Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Lätare, 26. März 2006
Predigt zu Philipper 1, 12-21, verfasst von Oda-Gebbine Holze-Stäblein,
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Heute ist Wahltag! In allen Gemeinden unserer Landeskirche werden heute neue Kirchenvorstände gewählt. – Kann sein, dass das gar nicht alle mitbekommen haben. Schließlich hat es keinen Wahlkampf gegeben, und es wurden auch keine bunte Plakate gesichtet. KV-Wahlen geschehen mehr in der Stille. Dennoch hoffe ich, dass heute viele Menschen zur Wahl gehen, um denen den Rücken zu stärken, die kandidieren; sie wissen zu lassen: „Wir finden Euch und Eure Arbeit wichtig!“

An einem solchen Tag wie heute wünscht man sich einen Predigttext, der Mut macht. Und ich glaube, da haben wir heute den richtigen Text. Vielleicht nicht auf den ersten, wohl aber auf den zweiten Blick. Ich lese aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philippi Kapitel 1, 12-21.

Okay, vielleicht macht dieser Text erst auf den dritten Blick Mut. Paulus sitzt – mal wieder - im Gefängnis. Manchmal gewinnt man den Eindruck, Paulus hätte ziemlich oft im Gefängnis gesessen. So war es wohl auch. Hier sitzt er in Ephesus in einem römischen Gefängnis. Seine Lieblingsgemeinde in Philippi hat davon gehört. Offenbar darf er auch Besuch empfangen. Aber: er sitzt in Fesseln, und ob er das Gefängnis als freier Mann verlassen wird, das ist ganz ungewiss. Paulus ist also kaltgestellt. Eine desolate Situation. Und was tut er? Man fasst es nicht: er freut sich! „Ich freue mich. .. Ich werde mich freuen... Ich bete mit Freuden. .. Freut euch in dem Herrn alle Wege, und abermals sage ich: „Freut euch!“

38 x kommt in den Paulusbriefen das Wort ‚Freude’ vor, und 15 x allein im Philipperbrief. Der ganze Brief ist auf den Grundton `Freude´ gestimmt. Schon darüber kann man nur staunen: dass so etwas überhaupt möglich ist! Wir haben es heute ja mehr mit dem Klagen. Und wir beklagen auch, dass wir aus dem Klagen und Jammern gar nicht mehr herauszukommen scheinen, und das, obwohl die Verhältnisse dieses Ausmaß an Klage längst nicht hergeben.

Und da sitzt einer vielleicht in der Todeszelle – und freut sich! Ist er anders gepolt als andere? Ein Fanatiker, dem sein Leben nichts wert ist? Nein. Paulus ist den Menschen zugewandt, nimmt sie ernst, hat seine Gemeinde lieb. Fanatiker lieben nur ihre Idee und ihre Idole, nicht die Menschen. – Es muss also noch einen anderen Grund für diesen Grundton `Freude´ geben. Vielleicht finden wir ihn heraus.

Zunächst: der Grundton `Freude´ zeigt Wirkung: bei Paulus, bei den römischen Soldaten, die ihn bewachen und bei der fernen Gemeinde in Philippi! Bei Paulus zuerst: er leckt nicht seine Wunden, sondern stellt fröhlich fest: „Dem Evangelium tut das gut, dass ich hier im Gefängnis sitze!“ Offenbar fangen nämlich die heidnischen Soldaten an, sich für diesen seltsamen Gefangenen zu interessieren, der fröhlich singt und betet und vielleicht sogar den Mitgefangenen vom Grund seines Glaubens erzählt und sie tröstet. Vielleicht hat er einem anderen gesagt, was er später im Römerbrief aufgeschrieben hat: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn!“

Also, das merken die Römer: da ist einer, der ist anders als die anderen. „Ich trage meine Fesseln für Christus.“ Das klingt fast stolz, als wären die Fesseln eine Zierde. Das waren sie bestimmt nicht. Ist Paulus ein Glaubensheld? „Ein Christ kennt keinen Schmerz“ oder so? Nein. Die Fesseln schmerzen ihn wie andere auch. Aber Christus trägt ihn, auch mit den schmerzenden Fesseln. „Christus ist mein Leben“, sagt er am Ende. Das ist sein Grund, der Grundton und Inhalt seines Lebens: Christus hält ihn über dem Abgrund!

