Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Estomihi, 26. Februar 2006
Predigt zu Lukas 18, 31-43, verfasst von Elof Westergaard (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


„Herr, neige deine Ohren zu mir... Sei mir ein starker Fels... In deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Wir haben diese Worte der Lesung aus dem Alten Testament, aus dem Psalm gehört.
Der Psalmist spricht hier sehr konkret über und sehr persönlich zu Gott. Gott ist geschildert als eine Person mit Ohren, die zuhören können. Er hat Hände, die den Menschen umfassen können.
Bei ihm können wir Zuflucht finden.
Gott ist Befreier und Erlöser. Er kann den Menschen retten. Deshalb legt der Dichter des Psalms Gott denn auch andere Eigenschaften zu als die, die normalerweise einen Menschen charakterisieren.
Der Psalmist nennt Gott auch einen Fels, eine Burg.
Gott hat menschliche Züge, aber er besitzt zugleich auch die schwerere Ruhe und Stärke der Natur. Gott ist der Beständige und Starke im Verhältnis zu dem gebrechlichen Geschöpf. Er ist ewig wie der Fels im Gegensatz zum zeitgebundenen Menschen.

Der Psalmist muss, wie wir auch, Bilder benutzen, um Gott zu schildern. Bilder, die nicht trügen. Sie erweitern vielmehr den Eindruck von dem Gott, den wir selbst nicht greifen können. Er, der der Schöpfer alles Geschaffenen ist. Er, der mit unserem Denken und unserem Verstand nicht zu greifen ist. Er, der bei dem brennenden Dornenbusch mit Wahrheit von sich selbst zu Moses sagte: „Ich bin, der ich bin.“

Die Gefahr von Bildern ist dann natürlich die, dass sie ein zu stereotypes, einheitliches und geschlossenes Bild von dem geben, über den wir reden, hier also von Gott, aber umgekehrt tragen Bilder auch dazu bei, den Blick, das Verständnis und das Empfinden für Gott zu erweitern als für den, der uns in seinem Wort wirklich begegnet.
Wenn es in dem alttestamentlichen Psalm heißt, dass Gott Hände und Ohren hat und zugleich ein Fels ist, dann öffnet sich die Möglichkeit eines Gottesbegriffs mit mehreren Dimensionen. Gott lässt sich hier nicht einfach einschließen in eine festes und geschlossenes Bild einer Person. Wir sehen mit Paulus noch immer nur in einem Spiegel, wie in einem Rätsel.
Die Verheißung steht aber da, dass wir eines Tage von Angesicht zu Angesicht sehen werden.

Für ein stereotypes Bild von Gott haben wir ein gutes Beispiel im Bericht des Evangeliums von heute:
Hat Gott Ohren und Hände, ist er wie der Fels und die Burg, dann gefällt den Jüngern nämlich die Schilderung Jesu vom Schicksal des Menschensohnes nicht. Des Menschensohnes, dieser Erlösergestalt, die mit dem Kommen des Reiches Gottes verbunden ist.
Jesus erzählt den Jüngern nämlich, dass der Menschensohn gefangen genommen werden wird. Er wird verspottet und misshandelt werden. Sie werden ihn anspeien und ihn geißeln, um ihn am Ende zu töten. Am dritten Tage wird er wieder auferstehen.
„Die Jünger verstanden nichts davon,“ schreibt der Evangelist Lukas. Das Bild der Jünger von Gott und dem Erlöser als starkem König, als einem Felsen und einer Burg steht für sie im Wege, um Jesu Rede vom bevorstehenden Leiden und Tod des Menschensohnes verstehen zu können.
Hier geht ihre Grenze für eine Menschwerdung Gottes.
Gott hat Ohren und Hände, er ist wie der Fels der Natur und wie die starke und beständige Burg, aber dass seine Menschlichkeit auch Erniedrigung, Schmerz und Tod bedeuten kann, das ist zuviel. Das macht keinen Sinn in dem üblichen Bild von Gott.

Die Blindheit der Jünger hier kennen wir sehr gut. Auch unsere Bilder und Vorstellungen sowohl von Gott als auch von einander können leicht ein Hindernis sein für eine eigentliche Begegnung, für Vertrauen und Glauben.
Wir erwarten oft von vornherein etwas Bestimmtes. Wir haben uns bereits entschieden, wir haben unsern Verstand und Sinn mit den Beurteilungen und Einschätzungen gefüllt, mit den Charakterzügen und Eigenschaften, den Sympathien oder der Geringschätzung, die wir uns bereits im Voraus gebildet haben auf Grund unserer Bilder von dem Anderen.
Die Bilder stehen hier im Wege für eine eigentliche Begegnung, weil sie allzu eindeutig sind, ohne Platz für das Wunder, das Gott und Mitmensch ist.
Das Offene und Geräumige, das das Bild im Übrigen ausdrücken sollte, verschwindet in eindeutiger Begrenzung. Die Bilder gefrieren, und es bleibt kein Platz, sich zu wundern und überrascht zu werden von dem einzigartigen, fremden und andersartigen Wesen des Anderen.
Wir stehen somit oft wie Blinde vor Gott und unserem Nächsten.


