Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Rogate, 21. Mai 2006
Predigt zu Kolosser 4, 2-6, verfasst von Hans Uwe Hüllweg
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Vorbemerkung: Predigt für den evangelischen Gottesdienst im katholischen Krankenhaus. In der Kapelle finden sich meist wenige, manchmal gar keine Besucher ein. So ist der Pfarrer/die Pfarrerin auf die Hoffnung angewiesen, dass Patienten die Übertragung auf den Stationen hören. Die Predigt kann leicht auch auf andere Situationen übertragen werden.

Liebe Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, liebe Patientinnen und Patienten hier im Krankenhaus,

der atomangetriebene Flugzeugträger „Enterprise“ ist eines der größten Kriegsschiffe der Welt. Seit 1960 pflügt es mit seiner Schreckensmacht bis heute im Dienste der USA durch die Weltmeere von einem Krisengebiet zum andern. Vom Kommandoturm dieses Monstrums strahlen superstarke Lautsprecher Befehle und Anweisungen über das Deck. Sie müssen den Lärm der Jets übertönen. Alle drei oder vier Stunden ertönen aus ihnen auch Gebete für die Soldaten; Amerika war schon immer eine fromme Nation.

Als einmal ein Reporter auf den Turm klettert, um den Pfarrer zu interviewen, der die Gebete spricht, und ein paar Fotos zu machen, sagt ihm der Erste Offizier: „Der Pfarrer hat dienstfrei; die Gebete kommen vom Band."

Ich will hier die Frage außer acht lassen, ob man auf diesem Kriegsschiff, das dazu gemacht ist, Menschen zu töten, überhaupt beten darf und wofür, ob es so etwas gibt wie das „böse Gebet“ und ob diese Einordnung hier zuträfe.

Mir fällt bei diesem Beispiel auf, dass das Gebet zum technisch reproduzierbaren Zaubermittel gegen Gefahren geworden ist. Und es kann völlig abgelöst werden von der Person des Betenden. Der Pfarrer hat frei. Die Soldaten machen ihren Job. Das Beten kommt vom Band.

Nun kann es ja sein, dass dieser Vorgang eher für Amerika typisch ist. Was aber hat das Beten für uns heute, etwa hier in Deutschland, in Münster, noch zu bedeuten? Betet, außer dem Pastor, wenn er nicht frei hat, überhaupt noch jemand? Hilft es bei der Bewältigung unseres Lebens? Und wie sieht es mit Ihnen aus, hier im Krankenhaus, bei Patienten und Personal?

Sicherlich, es handelt sich um ein katholisches Haus, hier leben und arbeiten Menschen, die sich bewusst für eine christliche Lebensführung entschieden haben, die einem Orden angehören und kirchlich engagiert sind. Zu solch einem Leben gehört das Beten dazu. Aber was ist mit den anderen?

In unserer schnellebigen Welt, die auf ganz andere Werte aus ist, wird Beten für eine Angelegenheit frommer Phantasten, verinnerlichter Gefühlsmenschen oder, hart gesagt, religiöser Spinner gehalten. Viele der Erfolgreichen, der Karrieremenschen, die sich mit Können und Ellenbogen durchzusetzen haben, überhaupt Menschen, die sich von Glaube und Kirche entfernt haben, können wohl mit dem Gebet kaum noch etwas anfangen. Es ist an den Rand lebensbedrohlicher Situationen gedrängt worden. Der Kapitän in höchster Seenot, während die Brecher über dem Schiff zusammenschlagen: „Jetzt hilft nur noch beten!“ Ja, wenn alle menschliche Kunst am Ende ist, dann hilft nur noch beten. Vielleicht haben auch Sie, wenn sie ernstlich oder gar lebensbedrohlich krank sind, in dieser Situation schon einmal daran gedacht, zu beten: Ob es wohl hilft?

Ich stelle allerdings zu meiner Verwunderung in der letzten Zeit gelegentlich fest, dass es wieder junge Leute gibt, z.B. unter meinen Konfirmanden, die dem Gebet gar nicht abgeneigt sind. Insbesondere wenn sie anonym gefragt werden, also keine Angst hegen müssen, belächelt zu werden, schreiben viele von ihrer heimlichen Gewohnheit zu beten. Ein gutes Zeichen?

„Haltet an am Gebet“, sagt die Bibel. Betet so oft wie möglich, heißt das doch. Hört einfach nicht auf damit. Integriert es in euer tägliches, alltägliches Leben.

Wer nun gleich abschaltet und meint, hier werde eine übertrieben fromme, ja weltfremde, eine religiöse Haltung gefordert, der ist auf dem Holzweg. Wer meint, hier werde das immerwährende Rasseln der Gebetsmühlen, wie in Tibet, verlangt, der liegt falsch. Es soll auch das Beten nicht die wache Aufmerksamkeit für die Welt um uns herum einschläfern. Das Gebet bringt uns keineswegs in friedvolle, ungestörte Himmelshöhen.

Im Gegenteil: Wer die Bibel aufmerksam liest, erfährt, dass Beten beide Beine auf die Erde stellt; dass Beten die Augen öffnet für all das Leid in der Welt und es nicht ungeschoren lässt. „Keine Zeitung ohne Gebet - kein Gebet ohne Zeitung“ hat mal jemand gesagt, und ich finde, er hat recht.