Aber auch die Philipper in der Ferne spüren die Wirkung des Grundtons Freude. Man muss sich das vorstellen: die Gemeinde in Philippi ist vakant! Der Gründer und `Pastor´ ist kaltgestellt! Das könnte das Aus bedeuten in einer so jungen Gemeinde; alles könnte auseinanderstieben wie ein Haufen Federn, in die ein Windstoß gefahren ist. – Das Gegenteil ist der Fall. Leute, die sich früher nicht getraut haben, den Mund aufzumachen, als Paulus noch da war, weil sie Angst hatten, irgend etwas Falsches über den Glauben zu erzählen: die selben Leute predigen jetzt ohne Scheu, sind mutiger und zuversichtlicher als vorher. „Jetzt sind wir dran. Jetzt hängt es an uns“, habe sie sich gesagt. Sie haben ihre Angst, etwas Falsches zu sagen, verloren. Der Grundton Freude bringt sie in Schwingungen und in Schwung, wie Schallwellen sich ausbreiten oder Wasserwellen, wenn einer einen Stein hineinwirft. Der Stein ist längst auf den Grund gesunken und liegt fest. Aber oben breiten sich die Wellen aus. Grundton Freude. Grundschwingung Christus.

War so etwas nur in grauer Vorzeit möglich? Keineswegs! Das ist fast alltäglich; zumindest eine häufige Erfahrung: ein Pastor verlässt die Gemeinde. Vakanz. - Bricht jetzt alles zusammen? Mitnichten! Die Vakanzsituation mobilisiert die Kraft der Gemeinde und des Kirchenvorstandes. Menschen packen mit an, organisieren, verkündigen, vertreten die Gemeinde. Kräfte wachsen ihnen zu, von denen sie nichts geahnt haben: eigene Kräfte, aber sicher auch Kräfte, die von woanders her kommen. „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht: Christus“, sagt Paulus am Ende seines Briefes an die Philipper. Und das gibt er an sie weiter in diesem ganzen Brief: Grundton Freude, Grundschwingung Christus! – Und so erleben das auch heute Gemeinden und Kirchenvorstände. – Ich weiß wohl, Vakanzen können dann auch so lang geraten, dass die Kräfte doch schwinden. Noch aber ist keine Gemeinde bei uns in einer Vakanz und an einer Vakanz zu Grunde gegangen. Und wir sehen: wir sind mit dieser Erfahrung in bester Gesellschaft! Und das kann uns heute Mut machen, gerade an einem solchen Tag: Christus macht uns stark. - Nicht auf Vorrat allerdings, sodass wir uns nur auf unser eingemachtes oder tiefgekühltes Christusvertrauen verlassen könnten. Kraft des Glaubens muss frisch, vielleicht sogar noch warm sein, wie das tägliche Brot, um das wir im Vater Unser bitten. Wir bekommen aber sie dann, wenn wir sie brauchen und darum bitten. -

Nun gab es damals allerdings ein Haar in der Suppe oder auch einen ordentlichen Schuss Wasser im Wein der Freude. Paulus hat erfahren, dass in Philippi kräftig das Evangelium gepredigt wird, und das freut ihn. Weniger erfreulich ist, dass sich einige wohl als Konkurrenten profilieren wollen. Sie machen Paulus schlecht, damit ihr Licht umso heller strahlt. Was genau Sache gewesen ist, wissen wir nicht. Das ist auch nicht so wichtig. Zank und Streit in einer Gemeinde ist ja wahrlich nichts Ungewöhnliches, leider. Wichtig ist aber etwas anderes: „Was tut´s“, sagt Paulus, „aus welchen Motiven andere das Evangelium weitersagen! Hauptsache, Christus wird verkündigt, und darüber freue ich mich.“

