Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Quasimodogeniti, 23. April 2006
Predigt zu Johannes 21,15-19, verfasst von Anders Gadegaard (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Liebst du mich? – Sage, dass du mich liebst!

Wie oft sagt ihr zu anderen, dass ihr sie liebt? Jemanden lieben – das ist ein großes Wort. Viele von uns scheuen sich davor. Denn ist das nun auch ganz richtig, kann man erfüllen, was man sagt, kann man die Erwartung erfüllen, die man mit dem großen Wort unausweichlich bei dem anderen auslöst? Und entsprechen die eigenen Gefühle auch völlig den anspruchsvollen Worten?

Liebst du mich? – Sage, dass du mich liebst! – Vielleicht seid ihr hin und wieder in eurem Leben einem anderen Menschen begegnet, der liebend gerne ein solches Bekenntnis von euch gehört hätte. Und die Situation war dadurch notwendig peinlich gewesen. Denn wenn man sagt: „ja, ich liebe dich,“ oder „du weißt doch, dass ich dich liebe!“, und das nur fast richtig ist, dann hat man doch in Wirklichkeit geheuchelt, um sich nicht in einen unbehaglichen Konflikt zu verwickeln. Oder lässt man es einfach sein, ja zu sagen, um sich eng an die Wahrheit zu halten, dann verletzt man vielleicht den anderen, was man sich zu allerletzt gewünscht hätte. – Oder eigentlich hätte man wohl zu der Person, die die Frage stellt, sagen können, „ich liebe dich!“, aber genau in dem Moment, wo man darum gebeten wird, ist es, als ob die Spontaneität und Freiwilligkeit ausgeschlossen sind, die für die Liebe so wichtig sind,– und man glaubt dann doch nicht, mit einem beherzten Ja antworten zu können.

Es wird immer zu einer angestrengten, einer gezwungenen Situation führen, wenn man dieser Forderung nach einem großen Bekenntnis ausgesetzt wird. – Glaubt man wirklich, wenn man darum bettelt, dass die Worte ausgesprochen werden, dass sie dann auch Ausdruck echter Liebe sind, wenn sie dann gesagt werden? Ist man nicht gezwungen, wenn es um Liebe geht, nie nach Bestätigung der Liebe zu fragen, sondern darauf zu vertrauen, dass sie sich in unseren Handlungen zeigt, und sich damit zufrieden zu geben, wenn sie uns spontan und freiwillig erklärt wird?

Ich stelle die Frage bewusst, und es ist keine rhetorische Frage, denn ich bin nicht sicher; man muss doch eigentlich auch miteinander über seine großen Gefühle sprechen können. Und viele von uns sind sicher eher zurückhaltend, wenn es sich darum handelt, unsere Liebe zum Ausdruck zu bringen, auch wenn wir es ohne weiteres könnten. Denken wir auch daran, dass wir es hinreichend deutlich aussprechen und zeigen gegenüber denen, die wir lieben? Wie sicher und wie groß muss die Flamme der Liebe in mir sein, damit ich so große Worte in den Mund nehmen kann?

Genauso unbehaglich und unangemessen wie soeben beschrieben ist die Frage Jesu an Simon Petrus. Es ist der auferstandene Christus, der spricht. Er erschien den Jüngern am See Genezareth – in Galiläa, wie er es verheißen hatte. Die Jünger waren nach den dramatischen Ereignissen an Ostern zu Jerusalem nach Galiläa zurückgekehrt und haben ihre tägliche Arbeit als Fischer auf dem See wieder aufgenommen. Und jetzt kommt der Auferstandene zu ihnen, verhilft ihnen zu einem großen Fang und isst danach mit ihnen.

Und dann stellt Christus die sehr direkte Frage an Simon Petrus: Liebst du mich mehr als die anderen? – Was ist das für eine unpassende Frage? Wie gesagt, erstens überhaupt seine Liebe auf ausdrückliche Aufforderung hin bekennen zu sollen, und dann zweitens sie obendrein noch mit der Liebe der anderen Jünger zu messen?

Zu einem früheren Zeitpunkt hätte man sich wohl vorstellen können, dass Petrus bereit war, schnell und spontan lauthals mit einem Ja, Herr, dessen kannst du gewiss sein! zu antworten. – Man denke nur daran, dass Petrus ja als erster von allen Jesus als Christus, Gottes Sohn, bekannt hat. Petrus hatte den Wunsch, mit dem Meister auf dem Berg der Verklärung zu bleiben. Petrus liebte seinen Herrn so sehr, dass er bereit war, auf die Wellen des Sees hinauszulaufen, um zu ihm zu gelangen. Und Petrus war es vor allem, der sich selbst gegenüber allen anderen, einschließlich der Jünger, hervorhob in jener furchtbaren Gründonnerstagnacht im Garten Gethsemane, als Jesus vorraussagte, dass sie ihn alle im Stich lassen würden.

