Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Osternacht, 15. April 2006
Predigt zu 1. Thessalonicher 4, 13-14, verfasst von Martina Janßen
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Tränen brannten in ihren Augen. Wie durch einen Schleier sah Hannah die freudigen Gesichter um sie herum. „Halleluja“ - sangen sie. „Lobt den Herrn.“ Und „Marana tha“. Der Herr komme. Leicht war auch ihr das vor nicht allzu langer Zeit über die Lippen gekommen; geradezu herausgeplatzt ist der Jubel. Voll Freude war ihr Herz gewesen. Voller Hoffnung. Dass Jesus wiederkommt. Dass das Leben neu wird und ewig. Dass die Zukunft beginnt und nie mehr endet. Diese Hoffnung hat sie alle verändert. Seit damals Paulus in Thessalonich die frohe Nachricht gepredigt hat. Wie brannte ihr Herz, als sie seine Worte hörte! Papa ging es genauso. Auch bei ihm sprang der Funke sofort über. Ihre ganze Familie hatte Feuer gefangen. Und die Begeisterung blieb. Immer wieder sprachen sie darüber, teilten Hoffnung und Freude, lasen gemeinsam in den alten Schriften. Und waren voller Erwartung. Es kam ihr damals so vor, als würde die Zukunft schon jetzt ihr Leben verändern. Wie leicht gingen ihr die täglichen Mühen von der Hand. Alles war in ein neues Licht getaucht. Abends saß sie oft zusammen mit ihrem Vater unter dem alten Pinienbaum. In immer neuen Bildern malten sie sich aus, wie es sein würde. Wie sie ihm gemeinsam entgegen gehen würden. So viele Träume und doch immer nur der eine große Traum. „Ich glaube, es wird ganz hell, wenn er kommt, und heiß. Vielleicht riecht es nach Zypressen. Und viele Engel werden kommen, ein ganzes Heer, und Musik wird da sein. Überall.“ – „Vielleicht“, sagte ihr Vater und blickte in den sternenklaren Himmel. „Vielleicht wird es aber dunkel sein so wie jetzt, ganz klar und still, voller Frieden.“ Hannah schloss die Augen und legte ihren Kopf an seine Brust. „Bald, Kind, bald ist es soweit...“

Nun war es vorbei. Plötzlich hielt Hannah es nicht mehr aus. Diesen Jubel um sie herum. Diese strahlenden Gesichter. All die Leuchter. All die Worte. Und diese verdammte Hoffnung, die wie ein klebriger Film über allem lag. Nein, das hier war nicht mehr ihr Fest. Hannah rannte. Sie rannte um ihr Leben. Sollten sie doch feiern! Sollte Jesus doch kommen! Was ging sie das an? Hannah rannte. Ihre Schritte hallten auf den leeren Straßen; immer lauter und schneller klopfte ihr Herz. Hannah rannte. Wie vor drei Tagen. Als sie auf dem Feld arbeitete und ihr kleiner Bruder weinend in ihre Arme gelaufen kam. „Hannah, Papa atmet nicht mehr! Komm, komm doch!“ Als sie ihren Bruder an die Hand nahm und rannte. Und doch zu spät kam.

Hannah hatte keine Luft mehr zum Atmen. Schluchzend kauerte sie sich in einen Häusereingang. „Jesus kommt zu spät. Zu spät für Papa. Er würde es nicht mehr erleben, dieses neue Leben, ihren gemeinsamen Traum.“ Es war kalt und Hannah fror. Über der abendlichen Stadt lag der Duft von Zypressen.

Liebe Gemeinde!

So ein Mädchen hätte es geben können, damals im Jahre 50 n. Chr. Die christliche Gemeinde in Thessalonich war noch jung. Und jung war die Hoffnung, lebendig und stark brannte sie in den Herzen. Damals glaubten die Christen, dass Jesus bald wiederkommt, dass sie das noch erleben würden. Mit dem Tod der ersten Christen schwand diese Gewissheit, wurde die Hoffnung schal und ihr Grund antastbar. Es war die erste Krise des frühen Christentums. In diese Verunsicherung hinein schreibt Paulus einen Brief:

„Wir wollen euch aber, liebe Brüder, nicht im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind, damit ihr nicht traurig seid wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen.“ (1Thess 4,13-14)

Paulus sieht den Tod der ersten Christen nicht als Beweis dafür, dass alles nur eine Illusion war. Sondern er hält fest an seiner Hoffung. Und er steht denen bei, die verunsichert, traurig und verzweifelt sind. Er sagt nicht: „Die vorher sterben, haben einfach Pech gehabt.“ Nein, er hält an seinen Brüdern und Schwestern fest, den toten und den lebendigen. Seine Hoffung gilt für alle oder gar nicht. Jesus wird auch die mit sich führen, die gestorben sind. Auch sie sind nicht verloren. Weil Jesus gestorben und auferstanden ist, haben auch die Verstorbenen Anteil am Leben. Auch sie werden mit dabei sein, wenn Jesus wiederkommt. Das ist ein neuer Gedanke. Paulus wagt ihn, weil er sich seiner Hoffnung sicher ist. Er muss ihn wagen, damit die Hoffnung bleibt.

Das ist Glauben: Immer neue Vergewisserung der einen Hoffnung! Das Unsagbare mit immer neuen Worten sagen, das Undenkbare in immer neuen Gedanken denken. Weil Jesus lebt, werden auch wir mit ihm leben! Damit aus Anfechtung Gewissheit wird, braucht es Mut zu neuen Gedanken. Paulus hatte ihn, Martin Luther hatte ihn, viele haben ihn, wenn an die Stelle ihres Kinderglaubens neue Visionen treten. Das Unsichtbare in immer neuen Bildern sehen, das Unhörbare in immer neuen Klängen hören: Weil Jesus lebt, werden auch wir mit ihm leben! Wie und wann das geschieht – darüber gibt es unterschiedliche Ansichten, zu unterschiedlichen Zeiten. Aber dass es geschieht – das ist die eine Hoffnung, 2006 n.Chr., 1500 n. Chr., 50 n.Chr.!

„Hannah, Paulus hat geschrieben. Komm, komm doch!“ Hannah wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah auf. Die heiße Mittagssonne brannte auf das Feld. „Was soll er schon schreiben“, dachte sie, „so viele sind nun schon tot. Der alte Elija. Und Mirjam, auch die. Seit Paulus hier war, sind so viele gestorben.“ Menschen und Träume. „Hannah! Komm, wir wollen alle den Brief gemeinsam lesen.“ Langsam folgte Hannah ihrer Freundin.

Zögerlich blieb sie am Eingang des Raumes stehen. Ein wenig abseits im Dunkeln lehnte sie sich an die kalte Mauer. Von ferne lauschte Hannah den Worten. Bis es Abend wurde, lasen ihre Freunde in dem Brief; sie zündeten Kerzen an; sie bereiteten ein Mahl. Und feierten. Hell und warm wurde der Raum. Und sie sangen. Getragen vom Lied der anderen begannen auch Hannahs Lippen langsam wieder die altvertrauten Worte zu formen. „Halleluja. Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“ (Lk 24,6.34). Hannah trat ins Licht.

Dr. Martina Janßen
Göttingen
martina.janssen@theologie.uni-goettingen.de


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