Liebe Gemeinde, ich finde das stark und überhaupt nicht ‚zeitgeist-lich’. Von Glaubwürdigkeit ist ja heute viel die Rede. Für viele Zeitgenossen sind Christen nur dann glaubwürdig, wenn Glauben und Leben nahtlos zusammenpassen und 1:1 die Worte in Taten umgesetzt werden. „Die handeln ja nicht danach. Die werden ja dafür bezahlt, dass sie so reden,“ heißt es nicht selten. Und wahrlich nicht nur Pastorinnen und Pastoren, auch unsere Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher werden ganz kritisch und genau angeschaut, ob sie Vorbilder sind; ob sie untadelig und moralisch einwandfrei sind; ob ihre Verkündigung und ihr Leben zusammenpassen. Und wenn nicht, dann nimmt das mancher zum willkommenen Anlass, der ganzen Kirche und dem Glauben obendrein Lebewohl zu sagen.

Keine Frage: wir als Verkündiger sind auch immer die ersten Adressaten unserer eigenen Predigten. Vom großen Pietisten Spurgeon ist ein Satz überliefert, den er am Ende einer langen Gebetsreihe gebetet haben soll: „Und Herr, gib, dass wir unsere eigenen Gebete erhören.“

Dennoch: die Glaubwürdigkeit des Evangeliums, also der frohen Botschaft, steht oder fällt nicht mit der Glaubwürdigkeit der Boten! Das Evangelium braucht unsere Hände und Füße; es steht aber nicht auf unseren Füßen. „Wir haben den Schatz des Evangeliums in tönernen Gefäßen“, sagt Paulus. Und diese tönernen, zerbrechlichen, oft auch angeschlagenen Gefäße, die sind wir selber. „Humpelnde Heilige sind wir“, hat mal jemand gesagt. Und dennoch kommt das Wort Gottes auf diesen Krücken vom Fleck und in die Welt, immer neu! Der Grundton Freude, die Grundschwingung Christus macht, dass die humpelnden Heiligen die Abhänge hinunterflitzen wie die Sportler bei den Paralympics!

„Hauptsache Christus“, sagt Paulus sehr souverän. Vielleicht ist da ja sogar eine List des Heiligen Geistes am Werk. Früher hat sich Paulus mächtig mit seinen Konkurrenten in der Wolle gehabt, war verletzt durch ihre Angriffe und hat kräftig zurückgeschlagen, mit Worten natürlich. Manchmal war er verbissen und zynisch, kein bisschen soeverän. – Jetzt sitzt er in der Zelle in Ephesus, weit vom Schuss – und entdeckt zu seiner eigenen Freude, wie nebensächlich die hohen oder niederen Motive sind, wie unwichtig die Streitereien. Wichtig ist allein, dass Christus `rübergebracht´ wird. Wir sind nicht die, von deren Qualität das Evangelium abhängt. „Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade.“ Gott sei Dank, denn anders kann es nicht gelingen. Ich denke, das kann uns heute, am Wahltag, zugleich ernüchtern und ermutigen! Ernüchtern, weil wir alle unsere Schwachpunkte haben. Ermutigen, weil Christus uns dennoch in seiner Gemeinde haben will.

Und schließlich möchte ich noch auf eine scheinbare Kleinigkeit zu sprechen kommen. Sie erscheint ganz nebenbei. „Ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies alles zum Heil, zum Guten ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi...“ „Durch euer Gebet“: eine Randbemerkung – und dennoch keine Nebensache. Die Fürbitte: zu Beginn meiner Dienstzeit als Pastorin war sie mir – das gebe ich zu – nicht so wichtig. Es war eine Pflichtübung, die halt zum Gottesdienst dazu gehörte. Ich hatte auch die ellenlangen „Allgemeinen Kirchengebete“ im Ohr; unter denen habe ich als Kind hin und wieder durchaus gelitten.

