Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Karfreitag, 14. April 2006
Predigt zu Hebräer 9, 15.26b-28, verfasst von Tom Kleffmann
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Es ist Frühling und das Erdenleben jubelt. Sonne und Licht wärmen uns neu, überall brechen Krokusse und frische Gräser aus der Erde und wachsen dem blauen Himmel entgegen. Die Erde duftet wieder. Gottes Erde ist schön. Die Menschen atmen auf, die Sonne macht sie lächeln. Manch einer schöpft jetzt neuen Mut und neue Kraft, fängt etwas neu an, wagt eine neue oder alte Liebe, macht sich an eine neue Arbeit. Es ist Frühling. Uns geht es gut.

Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Es ist nicht einmal die Halbe. Das Entscheidende fehlt. Unser Leben ist gebrochen. In seiner Mitte ist ein Riß, und den tragen wir durch unsere Jahre. Das geht nicht nur uns so, die wir am Karfreitag Gottesdienst feiern. Wir wissen es, aber die anderen, die jetzt zu Hause sitzen, ahnen es doch auch. Wir kennen die Finsternis, die mitten am Tag über das Land und über das Leben kommt (Lk.23,44). Wir wissen, was das heißt, daß die Sonne ihren Schein verliert, daß die selbstsicheren Fassaden des Lebens entzwei reißen.

Mitten im Frühling halten wir inne. Wir sehen auf den Tod, das Ende unserer Welt, das uns verborgen oder offen jeden Tag begleitet. Wir feiern den Tod als Ort der Wahrheit in der Mitte des Lebens - und darin die Liebe, die diese Welt schuf.

Daß sich mit dem Tod das Leben entscheidet, das ist unser Glauben. Christus am Kreuz vor 1973 Jahren, und heute, und am Ende der Welt.

[Lesung Hebr.9,15.26b-28] Hebräerbrief, 9. Kapitel.

Christus gestorben, um unsere Sünden wegzunehmen. Für uns gestorben.

Ich will jetzt nichts mehr zur Vorgeschichte dieses Glaubens im Opferkult des alten Israel sagen – obwohl es wichtig wäre: daß schon das eine Gnade Gottes war – daß er sich durch das Opfer versöhnen ließ.

Ich will gleich von uns reden.

Christus erschienen, um durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Es gibt nicht Wenige, für die das völlig unverständlich ist, ja empörend und schrecklich. Liebt Gott uns trotz unserer Sünde, weil ein unschuldiger Mensch sich für uns opfert? Braucht Gottes Zorn über die Welt das Blut eines sich selbst opfernden Unschuldigen, um besänftigt zu werden? Was wäre das für ein Gott?

Oder werden wir etwa durch den Tod eines anderen Menschen besser, weiser, liebevoller? Müssen wir deswegen nicht sterben? Ein Mensch kann sich für andere Menschen opfern (wie man so sagt). Aber kein Mensch kann sich für alle Menschen und alle Zeiten opfern.

Und was heißt überhaupt Sünde? Die Moral ist doch garnicht unser Problem, oder daß wir uns vor dem jüngsten Gericht fürchten. Daß wir nicht glauben können, daß Gott uns verschwimmt, daß wir den Glauben nicht verstehen, das ist unser Problem – und der Tod, ja der Tod.

Wir fangen erst an zu verstehen, was Sünde ist. Wir fangen erst an zu verstehen, was Erlösung ist.

Sünde ist ein tiefes Wort. Sünde ist ein schweres Wort. Was Sünde bedeutet, das faßt das Bild des Todes zusammen.

Manche von ihnen haben den beginnenden Todeskampf kennengelernt – sei es, weil sie einen sterbenden Freund im Krankenhaus begleitet haben, sei es in eigener schwerer Krankheit oder Verletzung. Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen (EG 518). Ich schildere das als Wahrheit des Menschen, so wie er für sich allein ist. Atmen tut weh. Sich-bewegen tut weh. Es ist, als ob alles Gesehene brennt. Der Blick wird ganz eng. Der Blick zerreißt. Für immer blind werden. Für immer taub werden. Für immer stumm werden. Aus dem Bauch kommt in Wellen die Angst. Die ganze Welt schrumpft zusammen in den Punkt der Angst. Die Pläne von gestern sind völlig gleichgültig und leer geworden. Ich bin in meinem Leib gefangen. Er reißt mich ins Nichts, aus dem ich geschaffen bin. Und nur der Schmerz, das Brennen, die Angst sind noch mein Eigenes, das Ende.

