Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Miserikordias Domini, 30. April 2006
Predigt zu 1. Petrus 5, 1-4, verfasst von Anne Töpfer
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

1. Verantwortliche Führung
In unserem Alltag geht es oft genug um Verantwortung und um Macht. Die Politik in Europa und hier in Kenia ist ein Beispiel dafür, auch wenn es bei weitem nicht immer ein Gutes ist. In diesem Umfeld von Verantwortung und Macht wird – aus leider immer wieder gegebenem Anlass – auf den Führungsstil geachtet. Und es gibt Grund genug zur Kritik: Korruption und Vorteilnahme sind trotz vielfältiger Bemühungen der KACC (Kenya Anti Corruption Commission) leider noch nicht so erfolgreich wie es wünschenswert und notwendig wäre.

Solche Erfahrungen, die in Europa genauso gegenwärtig sind wie in Kenia, lassen uns fragen:
Wer ist geeignet eine verantwortliche Führungsposition zu übernehmen?
Wen können wir wählen?
Was erwarten wir von denen, denen wir Verantwortung anvertrauen?
So gab und gibt es vor Wahlen immer wieder so genannte Wahlprüfsteine. Kriterien werden aufgestellt, deren Erfüllung erwartet wird. Kandidatinnen und Kandidaten werden daraufhin befragt oder ihre schriftliche Stellungnahme wird eingeholt.

Auch wir als Gemeinde stehen kurz vor einer Wahl, der Wahl neuer Mitglieder für den Gemeindevorstand. Es geht darum, Verantwortung für die Gemeinde zu übernehmen … für die Verwaltung der Gemeinde ebenso wie für das geistliche Leben.
Gibt es auch hierfür Kriterien, die abgefragt werden könnten von denen, die bereit sind zu kandidieren? Dazu der Predigttext für heute:

2. 1. Petrus 5,1-4
1 Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll:
2 Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund;
3 nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde.
4 So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.

3. Die Adressaten
Die Adressaten dieser Worte sind die Menschen in der Leitung einer christlichen Gemeinde. Die Ältesten/die Presbyter – und damit sind keineswegs nur die an Jahren Alten gemeint – das sind bei uns heute die Mitglieder des Gemeinde- oder Kirchenvorstands.
Sie werden mit einem Bild beschrieben. Sie sollen die Herde Gottes weiden. Sie sollen Hirten sein. Lateinisch: Pastoren, Kiswahili: Mchungaji
Beide Worte haben eben diese doppelte Bedeutung … der Hirte, einer Herde, seien es Schafe oder andere Tiere … der Geistliche, als Pastor einer Gemeinde.
Mit den Ältesten in unserem Predigttext sind aber keineswegs nur die Pastoren und Pastorinnen gemeint. Es geht nicht um eine/n, die/der einer Gruppe sagt, wo es lang gehen soll. Es geht um eine Leitungsgruppe, in der die Pastorin (in unserem Fall hier in Nairobi) eine ist. So wie nach biblischem Verständnis auch der Pastor einer aus der Gemeindeleitung mit einem besonderen Dienst ist.

Das Bild des Hirten und der Herde stößt aber auch auf Widerspruch: „Wir sind doch keine ‚dummen’ Schafe“ sagen berechtigterweise viele. Und ich bin überzeugt, dass das sich nur wenige Leitende so verstehen.
Aber das Bild bietet auch noch mehr: Gruppen von Menschen, sei es in den Kommunen, Ländern, Staaten und auch in christlichen Gemeinden brauchen Führung. Und es muss Menschen geben, die bereit sind Führungsaufgaben zu übernehmen. Und auch das gilt: Nicht jeder eignet sich dazu … aber doch mehr als es sich selbst zutrauen!