Heute sehe ich das Gebet und besonders die Fürbitte ganz anders. Heute traue ich mich am Telefon zu sagen: „Ich bete für Sie.“ – Oder: „Ich denke noch auf andere Weise an dich...“ „Bleib behütet“, sagte meine „Wort-zum-Sonntag“-Kollegin aus Magdeburg immer am Schluss, wenn wir miteinander telefonierten. „Beten Sie für mich“, sagen oder schreiben Menschen. Und eine schwer kranke Amtsschwester sagt mir immer wieder: „Es tut so gut zu wissen, dass für mich gebetet wird.“ „Ich drück’ dir die Daumen“, sagen viele, wenn sie einem Gutes wünschen. Die meisten wissen nicht, was das Daumendrücken ursprünglich meint: ‚Ich bete für dich.’

Die Fürbitte, liebe Gemeinde, ist eine unserer stärksten Waffen gegen Verzagtheit und Vereinzelung. In der Fürbitte für andere schauen wir von uns selbst weg auf andere Menschen. Im Beten für andere knüpfen wir ein Netz und spannen es unter ihnen aus. Und wenn sie kraftlos werden, dann fängt Christus, der Menschenfischer, sie in dem Netz auf, das wir betend und fürbittend ausgespannt haben. „Vernetzung“ ist ein Ur-Wort unseres Glaubens. Für Paulus ist sie so lebenswichtig wie der Beistand des Geistes; ja, in der Fürbitte der Gemeinde steht ihm Christus selbst bei.

Und das gilt nicht nur für Paulus. Das gilt auch für uns heute und ganz besonders für die, die wir heute wählen. Sie brauchen das Netz der Fürbitte. Sie sollen spüren, dass es da ist, auch wenn es ihnen gut geht. Und es tut uns selber als Gemeinde gut, fürbittend für andere einzustehen und ihnen beizustehen. In der gottesdienstlichen Fürbitte öffnen wir bildlich gesprochen die Fenster der Kirche und lassen frischen Wind herein: Erfahrungen und Nöte, Glück und Leid anderer Menschen. Das verändert auch uns selber!

Etwas weniger Kritik an allem und jedem, was der KV, das Pfarramt, der Superintendent, die Landessuperintendentin, das LKA, die Bischöfin tun, und dafür mehr Fürbitte, das sollten wir uns vornehmen. Und das kann jeder, auch jemand, der krank im Bett liegt oder im Alter nicht mehr aus dem Zimmer kann. In der Fürbitte werden wir selber leichter. Es wachsen uns die Flügel der Freude und die Schwungfedern des Heiligen Geistes.

„Christus, der ist mein Leben; Sterben ist mein Gewinn“, sagt Paulus am Ende. Todessehnsucht? Lebensüberdruss? Ach wo! Vorfreude auf das, was ihm im Glauben eine unumstößliche Gewissheit ist. Ich sag´s mit Paul Gerhardt, der in seinem Lied „Geh´ aus, mein Herz“ die Zukunft jenseits dieses Lebens als einen „Garten Christi“ beschreibt:

Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muss es da wohl klingen,
wo so viel tausend Seraphin
mit unverdrossenem Mut und Stimm
ihr Halleluja singen.

Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern heute den Sonntag Laetare: Freue dich. Er gilt als das „kleine Ostern“ mitten in der Passionszeit. Mit Recht, wie wir gesehen haben. Im Grundton der Freude klingt schon ganz leise, ganz von ferne, der Osterjubel an, der Grundton der Osterfreude auf dem Grunde der Passion. Und darum dürfen wir heute „Halleluja“ singen!
Amen

Lieder: 384, 1, 2, 4
98, 1 – 4
396, 1 – 3 u. 6
398, 1 u. 2

Landessuperintendentin Oda-Gebbine Holze-Stäblein,
Julianenburger Str. 23
26603 Aurich
Tel. 04941 - 2672
Fax 04941 - 3250
Mailadresse: lasup.ostfriesland@evlka.de



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