Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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2. Sonntag nach Epiphanias, 15. Januar 2006
Predigt über Johannes 4, 5-26, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Es ist ein ganzes Theaterstück, das sich hier mit dem heutigen Text auftut. Auf der Bühne sehen wir einen Brunnen, gebaut aus groben Granitsteinen, und darüber ein Kran hinab in die Finsternis zur Quelle 32 Meter in der Tiefe. Oben sieht der Brunnen aus wie ein Taufstein aus alter Zeit, aber es ist ein ungewöhnlich tiefer Brunnen mit einem Wasser, das so klar und rein ist, dass jeder Reisende Halt machen muss, um von dem labenden Wasser zu trinken. Das hatte allerdings auch einen anderen Grund, denn die Geschichte des Brunnens ließ sich bis auf die Zeit der Patriarchen zurückführen. Hier, an dieser Stelle, hatte sich Jakob auf seiner Flucht von zu Hause ausgeruht, nachdem er seinen Bruder um das Recht des Erstgeborenen betrogen hatte. Dort sprang eine Quelle; und später baute man diesen Brunnen, der in Wirklichkeit eine große bautechnische Leistung darstellte.

Im Hintergund kann man eine kleine Stadt des Altertums sehen. Die meisten Häuser sind baufällige Lehmhütten, einzelne Häuser sind aus Stein und schließlich eine Synagoge mit einem Turm, der über die übrigen Gebäude des Ortes hinausragt. Um die Stadt ist eine Mauer mit einem Tor gebaut, von da führt der Weg zu dem Brunnen. Dort teilt sich der Weg in vier Richtungen: Der eine Weg führt nach Sichem, ein paar Kilometer weit weg, einer nach Norden an den See Genezareth, einer nach Süden zur Hauptstadt Jerusalem. Sychar, wie die Stadt heißt, hat also eine gute Lage an diesen stark befahrenen Straßen und bei dem berühmten Brunnen. Es ist nicht bloß ein Dorf, sondern eher eine kleine Provinzstadt.

Im Hintergrund erhebt sich ein hoher Berg mit einem prächtigen Tempel auf seinem Gipfel. Man kann kleine dunkle Gestalten sehen, die sich an dem Berg hinauf- und herabbewegen. Es ist der Berg Garizim, der absolut wichtigste Ort in Samaria. Das ist er auch auf Grund von Jakobs nächtlichem Aufenthalt hier. Nach dem Traum von der Leiter, die in den Himmel ragte und auf der die Engel Gottes auf- und niederstiegen und wo Gott der Allmächtige ihm oben vom Licht her seinen Segen zusagte, – nach diesem Traum errichtete Jakob hier einen Altar; und jetzt steht da ein ganzer Tempel.

Dieser Tempel ist der Stolz der Samariter; aber er ist auch das, was die Samariter bei den Juden so verhasst gemacht hat. Die Juden meinen nämlich, Gottes Tempel befinde sich in Jerusalem und nirgendwo sonst. Hier, an dieser Stelle, wurde die Bundeslade aufgestellt, als König Salomo seinen prachtvollen Tempel aus den Zedern des Libanon baute. Und obwohl der Tempel von den Feinden des Landes niedererissen und in einer weniger imponierenden Ausgabe wieder aufgebaut worden ist, ist es doch noch immer der Ort Gottes. Da ist er anzubeten – und nur da.

Das ist der große Streit zwischen Samaritern und Juden. Die Samariter können natürlich nicht auf den Jakobsbrunnen und den Tempel auf dem Berg Garizim verzichten. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Er ist Jahrhunderte alt. Lange vor Salomos Tempel errichtet. Gott bewahre, sie können auch den Tempel wohl akzeptieren; aber von Garizim werden sie nicht lassen. Es ist zu einem verbissenen Hass geworden, gewiss vor allem auf Seiten der Juden. Sie wollen mit den Samaritern nicht einmal im selben Raum sein. Sie verachten sie in jeder Hinsicht und betrachten deren Gottesverehrung mit größtem Misstrauen. Auch wenn es sich im Grunde um ein und denselben Gott handelt, nämlich den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Allein der Tempel in Jerusalem hat Gültigkeit.

Wenn ein Jude von Jerusalem in die Dörfer des nördlichen Galiläa oder in die Handelsstädte am See Genezareth reiste, führte ihn sein Weg durch Samaria. Und oft machten sie dann am Jakobsbrunnen Halt. Das Wasser schmeckte gut; aber auch für die Juden war Jakob eine besonders wichtige Persönlichkeit in ihrer Geschichte. Aber tauchte ein Samariter hier auf, kehrten die Juden ihm den Rücken zu, oder sie gingen eilig weiter.

Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn die samaritische Frau stutzt, als Jesus sie anredet. Und dieses Gespräch verläuft nun so theaterartig. Es ist, wie wenn ihnen die Antworten in den Mund gelegt würden, so dass sie genau das sagen, was sie sagen sollen.

Wie sehen sie aus? Jesus kennen wir von zahllosen Darstellungen, obwohl niemand beschrieben hat, wie er eigentlich aussah. Wir würden ihn alle wiedererkennen, wenn er hier im Ort auftauchte. So auch in dem Theaterstück; das ist nicht so schwer.

Aber die Frau, sie sieht billig aus. Überladen mit Schminke, in farbenreiche Gewänder gekleidet, die uns die schlanke Gestalt darunter ahnen lassen. Wenn sie geht, wiegt sie herausfordernd mit den Hüften. Sie ist jedenfalls kein Mädchen, mit dem anständige Menschen sich einlassen würden. Aber das tut Jesus trotzdem. Obendrein indem er sie bittet, ihm zu trinken zu geben. Sie soll ihm also einen Dienst erweisen, so dass sie einander noch näher kommen. Das ist ganz unerhört.

