Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

Spenden Sie dem Förderverein Göttinger Predigten im Internet e.V.
für die Fortführung seiner Arbeit!

Estomihi, 26. Februar 2006
Predigt zu Amos 5, 21-24, verfasst von Heiko Naß
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Der Prophet Amos sagt::
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen.
Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.
Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Habt ihr vom Hause Israel mir in der Wüste vierzig Jahre lang Schlachtopfer und Speisopfer geopfert?
Ihr truget den Sakkut, euren König, und Kewan, den Stern eures Gottes, eure Bilder, welche ihr euch selbst gemacht habt;
so will ich euch wegführen lassen bis jenseits von Damaskus, spricht der Herr, der Gott Zebaoth heißt.

Liebe Gemeinde,
aus dem Dunkel der Geschichte ruft eine Stimme. Es sind die Jahre um 750 vor Christus in Israel. Was wir aus dieser Zeit wissen, ist wenig, ist so gut wie nichts. Es gibt einige archäologische Funde, aber ob sie in diese Zeit gehören, ist auch unter den Fachleuten nicht sicher. Was wir wissen, stammt aus Berichten, die erst viel später aufgeschrieben worden sind.

Aber in diesem Dunkel begegnet uns nun mit einem Mal ein authentisches menschliches Zeugnis. Es ist das Wort des Propheten Amos. Wir hören heute mit unserem Predigttext, zweitausendsiebenhundertfünfzig Jahre später, aus dem Dunkel der Geschichte diese eine menschliche Stimme. Menschen hielten diese Worte fest, weil sie ihnen so bedeutsam waren, überlieferten sie auf Tontafeln oder auf Papier, als Zeugnis für die Nachwelt, zum Weitersagen und zum Bedenken. Und so kommt es, dass wir aus einer Zeit, aus der wir allenfalls die Namen der herrschenden Könige kennen und ihrer Städte, dass wir das Zeugnis einer Stimme hören, eines Menschen, der „nur“ eine Bauer war, ein Züchter von Maulbeerfeigen, aus dem Städtchen Thekoa. Eine Stimme, die so stark war, dass wir mit ihr einen Namen kennen, eine Geschichte und eine Botschaft.

Liebe Gemeinde, welche Stimme unter uns ist heute so stark, dass sie noch 2700 Jahre nach uns bewahrt, gehört werden würde? Welche von den vielen Worten, die in diesem oder in dem vergangenen Jahrhundert gesprochen worden sind, hätten die Kraft und Bedeutung, dass viele Generationen nach uns Menschen sich ihrer noch erinnern, von ihnen Wegweisung erfahren wollte?
Mir fallen da nicht sehr viele, wirklich bewahrenswerte, historische Worte ein. Ich denke an Neil Armstrong, den ersten Mann auf dem Mond und seine Worte: Ein kleiner Schritt für mich, aber ein großer für die Menschheit.
Ich denke auch an ein Wort von Willy Brandt: Es wächst zusammen, was zusammen gehört.
Aber haben diese Worte und auch die Ereignisse die Bedeutung, noch 2700 Jahre später gehört zu werden?
Am eindrücklichsten sind mir noch die Worte von Martin Luther King: Ich habe einen Traum…
In ihnen, die er 1963 vor dem Lincoln Memorial in Washington für die Bürgerrechte der Schwarzen im eigenen Lande hielt, klingt noch immer die Dynamik, die Vision, das Charisma, lebendig nach: Ich habe einen Traum… ein Traum von Freiheit und Gerechtigkeit für alle Staaten Amerikas.
Das waren großartige und historische Worte, und von ihnen werden wir noch immer bewegt, heute nach 40 Jahren. Nur, liebe Gemeinde, was sind 40 Jahre heute mit all unseren Möglichkeiten der Aufzeichnung in Wort und Bild und Ton gegenüber 2700 Jahre durch die Geschichte hindurch?

Was ist also so bedeutend gewesen an diesen Worten des Propheten Amos, so dass wir sie heute immer noch hören und verlesen?
Schauen wir genauer hin, dann hören wir eigentlich Selbstverständliches für den Umgang von Menschen miteinander. Amos sagt: Unterdrückt nicht das Recht der Armen, lebt keinen Luxus auf Kosten derer, die nichts haben. Er sagt: Ihr sollt nicht das Recht beugen oder Maße und Gewichte fälschen und schon gar nicht sollt ihr mit Bestechung euren Vorteil suchen.

