Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Palmarum, 9. April 2006
Predigt zu Markus 14, 3-9, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Es ist eine richtige Männergesellschaft, die da im Hause Simons des Aussätzigen zusammengefunden hat. So war es übrigens mit den meisten Gesellschaften damals. Die Frauen hatten zu bedienen und das Haus zu verwalten, während die Männer die Lage der Welt und andere wichtige Fragen diskutierten. Sie konnten wirklich viel Zeit mit so einer Mahlzeit verbringen; sie lagen ja auch zu Tisch, und es wurden nach orientalischer Sitte viele Gänge aufgetischt, – und man nahm immer nur ein bisschen von jedem Gericht.

Hier sind ziemlich viele gekommen; aber das war kein ungewohnter Anblick. Vielleicht war der gute Simon dennoch ein wenig überrascht, als er Jesus einlud und dann sah, dass noch ganze zwölf Gäste mitkamen, nämlich seine getreuen Gefolgsleute – die Jünger, wie wir sie mit einem feinen Wort nennen. Diese Überraschung sollte aber nur eine Kleinigkeit sein im Verhältnis zu dem, was sich später noch ereignen sollte.

Jesu Leben sollte nur noch wenige Tage dauern. Betania liegt vor den Toren Jerusalems, Jesus ist auf dem Wege dorthin. Er hat alle Warnungen in den Wind geschlagen und ist nun fest entschlossen, in die Hauptstadt zu ziehen, wo seine Feinde gegen ihn beratschlagen. Er hat in den letzten Tagen auch mehrfach vorhergesagt, was mit ihm geschehen wird: Dass er gefangen genommen werden wird und leiden und sterben und von den Toten auferstehen wird. Aber sie haben nichts davon richtig begriffen. Sie wissen nur, dass der Besuch in Jerusalem mit tödlicher Gefahr für ihn und für sie verbunden ist.

Plötzlich kommt sie herein, diese fremde Frau. Es wird ganz still in der Stube. Ein angenehmer Duft verbreitet sich um sie, und sie sieht gut aus. Es ist nicht leicht für einen Mann, unter solchen Umständen Würde zu bewahren. Es ist ja bekannt, dass Frauen auf Männer Eindruck machen können; aber warum sollten sich die Männer absolut darüber schämen? Den Männern hier jedenfalls war die Situation unbehaglich. Nur Jesus scheint völlig unbeeindruckt. Er sieht die Frau fragend an.

Sie hat eine sehr schönes Gefäß bei sich. Diesem Gefäß entströmt der angenehme Geruch. Nardenöl! Der feinste Duft bei Frauen. Jahrhunderte hindurch bekannt. Nichts kann einen Mann mehr bezaubern. Es ist auch das teuerste Öl, das man überhaupt finden kann. (Öle waren das Parfüm der damaligen Zeit.) Die jungen Mädchen verschafften es sich und bewahrten es in diesen feinen Tongefäßen auf, bis sie eines Tages dem Auserwählten ihres Herzens begegnen würden. Am Tag vor dem großen Hochzeitsfest – oder vielleicht manchmal auch an diesem Tag selbst – salbten sie – nicht sich selbst – sondern den Bräutigam mit diesem Wohlgeruch ein. Er sollte ihn noch attraktiver und noch schöner machen, als er es in ihren Augen bereits war.

Dies hatte in Wirklichkeit auch etwas mit Gott zu tun. Das hatte damals alles. Wenn der Geliebte nach Nardenöl duftete, war er wie Gott selbst. Und wenn die Braut selbst ihren Bräutigam umarmte, dann war das, wie wenn man eins wurde mit einem Gott. Andere und billigere Ölsorten mochten auch genügen; aber echtes Nardenöl war die Nummer eins.

Was wird nun auf dieser Männerversammlung bei Simon in Betania passieren? Was will die Frau? Was will sie mit all ihrem wundervollen Nardenöl? Entrüstung lauert. Nur Jesus ist nicht entrüstet; er stellt sich bloß fragend. Möglicherweise hat er die Frau vorher schon einmal gesehen; niemand weiß es. Die Geschichte verrät uns nichts. Aber die Frau kann nicht so ganz arm sein; sonst würde sie nicht eine ganze Flasche Nardenöl bei sich haben. Aber woher mag sie ihren Reichtum haben? Ist sie etwa... Sie wagen fast nicht, das Wort auszusprechen: eine Dirne, eine Prostituierte, eine Hure? Es ist nicht Jesus, der sich solche Gedanken macht; es sind die anderen Männer. Er sieht nur eine strahlend schöne Frau vor sich; und dann nimmt er wahr, wie der Duft des Nardenöls das Zimmer füllt.

Nach einem Augenblick des Zögerns schreitet sie entschlossen quer durch den Raum und geht hinter den Platz, wo Jesus liegt. Er ist völlig ruhig. Als hätte er das so erwartet. Da zerbricht sie das tönerne Gefäß und gießt all das kostbare Öl über ihn aus, als wäre er ihr Bräutigam, der für die Hochzeitsnacht bereitet werden sollte.

