Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Invokavit, 5. März 2006
Predigt zu Lukas 22,24-32, verfasst von Niels Henrik Arendt (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Das Evangelium von heute handelt von Größe und Macht. Obwohl Jesu Feinde zum Zeitpunkt des Wortwechsels, den wir hörten, bereits die letzten Vorbereitungen für seine Gefangennahme treffen, haben die Jünger noch nicht begriffen, wie wenig Ruhm in der Gefolgschaft mit Jesus zu finden ist. Sie haben die tiefe Machtlosigkeit noch nicht erlebt, die sie nur wenige Stunden später ergreifen wird, wo es ums reine Überleben gehen wird. Sie streiten sich also über Größe und Macht. Jesus weist sie zurecht, das aber nicht nur, weil ihr Streit um ihre eigene Bedeutung in diesem ernsten Augenblick fehl am Platze wäre. Seine Zurechtweisung richtet sich ganz allgemein gegen Größe und Macht – er stellt einen Gegensatz auf zwischen den Männern der Macht, „den Königen der Völker“, und denjenigen, die seine Jünger sein wollen.

Erteilt er in Wirklichkeit aller Macht und jedem Gebrauch von Macht zwischen Menschen eine Absage? Redet er einer alternativen Ordnung das Wort, in der niemand Befugnisse im Verhältnis zu anderen hat? Ist von einer revolutionierenden Auseinandersetzung von nie zuvor gesehener Schärfe mit der Art und Weise die Rede, wie die Menschen sich eingerichtet haben? Glaubt er wirklich selbst an eine herrschaftsfreie Gemeinschaft?

Eine endgültige Antwort können wir auf derlei Fragen wohl nicht geben, aber wir können doch immerhin sehen, dass Jesus die geläufigen Vorstellungen im Großen wie im Kleinen auf den Kopf stellt. Wir wissen, wie eine ganze Versammlung von Ratlosigkeit ergriffen werden kann, wenn derjenige, der sie zu leiten pflegt oder ihr natürlicher Anführer ist, diese Aufgabe nicht übernimmt, sondern untätig bleibt. Wir wissen auch, wie die Machtverhältnisse in einer Versammlung ganz fein, aber bestimmt nicht unmerkbar, in den alleralltäglichsten Dingen zum Ausdruck kommen können – wie beispielsweise darin, wer zuerst Platz nimmt. Aber Jesus verhält sich nicht bloß passiv: in seiner Gemeinschaft gibt es nicht nur niemanden, der den Vorsitz führt, sondern alles wird vom geringsten Platz aus gesehen. Denn da sitzt er selbst. Und wer ist da der Größte?

In unserer menschlichen Gemeinschaft ist der Gebrauch von Macht eine Tatsache. Das gilt sogar für die engsten Verhältnisse. Eltern nehmen ihre Befugnisse im Verhältnis zu ihren Kindern wahr – das tun auch diejenigen, die ganz bewusst versuchen, es zu vermeiden, sie tun es nur auf eine in Wirklichkeit weitaus raffiniertere Art und Weise. Ja, die Liebenden gebrauchen eigentlich auch Macht in ihrem gegenseitigen Verhältnis – ohne dass das im Widerspruch zu ihrer Liebe zueinander zu stehen braucht, wenn ihre Liebe nur ihre Gewalt über sie bewahrt. In dem Bereich, der außerhalb der engen Familienverhältnisse liegt, gilt das selbstverständlich auch: am Arbeitsplatz, in Freizeitgemeinschaften usw. Bestimmte Leute haben das Sagen. So ist das eben. Und das gilt natürlich sichtbar und ausdrücklich auch in der Welt der Politik. Hier geht es um Macht, um gegenseitiges Stärkeverhältnis, so wie wir das in der Irak-Krise gesehen haben und wie es uns in einem jeden Wahlkampf vor Augen geführt wird.

Wie sollen wir uns dazu verhalten auf dem Hintergrund der Worte Jesu? Ich möchte meinen, dass wir uns wenigstens anfechten lassen sollten (wie Paulus angefochten war, wie Martin Luther es war). Aber es ist, wie wenn wir nicht besonders angefochten sind gegenüber dem Gebrauch von Macht. Macht ist ja notwendig, sagen wir – das Himmelreich gibt es hier auf Erden nicht. Jesus kann das nicht so meinen. Wenn wir überhaupt Machtgebrauch mit einem Fragezeichen versehen, dann ausschließlich so, dass wir fragen, ob es der Rechte ist, der bestimmt. Selbst für die revolutionärsten Parteien geht es höchstens darum, dass Andere den Vorsitz führen sollen. Die Position des Bettlers ist nie gefragt.

