten – ich kann mich nicht erinnern, ob sie es tatsächlich getan haben, denn es ist lange her, dass wir solche Filme mit den Kindern sahen – einen Stein, den sie von der Erde aufhoben, ein Schmuckstück vielleicht oder ein zusammegeknülltes Stück Papier mit den stärksten der Worte, dann wäre auch das für sie eine gute Sache gewesen, etwas, was ihre künftige gegenseitige Nähe hätte tragen können.

Was ist das für eine Nähe, um die es geht? Was ist das für eine Nähe, von der Grundtvigs Lied kündet, wie wir im ersten Lied heute gesungen haben: „die Erde ist zum Himmel gehoben, der Himmel senkt sich auf die Erde“ – dass es mit anderen Worten besser geworden ist, hier Mensch zu sein, himmlischer als vorher, weil Christus gekommen ist? Ja, der Segen könnte ein Wort sein, mit dem man es sagen könnte. Das letzte Wort, das der gen Himmel Gefahrene zu seinen Jüngern sagt. Und das letzte, das die Dinge sammelt, bei jedem Gottesdienst.

Wenn wir uns am Schluß einer jeden kirchlichen Handlung erheben und die Worte des Segens hören: „Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir!“ – dann ist es der Himmel, der uns ein wenig näher kommt, oder sich öffnet, so dass es mit guten Dingen tropft. Denn so ist es, wenn das Licht, das darin ist, uns trifft, nicht nur, gesehen zu sein, sondern von Gott gesehen zu sein.

Denn wie wir vom Altar gehört haben: Wer ist wie der Herr, unser Gott, im Himmel und auf Erden, so hoch er thront, so tief er sieht? Aus dem Staub hebt er den Schwachen, aus dem Schmutz hebt er den Armen, er setzt ihn unter Fürsten.

In der Nähe Gottes bei seinem Geschöpf, die für uns vom Wort und den Sakramenten getragen ist, wenn wir zum Gottesdienst zusammenkommen, ist dir gegeben – auch heute –, dein Leben zu empfangen als ein Mensch, den Gott liebt, und hinauszugehen ins Leben als ein Gesegneter.

„Ich werde bei euch sein alle Tage!“ Das ist eine Aussage über liebevolle Nähe. Trotz allen Getrenntseins. Wir sagen es gelegentlich zueinander. Und es ist voller Sinn und guter Kräfte. Aber es war auch das, was der zum Himmel Gefahrene sagte. Mit der Bedeutung der Ewigkeit. Auf dass wir getrost dadurch leben sollen. Amen

Pastor Hans-Ole Jørgensen
Hyrdestræde 5
DK-6000 Kolding
Tel.: +45 75 52 06 61
E-mail: haoj@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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