Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Rogate, 21. Mai 2006
Predigt zu Kolosser 4, 2-6, verfasst von Jorg Christian Salzmann
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


I

... und fahr nicht zu schnell! - Nein, Mama. ... und schreib mir auch mal! - Ja, Mama. ... und denk dran, dass du viel Schlaf brauchst! - Ja, Mama. Wer kennt das nicht, solche Szenen, wie da zum Abschied ein leicht genervter junger Mensch die elterlichen Ermahnungen über sich ergehen lässt?

Manchmal komme ich mir am Ende der Apostelbriefe so vor: leicht genervt lasse ich die Reihe der guten Mahnungen über mich ergehen. Klar, der Apostel meint es gut, wie die Mutter in unserer kleinen Einstiegsszene. Aber muss das wirklich immer sein?

Der Sohn oder die Tochter mag das zwar ein wenig schwierig finden mit den elterlichen Mahnungen. Aber sie oder er versteht es doch richtig. Die Mutter sagt eigentlich: "Du liegst mir am Herzen. So gern würde ich alles für dich tun. Bleib mit mir verbunden!" Und schließlich hat sie ja auch Recht mit vielem von dem, was sie da sagt.

Wenn wir das auf den Apostel und seine Gemeinde übertragen, dann werden die Mahnungen am Briefende verständlicher. Der Briefschreiber zählt nicht einfach gute Ratschläge auf. Sondern er will eben das sagen: „Ihr liegt mir am Herzen. So gern würde ich alles für euch tun. Bleibt mit mir verbunden!“ Und obendrein hat er auch noch Recht mit seinen Mahnungen, zumal für die damaligen Christen vielfach galt, dass sie im Glauben wirklich noch jung und unerfahren waren und viele Hinweise zur Orientierung brauchten. Schließlich hatten diejenigen unter ihnen, die vorher Heiden waren, vorher einen völlig anderen Lebensstil gelebt, und bei jeder Gelegenheit stellte sich die Frage: wie macht man das jetzt als Christ?

Wir allerdings, wir schauen zurück auf Generationen von christlichen Vorfahren, und mannigfach sind die Beispiele gelebten christlichen Glaubens, die wir vor Augen haben. Viele von uns kennen das gar nicht anders: im christlichen Glauben sind wir erzogen und aufgewachsen, und vieles am Alltag eines Christen ist uns vertraut.

II

Was machen wir nun also mit den Mahnungen, die wir da eben gehört haben? Wendet euch nicht genervt ab, sondern hört sie mit den Ohren der Liebe wie eine elterliche Ermahnung, die doch eigentlich gar nicht nötig wäre, aber alles Gute für euch will!

Zuerst vom Beten: Bleibt dran am Beten, haltet Wache im Gebet, drückt auch euern Dank dabei aus! - „Wir bleiben in Kontakt“, so oder ähnlich schreiben wir wohl am Ende eines Briefes. Paulus möchte gern, dass seine Gemeinden einen andern Kontakt halten, nämlich den, welchen er hergestellt hat, den Kontakt mit Gott. Für Christen eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber trotzdem: bleibt dran! Nehmt diese Erinnerung freundlich auf, denn der Apostel hat ja Recht. Unser Gott steht mit uns in Verbindung. Er hat ein offenes Ohr für unsere Sorgen und für alles, was uns beschäftigt. Und er freut sich, wenn wir ihm Danken und etwas Gutes sagen für all das Gute, das er uns tut.

Bleibt dran und vergesst Gott nicht. Es passiert uns so leicht, dass wir mit dem Menschen, der uns ganz nahe ist, nicht mehr reden, weil alles selbstverständlich scheint. Doch für eine lebendige Beziehung ist das nötig, dass wir miteinander reden; genau so ist es auch mit Gott. Da kann es gut sein, sich bewusst mal wieder Zeit zu nehmen für den Kontakt, Zeit für den Gottesdienst, wo wir Gott reden hören und gemeinsam zu ihm reden, Zeit auch für das persönliche Gebet.

Was aber ist gemeint, wenn wir Wache halten oder wachsam sein sollen im Gebet? Dass man auch des Nachts beten solle? Dies buchstäbliche Verständnis ist wohl weniger gemeint. Vielmehr geht es darum, von dem Tag, von der Stunde Gottes nicht unversehens getroffen zu werden. Im Gebet also bleiben wir wach für das Wirken Gottes und für seine Zeit. Es verschiebt sich der Maßstab weg von den Dringlichkeiten, die überall auf uns einstürmen, hin zu dem Weg und dem Willen Gottes. Da zählen die Menschen um mich herum mehr als das Durchziehen eines Progamms. Da bekommt eine wichtige Anschaffung wieder ihren Platz unter den Dingen, die nicht das Leben ausmachen. Da braucht auch der eigene Tod nicht aus dem Blickfeld gedrängt zu werden: denn meine Zeit steht in Gottes Hand.

Seid wachsam im Gebet. Das bedeutet das Geschenk einer neuen Perspektive; es geht nicht um fromme Rekorde im Dauerbeten. Eine gute Mahnung also, und nicht die Daumenschraube frommen Wohlverhaltens. Seid wachsam im Gebet.

