Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Spenden Sie dem Förderverein Göttinger Predigten im Internet e.V.
für die Fortführung seiner Arbeit!

3. Sonntag nach Epiphanias, 22. Januar 2006
Predigt zu Lukas 17, 5-10, verfasst von Elof Westergaard
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

„Gib uns einen größeren Glauben!“ bitten die Apostel Jesus. In der alten Übersetzung lauteten die Worte: „Gib uns mehr Glauben!“

Mehr – größeren Glauben.

Diesen Wunsch finden wir auch in unserer Zeit wieder. Wir hören dieselben Worte: Gib uns mehr und größeren Glauben. Ja. Gib mir ein tieferes Fundament. Eine größere Sicherheit in meinem Leben. Etwas, worauf ich mich stützen kann in meinem schwankenden Dasein. Denn mein Leben ist ein ununterbrochenes Erdbeben: Sowohl von innen her als auch durch Erschütterungen von außen.

Glaube und Glaubensfragen stehen im Brennpunkt des Interesses. Glaube ist zu einer positiven Größe geworden. Ich will gerne glauben, aber nicht so sehr, dass ich in finsterem Fundamentalismus ende. Man geht heute davon aus, dass dem Glauben ein positiver Wert zuzuschreiben ist.

Zwar hat jede Zeit ihre Plagen, aber der einzelne Mensch muss heute so viel selbst tragen, während zugleich die Gesellschaft, der er angehört, das Ihre verlangt. Mit anderen Worten und ganz buchstäblich gesagt, es gibt nicht viel, was wir als gegeben hinnehmen dürfen oder wollen.

Der Individualismus ist heute in unserer Gesellschaft sehr stark und beherrschend. Gewiss pflegen wir ihn zu kritisieren, aber er wohnt zugleich in unserem eigenen Herzen und steht hinter so manchen Forderungen, die wir an das Leben stellen. Wir wollen ihn nicht missen. Die Freiheiten und Möglichkeiten, die er uns gibt. Aber zugleich führt dieser starke Drang, sich selbst zu realisieren und sich selbst zu entwickeln, hohe Unkosten mit sich.

Denn er trägt dazu bei, auf gesellschaftlicher Ebene Ansprüche hervorzurufen und Forderungen zu stellen, so dass man unablässig in Bewegung und unterwegs zu sein hat.

Beweglichkeit, Bereitschaft sich umzustellen und zu entwickeln – das sind Eigenschaften, die konstant von uns gefordert sind, – nie können wir uns der Ruhe hingeben, wir müssen immer in Bewegung sein.

Mitten in diesem ununterbrochenen Strom der Bewegung, aus dieser Tiefe, verlangen wir dann doch nach einem festen Halt. Nach einem sicheren Grund unter den Füßen. Vielleicht ist es nur scheinbar so, vielleicht ist es aber auch unser Ernst. Aber die Worte erklingen, sie werden wie ein Anker ausgeworfen, als Versuch, hier ein wenig Sicherheit zu finden: „Gib mir mehr und größeren Glauben!“

Die Schule spiegelt in diesem Zusammenhang die Zeit, in der wir leben, eigentlich ganz gut wider. Hier ist es der neue Trend, dass man den Klassenunterricht hinter sich lässt. Die Kinder sollen – und das haben wir bis zur Bewusstlosigkeit gehört – selbst die Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen – das Klassenzimmer soll, ideal gesehen, verschwinden, und die jungen Menschen sollen sich nur umherbewegen und dabei selbst lernen, Verantwortung zu übernehmen.

Schüler und Eltern sind jetzt Verbraucher, Benutzer der Schule. Die Lehrer sind jetzt die Dienstleister der Schüler. Und die Schulbibliothek verwandelt sich in ein Zentrum für pädagogische Dienstleistungen. Die Intentionen der heutigen Aufmerksamkeit für die Mannigfaltigkeit sind gut. Es geht schließlich darum, den Sinn zu schärfen für die Verschiedenheit von Kindern und für ihre unterschiedliche Art und Weise, sich Stoff anzueignen. Man hat vom einzelnen Kind auszugehen und muss sich klar machen, dass Kinder verschieden sind. Das ist ja alles völlig richtig.

Aber wo ist der Halt? Die Gemeinschaft? Der Ort der Begegnung? Wo kann man die Ruhe finden in einer solchen Idealschule von heute?

