Göttinger Predigten im Internet
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3. Sonntag nach Epiphanias, 22. Januar 2006
Predigt zu 2. Könige 5, 1-19, verfasst von Steffen Hunder
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


An Naemann, den stolzen Feldherrn, der über seinen Schatten sprang

Lieber Naemann,

Du warst ein bedeutender, sehr angesehener Feldherr der Aramäer. Heute wärst du ein Syrer. Du hast auch Israel in Kriegen besiegt. Du warst stark, erfolgreich und besaßt alles, was eine angesehene Persönlichkeit haben muss: einen kleinen Palast, eine Frau, viele Dienstleute, die damit befasst waren, sich um dein Wohl zu kümmern. Dir fehlte es an nichts. Nur eines war nicht perfekt in deinem Leben. Du warst krank; vom Aussatz befallen. Heute nennen wir die Krankheit Lepra. Dein Körper war übel gezeichnet. Du wusstest, über kurz oder lang würde dich diese Krankheit aus der Mitte der Gesellschaft in die Isolation bringen. Das machte dir furchtbare Angst. Nichts und niemand schien dir helfen zu können. Alle in deiner Umgebung spürten, wie sehr du unter dieser schrecklichen Krankheit leidest. Selbst die hebräische Dienstmagd deiner Frau litt mit dir. Sie sagte zu deiner Frau: Ach wäre mein Herr doch bei dem Propheten in Samaria, der könnte ihn von seinem Aussatz befreien.

Obwohl du sie als Kriegsbeute in dein Land verschleppt hattest, freute sie sich nicht darüber, dass du leidest. Im Gegenteil. Sie sah in dir einfach einen Menschen, der Hilfe braucht. Ihr Glaube an den Gott, der sich besonders den Leidenden zuwendet, gab ihr die Kraft, über ihren eigenen Schatten zu springen.

Wie ein Ertrinkender, der sich an einen Strohhalm klammert, nahmst du die Idee deiner Sklavin auf. Du holtest dir von deinem König eine Reiseerlaubnis und ein Empfehlungsschreiben an den König von Israel. An die höchste Stelle wolltest du dich wenden und dort Eindruck machen. Deshalb nahmst du zehn Zentner Silber, sechstausend Goldgulden und zehn feine Festroben mit. Imponieren wolltest du. Zeigen, was du hast. Du glaubtest fest an die Macht des Geldes. Denn nicht nur heute, auch damals galt die allgemeine Devise: Wer zahlen kann, dem wird geholfen. Jeder sollte wissen, wen er hier vor sich hatte. Nicht einen einfachen Bittsteller, sondern einen Mann höchsten Ranges. Der Brief, den du bei dir trugst, sollte dies unterstreichen. Er machte deine Reise zur Staatsaktion.

Doch dein Brief rief eine ganz andere Reaktion als erwartet hervor. Die Aufforderung , dich vom Aussatz zu befreien, wurde für dich nicht wie erhofft zum Türöffner, sondern löste beim König von Israel Bestürzung aus. Er ging in sich und fragte sich: »Wer bin ich, dass ich töten und lebendig machen könnte? Was hat es zu bedeuten, dass man mit solchem Ansinnen an mich herantritt? Das muss eine Provokation sein. Die Aramäer suchen Streit.«

Weder du noch dein König konnten wissen, dass der Prophet, den du suchtest, nicht wie bei euch üblich der verlängerte Arm des Königs von Israel war. Elisa, der Prophet, an den die junge Sklavin gedacht hatte, war in keiner Weise in die Hierarchie des Königs eingebunden. Ganz im Gegenteil: oft genug dürfte er mit seinen Ansagen dem König unbequem und gefährlich geworden sein. Deshalb kam der israelitische König auch gar nicht auf die Idee, sich an diesen Propheten zu wenden. Stattdessen zerriss er seine Kleider und wollte sich und sein Land schon auf den Krieg vorbereiten.

Doch Gott sei dank schien es sich für dich, Naemann, zum Guten zu wenden. Elisa hörte von dieser unglückseligen Entwicklung deines Besuches und ließ dem König mitteilen: Nur keine Aufregung, schick ihn doch zu mir. Sofort machtest du dich voller Hoffnung mit deinem gesamten Gefolge auf den Weg zu Elisas Haus. Aber es kam alles ganz anders als du es erwartet hast. Elisa erschien nicht einmal, um dich zu begrüßen. Stattdessen sandte er nur einen Boten hinaus und ließ dir sagen: Wasche dich siebenmal im Jordan, dann wird dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden.

Das war zuviel für dich Naemann. So hattest du dir das nicht vorgestellt. Wütend schimpftest du: »So eine Unverschämtheit. Noch nicht einmal empfangen hat er mich. Schließlich bin ich nicht irgendwer. Ich will ja auch gar nichts umsonst haben. Er hätte mich doch wenigstens einmal ansehen und mit mir sprechen können. Baden kann ich auch zuhause in unseren Flüssen. Nein, so hat mich noch niemand behandelt.« Zornig und enttäuscht wolltest du die Heimreise antreten.

