Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Palmarum, 9. April 2006
Predigt zu Jesaja 50, 4-9, verfasst von Roland Rosenstock
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Erweckte Ohren und blanke Gewalt

Predigtidee:

„Ich habe vor zuzuhören!“, antwortet der das internationale Musikgeschäft müde gewordene Stardirigent Daniel Dareus auf die Frage des Landpastors Stig Berggren, warum er die alte Schule in dem kleinen nordschwedischen Ort gekauft hat: „Ich habe vor zuzuhören!“. Dareus übernimmt den kleinen Kirchenchor des Städtchens. Weil er professionell zuhören kann und den individuellen Ton jedes Mitgliedes seines Chores herausfindet, erfahren die Sängerinnen und Sänger eine Kraft, die sie zu sich selbst finden lässt. Durch sein geübtes Zuhören erweckt er die Ohren der Kassiererin Lena, des geschäftstüchtigen Einzelhändlers Arne und von Gabriella, die von ihrem Mann geschlagen wird. Die verbindende Kraft der Musik erweckt die Erfahrung, in der Gemeinschaft des Chores geliebt und gehalten zu sein.

Der schwedische Film „Wie im Himmel“ ist religiöses Gefühlskino und eine moderne Passionsgeschichte, die das Gottesknechtslied von Jes 50 zur filmischen Grundlage haben könnte: Es verbindet „erweckte Ohren“ mit der Erfahrung von blanker Gewalt. Der brutale Conny schlägt Dareus halb tot, als er mit der Veränderung seiner Frau nicht zurecht kommt und der strenge Pfarrer Berggren spricht ihn vor der Dorfgemeinschaft schuldig, weil er ihm sexuelle Absichten unterstellt. Der Film endet mit dem Tod des geübten Zuhörers und der Völker verbindenden Kraft der Musik.

Die Predigt aktualisiert das dritte so genannte „Gottesknechtslied“ des Jesaja durch eine moderne Passionsgeschichte des schwedischen Regisseurs Kay Pollak. Der Film wird bei den Hörern nicht vorausgesetzt, doch könnte das Lied von Gabriella ihnen das Ohr öffnen und Interesse für einen gemeinsamen Filmabend in der Gemeinde wecken.

(Zur Handlung vgl. www.wie-im-himmel.de, das Lied von Gabriella befindet sich auf der CD zum Film und kann während der Predigt eingespielt werden.)


Der Predigttext:

Der Herr, Gott,
gab mir eine geübte Zunge,
damit ich wisse,
wie der Müde durch das Wort zu stärken sei.
Morgen für Morgen weckt Er mich auf,
erweckt mir das Ohr,
damit ich wie ein Geübter zuzuhören vermag.

Der Herr, Gott, öffnet mir das Ohr.
Ich aber war nicht widerspenstig,
wich nicht zurück.

Meinen Rücken bot ich den Schlagenden,
meine Wangen den Bartausreißern,
mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schande und Bespeiung.

Und der Herr, Gott, half mir immer wieder,
deshalb wurde ich nicht zuschanden,
deshalb machte ich mein Gesicht zum Hartgestein
und wusste, dass ich mich nicht schämen brauchte.

Nahe ist, der mich ins Recht setzt.
Wer streitet mit mir? Wir wollen zusammenstehen!
Wer ist mein Gegner im Gericht? Er trete zu mir heran!

Sieh, der Herr, Gott, wird mir helfen,
wer kann mich da schuldig sprechen?
Sie alle zerfasern wie das Kleid – die Motte frisst sie.

(Übersetzung nach: Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen Bd.2: Die alttestamentlichen Predigttexte des 4. Jahrgangs, Stuttgart 1987, S. 170.)


Predigtskizze

I. Einstieg: Er öffnet mir das Ohr ...

Der erfolgreiche Dirigent ist müde geworden. Sein Körper hält den Stress des Musikbetriebs nicht mehr aus: Mitten im Konzert bricht der international gefeierte Musiker Daniel Dareus zusammen. Auf der Höhe seines internationalen Erfolges erleidet er einen Herzinfarkt, muss pausieren, um wieder zu sich und seinen Gefühlen zu finden. Er beschließt, sein Leben zu verändern und kehrt an den Ort seiner Kindheit zurück, in eine winterliche nordschwedische Landschaft. Dort sucht er Ruhe und Abgeschiedenheit. Als er zum ersten Mal barfuss in den unberührten Schnee tritt, um in die Stille zu horchen, jubelt er vor Glück.