Was Sünde ist, das faßt das Bild des Todes zusammen. Denn der Tod ist die Wahrheit des Menschen nur für sich.

Sünde - das, wovon wir zu erlösen sind - heißt nicht: einmal stehlen, einmal lügen, einmal streiten, einmal geizig sein. Sünde ist ein verborgenes Gesetz unseres Lebens. Daß alle Dinge mich spiegeln und nicht Gott. Daß ich um mich kreise und nicht um Gott.

Das Leben ist nicht wirklich. Es ist ohne Halt. Es ist ein Betrug. Es ist ein Traum, der verfliegt, und wenn du aufwachst, ist es der Tod. Deine Leidenschaft, dein Kampf, dein Aufstreben und Erfolg – von außen betrachtet vielleicht ein Teil der großen List der Schöpfung, um die Menschheit am Leben zu erhalten. Aber was ist mit dir? Wenn du aufwachst, bist du allein. Du warst selbst der Schöpfer deiner Scheinwelt, die jetzt vergeht.

Ja – deine Kinder, deine Frau, dein Mann. Das ist eine Liebe, die größer ist als du, das ist wahr. Aber es sind eben deine Kinder, es ist deine Liebe, und die Grenze scheint nur weiter gesteckt. Bist du allein hinter deinen Augen, bist du mit dir in einem Schädel allein, dann hat dein Leben keinen Grund. Du hast das Haus gebaut und nun steht es leer. Du hast gekämpft und nun bist du alt. Du hast dich gesorgt, aber wofür. Dein Leben hat keinen Halt.

Was die Sünde bedeutet, das faßt das Bild des Todes zusammen, denn Sünde bedeutet auf verborgene Weise allein zu sein. Vor Gott sind wir und stehen wir, die ganze Zeit. Er ist der Schöpfer. Er ist wirklich. Das Geheimnis. Die Fülle. Das Ziel. Die Ewigkeit. Die Schönheit. Der Grund. – Vor Gott stehen wir, ob wir wollen oder nicht. Doch leben wir, ohne daß seine Liebe uns erreicht, dann stehen wir vor dem Nichts, jeden Tag. Ist deine Leidenschaft, deine Liebe, deine Sorge nicht gegründet in ihm, der Himmel und Erde gemacht hat, dann bist du fast taub und blind. Bist wie ein Schläfer, der sich einen bunten Traum trämt, aber in Wahrheit liegt er allein in der kalten Nacht. Das aber zeigt der Tod: Wenn der Blick ganz eng wird, wenn der Traum zerreißt, und alle Pläne, die mich gestern bewegten, von mir abfallen; wenn ich in meinem Leibe gefangen bin, und nur noch die Angst mein Eigenes ist.

Das hat der Tod mit der Sünde zu tun. Er büßt sie. Er faßt sie zusammen: das Leben, in dem ich selbst der kleine Gott einer Traumwelt bin.

Nun aber: Sein Tod für unsere Sünde.

Dieser Mensch lebte von der Liebe des Vaters. Er verkörperte sie und er strahlte sie aus in Worten und Taten. Er war in unserer Welt, den Selbstgerechten zum Gericht, den Verzweifelten zu neuem Leben. Der Erde verhieß er das Reich Gottes, und was er sagte, hatte die Kraft des Schöpfers. Die Sicheren haßten ihn, denn er offenbarte ihre Welt als Lüge. Und diese Welt schlägt ihn ans Kreuz. Sie weiß noch nicht, daß sie sich damit selbst den Spiegel vorhält.

Und er stirbt unseren Tod. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Dieser Tod ist Gottes Wort an uns: Gesetz Gottes, in dem wir unsere Wahrheit sehen, und Evangelium der Erlösung. Dieser Tod ist das Opfer, was uns erlöst – Gottes Opfer. Wir sind nicht allein. Gott kam in unsern Tod. Das ist alles. Das ist die Liebe, die die Welt schuf. Er hat uns verziehen und verzeiht uns. Wir sind nicht allein.

Unser Leben hat einen Grund, der den Tod besiegt, heute, morgen, und am Ende unserer Tage. - - -

Es ist Frühling. Sonne und Licht wärmen uns neu. Krokusse und frische Gräser brechen aus der Erde und wachsen dem blauen Himmel entgegen. Gottes Erde ist schön.

Sein Friede, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Liedvorschläge: 518; 79

PD Dr. Tom Kleffmann
Göttingen
tom.kleffmann@theologie.uni-goettingen.de

 


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