4. Verantwortung
Es werden Menschen angesprochen, die sich bereit erklärt haben, Verantwortung zu übernehmen. Das ist leichter gesagt als getan. Mit Verantwortung ist auch Macht verbunden. Ich komme hinein in eine Struktur, die ich nicht geschaffen habe. Ich kann – trotz aller guten Absichten – Fehler machen und den übernommenen Aufgaben nicht gewachsen sein. Es ist möglich, dass es mir dabei nicht anders geht als so manchem Politiker, der mit guten Vorsätzen sein Amt angetreten hat und mit der Zeit entdeckt, dass sein Handlungsspielraum begrenzt ist.

5. Profil
In diesemBedeutungsrahmen von verantwortlicher Führung bietet der heutige Predigttext Hinweise auf Kriterien im Sinne von Wahlprüfsteinen. Er beschreibt das Profil von Menschen, die Verantwortung übernehmen.

a) weidet sie … achtet auf sie
Die Aufgabe, die diesen Leitenden übertragen ist lautet:
Sie sollen die Herde weiden und auf sie achten. Sie sollen Verantwortung übernehmen.
Im Bild bleibend: Die Herde braucht eine Lebensgrundlage. Sie brauchen etwas zu essen und etwas zu trinken, eben die grundlegende Dinge des Lebens.

Das kann für eine christliche Gemeinde heißen: Verantwortung für die Gemeinschaft der Verschiedenen übernehmen. Sich einbringen mit den eigenen Fähigkeiten … sei es in der Verwaltung, beim Bau, in Projekten und bei den Finanzen, im sozialen Engagement und auch in der Gestaltung von Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen. Das kann heißen: die Lebensgrundlage für eine christliche Gemeinde bereiten.

b) freiwillig
Dies soll freiwillig geschehen und nicht um schändlichen Gewinns willen.
Schändlicher Gewinn hat keinen guten Ruf.
Aber wie steht es mit dem Gewinn. Erwartet nicht jemand, die/der bereit ist Verantwortung zu übernehmen (dies geschieht in einer christlichen Gemeinde in der Regel ehrenamtlich) nicht auch etwas. Wenigstens Anerkennung, vielleicht auch Aufmerksamkeit und Ansehen?
In Europa oder zumindest in Deutschland ernten viele doch eher ein unverständliches Kopfschütteln, wenn sie am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft erzählen, dass sie bereit sind in der Gemeindeleitung mitzuarbeiten und Zeit und Energie zu investieren. Hier in kenianischen Kirchen ist das noch anders, aber auch in unserer Gemeinde werden manche eher belächelt, wenn sie dazu bereit sind.

Anders als freiwillig geht es heute nicht. Wir können ja glücklicherweise niemanden dazu zwingen. Und die Erfahrung lehrt auch, dass man als Teil einer Gruppe nicht immer freiwillig handeln kann. Es wird immer Situationen geben, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen, die nicht von jeder/jedem in gleichem Maße geteilt werden.

Freiwillig geht aber noch weiter … das nächste Kriterien ist nicht davon abzukoppeln:

c) von Herzensgrund/Hingebung (Zürcher)
Nicht nur mein Kopf ist notwendig, wenn ich entscheiden soll, ob ich bereit bin für den Gemeinde-/Kirchenvorstand zu kandidieren. Die Aufgaben sollen von Herzensgrund angegangen werden. Hier bekommt die Freiwilligkeit eine größere Tiefe. Hier kommt die Liebe ins Spiel.
Das heißt für eine leitende Position in der Gemeinde: Mein Herz zu befragen, was jetzt dran ist. Das heißt in Entscheidungssituation zu Gott zu beten und ihn um Rat und Richtung zu bitten. Das heißt sich einfühlen, wie sollte denn nun eine Entscheidung sei es in Bezug auf ein Bau- oder Projektvorhaben, die Gestaltung von Unterricht und Gottesdienst aussehen.

Gerade in einer Kirchengemeinde wünsche ich mir, dass unsere Entscheidungen von Herzensgrund, mit Liebe und Einfühlung, getroffen werden. Das heißt nicht, dass wir den Verstand dabei ausschalten, sondern im Gegenteil, auch unser Verstand ist ein Geschenk Gottes, das wir gebrauchen sollten (dafür habe wir ihn ja schließlich bekommen!). Aber unsere vernünftigen Entscheidungen sollen auch liebevoll sein.