In dem Film des schwedischen Regisseurs Kay Pollack „Wie im Himmel“, der seit Oktober des letzten Jahres in den deutschen Kinos läuft, geht es ums Hören und erweckt werden. Wir reisen mit einem Dirigenten in sein Heimatdorf. Auf die Frage des Pastors, der ihn freundlich in seinen neue Haus begrüßt, warum er die alte Schule gekauft habe antwortet er: „Ich habe vor zuzuhören!“. Es ist die Stimme der unberührten Natur, der er zuhören will und der Menschen aus seiner Kindheit, deren Herzen er in seiner Jugend nicht erreichen konnte.

Das Zuhören beginnt beim Rat der Ärzte und der inneren Stimme. Dareus verweigert sich nicht, beginnt ein neues Leben und begibt sich auf die Reise nach seinen Gefühlen.

An den Städten seiner Kindheit findet er wieder zu sich selbst. Er hört auf seinen Körper und lernt sich wieder neu zu spüren. Morgen für Morgen wacht er auf, Tag für Tag wird er durch die Erfahrung des einfachen Lebens geübter zuzuhören, sich selbst und dann auch den Menschen um ihn herum. Dareus kehrt ins einfache Leben zurück, spürt den Schnee und die Kälte des ungeheizten Raumes seiner alten Schule. Durch das Zuhören lernt er, sich selbst zu lieben und kommt den Menschen des kleinen Ortes näher. Schon als Kind träumte er davon, durch die Musik die Herzen der Menschen zu erreichen. Als geübter Zuhörer übernimmt er nun als Kantor den kleinen Kirchenchor.


II. Gottesknecht: Geübtes zuhören

Liebe Gemeinde! Das Wort des Jesaja richtet sich an Menschen, die müde sind. Der Knecht Gottes, von dem in Jesaja 50 die Rede ist, wird selbst Morgen für Morgen aus seiner Müdigkeit erweckt. Jeden Morgen, beim Aufstehen steht's aufs Neue. Dabei soll er seine Ohren weit aufmachen, um zu hören ...

(Einen Moment der Stille im Raum: „Hören sie noch den Nachklang der Orgelmusik?“)

Was er erfahren hat, gibt er weiter. Weil ihm die Ohren geöffnet wurden, er geübt ist, auf den Klang, den Ton der göttlichen Stimme zu hören, nimmt er sich selbst neu wahr und kann dadurch andere aufrichten.

(Einen Moment der Stille im Raum: „Hören sie einen Moment in sich hinein, was spüren sie in sich? Sind sie noch müde oder schon wach? Bewegen sie noch ganz anderen Gedanken oder sind sie ganz Ohr für diesen Moment)

„Morgen für Morgen weckt Er mich auf, erweckt mir das Ohr, damit ich wie ein Geübter zuzuhören vermag.“

Bei Jesaja geht es um die Müden, die Gott nicht mehr zutrauen, dass er ihr Leben verändern kann. Es sind die Resignierten, die neues Vertrauen in den Glauben an Gott gewinnen sollen, und neues Vertrauen zu sich selbst.

Im Film ist Darius Dareus viel im Schlafanzug zu sehen. Morgen für Morgen wacht er erlöster und glücklicher auf, weil er gelernt hat zu hören. Dann läuft er auch schon mal in den Schnee oder stößt vor seinem Haus einen lauten Schrei aus. Er hört aufmerksam zu und spürt, spürt dass er lebt. Der Morgen ist wichtig für den Tag.

Wie ich aufstehe, was ich dann fühle, ob ich mir Zeit für mich nehme, zu hören, auf Gottes Wort und meine innere Stimme, oder ob er gleich ohne Rast und Ruh, gehetzt, mit dem Morgenstress beginnt der Tag, das spürt man bei allem was dann kommt. Der Morgen ist wichtig und das Hören, um selbst etwas weiter geben zu können. Die ersten Momente des Tages sind Momente des Hörens, sie gehören mir und dem Klang von Gottes Stimme für diesen Tag.

Morgen für Morgen weckt Er mich auf,
erweckt mir das Ohr,
damit ich wie ein Geübter zuzuhören vermag.