Unser eigenes Bild von Gott und das der Jünger als dem allmächtigen Herrn und Schöpfer wird hier in dem Bericht des Evangeliums von heute gebrochen.
Jesus ist ein Mensch mit Händen und Körper, Augen und Ohren. Er ist mit Gott verbunden. Durch ihn kennen wir Gott. Aber warum muss er dann auch leiden und sterben?
Seine Hände sind nun nicht nur kraftvoll, nein, sie werden von Nägeln durchbohrt. Seine Finger sind nicht nur stark, nein, sie werden sich auch in Schmerz verkrampfen. Wo ist die Ruhe des Felsens und die Stärke der Burg in diesem Bild von Gott, dem wir in Jesus begegnen? Es passt gleichsam nicht zu unserer Vorstellung von Gott als allmächtig und als dem Schöpfer des Himmels und der Erde.
Jedenfalls haftet etwas Paradoxes an diesem Gottesbild, dem wir im christlichen Glaubensbekenntnis begegnen.
Jesus ist und bleibt ein Kreuz für den Gedanken an Gott.
Da ist sowieso schon etwas an Gott, was wir nicht begreifen können, etwas, was unsere eigenen Bilder und Vorstellungen von Gott nicht voll und ganz ausfüllen können und was bewirkt, dass unsere eigene Blindheit auch so offensichtlich wird. Das hat zu tun mit dem Verhältnis von der Ewigkeit Gottes und unserer Zeitlichkeit, zwischen ewigem Leben und Tod.
Aber mit Jesu Wort und seinem Leben und Tod wird das alles nur umso merkwürdiger – ja, wenn wir darüber nachdenken und nur unserem Verstand gehorchen, dann kann das geradezu verrückt wirken – diese Verbindung zwischen Gott, Leiden und Tod in Jesus.
Aber es ist dennoch wesentlich, daran festzuhalten: wir kennen Gott in Jesus. Wir kennen Gott durch den gekreuzigten und auferstandenen Christus.
Unmittelbar trifft uns diese Wahrheit mit Blindheit und mit einem Gefühl der Verständnislosigkeit. Denn verstehen kann ich das nicht. Ich stehe mit meinem Gehirn und mit meinem Verstand wie ein Blinder gegenüber dieser Begegnung von Gott in Jesus.

Blindheit und Blindheit ist nicht dasselbe. Es gibt die physische Blindheit, nämlich dass ich nicht mehr sehen kann, was ich vorher lesen konnte. Blindheit, wie sie den armen Bettler vor den Mauern Jerichos geschlagen hatte.
Aber wir kennen auch eine andere Blindheit – eine Blindheit im Verhältnis zueinander, – dass wir den Anderen wohl sehen, aber ihn dennoch nicht so sehen, wie er uns eigentlich in seiner ganzen Originalität entgegentritt.
Unsere Augen können also wohl sehen, aber zugleich sind wir wie Blinde.
Das kann dann von der Art und Weise abhängen, wie wir sehen. Wir sind von einer gewissen Blindheit geschlagen, wenn wir bloß sehen und sehen, ohne uns eigentlich engagieren zu wollen – wenn wir wohl das Erlebnis wollen, aber die Erscheinung nur an uns vorübergleiten lassen – wie wenn das Gehörte in das eine Ohr eindringt, um sogleich wieder durch das andere Ohr zu verschwinden.
Es fällt nicht schwer, unsere Sinne so unverbindlich zu gebrauchen in unserer Zeit, in der wir oft im Auto oder im Zug sitzen, alles unter Kontrolle haben, in dem sitzen, was uns gehört, und dort unverbindlich beobachten, wie die Welt vorbeigleitet.
Wenn eine solche Sicht der Welt als eine Art Blindheit betrachtet werden muss, dann hat das seinen Grund darin, dass uns hier nur allzu oft etwas fehlt: Liebe und Leidenschaft; dass derjenige, der sieht, nicht nur sehen will, um in seinem eigenen Bild von Gott und der Welt bestätigt zu werden, sondern vielmehr die Möglichkeit eröffnet, dem zu begegnen, der uns will.
In diesem Licht betrachtet ist es also auch irreführend, wenn man sagt, Liebe würde blind machen. Ganz im Gegenteil: Liebe öffnet die Augen, indem Liebe nicht sich selbst will, sondern den anderen will, so wie der Betreffende sich für einen offenbart.

Es ist genau diese Blindheit, die Jesus auch heilt, indem er – getragen von der Liebe Gottes – sich mit der Welt vereint. Gott ist in ihm nicht nur der allessehende Gott im Himmel, der voller Schöpferkraft und mit der Stärke von Burg und Fels das Leben bewältigen kann. Gott ist auch die Macht der Liebe, der Augenöffner über allen. Denn Gott hält sich nicht zurück, um uns dort zu begegnen, wo wir sind. Er geht mit in das Leiden und mit in den Tod. Er tritt an das Taufbecken und gibt uns Anteil an sich beim Abendmahl. Seine Wille zur Gegenwärtigkeit, seine Leidenschaft für uns übersteigt alle Grenzen.

Es mag also sehr wohl sein, dass Jesu Rede von Leiden und Tod unser Denken über Gott herausfordert, aber ohne ihn wäre die Burg nur weit weg von uns, seine Augen wären hoch oben in den Wolken und seine Hände wären erhaben und rein. Aber Gott kennt den Weg des Blutes. Er ist unsere Hoffnung, der gekreuzigte und auferstandene Christus. In Jesu Namen. Amen.

Pastor Elof Westergaard
Mariehøj 17
DK-8600 Silkeborg
Tel.: ++45 – 86 80 08 15
E-mail: eve@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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