Gibt es diese Ruhe wirklich in dem einzelnen Kind, das in diesem Denken vorausgesetzt zu sein scheint? Da ist jedenfalls ein unerhörtes Selbstvertrauen und ein unerhörter Glaube an sich selbst nötig. Wenn das Kind als einziger Ausgangspunkt und Mittelpunkt angesehen wird, dann werden die Kinder eher zu einzelnen Atomen im Bereich der Schule, genau wie das Individuum draußen in der Welt zum einzelnen Atom wird im Verhältnis zu der Gesellschaft, in der es zu leben hat. Einzelne, isolierte Sterne, die selbst und allein in einem ansonsten finsteren Universum Licht schaffen müssen.

In einer solchen Zeit, in der das Individuum den Ehrenplatz einnimmt und wo die Selbstentwicklung des einzelnen Menschen gepflegt und Beweglichkeit von ihm verlangt wird, da ist es wichtig, dass wir jeder für sich selbst Glauben und Vertrauen zu uns selbst haben. Denn wie sonst sollten wir uns in einer so unruhigen Welt anstellen? Die Offenheit des Menschen wird verlangt, und in Verbindung damit ist auch diese neue, wiedergewonnene Wertschätzung des Glaubens zu sehen. Es ist hier wichtig, dass man sich demgegenüber nicht in sich einschließt, sondern dass man der Mannigfaltigkeit der Welt mit großer Sensibilität gegenübertritt, und zwar auch dem gegenüber, was jenseits des Rationalen liegt.

Das macht es dann heutzutage in mehrfacher Hinsicht auch leichter, das Evangelium zu verkünden, denn dem Wunder und dem Mysterium begegnet man nicht nur mit Skepsis und Ungläubigkeit. Ganz im Gegenteil. Es herrscht ein großes Wohlwollen. Denn Glaube ist o.k. Alles ist möglich.

Es ist ja auch ganz sicher gesund zu glauben. Es ist vielleicht sogar eine biologische Notwendigkeit, werden manche meinen, weil Glaube ein besseres Befinden und Ausgeglichenheit vermittelt.

Hierzu allerdings müssen wir Einwände vortragen. Glaube ist nicht nur eine Frage des Selbstvertrauens und Wohlbefindens, sondern Glaube ist Hingabe und Vertrauen auf einen anderen. Und dann ist es auch nicht gleichgültig, woran wir glauben und wogegen wir uns wenden. Es macht einen Unterschied, ob wir an Gott oder an den Teufel glauben.

Es mag ja sein, dass es einem im Glauben besser mit sich selbst geht. Es kann allerdings auch sein, dass der Glaube in dem Masse die weniger ansprechenden Seiten, die man hat, zur Schau stellt und den Menschen als das, was er ist, enthüllt, in all seiner aufgeblasenen Selbstzufriedenheit, so dass wir noch mehr erschüttert werden, als wir es heute bereits auf Grund unserer eigenen und der Forderungen der Gesellschaft an uns sind. Der Glaube ist also nicht nur als ein Mittel aus dem Reformhaus zu betrachten für den umstellungsbereiten Menschen.

Sowohl Gericht als auch Gnade begegnen uns im christlichen Glauben. Enthüllung, Trost und Erbauung des Menschen finden wir hier.

Was den Glauben an Gott betrifft, so ist es wichtig, sich klar zu machen, dass im Glauben eine Hingabe liegt, die über allen Eigennutz hinausragt und die ein Urteil über uns einsetzt, wenn wir einzig und allein uns selbst und das Unsrige in den Mittelpunkt stellen. Eine Gewissheit darüber, dass es ohne Gott nur den Abgrund gibt. Nur Gott vermag eine Brücke über den Abgrund zu bauen.

Das Fundament unter uns ist also weiterhin lose, aber im Glauben wird uns Vertrauen geschenkt, Vertrauen zu der Lebensmacht, dem Schöpfer, Aufrechterhalter und Erlöser, der Gott ist.

Als Gott, wie wir gehört haben, zu dem kinderlosen Abraham kam und zu ihm sagte, dass er eine große Nachkommenschaft bekommen werde, wandte Abraham zuerst verständlicherweise ein, dass er und Sarah ja gar kein Kind bekommen hätten, in seinen Ohren klang Gottes Rede wie göttliches Mundwasser.