Weil ihre Ohren erweckt sind, besitzt der Gottesknecht und auch Daniel Dareus im Film das Einfühlungsvermögen und die Kraft, die Müden auch wirklich aufzurichten. Als er mit dem Chor zu proben beginnt, verändert er mit seiner Leidenschaft und unkonventionellen Methoden die kleine Dorfgemeinschaft. Sie lernen, aufeinander zu hören und finden zu einem gemeinsamen Ton. Neben den begeisterten Teilnehmerinnen und Teilnehmern macht sich Dareus auch Feinde, dazu gehört der gewalttätige Conny und der Pfarrer der Gemeinde, Pastor Stig Berggren.


III. Passion; oder: blanke Gewalt

Im Predigttext ist es der Gottesknecht, der seinen Rücken und seine Wangen den Schlägern hinhält. Mit brutalster Gewalt wird er misshandelt, selbst die Haare seines Bartes werden ihm einzeln ausgerissen. Er ist bereit zum Leiden, ja er erwartet sogar, dass er geschlagen wird. Was mit Demütigungen beginnt, führt zu fast unerträglichen Schmerzen.

„Meinem Rücken bot ich den Schlagenden, meine Wangen den Bartausreißern, mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schande und Bespeiung.“

Der Gottesknecht verlässt sich ganz auf Gottes Beistand im Moment des Leides. Die Gewalt geht am Ziel vorbei. Mag er auch noch so viel geschlagen werden, die Wirkung bleibt aus. Der Gedemütigte ist nicht gedemütigt, mit innerer Stärke trägt er die Qualen der Folter.

In seiner Kindheit wurde der „Junge mit der Geige“, wie Dareus bei seinen Mitschülern hieß, von den Nachbarskindern gequält. Als er inmitten eines wogenden Kornfeldes übt, um beim Gegenspiel ungestört zu sein, lauern die Jungen ihm auf. Besonders der brutale Conny hat ihn misshandelt und seine Geige zertreten, deshalb hat seine Mutter mit ihm das Dorf verlassen. Dareus ist auch wiedergekommen, um den Peiniger seiner Kindheit zu suchen. Er findet ihn in dem Ehemann von Gabriella, die täglich von ihm geschlagen wird. Conny, der Bauer des Ortes, bewacht eifersüchtig jeden Schritt seiner Frau. Weil er der Vater ihrer gemeinsamen Kinder ist, kann sie ihren Mann nicht verlassen. Alle im Dorf wissen, dass sie misshandelt wird, aber keiner steht ihr gegen den Mann zu Seite.

Die Erfahrungen im Chor verändern Gabriella. Sie wird selbstbewusster und gewinnt durch ein Lied, das Dareus für sie schreibt, die Kraft sich mit ihrem Mann auseinanderzusetzen. Er hört ihr Lied, aber seine Ohren sind nicht offen für einen Neuanfang.

Morgen für Morgen weckt Er mich auf,
erweckt mir das Ohr,
damit ich wie ein Geübter zuzuhören vermag.


(Evtl. Einspielung:
Gabriella`s Lied, die sich aus der Gewalt ihres Mannes befreit. Darius hat es für sie und ihre Stimme geschrieben. Der deutsche Text des Liedes kann vor dem Lied verlesen werden. Die emotionale Kraft, die von der Musik des Liedes für die Sängerin und die Zuhörer ausgeht, ist aber auch im schwedischen Original zu spüren.)


Conny fühlt sich durch die Veränderungen, die sich in Gabriella vollzogen haben, bedroht. Mehrfach bedroht er Dareus, von dem er nicht weiß, dass er ihn bereits als Junge Gewalt angetan hat. Als er Dareus erlöst und glücklich im See beim Schwimmen sieht, schlägt er brutal ihn zusammen. Dareus wehrt sich nicht, hilflos liefert er sich den Schlägen ins Gesicht und auf den Körper aus. Er sagt nur: „Erkennst Du mich nicht, ich bin der Junge mit der Geige“. Zusammengeschlagen finden die Frauen Dareus am Strand. Conny wird verhaftet. Weil Dareus die Schläge des Mannes hilflos ertrug, findet Gabriella die Kraft, sich von ihrem Mann zu trennen. Im Gefängnis bringt sie ihm die Bilder der Kinder. „Lass dir helfen“ ist ihre Botschaft an ihn. Erst in diesem Moment begreift Conny, dass er sein Leben verändern muss, wird selbst schwach und beginnt zu weinen.