Die Frau begreift gar nichts. Aber sie ist auch auf gewisse Weise verwandelt in dem Augenblick, da er zu ihr spricht. Sie wird ja wie ein anständiger Mensch behandelt; Jesus bürgt faktisch auf diese Weise für sie. Damit verwandelt sie sich von einem verachteten Menschen in einen respektierten Menschen. Und nun ist der Weg offen für ein fortgesetztes Gespräch der beiden. Jesus beginnt das Geheimnis zu lüften, wer er ist. Nicht zu deutlich natürlich, dann würde es ja kein Schauspiel werden. Ein Umweg ist zu gehen. Und die Kulisse des heidnischen Landes Samaria ist wichtig.

Jesus spricht davon, dass er ihr das lebendige Wasser geben könne, wozu sie darauf hinweisen muss, dass sie weder Eimer noch irgendein anderes Gefäß hat, womit sie Wasser schöpfen könne. Selbst der Stammvater Jakob musste doch Kran und Eimer benutzen, wenn er Wasser für sich selbst und sein Vieh haben wollte. Aber Jesus fährt fort mit seiner Selbstenthüllung, indem er sagt, dass der, der von dem Wasser trinkt, das er ihm geben wird, niemals mehr dürsten wird, denn das sei Wassser des ewigen Lebens.

Jetzt ist die Frau im Ernst interessiert und bittet darum, etwas von dem Wasser zu bekommen, damit sie nicht mehr den Kilometer zum Brunnen mehrfach am Tage zurückzulegen und einen schweren Krug mit Wasser nach Hause zu schleppen braucht. – Da aber nimmt das Gespräch plötzlich eine andere und gefährlichere Richtung. Jetzt ist die Frau an der Reihe, enthüllt zu werden. Scheinbar weiß Jesus alles über sie, wer sie ist und wo sie gelebt hat. Sie ist fünfmal verheiratet gewesen, und der Mann, den sie zur Zeit hat, ist nicht ihr Mann. – Das war gar nicht gut. Sie ist offenbar eine leichtlebige Frau; und sie ist entlarvt, ohne sich direkt selbst verraten zu haben. Natürlich konnte man so einiges aus ihrer Kleidung und ihrer ganzen Erscheinung ablesen; aber die Einzelheiten mit ihren fünf bis sechs Männern, woher mag er das wissen? Sie ist schockiert und beeindruckt; aber zugleich ist sie doch trotz allem mit ihm im Gespräch.

Er muss doch eine Art Prophet sein. So kann sie sich vielleicht alles mit dem Berg Garizim und Jerusalem erklären. Das, was die Ursache dieser blutigen Feindschaft zwischen ihrem eigenen Volk und den Juden gewesen ist, obwohl sie doch eine Art Brudervolk sind. Aber Jesus ist überhaupt nicht daran interessiert, in den Streit hineingezogen zu werden. Der Ort ist überhaupt nicht entscheidend, wenn die Zeit gekommen ist. Dann kommt es vielmehr auf den Glauben an und nicht auf ein Gebäude oder einen Berg. Es geht um Geist und um Wahrheit, die beiden wichtigsten Kennzeichen des Glaubens. – Geist und Wahrheit. Im Geist ist die Verbindung zwischen Gott und Mensch lebendig und gegenwärtig, wo immer es sei. Und da wird sich die Wahrheit durchsetzen, so dass man weiß, wie man im Leben gestellt ist und welchen Weg man zu gehen hat.

Da dämmert es tief unten in der Gottlosigkeit dieser sündigen Frau: Messias, Christus, er, auf den die Samariter und die Juden Jahrhunderte lang gewartet haben, – er ist es, der mit der Wahrheit kommen wird. Er wird allen Streit beilegen und sie den Willen und die Gesinnung Gottes lehren. Das meinen die Samariter wie die Juden.

Da kommt der Höhepunkt des Schauspiels. Jesus ruft aus: Ich bin es, der zu dir spricht. Ich bin dieser Christus! – Der letzte Akt ist im Text von heute nicht enthalten, aber ich kann verraten, dass die Frau in die Stadt ging und von der eigentümlichen Begegnung erzählte, die sie draußen am Jakobsbrunnen hatte; daraufhin strömte das Volk dorthin und hörte Jesus zu; und sie baten ihn, bei ihnen zu bleiben. Er blieb zwei Tage lang bei ihnen, und viele der Samariter kamen zum Glauben.

Dies war einer der ersten Schritte zur Verbreitung des christlichen Glaubens in der Welt. Es begann mit einer leichtlebigen Frau aus Sychar; da kann es denn wohl auch mit Menschen wie uns so gehen. Wir sind ja auch nicht gerade die besten; – jedenfalls nicht, wenn es um den Glauben geht. Es mag sehr wohl sein, dass wir einigermaßen anständig sind, wenn es um Moral geht; aber hinsichtlich des Glaubens haben wir betimmt keinen Grund zum Jubeln. Wenn die Frau am Brunnen benutzt werden konnte, können wir es auch.

Es ist ein sehr aufmunterndes Schauspiel, dem wir beigewohnt haben. Ein Schauspiel, das uns als Mitwirkende einbezogen hat. Ein Schauspiel, das enthüllte, wer Jesus ist und wer wir sind. Ein Schauspiel, das enthüllte, dass die Begegnung mit Jesus folgenschwer ist. Er kann uns alles sagen; und das ist es vielleicht auch, was wir nötig haben: Dass uns alles gesagt wird, damit wir uns nicht länger zu verbergen oder zu verstellen brauchen, sondern frei vor Gott und Menschen auftreten können, denn Jesus hat zu uns gesprochen und damit für uns gebürgt. Amen.

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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