Und dann sagt er an die gottesdienstliche Gemeinde gewandt: Als Menschen, die an Gott glauben, die zu den Gottesdiensten kommen, die Gott danken, in Liedern loben, die ihm Opfer darbringen, muss das Reden im Gottesdienst zusammenpassen mit dem Handeln im Alltag.
In diesem Zusammenhang fallen die Worte, die wir heute als Predigttext hören: „Ich bin euren Feiertagen gram und mag eure Versammlungen nicht riechen… Tut weg von mir das Geplärr eurer Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören.“
Da macht sich prophetischer Zorn laut. Und in diesem Zorn klingt die Autorität Gottes auf. Der Gottesdienst, die Lieder, die Opfer, so groß sie auch sein mögen, sie sind in den Augen des Amos nur Hülle, nicht Sein. Ihnen fehlt die Verbindlichkeit, die Verbindlichkeit der Menschen, nicht nur im Gottesdienst, sondern auch in ihrem Leben und Handeln, Gott zu achten. Denn was Amos will, das erfahren wir, in dem gleich anschließenden nächsten Satz: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach“.
Recht soll wie ein Bach sein, der die Felder bewässert, dass sie fruchtbar sind und Ernte bringen und Menschen, Tieren zur Grundlage des Lebens werden. Wie ein Strom, der von seiner Quelle bis zu seiner Mündung allen, die an seinen Ufern leben, Segen und Heil bringt, so soll Gerechtigkeit das Leben, den Alltag, die Gesellschaft mit ihren Ordnungen durch strömen, ohne die kein Glück, kein Reichtum, keine Frucht und Lohn der Arbeit möglich wären.
Vielleicht hatte Amos bei diesem Bild den Nilstrom vor Augen. Mit seinen jährlichen Überschwemmungen bewässert er die Felder und schafft in einer ansonsten trockenen Region zu beiden Seiten einen fruchtbaren Streifen grünes Land. Ein ganzes Reich, mehrere großen Dynastien hat der Strom mit seinem Segen hervorgebracht. Vielleicht dachte Amos auch an das fruchtbare Zweistromland zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Die Blüte der Macht jenes Staates dort hatte Amos deutlich vor Augen, als er seine Worte sprach. So, sagt der Prophet, so soll auch das Recht sein unter den Menschen und Gerechtigkeit seine Wirkung im Miteinander zeigen.
Wo das Recht solchermaßen groß geschrieben wird, dürfen die Menschen auch Gottesdienst feiern und ihre Feiertage halten.

Muss uns, liebe Gemeinde, diese eigentlich so selbstverständliche Einsicht immer wieder erinnert werden? Offensichtlich geht der Maßstab unseres Handelns, das Miteinander von Gottes- und Nächstenliebe immer wieder verloren. Und es bedarf dann Menschen, die uns auf diesen unverbrüchlichen Zusammenhang von Glauben und Handeln hinweisen. Ich denke an Dietrich Bonhoeffer, dessen 100. Geburtstags wir vor kurzem gedachten. Als einer der ganz wenigen in Deutschland hat er den Antisemitismus der Nazi-Ideologie mit den Grundlagen der Bibel kritisiert: „Nur wer für die Juden schreit, der darf auch gregorianisch singen“. Beten und Tun des Gerechten gehören zusammen. „’Tu den Mund auf für die Stummen!’(Sprüche 3,18) – wer weiß denn das heute noch in der Kirche, dass dieses die mindeste Forderung der Bibel in solchen Zeiten ist?“, schrieb Bonhoeffer im Jahr 1934.

Die „mindeste Forderung der Bibel“, sie muss wohl offensichtlich immer und immer wieder neu zur Sprache gebracht werden. Vor 2700 Jahren war es die Stunde des Propheten Amos, dessen Auftrag es war, das Missverhältnis zwischen Gotteslob und Rechtsbeugung im täglichen Leben deutlich zu machen. Vor 70 Jahren erhob Bonhoeffer mutig seine Stimme, weil das schreiende Unrecht gegen die Juden jedem erklärten Willen Gottes, der Botschaft seines Evangeliums, entgegen lief.

Und heute, was ist heute unsere Aufgabe als Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft der Heiligen, unserer Kirche?
Es ist unsere Aufgabe, dass wir uns von einem Bewusstsein für Recht und Gottes Gerechtigkeit durchströmen lassen. Dass wir darin den Maßstab unseres Handelns und unseres Betens sehen. Gottes Gerechtigkeit umfasst einen unbedingten Willen zum Guten für einen jeden Menschen, in unserem Land, auf unserer Erde. Mit dieser inneren Ausrichtung werden wir die konkreten Aufgabenfelder schon sehen lernen, werden erkennen, was von uns selbst und von uns als christliche Gemeinschaft gefordert ist.
Wesentlich wird es für das Miteinander in unserem Land und im großen Weltkontext sein, dass wir uns um Verständigung der Religionen bemühen. Der Islam ist vielen von uns eine immer noch fremde, zum Teil unverständliche Religion, und das, obwohl wir die Möglichkeit haben, mehreren Millionen Menschen mit diesem Glauben in unserem Land zu begegnen. Ein anderes Beispiel von Gerechtigkeit muss unser Einsatz dafür sein, dass gute Bildung nicht an die soziale Herkunft gekoppelt sein darf. Wir haben in unserer Kirche die Möglichkeiten, mit unseren Einrichtungen, den Kindergärten, im Religionsunterricht, im Konfirmandenunterricht und dem ständigen Wirken in die Gesellschaft hinein, uns für einen Ausgleich der Bildungschancen einsetzen und uns gleichzeitig persönlich um einzelne Kinder und Jugendliche zu kümmern.

Aus diesen Beispielen, aus den Erfahrungen der Zeugen vor uns, nehmen wir die Wahrheit mit, dass Recht immer wieder erinnert, Gerechtigkeit immer wieder erneuert werden muss. Durch Menschen, die Gott in den Dienst nimmt, die er mit von seiner Botschaft berührt sein lässt. Wir tragen das Zeugnis Jesu weiter, wo wir uns zum Werkzeug seiner Liebe berufen lassen:
im Hören auf sein Wort,
im Sagen der Wahrheit,
im Tun des Friedens.

Amen.


Heiko Naß
Pastor, Referent der Kirchenleitung
und stellv. Pressesprecher der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
hnass.nka@nordelbien.de


(zurück zum Seitenanfang)