Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Septuagesimae, 12. Februar 2006
Predigt zu Jeremia 9,22-23, verfasst von Richard Engelhardt
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"So spricht der Herr:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums!
Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen,
dass er klug sei und mich kenne,
dass ich der Herr bin,
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der Herr."

Liebe Gemeinde!

In diesen Wochen wird es vielen jungen Menschen so gehen wie Jan. Sie bereiten sich darauf vor, dass die Schulzeit endet und sie eine Lehre beginnen können. Jan ist 17 Jahre alt und steht vor dem Realschulabschluß. Tischler möchte er werden und vielleicht einmal einen kleinen Betrieb zum Restaurieren alter Möbel aufbauen. Leider hat er ein kleines Handikap, er leidet unter einer Lese- und Schreibschwäche. Zwar hat er hart an sich gearbeitet, aber es fällt eben doch gelegentlich auf. Dabei ist Jan ein guter Sportler, einige Jahre war er Klassensprecher und seit einem Schulpraktikum geht er regelmäßig in ein Pflegeheim, um denen, die dort leben müssen mit kleinen aber wichtigen Handreichungen Hilfe anzubieten. Er ist ein fröhlicher junger Mann, zugewandt und offen. Ja, und nun hat die Schule ihm und seinen Mitschülerinnen ein Bewerbungstraining angeboten. Zuerst ging es dabei um die äußerlichen Dinge: Was gehört zu einer Bewerbung, wie muss sie in der Form aussehen, welches Foto gehört dazu. Aber dann kam etwas, das ihn zutiefst beunruhigte: Er solle – so sagte der Lehrer – seine Stärken hervorkehren. Er solle von seinen Erfolgen zum Beispiel im Sport, von seinem sozialen Engagement im Pflegeheim, überhaupt von seinen Fähigkeiten und seiner Leistungsbereitschaft berichten. Und das machte ihm große Mühe, denn er konnte und wollte sich nicht selbst rühmen. Aber, so wurde ihm gesagt, das gehöre heute nun einmal dazu, sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Und was sollte er machen. Er musste sich fügen. Er hat sich selbst gelobt, sich selbst gerühmt. Seht, was ich für ein toller Kerl bin. Er brauchte ja die Lehrstelle. Zu einem anderen Preis war sie nicht zu bekommen.

Wenn ich dem Jan jetzt diese Sätze aus dem Werk des Propheten Jeremia mitteilen würde: Ein Weiser rühme sich nicht..., ein Starker rühme sich nicht..., ein Reicher rühme sich nicht.., er würde noch unsicherer sein.

Da taucht die Frage auf: Ist es mit diesem biblischen Text ähnlich wie mit den Worten Jesu in der Bergpredigt, von denen immer wieder behauptet wird, sie seien große Worte, sie beschrieben ein edles Ideal, aber im Alltag, dort wo Konkurrenzkampf herrscht, wo Durchsetzungsvermögen gefragt ist, könne man sie doch nicht „eins zu eins“ umsetzen?

Der Prophet Jeremia hat solche Ablehnung dessen, was er im Auftrag Gottes zu sagen hat, am eigenen Leib erfahren. Für einen Spinner hat man ihn gehalten, für einen Miesmacher. Er wird als ein Verräter verfolgt und manchmal auch wohl für nicht ganz klug gehalten.

Dabei geht es ihm doch um „der Stadt Bestes“ (29, 7). Er sieht die politischen Fehlentscheidungen beim König und seinen Beratern, auch bei den am Hofe zugelassenen beamteten Kollegen. Er sieht den Verfall der Sitten, den Abfall vom Glauben der Väter. Aber der König sieht sich stark und rühmt sich, dank seiner Stärke könne er die babylonischen Feinde abwehren. Seine Berater sehen sich weise und rühmen sich ihrer klugen Entscheidungen. Dagegen sieht der Prophet auch die Folgen für sein Volk, den zwangsläufig kommenden Krieg mit Verwüstungen schlimmster Art und langer Knechtschaft. Er stellt sich im Namen Gottes dagegen.

Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit, diese guten Gaben Gottes, bleiben nach seiner auf Gottes Wort gegründeten Überzeugung auf der Strecke. Aber genau hierum sollte es dem König und denen, die Verantwortung für das Volk tragen, gehen: um Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. Wer diese Gaben Gottes nutzt, wer sich also um den Willen Gottes müht, der darf sich rühmen. Er ist wahrhaft klug zu nennen. Ein prophetisches Wort an einen König!