Dein Bemühen um Heilung schien gescheitert. Jetzt wolltest du hier nicht noch deine Ehre verlieren. So einfach konnte es gar nicht sein mit der Heilung. Bevor du dich lächerlich machst vor dem besiegten Volk, wolltest du lieber abreisen

Doch nun ergriffen deine Diener das Wort. Still ergeben waren sie bis jetzt deinen gesamten Weg mitgegangen. Aber jetzt traten sie vor dich hin. Sie wollten nicht glauben, dass all die Mühen und Strapazen umsonst gewesen sein sollten. Nach dem Motto: Außer Spesen nichts gewesen! Mutig gaben sie dir zu bedenken: Herr, wenn er dir etwas Großes abverlangt hätte, dann würdest du ihm glauben. Aber dem Einfachen traust du nicht. Wag es doch!

Gott sei es gelobt, sie konnten dich überzeugen und du bist über deinen Schatten gesprungen. Du stiegst hinab in den Jordan und tauchtest siebenmal ein. Du und deine Leute, ihr erlebtet staunend, dass das Wunder geschah: Deine Wundgeschwüre verschwanden. Dein ganzer Körper war plötzlich frei vom Aussatz. Reine neue Haut wurde dir geschenkt. Du warst geheilt und fühltest dich wie neugeboren. Dein erster Weg führte dich zu Elisa. Jetzt wusstest du, wem du deine Heilung zu verdanken hast. Voller Freude und Dankbarkeit riefst du aus: »Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen außer in Israel.« Tief in deinem Herzen spürtest du, nicht Elisa verdankst du dein neues Leben, sondern dem Gott Israels. Diesem Gott wolltest du von nun angehören und dein Leben in seinem Sinne führen.

Trotzdem wolltest du dich auch bei Elisa , dem Propheten, erkenntlich zeigen. Großzügig wolltest du ihm kostbare Geschenke überreichen. Aber Elisa nahm die materiellen Güter deiner Dankbarkeit nicht an. Für Elisa, den Propheten stand fest, das, was dir, lieber Naemann widerfahren war, war ein unbezahlbares Geschenk Gottes. Deshalb lehnte Elisa strikt jegliche Bezahlung ab. Ich kann gut verstehen, dass du Naemann nichts schuldig bleiben wolltest. Bisher funktionierte dein Leben nach dem Prinzip: Leistung und Gegenleistung. Das überträgst du natürlich auch auf die Beziehung zu Gott. Du willst nichts schuldig bleiben. Nein! Das wäre unter deiner Würde! Gottes „Leistung“, dich geheilt zu haben, muss mit einer Gegenleistung erwidert werden. Mit Geld und wertvollen Dingen lässt sich alles regeln. Davon bist du zutiefst überzeugt. Diese Erfahrung hast du bisher in deinem Leben gemacht. Aber Elisa bleibt standhaft, er lehnt kategorisch deine “Gegenleistung“ ab.

Das muss ein harter Schlag für dich gewesen sein. Ich kann mir gut vorstellen, was für Gedanken dir durch den Kopf gegangen sind: „Wie kommt dieser kleine Prophet eigentlich dazu, mich so zu beschämen. Mich den großen und angesehenen Feldherrn. Wie steh ich jetzt da?! Mit leeren Händen wie ein kleiner unbedeutender Bittsteller! Was sollen die Leute zu Hause von mir halten, wenn sie sehen, ich bin geheilt, aber ich habe mich nicht dafür erkenntlich gezeigt“. Lieber großer Feldherr Naemann, all diese Gedanken mögen dich umgetrieben haben, als du mit leeren Händen vor Elisa, dem Prophet standest. Aber genau diese überwältigende Erfahrung, sich mit offenen Händen von Gott beschenken zu lassen, war die Lektion, die du zu lernen hattest.

Gott beschenkte dich mit deinem neuen Leben völlig unverdient und nicht verrechenbar, damit du dein Leben als Beschenkter voller Dankbarkeit neu gestaltest. Damit durchbrach Gott die Regeln und Gesetzmäßigkeiten, nach denen dein bisheriges Leben funktionierte. Das anzunehmen und zu akzeptieren fiel dir sehr schwer. Du hättest dich lieber mit ein paar großzügigen Gaben frei gekauft. Doch Gott, lieber Naemann geht mit uns nicht um wie ein Buchhalter, sondern wie ein liebender Vater und eine treu sorgende Mutter. Beide schenken ihren Kindern ihre Liebe und Zuwendung, ohne danach zu fragen, ob sie es ihnen denn in irgendeiner Weise vergelten werden. „ Gott ist wie ein Backofen voller Liebe, an dem wir uns wärmen können“ hat Martin Luther, unser Reformator , einmal gesagt. Und Gottes Liebe können und brauchen wir uns nicht erkaufen, sie wird uns einfach geschenkt. Leider tun auch wir uns oft schwer damit, dies wirklich anzunehmen und auch danach zu leben. Insofern ist das, was du, lieber Naemann, erfahren hast, den meisten von uns sehr vertraut. Die wahre Kunst im Leben ist es, sich beschenken zu lassen , ohne gleich an die Gegenleistung zu denken.