Da sagte Petrus: Wenn alle anderen dich auch im Stich lassen, so tue ich es nicht. – Woraufhin Jesus voraussagte, dass Petrus ihn nicht nur einmal, sondern ganze drei Mal verleugnen werde, ehe der Hahn in dieser Nacht zweimal gekräht habe. Petrus aber versicherte mit noch stärkeren Worten: Und wenn ich mit dir sterben müsste, will ich dich niemals verleugnen.

Wie wir wissen, und wie Petrus bitter erfahren musste, behielt Jesus Recht.

Dies ist der Hintergrund für die Situation jetzt am See Genezareth. Petrus hat sich selbst und seine Schwachheit erkannt. Er ist demütig geworden. Es kann kein Zweifel herrschen, er weiß sehr wohl, worauf Christus mit seiner Frage indirekt anspielt. Und Petrus verzichtet klug darauf, sich mit den anderen zu vergleichen. Er antwortet: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. – Was man hier in der Übersetzung nicht gleich hören kann, ist die Tatsache, dass Petrus ein anderes Wort für Liebe verwendet als Jesus. Jesus benutzt ein sehr großes und starkes Wort, agape, das Wort, das zu dem speziell christlichen Wort für die tiefe, selbstaufopfernde Liebe wurde, deren Inkarnation Jesus selbst war. Die Bruderliebe, die ausschließlich das Wohl und Wehe des anderen im Auge hat und um des anderen Menschen willen zu allem bereit ist. Jesus fragt: Liebst du mich, bist du willig, alles um meinetwillen zu opfern? – Und Petrus antwortet: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich hoch schätze. Petrus benutzt ein Wort von der Hochschätzung wie zwischen Freunden. Er wagt sich nicht zu weit hervor, er hat gelernt, für wieviel – oder eher: für wie wenig – er einstehen kann.

Und Jesus fragt tatsächlich noch einmal, ebenso anmaßend und unbehaglich und mit ebenso hohen Worten: Liebst du mich? Diesmal jedoch ohne den Vergleich mit anderen. Wie er sagt: Du tust recht daran, dass du nach dem, was in der bitteren Nacht in Jerusalem geschehen ist, dich nicht mehr mit anderen vergleichst. Aber wie steht es mit dir selbst und deinem persönlichen Verhältnis zu mir: liebst du mich? – Und Petrus antwortet wie zuvor, vorsichtig, bescheiden, dass der Herr wissen muss, dass er ihn hoch schätzt, ihm ergeben ist; Petrus vermeidet wiederum das sehr große, anspruchsvolle Wort, agape, von der totalen selbstaufopfernden Liebe.

Noch einmal, jetzt zum dritten Mal, fragt Jesus nach der Liebe des Petrus. Aber diesmal benutzt auch Jesus das weniger anspruchsvolle Wort für Liebe, das am ehesten so viel bedeutet wie „mögen“, „lieb haben“, „Hingabe für jemanden empfinden“, „jemandem durch Bande der Freundschaft eng verbunden sein“. Als wollte Jesus zu Petrus sagen: Bist du nun auch sicher, dass du für das, was du hier selbst sagst, nämlich dass du mir ergeben bist, selbst einstehen kannst? Und jetzt ist Petrus verständlicherweise traurig. Es ist, als sagte Jesus: Du kannst dich gewiss erinnern, wie es dir erging, als du mich dreimal verleugnetest. Kann man sich überhaupt darauf verlassen, dass das, was du sagst, richtig ist? Petrus hat jegliches Selbstvertrauen und jeglichen Respekt vor sich selbst verloren. Alles, worauf er sich verlassen kann, ist, dass der Herr ihn kennt, ist die Treue des Herrn ihm gegenüber und nicht umgekehrt. Deshalb sagt Petrus: Herr, du weißt alle Dinge; du weißt, dass ich dich lieb habe. Petrus hat wirklich tief in seine eigene Seele schauen und sein Unvermögen und Versagen sehen müssen. Er muss sich damit begnügen, auf das eigene Wissen des Herrn über ihn zu verweisen, auf das Wissen, welches enthüllte, dass Petrus ihn ganze drei Mal verleugnen würde, als es im Ernst um sein Leben ging.

Und Jesus antwortet auch hier zum dritten Mal, indem er Petrus die Aufgabe überträgt, der neue Hirte zu sein.