IV. Schuldig!? Nahe ist, der mich ins Recht setzt

Gegen Schmerzen lässt sich wenig ausrichten. Man kann sie nur ertragen und die Wunden müssen ausheilen. Zivilcourage und passiver Widerstand sind die Reaktion auf die Schläger, kein Zurückschlagen und keine Rache. Der Gottesknecht wird angeklagt, zu Unrecht. Gegen die Autoritäten des Volkes, steht Gott auf der Seite dessen, der zu Unrecht leiden musste, weil er die Ohren der Menschen geöffnet hat. Seine Unschuld ist offenkundig und wird sich auch vor Gericht erweisen.

„Wer streitet mit mir? Wir wollen zusammenstehen! Wer ist mein Gegner im Gericht? Er trete zu mir heran.“

Die größte Bedrohung kommt auf Dareus nicht durch die Schläge von Conny zu sondern durch den Vertreter der dörflichen Moral. Als er zarte Liebesbande mit der hübschen Lena knüpft, schlagen die Wellen hoch. Pastor Berggren klagt den Kantor an, seine Stellung ausgenutzt zu haben und selbst sexuelle Interessen zu haben. Auch fühlt er sich von ihm ins Abseits gedrängt. Als seine Frau Inger ihren Mann bewegen möchte, seine Gefühle und sein Hören neu zu erwecken, reagiert er mit der Entlassung des Kantoren und einem Verfahren gegen ihn.

Doch die Rechnung des Pfarrers geht nicht auf: durch sein Verhalten verlassen die Mitglieder des Chores die Kirche und treffen sich von nun an im Schulhaus. Sie setzen damit Daniel ins Recht, der sich den Anschuldigungen des Pfarrers nun erwehren muss. Einen anderen Kantor wollen sie nicht akzeptieren.

Morgen für Morgen weckt Er mich auf,
erweckt mir das Ohr,
damit ich wie ein Geübter zuzuhören vermag.


V. Fazit: Erweckte Ohren und Passion

Der Film „Wie im Himmel“ schildert eine Passionsgeschichte. Der erfolgreiche Dirigent kehrt am Ende des Films auf das internationale Parkett zurück. Die Mitglieder seines Chores singen in Innsbruck bei einem Wettbewerb mit. Durch sein einfühlsames Hören ist es ihm gelungen, seinen alten Traum zu erfüllen, mit der Musik die Herzen der Menschen zu öffnen. Durch ihn finden sie die Kraft zusammen zu stehen und ihren eigenen Weg in der Gemeinschaft zu finden.

Daniel Dareus stirbt am Ende des Films an einem weiteren Infarkt in der Toilette des Wettbewerbsortes. Durch den Lüftungsschacht hört er seinen Chor einen Ton anstimmen, der von allen andern Chören aufgenommen wird. Das aufmerksame Hören aufeinander wird zur Völker verbindenden Kraft der Musik. Der Gesang erinnert an die Gemeinschaft der Engelschöre – wie im Himmel.

Liebe Gemeinde! Daniel Dareus ist ein moderner Gottesknecht, der durch sein aufmerksames Hören jedes Mitglied seines Chores hilft, seinen individuellen Ton herauszufinden und trotzdem auf himmlische Weise zusammen zu erklingen. Damit verleiht er den Sängerinnen und Sängern ein bislang unbekanntes Selbstwertgefühl. Neue Gefühle werden erweckt, verdrängte Wahrheiten ausgesprochen und Zärtlichkeiten gewagt.

Morgen für Morgen weckt Er mich auf,
erweckt mir das Ohr,
damit ich wie ein Geübter zuzuhören vermag.

So wie Gott sich im Jesajabuch als Verteidiger für seinen Knecht einsetzt, weil seine Worte der Wahrheit entsprechen. wird auch Dareus ins Recht gesetzt, weil er die Liebe der Menschen erweckt. Dafür nimmt er die Schläge in Kauf, damit Gabriella und Inger ein neues Leben beginnen können. Nach der Zeit des Leidens bricht eine glücklichere Zukunft an, auch für seine Gegner. Das unterscheidet das Ende des Films vom Jesajatext.

Erweckte Ohren und die Erfahrung des gemeinsamen Singens gehören zusammen. Deshalb lassen Sie uns als Abschluss der Predigt das Morgenlied von Jochen Klepper singen: Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr.

EG 452

Prof. Dr. Roland Rosenstock, Greifswald
roland.rosenstock@uni-greifswald.de


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