Der Verfasser des Kol. lässt keinen Zweifel daran, dass für ihn das Gebet niemals ein Geschehen nur im stillen Kämmerlein, im religiösen Intimbereich sein kann, abgehoben von der Wirklichkeit, sondern ein Geschehen ist, das mit der Verantwortung für die Welt zusammengehört. Gebet ist Antwort auf die Zusage Gottes, uns zu retten. Und es zeugt von Verantwortung für das Leben.

Wer nun wissen will, wie man das denn eigentlich macht, mit dem Beten, vor allem, wenn man es lange nicht versucht hat, dem will ich gern eine Gebrauchsanweisung liefern. Ich habe sie mir nicht selbst ausgedacht. Die Freunde von Jesus, in vieler Hinsicht ebenso unwissend und schwer von Begriff wie wir, fragen ihn einmal: „Herr, wir wissen nicht, wie wir beten sollen.“ Wenn das auch heute jemand nicht weiß, ist er also in bester Gesellschaft!

Die Antwort Jesu ist nun nicht ein längerer Vortrag oder gar eine Predigt wie diese hier, sondern ein praktisches Bespiel. Die meisten Leute kennen es sogar, das Gebet, das Jesus jetzt „vormacht“: Es ist das Vaterunser.

Er meinte sicher nicht, dass man nur mit diesen Worten beten könne. Er wollte ein einfaches Beispiel geben: Gott seinen Vater nennen; seinen Namen in Ehren halten; aber ihn auch um das Tägliche bitten, also das aussprechen, was gerade „dran“ ist, das tägliche Brot, die tägliche Not...

So sollt ihr beten, sagt Jesus. Das hat er selber auch so gemacht, im Garten Gethsemane, sogar am Kreuz.

Wenn Sie mich fragen, wie man beten kann, kann ich Ihnen auch ein Beispiel nennen, das mich sehr berührt hat. Es stammt aus Schweden, ich weiß nicht mehr genau, woher ich es habe.

„Komm doch mal her, Gott,
sieh dir das an!
Sicher siehst du dasselbe wie ich,
wenn ich aus dem Fenster schaue
aus dem 24. Stock.
Wo warst du eigentlich
als dieser Tage der Aufzug stecken blieb?
Wo warst du, als ich nach dir rief?
Und: Ist das hier wohnen?
Oder ist das nicht vielmehr offener Strafvollzug?
Wenn du diesen Albtraum aus Stahl und Beton
nicht gewollt haben solltest,
wozu steht er dann da?“

Ungewöhnlich, ja, aber doch auch fesselnd. Da macht einer seinem Herzen Luft. Da klagt einer sein Leid. Da spricht jemand Gott in vorwurfsvollem Ton an, und das ganz ohne Verwendung der typischen Kirchensprache, einfach in normalen Fragesätzen.

In der Kirche, in Gottesdiensten und Gruppen, hört man die Kirchenprofis meist gut heraus, selbst wenn sie sich um heutige Alltagssprache bemühen, die kirchliche Färbung ist unverkennbar. Dieses Gebet jedoch macht vor, wie der Glaube wirklich mit der Alltagswelt konfrontiert werden kann.

In den Häuserschluchten und Trabantenstädten von heute scheint Gott ja auch nicht vorzukommen. Beton erdrückt, Glas ist kalt, Metall hart. Die Welt läuft nach technischen Gesetzen ab. Alles ist organisiert und verwaltet. Wo soll da Gott sein? Dieses Lebensgefühl, solche Ratlosigkeit wird Gott vorgeworfen oder besser: vor Gott geworfen.

Darf man so beten? Ja, man darf und man soll. Die Bibel selbst enthält übrigens eine ganze Reihe von Gebeten, die vor Gott klagen, ja Gott anklagen. Wenn du nicht mehr weiter weißt, wenn du immer wieder vor die Wand läufst, wenn du immer wieder merkst, was nicht in deiner Macht steht - ja wohin soll man dann mit Frust und Fragen, mit Ängsten und Sorgen?

„Komm doch mal her, Gott, sieh dir das an!“ - kein schlechter Anfang für ein Gebet! Gebete müssen nicht in frommer Kirchensprache verfasst werden. Gott versteht auch unsere alltägliche Umgangssprache. Und Gebete sind bunt wie das Leben selbst - es gibt Klagen und Bitten, Danken und Loben, es gibt Stoßgebete, gestammelte und sorgfältig formulierte, lange und kurze.

Herrlich sind die „Ungewaschenen Gebete“ von dem vor ein paar Jahren verstorbenen Schriftsteller Rudolf Otto Wiemer. Da gibt‘s unter anderen Gebete für das Unkraut, für eine Mopedfahrerin, für eine Hausfrau, die den Fußboden bohnert, für einen Kettenhund, ein Gebet beim Rasenmähen und viele andere - Gebete mit „ungewaschenen Fingern“.

Beten mit ungewaschenen Fingern? Das wird Gott uns das nachsehen, wenn unsere Gebete aus dem Herzen kommen.

Vielleicht versuchen Sie's auch mal! Amen.

Hans Uwe Hüllweg, Pfarrer i.R.
Inselgarten 11
48151 Münster
huh@citykom.net

 


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