Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

Spenden Sie dem Förderverein Göttinger Predigten im Internet e.V.
für die Fortführung seiner Arbeit!

Okuli, 19. März 2006
Predigt zu 1. Petrus 1, 13-21, verfasst von Tom Kleffmann
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Das alte Israel hatte den Tempel in Jerusalem. Bis ihn die Römer im Jahr 70 nach Christi Geburt zerstörten, opferten dort Priester Gott – dem Schöpfer der Welt, dem Herrn, dem Richter, dem Geheimnis, dem Barmherzigen, dem Kommenden. Besonders das Sündopfer und das Schuldopfer waren immer wichtiger geworden. Das Blut dieser Opfer sühnte die Sünde des Volkes. Denn so wie die Sünde in Wahrheit Tod ist, nichtiges Leben, weil es Gott verachtet und den Nächsten nicht sieht, weil es ohne Grund und Ziel ist, weil es in allem Schein der Fülle doch nur um sich selbst kreist – so also, wie die Sünde in Wahrheit Tod ist, Leben ohne Leben, Doppelleben, Lügenleben, so ist der Tod der Sünde Gericht. Der Tod ist die Wahrheit der Sünde. Und Sühne, das war die Notwendigkeit Gottes – daß die göttliche Wahrheit des Lebens offenbar wird, die Wahrheit über Leben und Tod, und daß der Mensch sich ihr beugt.

So war der Tempel ein Ort der Gnade Gottes des Schöpfers, des Richters, denn hier nahm der Herr das Blut des Opfertieres als stellvertretende Sühne. Gott wollte, daß der Sünder lebt, daß er umkehrt – und so nahm Gott stellvertretend das Blut des Opfers als Gericht der Sünde, und der Sünder konnte neu leben. Gott reichte die Selbsterkenntnis des Sünders in der Wahrheit des Todes – wenn es seine Selbsterkenntnis war, die ihn trieb, der Gnade der stellvertretenden Sühne zu vertrauen, die Gott dem Volk gegeben hatte, dann war es gut.

Die Gnade der Stellvertretung, die Gnade des Opfers – versteht ihr das? Daß das Blut des Opfers den Sünder erlöst? Sühne vor Gott durch Blut – archaisch erhaben und fern ist das, und doch gehört es auch zur Vorgeschichte Christi. Um den Tod als Sold eines verschlossenen Ich ging es. Um die Befreiung aus der Gefangenschaft, die dieser Tod ist, ging es. Und darum geht es auch heute. Um Erlösung – Erlösung von einer Last, die der Tod ist; von einer Schuld, die den Tod bedeutet. Und die Erlösung war eben dies, daß Gott zwischen mir und der Schuld unterschied, zwischen mir und meinem sinnlosen Leben. Daß er anbietet, alles, das Gericht des Todes, die Strafe der Einsamkeit, die Ausweglosigkeit der Verzweiflung auf den Andern zu werfen, auf das Opfer. Und ich kann leben aus neuem Grund. Leben!

So war der Tempel, der Altar ein Ort der Gnade, und Gottes Geist war im Vertrauen dieser Gnade. Aber ihr Geheimnis, älter als die Zeit der Welt, war noch nicht offenbar.

So war es bis zum Ende der Zeiten – das heißt, bis der ewige Gott selbst alles Leid in sich versammelte. Bis die Ewigkeit Gottes in die Zeit der Menschen kam – und das Ende der Zeiten zur Mitte der Zeit wurde. Bis der ewige Gott selbst der andere Mensch wurde, der für uns den Tod erleidet – für uns, die sich in ihm erkennen. „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat“. „Darum“, schreibt Petrus in seinem 1.Brief, „darum umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, denen ihr früher in der Zeit eurer Unwissenheit dientet; sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. [...] denn ihr wißt, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.

Wißt ihr, daß ihr erlöst seid mit dem Blut Christi als eines unschuldigen Lammes? Es ist das Heiligste, die Mitte unseres Glaubens, offenbares Geheimnis, allen Propheten und Gesetzen und Weisheiten unendlich überlegen, daran zweifele ich nicht - und doch sind diese Worte fast unnahbar fremd geworden, befremdliche Bilder, archaisch fern.

Aber das dürfen wir nicht zulassen, das uns diese Sprache entgleitet! Wir müssen um diese Sprache ringen – um alles in der Welt!