Die Mahnung wäre aber nicht komplett ohne die Aufforderung zum Dank. Beten, das ist nicht immer nur Bitten und Flehen, sondern es gehört auch die Besinnung auf die vielen guten Gaben dazu, die Gott uns schenkt. Anfang und Ende dieser Gaben aber ist das Evangelium selbst; gerade in der Osterzeit haben wir es voll Freude wieder besungen und Gott gedankt: der Herr ist auferstanden; er hat für uns Hölle, Tod und Teufel besiegt. Seid also beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!

III

Das ist ja das Thema des Sonntags Rogate, das Gebet. Und so ist es kein Wunder, wenn es jetzt noch weiter um das Beten geht. Noch mehr Mahnungen? Ja, der Briefschreiber wird nicht müde, eben wie eine Mutter beim Abschied. Nun allerdings ist es eine persönliche Bitte des Apostels: betet für mich, dass sich eine Tür auftut und ich das Evangelium verkündigen kann, wie es mein Auftrag ist.

Mit einer solchen Fürbitte bekommt das Gebet hier eine für uns vielleicht ungewohnte kirchlich-missionarische Dimension. Dass sich für Paulus eine Tür öffnen soll, das meint zwar wohl erst einmal die Gefängnistür. Dafür sollen sie bitten, dass er freikommt. Aber es geht dabei nicht um seine Freiheit an sich, sondern um seinen Auftrag: das Evangelium verkündigen. Die Tür soll sich für ihn öffnen, damit er wieder predigen kann. Und so können wir das Bild von der sich öffnenden Tür auch in einem weiteren Sinne verstehe: Nur da, wo Gott selbst Türen öffnet, kann das Evangelium seinen Lauf nehmen. Das wäre dann eine Bitte, die wir auch uns zu eigen machen können: Gott, öffne Türen für das Evangelium - in aller Welt und auch in unserer Nachbarschaft.

Gott selbst öffnet Türen. Manchmal würden wir gern Türen einrennen, wollen ein Gemeindewachstumskonzept durchsetzen oder einfach nur die anderen davon überzeugen, dass wir Recht haben mit unserm Glauben. Aber eine Tür, die wir mit dem Brecheisen öffnen wollen, die wird hinterher nur noch besser abgesichert. Ja, auch Gott selbst schlägt Türen nicht einfach ein, sondern er klopft an und wirbt um die Menschen. Betet, dass sich Türen auftun für das Evangelium. Eine gute Mahnung ist das, denn so viele Menschen schließen sich ein und bleiben allein mit ihrer Einsamkeit und Verzweiflung; wie schön, wenn Türen sich öffnen, wie schön, wenn Botschafter der Menschenfreundlichkeit Gottes eingelassen werden.

IV

War das nun das Ende der Ermahnungen? Natürlich nicht! Obwohl wir zugeben müssen, dass die Mahnungen am Ende des Kolosserbriefes eigentlich wirklich kurz sind. Nach dem Gebet geht es jetzt noch um ein weiteres Thema, nämlich das Verhältnis zu den Leuten der Stadt und der Nachbarschaft, die nicht zur Gemeinde gehören. Wie soll man sich, das war damals die Frage, in einer eher feindlichen Umwelt verhalten? Zurückgezogen oder vertrauensselig, mit kluger Zurückhaltung oder werbendem Eifer? Der Apostel rät zu Weisheit und Freundlichkeit und dazu, auf Fragen hin zur Auskunft über den Glauben bereit zu sein.

Weisheit, das heißt: angepasst an die Situation. Nicht übereifrig, sondern mit Augenmaß. Wieder also Mahnungen, die sich eigentlich von selbst verstehen. Und wieder etwas, das sich auch für uns zu bedenken lohnt. Denn schließlich leben wir in einer Welt, wo das Christentum und die Kirche immer mehr an den Rand der Gesellschaft rutschen. Und es ist sehr wohl auch bei uns wieder an der Tagesordnung, dass wir uns Gedanken machen, wie wir im Blick auf den Glauben unserer Umwelt begegnen.

Das Salz in der Suppe unserer Rede aber wird wohl nicht die hohe Überredungskunst sein oder unsere Schlagfertigkeit. Sondern wenn, dann wirken Ehrlichkeit und Überzeugung. Nur so können wir ins Gepräch kommen. Letztlich sind aber auch das wieder Wirkungen Gottes; so blicken wir schon voraus auf Pfingsten und beten um seinen Heiligen Geist.

Das aber ist vielleicht doch schon Stoff für eine andere Predigt. Wichtig scheint mir, dass am Anfang die Mahnung zum Gebet um offene Türen für das Evangelium steht. Zugleich aber auch, dass dieser Mahnung konkrete Überlegungen folgen, wie wir denn praktisch den Menschen um uns herum begegnen sollen. Das eine ist nicht ohne das andere, das Gebet nicht ohne die Tat, die Tat im Glauben nicht ohne das Gebet. Womit wir wieder ganz am Anfang unseres Predigtwortes sind: seid beharrlich im Gebet. Für die meisten von uns bestimmt eine gute Mahnung, denn wir neigen wohl dazu, alles mögliche zu tun, aber das Beten auch einmal zu vernachlässigen. Seid beharrlich im Gebet - denn nur so könnt ihr im Glauben das tun, was zu tun ist.

Gott sei Dank also, dass wir uns an ihn wenden und uns auf ihn verlassen können durch Jesus Christus.

Prof. Dr. Jorg Christian Salzmann, Oberursel
salzmann.j@lthh-oberursel.de

 


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