Wir sollten uns anfechten lassen. Und wollten wir uns nicht anfechten lassen von Jesu Worten und Beispiel, ja, dann sollten wir Zweifel hegen und Fragen stellen, wenn wir sehen, welches Unheil Machtgebrauch allzu oft verursacht und wie oft Macht missbraucht wird. Jesus spricht über diese Dinge in den letzten Stunden vor seinem Tode. Nur wenige Stunden später sind Menschen, die eigentlich ehrbare Leute waren und sich wirklich bemühten, das Rechte zu tun, dabei, ihre Macht auszunutzen, um Jesus hinzurichten. Ein Beispiel, wozu Machtanwendung führen kann. Zu Beginn haben wir heute von einem anderen Beispiel gehört in der Erzählung von Kain und Abel – es ist die nackte Wahrheit darüber, wie sich die Herrschaft des einen Menschen über den anderen in Wirklichkeit allzu oft des Stärkeren bemächtigt und ihn dazu verleitet, Böses zu tun.

Ich glaube, wir wissen das von den Verhältnissen, die uns ganz nahe sind; wir wissen, wie gefählich es sein kann, gegen die eigenen Kinder vorzugehen, wenn wir von unserer Befugnis nicht mit Vorsicht Gebrauch machen. Wir wissen, wieviel wir in engen Beziehungen durch den Gebrauch von Macht kaputt machen können. Hier nehmen wir uns trotz allem oft in Acht. Aber auch im Großen kann Kain von seiner eigenen Macht gefangen werden. Und dann verursacht er todsicher Böses. Der Schaden ist nicht geringer, wenn Elefanten kämpfen.

Der Gebrauch von Macht ist unumgänglich. Gewalt ist notwenig, das ist wahr. Kain muss daran gehindert werden, Abel umzubringen. Und es nützt nichts, wenn demjenigen, der Kain in den Arm fällt, um ihn zurückzuhalten, selbst die Hände zittern. Aber der Machtgebrauch darf niemals zu einer Selbstverständlichkeit für ihn werden. Denn dann würde er ja selbst Gefahr laufen, zu einem Kain zu werden, d.h. von seiner eigenen Macht gefangen zu werden.

Wie können wir also daran gehindert werden – wie können wir Herrschaft ausüben, wozu wir ja in dieser Welt gezwungen sind, ohne von ihr gefangen zu werden? Das tun wir nur, wenn wir uns daran erinnern, dass all unsere Macht relativ ist und ihre Zeit hat. Wenn uns gesagt wird, was Jesus wenige Stunden später zu Pilatus sagt: Du hättest keine Macht, wenn sie dir nicht von Gott gegeben wäre. Und Gott wird dich fragen, wozu du die Macht gebraucht hast. So soll alle irdische Herrschaft unter die Verantwortung vor Gott gestellt werden, und das gilt gleichermaßen, ob sie in den nahen familiären Verhältnissen oder auf der Weltszene ausgeübt wird. So ist sie jederzeit angefochten. Nur so kann sie in Schranken gehalten werden.

Jesu Verhältnis zu seinen Jüngern ließ ihnen keine Möglichkeit, Macht und Größe untereinander zu verteilen, und er selbst verzichtete darauf, Macht zu gebrauchen, um sich der Gewalt der politischen Machthaber zu entziehen. Stärker hätte er ihre Herrschaft nicht in Frage stellen, deutlicher hätte er sie nicht in die Verantwortung nehmen, klarer hätte er nicht zeigen können, wie Menschen von ihrer eigenen Macht gefangen werden können.

Aber noch etwas anderes kam darin zum Ausdruck. Eine einzigartige Gemeinschaft mit dem Menschen. Es vergingen nicht viele Stunden, ehe die Jünger nicht mehr an Größe dachten, sondern hilflos empfanden, dass sie die Situation jetzt nicht beherrschten, sondern dass es die Situation war, die sie beherrschte. Es war ein Gefühl der Hilflosigkeit – nicht unähnlich dem Gefühl, das auch wir im Verhältnis zum Leben haben können, ja im Grunde auch im Verhältnis zu der Macht, die wir über einander haben. In dieser Situtation liegt der einzige Trost darin, dass Gott in der Gestalt Jesu nicht ein Teil dessen ist, was die Macht über uns ergreift, sondern dass er im Gegenteil an unserer Seite steht. Wie er den Jüngern versprach, dass sie mit ihm zu Tische sitzen würden, so verspricht er auch uns eine Gemeinschaft, die besteht, wenn all unsere Träume von Größe zunichte geworden sind. Wir werden mit ihm zu Tische sitzen, ja schon heute lädt er uns dazu ein. Amen.

Bischof Niels Henrik Arendt
Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev
Tel.: +45 74 52 20 25
E-mail: nha@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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