Vielleicht sind uns diese Worte schon deshalb so schwer, weil wir nicht mehr wissen, wovon wir zu erlösen sind. Aber das glaube ich nicht. Wir wissen es, sonst wären wir Gespenster und keine Menschen. Wann wirs gestehen, ist eine andere Frage. Aber im Grunde kennen wir die Last, die der Tod ist; die Schuld, die den Tod bedeutet. Wir wären sonst nicht hier. Wir kennen die Sinnlosigkeit, das Leben blutleer und ohne wahres Ziel, änglich und grundlos; verstrickt in der Angst des Todes und ihren Lügen, gefangen in Begierden, die nicht erfüllen und nur zerstreuen, in Leidenschaften, die nicht lieben; süchtig nach den läppischen Süßigkeiten des Lebens. Im Grunde wissen wir, wovon wir zu erlösen sind. Im Grunde. Aber so unklar unsere Schuld ist, so unklar die Erlösung. Und das Ringen um die Sprache des Heils fordert nicht nur Bildung und Bibellesen und den Einfall Gottes ins Denken, sondern zuerst und in allem fordert es die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis. Das Kreuz im Spiegel.

Wißt ihr nicht, daß ihr erlöst seid mit dem Blut Christi als eines unschuldigen Lammes? Das Lamm ist sein Opfer. Das Blut ist sein Tod.

Vielleicht sind uns diese Worte schon deshalb so schwer, weil wir das wirkliche Blut des Menschen nicht mehr kennen – unser Blut, unser rotes, warmes Blut. Wir sehen es nicht, solange wir gesund und zufrieden sind, wollen es auch nicht sehen, können es nicht sehen. Wir sehen uns heil und unverletzt im Spiegel und fürchten den Schmerz. Das Kreuz aber zeigt uns das Blut. Das ausfließende Blut ist unser Leid, unser Schmerz, unsere Angst – daß wir uns selbst entgehen, daß unsere Kraft nur geliehen ist. Fließendes Blut ist das Gericht über die Illusion, daß unser Dasein fest ist und von Dauer. Fließendes Blut ist die Zeit. Fließendes Blut ist die Zeit, mit der das Leben sich verströmt – aber wohin?

Ihr wißt, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem sinnlosem Leben, sondern mit dem Blut Christi als eines unschuldigen Lammes . Christi Blut für dich vergossen.

Nicht unser Opfer erlöste uns von der Einsamkeit, von der Sinnlosigkeit, von den Begierden, die nicht erfüllen und nur zerstreuen. An wen hätten wir es auch adressieren sollen? Einen Tempel, einen Ort, an dem Gott selbstverständlich war, kannten wir nicht. Uns konnte keine Sühne erlösen. Kein menschlicher Priester vermittelte zwischen uns und Gott, und nicht die größte Anstrengung der Gedanken kann es schaffen.

Es ist nur eine Gnade, offenbart am Ende der Zeiten. Er ist das Opfer. Er ist gekommen. Er ist der Mensch. Er ist unsere Zukunft. Sein Blut ist unser Blut. Hört ihr das, in den Krankenhäusern, in den Altersheimen; hört ihr das, die ihr wach seid in der Nacht und in den schwarzen Himmel schaut, immerfort und immerfort? Hört ihr das, ihr Einsamen? Und auch ihr Starken, die ihr einen Sinn sucht für eure Kraft? Hört ihr das, ihr Betenden? Es ist nur eine Gnade, offenbart am Ende der Zeiten. Gott hat sich geopfert. Wenn du am Kreuz stehst, ist er da. Ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein (EG341,7). Es war sein Leben, bis zum Ende: die Sinnlosigkeit, die Einsamkeit des Sterbenden. Das fließende Blut, das die Zeit ist. Er ist es, der das Gericht des Todes trägt, die Strafe der Einsamkeit, die Ausweglosigkeit der Verzweiflung. Gott und nur Gott es ist, der sie für mich trägt. Und in seiner Gemeinschaft wird sie zum Leben. Das ist unser Frieden, sein Frieden, höher ist als aller Verstand. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

PD Dr. Tom Kleffmann
Göttingen
tom.kleffmann@theologie.uni-goettingen.de

 

 

 


(zurück zum Seitenanfang)