Das löst in der Versammlung einen Schock aus. Das hätte denn doch keiner von ihnen erwartet. Der Meister selbst! Er war doch der Junggeselle par excellence. Er besaß aber auch gar nichts, was hätte zu einer festen Wohnung mit Ehefrau und Kindern hätte werden können. Zur Not konnten sie verstehen, dass sie genau wie sie selbst sehr viel von Jesus hielt, aber von da bis zu diesem schamlosen Heiratsantrag war es doch ein weiter Weg. – Und dann auch noch dieses kostbare Öl! – Ein ganzes Jahresgehalt für einen gewöhnlichen Arbeiter. Sie hätte es doch verkaufen und das Geld an die Armen verteilen können! Das hätte dann auch ausgezeichnet zu dem Programm gepasst, von dem Jesus immerzu redete.

Jetzt im Nachhinein sehen wir klar, wie schön das ist, was sie tut. Jesus wird sterben. Was kann man machen? Was kann man sagen? Man ist völlig machtlos. Man kann ihn nicht vor dem Tode retten, denn es ist bestimmt, dass es so geschehen soll. Es hat einen höheren Sinn. Guter Rat, flotte Geschenke, schöne Reden – das alles taugt nicht. Man muss ihm irgend etwas schenken, was sehr viel bedeutet, genau jetzt, und ihn zugleich mit in den Tod begleiten kann. Da gibt es nur eines: Liebe! Und das ist es just, was die Frau im schenkt: Liebe!

Jesus hat natürlich alles begriffen: Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis! Das ist so schön. Die Liebe, für die es in dieser Welt keinen Platz gibt, sie muss im Tode leben. Unzählige Liebende sind zusammen in den Tod gegangen, weil die Welt für ihre Liebe keinen Platz hatte. Man denke nur an Elvira Madigan und Sixten Sparre, deren Liebe einen Glanz von Ewigkeit erhalten hat, obwohl alles so tragisch endete, als sie zusammen in den Tod gehen mussten auf der Insel Taasinge in Dänemark, wo sie begraben liegen.

Schon allein aus diesem Grund ist es so flott, was die Frau hier in der Männerversammlung in Betania tut. Hier ist ja nicht von jener heißen und hektischen Verliebtheit die Rede, wo die Welt plötzlich nichts mehr bedeutet. Es ist auch nicht der Beginn einer lebenslänglichen Ehe. Dennoch opfert sie alles, was sie besitzt, und sich selbst und ihre Ehre obendrein für den Mann, der bald sterben muss. Dies wird nie vergessen werden, wie Jesus sagt. Sie hat sich an ihn gebunden mit dem Band der Liebe gegen alle Vernunft und Berechnung und Möglichkeiten.

Ja, es wäre ja vergessen worden, wenn er vergessen worden wäre. Wenn er dort drinnen hinter dem Stein vor dem Grab geblieben wäre. Wenn er dort unten geblieben wäre im Reich der Toten, wie man damals sagte. Dann wären nicht nur die Frau und ihr schöner Gestus und der bezaubernde Duft vergessen worden, sondern dann wäre auch Jesus und alles, was er gesagt und getan hatte, vergessen worden. Aber das können wir uns einfach nicht vorstellen, denn es wurde ja nicht vergessen. Denn dann wären wir heute nicht hier.

Die Frau hat vielleicht unbewusst begriffen, was die Männer um den Tisch nicht begreifen können: Dass Jesus nach Jerusalem gehen und leiden und sterben muss, um das Projekt zu vollenden, das Gott mit ihm und der Welt vorhat: Sünde und Tod und alles, was trennt, zu überwinden, um Gott und Menschen wieder zu vereinen in der Liebe, die von Anbeginn an war und in der alles geschaffen ist.

Jetzt hat die Frau sich mit ihm verbunden in der selbstvergessenen Handlung der Liebe. Und als Jesus den Tag mit den Worten beendete: Wo immer das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat, da dachte Jesus an uns, an die Gemeinde, die zum Gottesdienst versammelt ist. Die Frau ist unser Vorbild. Nicht dass wir es ihr gleichtun sollten, denn das ist ja unmöglich für uns. Aber sie zeigt uns, was wir auf gewisse Weise im Begriff sind zu tun. Gottesdienst heißt, Jesus seine Liebe erklären und durch ihn mit Gott im Leben und im Tod vereint werden.

Gottesdienst heißt, von sich selbst befreit werden, so dass man beginnen kann, in der Liebe zu leben, wie es Gottes Wille ist. Dann ist es mit uns und Gott wie mit einem Brautpaar: Wir sind ein Fleisch geworden. Jesus ist der Bräutigam, wir – die Gemeinde – sind die Braut. Die Ehe ist vollendet. Es ist fast wie ein Drama mit happy ending, wo wir nur unsere Rolle gut und ehrlich zu spielen haben.

Amen

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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