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Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Ostermontag, 17. April 2006
Predigt zu 1. Korinther 15, 50-58, verfasst von Paul Kluge
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1. Kor 15, 50 – 58 (Zürcher Übersetzung):
„Dies sage ich aber, ihr Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können; auch die Verweslichkeit die Unverweslichkeit nicht ererbt. Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; im Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn die Posaune wird erschallen, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss anziehen Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen die Unsterblichkeit. Wenn aber dies Verwesliche angezogen hat Unverweslichkeit und dies Sterbliche angezogen hat die Unsterblichkeit, dann wird eintreffen das Wort, das geschrieben steht: »Der Tod ist verschlungen in Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?« Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus! Darum, meine lieben Brüder, werdet fest, unerschütterlich, allezeit reich im Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn.“

Liebe Geschwister,

Seinen ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schrieb Paulus aus Ephesus. Er hielt sich schon lange in der Stadt auf, zu lange, wie er manchmal dachte. Er fühlte sich wohl in dieser Stadt mit dem schönen Theater und der riesigen Bibliothek. Er verspürte wenig Neigung, wieder zu strapaziösen Reisen aufzubrechen. So ließ er sich Zeit, die Fragen aus Korinth zu beantworten. Fragen, über die er selbst noch nie nachgedacht hatte. Fragen aber, auf die die Gemeinde Antworten brauchte, und er selbst auch.

Denn die Gemeinde in Korinth hatte es schwer. Die Stadt selbst hatte es schwer: Caesar hatte sie – einhundert Jahre nach ihrer Zerstörung - als Kolonie für Veteranen wieder aufbauen lassen, als Altersruhesitz für Offiziere. Das war erst ein paar Jahrzehnte her. Die Veteranen stammten aus dem ganzen römischen Reich und darüber hinaus, und so gab es in der Stadt eine verwirrende Vielfalt von Kulten und Religionen: Griechisch-römische, ägyptische und afrikanische, germanische und gallische. Auch eine Synagoge gab es und seit etwa fünf Jahren eine christliche Gemeinde. Paulus selbst hatte sie gegründet, und nun hatten ihre Ältesten sich mit einer Reihe Fragen an Paulus gewandt. Sie suchten Rat, sie brauchten Orientierung in diesem bunten Gemisch aus vielen Kulturen und noch mehr Kulten.

Manche der Kulturen und Kulte harmonierten, andere konkurrierten, noch andere waren verfeindet. Viele Leute aber pickten sich aus den verschiedenen Kulturen und Kulten das heraus, was ihnen zusagte. Am Ende wussten sie nicht mehr, woher sie kamen, wo sie waren und wohin sie gingen.

Auch in der christlichen Gemeinde gab es derart Orientierungslose. Zwar suchten sie nach Orientierung, fanden sie aber nicht. Weil sie sich nicht entscheiden, nicht festlegen konnten oder wollten. Lieber aus diesem und jenem Kult das eine und andere übernehmen oder beibehalten wollten. Zum Beispiel aus dem ägyptischen Isiskult die Vorstellung, die Göttin könne den leiblichen Tod überwinden und würde den (mumifizierten) Leichnam neu beleben. Diese Vorstellung war sehr beliebt, hatte sie doch etwas sehr Tröstliches für die Lebenden.

Als Paulus in Korinth den auferstandenen Christus predigte, fiel seine Predigt auf diesen Hintergrund – und wurde dadurch missverstanden. Dieses Missverständnis wollte, ja, musste Paulus ausräumen. Wie, wusste er nicht so genau – er war da eher ein Fragender als ein Wissender. Aber er musste Stellung beziehen, wenn er die Fragen der Christen aus Korinth beantwortete. Am Ende des Briefes sollte die Antwort stehen wie der Tod am Ende des Lebens steht.

Am Ende – das heißt auch: Am Ziel. Und dann? Nichts mehr, wie die jüdischen Sadduzäer lehrten? Wiederbelebung der toten Körper, wie die Ägypter glaubten? Oder unvorstellbar anders? Er wusste es selbst nicht. Auch die vielen Bücher in der Bibliothek halfen ihm nicht weiter, verwirrten ihn eher. Trotzdem war es gut zu wissen, was und wie andere dachten und glaubten. Er fand dann wenigstens heraus, was und wie er nicht denken und glauben konnte, was und wie Christen nicht denken und glauben sollten. Woran aber konnte er seine Antwort ausrichten? Immerhin predigten die Pharisäer eine Auferstehung der Toten. Oder einen Neuanfang nach dem Tod; das benutzte Wort konnte beides meinen. Vielleicht ein Ansatz.