Mit diesen drei Bekenntnissen sind die drei Verleugnungen nicht aufgehoben, sondern eher aufgewogen. Nachdem er sich selbst vollständig erkannt und gelernt hat, wie wenig er von sich aus vermag, wie schwach er ist, wenn es darauf ankommt, da übergibt er sich sozusagen Gott und sagt: Du kennst mich am besten, du musst an meiner Stelle antworten. Und Gott antwortet: Sei Hirte meiner Schafe, d.h. nimm deine Aufgabe auf dich, folge mir nach! Du wirst einem harten Schicksal entgegengehen, aber du bist von mir dazu auserwählt.

Man kann sagen, Christus tut mit ihm, was er von selbst nicht hat tun können. Als Petrus das erkannt hatte, konnte alles aus ihm gemacht werden.

So ist Petrus für uns alle ein Vorbild für die wahre Demut dem Leben gegenüber. Nämlich nicht zu glauben, wir vermöchten alles selbst. Haben wir zu große Erwartungen an das eigene Vermögen, sind wir entweder unerträglich in der Begegnung mit anderen Menschen; Menschen, die sich selbst überschätzen und wichtig nehmen, sind auch von sich selbst überzeugt und von sich selbst eingenommen und deshalb eine Last für andere. Oder wir sind so enttäuscht, dass wir zu nichts nütze sind, weder für uns selbst noch für andere.

Nein, wahre Demut heißt, die eigenen Grenzen kennen, wissen, wie groß die Forderung ist, die an mich gestellt ist, wie unendlich viel dazu gehört, das Leben, das mir anvertraut ist, recht zu leben. Wissen, dass ich selbst dazu nicht imstande bin. Dass ich mich für dieses Leben zur Verfügung stellen muss, dass mir Kräfte gegeben werden, Quellen, es zu bewältigen, und dass ich hoffentlich so anderen ein wenig zum Nutzen und zur Freude dienen kann.

Es ist schlicht und einfach der Mittelpunkt im christlichen Glauben, dass Gott uns eben dies schenkt: Kraft, Stärke und Mut zu leben und zu lieben. „Alles will ich aus dir machen,“ sagt Gott zu uns. „Ich lösche, was zwischen dem Leben und dir steht, aus, das Böse, das Dämonische, in dir selbst und im Leben um dich herum. Es wird dich nie von meiner Liebe und meinem Vertrauen zu dir trennen, welches hiernach in deinem Innersten wohnt. Lebe denn dein Leben in dieser Gewissheit.“

Vielleicht sollten wir deshalb dennoch nicht so knauserig damit sein, einander Liebe zu zeigen und auch offen zueinander zu sagen, dass wir lieben. Wenn wir denn darauf vertrauen, dass – mag meine Liebe auch so klein sein, dass es unmittelbar klug ist, kleine und vorsichtige Worte für sie zu verwenden –, wenn wir denn darauf vertrauen, dass, wenn ich mich für sie zur Verfügung stelle, Gott imstande ist, sie mir zu geben. Denn er liebt mich vollkommen. Gott gibt dir die Stärke, die Kraft, die Einsicht, die Weisheit, dein Leben recht zu leben. Alles kann er aus dir machen.

Grundtvig hat das in dem Lied „Jesus, dass du mein Bruder bist“ erklärt. In dem Lied verlangt Christi Stimme dasselbe Unmögliche, das auch Petrus abverlangt wurde, dass wir den lieben, der uns geliebt hat (die Verse folgen hier in deutscher Prosaübersetzung):

Der Geist sagt: / Liebe mich, wie ich dich geliebt habe! / und ich kann es wohl empfinden, / recht ist das im Himmel; / aber wer kann auf dieser Erde / ein himmlisches Wort aussprechen! / Und bei wem kann hier auf Erden / die Liebe himmlisch werden?

Doch, nun ahne ich die Morgenröte / durch die grauen Wolken: / du hast mich bis zum Tod geliebt / und liebst mich noch so sehr, / schwebst mit deiner Liebe / zu meinem demütigen Herzen nieder, / so dass ich deine Liebe in mir / als die meine finden kann.

Nie mehr will ich nun daran denken, / was ich selbst tun kann, / sondern nur daran, was du schenken wirst, / gleich gut als Gott und Mensch; nichts vermag ich ohne dich, / alles kannst du aus mir machen, / wenn ich dein Wort, das nie versagt, / mit dem Glauben niemals loslasse.

Amen

Dompropst Anders Gadegaard
Fiolstræde 8,1
DK-1171 København K
Tel.: +45 33 14 85 65
E-mail: abg@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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