Nur an einen König? Die Worte de Propheten Jeremia wurden nicht aus historischen Gründen über die Jahrhunderte in Ehren gehalten und weitergetragen. Menschen haben, seitdem diese Sätze in einer ganz bestimmten Zeit unter ganz bestimmten Umständen ausgesprochen wurden, immer wieder aus ihnen auch Gottes Wort für sich gehört, für ihre Zeit und für ihre Lebensbedingungen. Versuchen wir eben dies, die Worte des Propheten für uns zu hören.

Um es vorweg zu sagen: Es geht in dem Prophetenspruch nicht um ein moralisches Urteil über Menschen, die sich selbst loben oder vielleicht auch nur ihre guten Taten ins rechte Licht setzen, indem sie auf ihre Leistungen und Fähigkeiten verweisen. Es geht auch nicht um die kleinen Eitelkeiten, in denen die Freude über gute Leistungen zum Ausdruck kommt. Es geht dem Propheten darum, die guten Gaben Gottes ins Gedächtnis zu rufen: Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf Erden.

Da gab es vor vielen Jahren einen Film „Rosen für den Staatsanwalt“. Erzählt wird die Geschichte eines jener schrecklichen Juristen, die ihre Schuld zu Zeiten des Krieges nicht eingestehen können, sich aber nach 1945 in Amt und Würden wiederfinden. Dieser Mann wird geschildert als einer, der sich als der Herr über Recht und Gesetz fühlt. Seine Klugheit, seine – wie sich zeigen wird – vorgetäuschte Stärke, sein bürgerliches Ansehen machen ihn beim trickreichen Spiel mit Recht und Gerechtigkeit auch unbarmherzig. Er trifft auf einen sogenannten kleinen Mann, der sich mit Mühe und hier und da einer kleinen Gaunerei durchs Leben schlägt. Dieser Mann stand schon einmal vor ihm, damals am Ende des Krieges. Es war ein Kriegsgericht. Er hatte ihn zum Tode verurteilt wegen einer gestohlenen Tafel Schokolade. Aber der Krieg ging schneller zu Ende als das Urteil vollstreckt werden konnte. Der kleine Mann überlebte. Jetzt steht er wieder vor diesem Juristen. Der – inzwischen Staatsanwalt – plädiert ohne Recht und Gesetz zu achten und unbarmherzig gegen den Angeklagten. Und dabei bricht die ganze Fassade zusammen. Er, der geachtete und gefürchtete Jurist steht da als der, der er ist, ein Mensch, der weder Weisheit noch Stärke hat, auch keine Würde und keine Ehrfurcht vor den guten Gaben Gottes, für die er doch einmal von Berufs wegen angetreten ist.

Das ist es: Wer den Herrn, wer Gott nicht kennt und achtet, wer nicht weiss oder wissen will, dass Gott Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf Erden übt, der entwertet selbst alle seine Fähigkeiten und Leistungen für wie großartig er sie auch halten mag, wie sehr er sich ihrer auch rühmt, wie reich er durch sie auch werden mag. Wie gesagt: das hat nichts mit moralischen Urteilen über Eigenlob oder Stolz auf eigene Leistung zu tun. Warum sollte der, der etwas Besonderes vollbracht hat, sich darüber nicht auch freuen? Um die Einordnung geht es. Handle ich, leiste ich nur, um mich ins scheinbar rechte Licht zu setzen und einen Profit für mich zu holen? Gilt mein Handeln ausschließlich meinem eigenen Vorteil ohne Rücksicht auf das Wohl und Wehe der Menschen, die mit mir auf dem Wege sind, vielleicht gar abhängig von mir?

Gottes Wille für diese Welt und die Menschen, seine Geschöpfe, ist es, dass Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit das Leben bestimmen. Das ist die Wahrheit, von der viele Jahrhunderte später der Apostel im 1. Brief an Timotheus schreibt: Gott „will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“. Der Apostel bringt diese Wahrheit mit der Erlösung durch Jesus Christus in einen unauflöslichen Zusammenhang. Von daher gesehen steckt trotz aller prophetischen Mahnung zur Barmherzigkeit, zu Recht und Gerechtigkeit in den Sätzen unseres Predigttextes auch eine gute Nachricht. Weil Jesus Christus zum Inbegriff der göttlichen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit auf Eden wurde, sind wir frei auch vom Zwang zur Selbstrechtfertigung durch unsere eigenen großartigen Leistungen. Wir müssen nicht mehr die Grössten, Klügsten, Reichsten sein, um überhaupt einen Wert zu haben. Weil Gott barmherzig ist, haben wir vor ihm einen unermesslichen Wert. Weil Gott uns durch Jesus Christus erlöst hat vom Zwang zur Selbstrechtfertigung, die im Grunde immer ungerecht ist, können wir in Würde und Freiheit leben. Gott sei Dank.
Amen.

Richard Engelhardt
37083 Göttingen
Lotzestraße 53
Tel.: 0551-3706970
Fax: 0551-3706962


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