Aber da nahm Gott ihn mit sich vor das Zelt, zeigte auf den Himmel und sagte zu Abraham, seine Nachkommenschaft werde wie die Sterne am Himmel sein. Und da heißt es in dem Bericht aus dem 1. Buch Moses, den wir gehört haben: „Abraham glaubte dem Herrn, und Gott rechnete ihm das zur Gerechtigkeit.“

Wie konnten die Sterne Abraham überzeugen? Geschah das auf Grund einer magischen Vision? Einer Verwunderung über Gottes Macht, die er in der Macht der Sterne widergespiegelt sah? Oder war es Gottes Wort und seine Erklärung, indem er auf den Himmel wies, die ihn überzeugten? Das persönliche Gespräch? Wir können die Frage nicht beantworten. Jedenfalls aber setzte Abraham jetzt trotz seiner Einwände sein Los auf Gott.

Abraham stellte sich hier nicht hin und überlegte, ob es denn nun auch gut für ihn wäre, auf Gott zu vertrauen und ihm zu glauben. Ob es ihm besser gehen würde, wenn er glaubte? Ja, möglicherweise hat der Gedanke, Patriarch zu werden, Abrahams Selbstwertgefühl gestärkt. Man kann das nicht einfach bestreiten. Aber es ist im Grunde unwesentlich.

Und wir hören deshalb in dem Bericht bloß, dass Abraham an ihn glaubte, d.h. er beugte sich vor Gott, legte sein Leben und sein Geschick in Gottes Hände. Er vertraute auf Gott. Und indem er so sein Los auf Gott setzte, führte er ein Leben unter dem offenen Horizont, wo er nicht selbst, sondern Gott Herr ist.

Aber wie dann glauben? Denn das ist doch die Frage unter den Fragen der Apostel an Jesus heute: „Gib uns mehr Glauben, größeren Glauben!“

Was antwortet Jesus selbst?

„Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.“

Jesus antwortet hier nicht direkt auf die Frage der Jünger. Aber er lehnt indirekt ihre Rede von mehr oder größerem Glauben ab. Denn wenn ihr nur Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr einen Maulbeerbaum ausreißen können, da braucht man weder mehr noch größeren Glauben. Man kann nämlich im Grunde überhaupt nicht um mehr oder größeren Glauben bitten.

Das mag schwer verständlich sein in einer Welt, wie der unsrigen, wo wir gern alles messen und wiegen möchten.

Außerdem sagt Jesus hier mit seiner Antwort auch, dass Glaube wohl nicht etwas ist, was irgendein Mensch kann. Denn wer besitzt eine solche innere Stärke? Sie besitzt nur Gott allein, der schaffen kann, was er nennt. Sagen wir: „Es werde Licht, reiß dich aus der Erde, Maulbeerbaum,“ dann geschieht es nicht.

Denn mit dem Glauben ist es wie in das Reich Gottes zu gelangen. Wir stehen in einem gewissen Sinne wie der junge reiche Mann da, der Jesus fragte, wie er in das Reich Gottes gelangen könne. Wie für ihn gilt für uns: Wir können im Grund uns selbst und das Unsere nicht loslassen.

Anstatt den Glauben wie eine Leistung und Fähigkeit zu betrachten, – ja wie eine Eigenschaft, die wir in uns selbst hervorbringen sollen –, sollen wir den Glauben als ein Geschenk verstehen – als etwas, das uns gegeben wird, so wie auch die Macht der Liebe zu uns kommt.

Glaube ist sicherlich sich selbst loszulassen, sich zu verlassen und zu vertrauen – aber der Glaube ist vor allem ein Geschenk, das uns geschenkt wird –, wenn uns der begegnet, der uns entgegenkommt und uns so will, wie wir sind.

In der Taufe geschieht das: Du bist mein Kind, sagt Gott in Jesus. Du gehörst zu mir.
Im Abendmahl werden wir darin bekräftigt: du erhältst Anteil in mir, sagt er.

Im Leben begegnet uns der Glaube. Der Glaube, der seine schwankende Brücke über den Abgrund schlägt.

Der Glaube kommt durch die Gnade Gottes. Amen.

Pastor Elof Westergaard
Mariehøj 17
DK-8600 Silkeborg
Tel.: ++45 – 86 80 08 15
E-mail: eve@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


(zurück zum Seitenanfang)