Auch wir, lieber Naemann reagieren auf eine erwiesene Gefälligkeit oft so wie du und sagen: »Das mach ich Ihnen wieder gut.« Wie du fühlen wir uns oft genötigt, lieber etwas Geld zu geben, statt einfach mal etwas anzunehmen und sich dafür von Herzen sich zu bedanken. Wenn es erst üblich wird, immer das kleine Extrageld zu geben oder zu erwarten, ist die Kultur des Füreinander zerstört. Und noch gefährlicher wird es, wenn Spenden und gute Werke als Beweis für eine gute Beziehung zu Gott herhalten sollen.

Nein, von Gott lässt sich nichts erkaufen. Elisas Eindeutigkeit kann uns, lieber Naemann ein gutes und hilfreiches Beispiel sein. Das, was zählt für Gott sind weder unser Geld noch unsere guten Werke, sondern einzig unser Vertrauen, unsere Treue und unsere Dankbarkeit.

Du, lieber Naemann hast das scheinbar begriffen. Denn du fingst an , Regelungen zu treffen, wie du deinen neuen Glauben im Alltag in der alten Heimat leben könntest. Um zweierlei hast du Elisa noch gebeten Erstens: man möge dir zwei Maultierladungen Erde mitgeben. Ich denke, damit wolltest deinem neuen Glauben festen Boden unter die Füße geben. Als eine Art Humus, auf dem dein neues Leben im Glauben an den Gott Israels wachsen blühen und gedeihen kann, sollte diese Erde dienen. Zweitens batest du schon im Vorfeld um Vergebung, wenn du in deinem Dienst beim König mit in den Tempel anderer Götter geht, dass dir dies nicht als Untreue angerechnet werde. Elisa wusste, wie schwer es für dich sein würde in deiner Heimat den Glauben an den Gott Israels zu bewahren Deshalb verzichtete er auch darauf, dir irgendwelche konkreten Handlungsanweisungen mit auf den Weg zu geben. Stattdessen überliess er dir die Verantwortung für dein neues Leben. Elisa vertraute darauf, dass Gott dich auf deinem Weg begleiten, behüten und bewahren wird. Du gingst als reich Beschenkter zurück in deine Heimat, lieber Naemann. Du versprachst, im Dienst dieses Gottes zu bleiben, wohl wissend, dass es nicht immer leicht sein würde, diesen Glauben zu leben. Aber lieber Naemann, in deinem Herzen wusstest du, dass Geschenk der Liebe Gottes ist das Wertvollste, was du mitbringst und was dir nicht mehr genommen werden kann. Darum segnete Elisa dich zum Abschied mit den befreienden Worten: Zieh hin mit Frieden.

Lieber Naemann, deine Lebens-und Glaubensgeschichte ist sehr beeindruckend . Denn du musstest das, was du als deine Stärke ansahst, deinen Reichtum, deinen Einfluss und dein Ansehen erst ganz loslassen und dich mit geöffneten Händen deiner Schwäche stellen, damit du das Geschenk der liebenden Zuwendung Gottes annehmen konntest. Dafür waren deine Umwege wohl nötig. Manchem von uns mag es im Rückblick auf die eigene Lebensgeschichte vielleicht ähnlich ergangen sein. Auch in unseren

Lebensgeschichten waren sicher oft genug Umwege nötig, bevor wir bereit wurden, den Sprung ins Vertrauen zu wagen. Hoffentlich hatten auch wir dann Menschen wie Elisa an unsere Seite, die uns begleitet und uns eindeutig die Liebe Gottes zugesagt haben. Nicht nur dein neu gewonnener Glaube, lieber Naemann, sondern auch unser eigener Glaube erweist sich immer wieder daran, ob die Hoffnung, von der wir selbst leben auch durch uns für andere erkennbar wird. Deine Lebens- und Glaubensgeschichte, lieber Naemann, kann uns dazu ermutigen, dass wir selbst bereit sind, für andere Menschen zu glaubwürdigen Zeugen für das Geschenk der Liebe Gottes auf ihrem Weg werden. Dazu möge Gott uns Augen schenken, die unsere Mitmenschen liebevoll anschauen; Gott möge uns Hände schenken, die sich denen barmherzig zuwenden, die uns brauchen; Gott möge uns ein Herz schenken, das sich voller Vertrauen den Menschen öffnet, die uns begegnen und Gott möge uns eine Stimme schenken, die liebevolle und ermutigende Worte für die findet, die darauf warten.

Amen .

Pfarrer Steffen Hunder, Essen
wessling-hunder@cneweb.de


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