Aber kann ich immer aus Liebe handeln? Leider nein! Es wird immer Situationen geben, in denen es zumindest schwierig ist, genau zu wissen, welche Entscheidung von Herzensgrund kommen würde. Und nicht immer sind wir mit unseren Fehlern unfehlbar auch in Bezug auf liebevolle Entscheidungen. Wir sind eben nicht perfekt.

Aber auch das andere gilt für mich: Was wir nicht von Herzensgrund tun, können wir auch getrost lassen. Denn wenn uns das fehlt, dann fehlt uns Wesentliches.

So kommen wir zum letzten Kriterium:

d) nicht als Herren, sondern Vorbilder
Wir sind nicht die Herren (und auch nicht Damen, obwohl dies eine andere Konnotation hat … J ). Verantwortung in der Gemeindeleitung übernehmen ist nicht in erster Linie eine Machtposition, sondern ein Dienst.
In der Verfassung meiner Heimatkirche (ErK § 4, d, 1.) heißt es in der Ordnung der Kirche: Keine Gemeinde darf über eine andere, kein Gemeindeglied über ein anderes Vorrang oder Herrschaft beanspruchen.

Die Alternative dazu: seid Vorbilder!
Einfacher gesagt als getan. Vorbilder welcher Couleur auch immer legen die Latte oft so hoch, dass wir sie nie überspringen können.
Aber was macht sie zu Vorbildern? Sie nehmen Verantwortung wahr für das Leben der Gemeinde. Sie bringen sich und ihre Fähigkeiten in Leitungspositionen ein. Sie können sich einfühlen und bemühen sich so zu denken wie die, die ihnen Verantwortung übertragen haben. Man könnte auch sagen: Ein guter Hirte macht sich selbst zum Schaf und versucht die Herde so auf den richtigen Weg zu bringen … nicht mit Gewalt und Zwang, sondern durch sein Tun und Lassen. Ein guter Hirte, ein Verantwortlicher in der Gemeindeleitung beherrscht die Hebammenkunst. Er oder sie gebiert nicht selbst, aber hilft dem Leben auf die Welt.

Aber auch hier gibt es Grenzfälle. Was macht ein Hirte, wenn die Herde auseinander läuft, der eine nach hier, die andere nach dort? In solchen Fällen ist es gut, dass die Verantwortung nicht in einer Hand alleine liegt, sondern bei einer Gruppe von Menschen, die sich von Gott begleitet, geleitet und gehalten wissen.

6. Fazit
Alles zusammengenommen ist auch ohne die Nennung prominenter Vorbilder schon ganz schön heftig. Die Latte liegt hoch. Werden sich jetzt noch Menschen finden lassen, die bereit sind Verantwortung in der Gemeindeleitung zu übernehmen?

Eine Entlastung finden wir im Kapitel vorher: 1. Petrus 4,10: Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.
Die Aufgaben sind vielfältig und nur gemeinsam werden wir dem Idealbild näher kommen. Dazu sind eine Vielzahl von Gaben und Menschen nötig. Und die haben wir, hier in Nairobi wie an vielen anderen Orten dieser Welt.
Wir sollten es dabei anders machen als schlechte Vorbilder, die hier und in Europa zu finden sind.
Wir sollten uns ergänzen mit allem, was wir gut können (Ergänzung in den Stärken).
Wir sollten uns gegenseitig stärken an unseren schwachen Punkten (Stärkung in den Schwächen).
Und bei allem, was wir tun und lassen, ist unser Auftrag:
Gemeinsam für die Liebe Gottes in der Welt in Strukturen, im Alltag und in Extremsituationen einzutreten.
AMEN
 
Evangelische Gemeinde Deutscher Sprache Kenia/
German Speaking Evangelical Lutheran Congregation in Kenya
Anne Töpfer
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