Paulus saß und grübelte, bis er sich festgegrübelt hatte und sich in seinem Kopf nichts mehr bewegte. Wenn das eintrat, machte er gern einen kleinen Gang durch die frische Luft. Ging besonders gern ans Meer; der Blick in die Weite weitete seine Gedanken. Unterwegs sah er den alten Rabbi, einen mehr als strengen Verfechter und Befolger des gesamten Gesetzes mit all seinen detaillierten Vorschriften. Seine Strenge nahm im jede Lebensfreude. Denn ständig merkte er, dass er gegen Vorschriften und Gesetze verstieß. Das machte ihm das Leben zur Hölle und er litt darunter. Litt unter dem Gesetz und litt unter seinen Verstößen gegen das Gesetz, die Sünde waren. „Der armer Mensch,“ dachte Paulus, „kann vor lauter Schuldgefühl nicht leben. Und vor lauter Angst nicht sterben. Wie viel leichter lebt und stirbt doch ein Mensch, der sich durch Christus erlöst weiß, von Gesetz und Sünde befreit! Der hat das Leben gewonnen und die Angst vor dem Tod besiegt.“

Duft frisch gebackenen Brotes kam ihm entgegen, und er erinnerte sich, dass in der Nähe ein öffentlicher Backofen stand. Er folgte dem Duft, denn er hatte Lust auf ein Schwätzchen. Am Backofen stand eine alte Frau, die er vom Ansehen kannte. Sie strahlte, als Paulus auf sie zuging, streckte ihm als Begrüßung ein Stück frischen Brotes entgegen. Sie plauderten ein wenig übers Wetter, über kleine Freuden und Sorgen des Alltags. Dann erzählte die Frau, ihr Sohn sei früh morgens aufs Feld gegangen, um Weizen zu säen und dass sie nach dem trockenen Winter Sorge habe, ob er auch gut aufgehen würde. „Ich staune immer wieder darüber, wie aus einem Weizenkorn am Ende ein Brot wird,“ meinte die Alte, „so einem Brot sieht man nicht mehr an, woraus es ist – und doch ist es Weizen.“ – „Danke,“ sagte Paulus; die Frau dachte an das Stück Brot, dass Paulus kaute. Doch der meinte das Bild, dass sie ihm gerade gegeben hatte. Während die Alte mehr vor sich hin als zu Paulus plapperte, war er in Gedanken bei seinem Brief nach Korinth. Dass etwas sich völlig verändert und doch das Gleiche bleibt. Was letztlich keiner begreifen und nicht begründen, aber auch nicht beeinflussen kann. „Das ist einfach so,“ murmelte Paulus. „Ja,“ bestätigte die Alte, „das ist einfach so. Wie so manches andere auch. Da kann man immer nur staunen. Wenn ich sehen will, wie Mehl zu Brot wird, kriege ich nichts gebacken.“

Paulus verabschiedete sich. Ihm war klar geworden, dass manches unklar bleiben würde. Dass es Dinge gab, die ein Mensch nicht wissen, derer er aber dennoch gewiss sein kann. Die Anwesenheit des Geistes Gottes in der versammelten Gemeinde etwa oder dass Christus im Abendmahl gegenwärtig ist. Oder eben auch ein Neuanfang nach dem Tod. „Die Frage nach dem Wie,“ überlegte Paulus, „stellt das Dass in Frage. Christi Sieg über den Tod gibt dem Leben sein Recht, und wir haben teil an Christi Sieg. Das macht uns so gewiss, dass kein Unwissen uns erschüttern kann.“

So oder so ähnlich wollte Paulus die Frage der Korinther beantworten. Hoffentlich würden sie verstehen, dass man nicht alles verstehen kann. Und glauben, was zu glauben ist. Auf das vertrauen, worauf man sich verlassen kann.

Wieder sah Paulus den alten Rabbi und nahm sich vor, ihn in den nächsten Tagen zu besuchen. Vielleicht konnte er ihn ja fürs Leben gewinnen. Amen

Paul Kluge, Pastor em.
Großer Werder 17
39114 Magdeburg
Paul.Kluge@t-online.de


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