Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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2. Sonntag nach Epiphanias, 15. Januar 2006
Predigt über 1. Korinther 2, 1-10, verfasst von Heinz Behrends
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die Welt ist mit ihrer Weisheit am Ende, liebe Gemeinde.

Der Weisheit der Welt stellt Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth die Weisheit Gottes gegenüber, das Thema meiner Predigt. Hoch aktuell. Wir haben in den Tagen von Weihnachten und Neujahr etliche Ansprachen gehört oder davon gelesen. Der Bundespräsident hat gesprochen, die Bundeskanzlerin, unser Ministerpräsident, die Partei-Vorsitzenden im Wildbad Kreuth und auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart, der Parteivorsitzende, der Ministerpräsident von Brandenburg ist. Sie alle haben Begriffe benutzt, die wir lange Zeit nicht mehr gehört haben: Anständigkeit, Redlichkeit, Ehrlichkeit, Pflicht

Verdächtig finde ich das. Um alte Werte werben sie, wo die praktische Politik immer schwerer, weil komplizierter geworden ist. Ein kritischer Kommentator, Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung hat darüber gesagt: Es ist, als stelle der Koch eine Maggi-Flasche auf den Tisch, weil er seiner Kochkunst nicht traut. Wo die Rezepte versagen, wird an Werte appelliert. Warum sie in den letzten Jahrzehnten wirkungslos geworden sind, wird nicht gefragt.

Die Welt ist mit ihrer Weisheit am Ende.

Ich nenne einige Beispiele von vielen. Da wird seit 30 Jahren gestritten und entschieden, die Kernkraft abzuschaffen, in der Sorge um den tödlichen Müll für Millionen Jahre in unserem Erdboden. Nur das Thema Gorleben zuckt noch zweimal im Jahr. Doch da wird in der Ukraine von den Russen für zwei Tage der Gashahn abgedreht, schon wieder heißt es: Wir brauchen Kernkraft. Angst vor kalten Füssen.

In den 50ern und 60ern hatten wir starke Jahre, Wiederaufbau, Wirtschaftswundern, Bauen. Seit dem Stocken in den 70ern heißt es: Wir müssen den Konsum ankurbeln.

Dafür müssen wir Schulden machen. Dann wird mehr investiert, dann kommt die Wirtschaft wieder in Gang. Aber es kam nicht richtig in Gang. Heute lasten auf mich als Bürger meiner Kleinstadt 2.100 € Schulden pro Person, als Bewohner des Landes Niedersachsen noch mal 2.000 € und als Bundesbürger weitere 10.000 €. Wäre der Staat eine Firma, hätte er schon längst Konkurs angemeldet. Und immer noch brauchen wir neues Geld zum Ankurbeln.

Die Welt ist mit ihrer Weisheit am Ende.

Die Werte haben sich umgekehrt. Da galt mal ehrlicher Lohn für ehrliche Arbeit, Schweiß und Mühe. Heute wird das meiste Geld mit Geld gemacht, Spekulation vom Computertisch aus. Wir kommen darin nicht vor. Aber Spekulanten können an einem Tag alles zum Zusammenbruch bringen, was wir uns erarbeitet haben.

Die Welt ist mit ihrer Weisheit am Ende.

Da wurde ein Sozialsystem aufgebaut, das funktionierte so: Wer heute Geld verdient, gibt davon einen Teil ab, mit dem die Alten über 65 versorgt werden. Es funktioniert nur, wenn die Zahl der Alten nicht höher ist als die Zahl der Kinder. Nun aber werden die Alten immer älter und die Zahl der Kinder nimmt rapide ab. Wir erhöhen das Kindergeld um 20 €. Nichts passiert. Die Lust Kinder zu haben, wird offensichtlich aus anderen Quellen gespeist.

Die Politik ist mit ihrer Weisheit am Ende. Ein System, das seit Bismarck Menschen versorgte, bricht zusammen. Die Politik ist mit ihrer Weisheit am Ende.

Im Weltmaßstab ist das alles noch eklatanter. Wir beseitigen einen Tyrannen und schaffen eine Demokratie im Irak, sagten die Amerikaner, ohne Ahnung von Menschen im Orient zu haben. Chaos und tägliches Sterben seit Jahren ist das Ergebnis. Weisheit am Ende.

Und Israel und Palästina? Viele Versuche für eine Einigung, viel Blutvergießen. Und jetzt: eine Mauer gezogen, damit Terroristen nicht mehr unerkannt rüber kommen. Die von jüdischen Siedlern gewaltsam genommenen Gebiete werden wieder freigegeben. Der dafür steht, Ariel Sharon, liegt mit Schlaganfall handlungsunfähig im Krankenhaus. Kinder im Gaza verteilen jubelnd Flugblätter an Autofahrer, auf denen steht: Stirb, du Mörder. Große Verunsicherung. Die Welt ist mit ihrer Weisheit am Ende.

Was machen wir? Da möchte man sich zurückziehen. „Schmutzige Politik“, will ich nichts mit zu tun haben. Die Festtags-Redner sagen: „Anstand, Pflicht. Gemeinsam sind wir stark. Packen wir es an. Kaufen wir wieder mehr“. Wir winken ab. „Ach ja, die schon wieder.
Es überzeugt uns alles nicht. Die Politik wird doch sowieso nur vom internationalen Geld gemacht. Will ich nichts mit zu tun haben.“
Menschen können ungemein unberührt von aller Politik leben. Und doch sind wir in unserem Leben davon bestimmt.

Eine der großen Parteien hat diese Tage proklamiert: „Mehr Gerechtigkeit durch mehr Freiheit.“ Das Ergebnis wird sein, ohne es zu wollen: Möglichst viele Menschen werden arbeitslos.

Die Verantwortlichen im Land mühen, ermuntern, aber sie bewegen seit Jahren fast nichts. Politik wird zur öffentlichen Darstellung. Die Herrschenden sitzen unerkannt im globalen System. Die Welt ist mit ihrer Weisheit am Ende.

Ich habe euch etwas ganz anderes verkündigt, sagt Paulus in Korinth. Keine hohen Worte, sondern den Gekreuzigten. Ich habe es nicht mit der geschwollenen Brust eines Wahlredners gesagt, sondern mit Furcht und großem Zittern. Ich bin auch nicht rhetorisch ausgebildet. Ich bin ein Stotterer. Ich versuche nicht, euch zu überreden. Gott allein soll wirken durch meine Worte. Euer Glaube soll nicht abhängig werden von meiner Beredsamkeit, sondern vom Heiligen Geist. Denn ich rede von Gottes Weisheit, die von keinem Herrscher dieser Welt erkannt ist.
Er stellt der Weisheit dieser Welt, die mit sich am Ende ist, die Weisheit Gottes gegenüber.

Ich versuche in einigen Punkten, die Weisheit Gottes zu benennen, um dann zu schauen, wie wir den Gegensatz aushalten.

Eine Weisheit Gottes ist: Gott hat dich geschaffen. Jeden Menschen als Geschöpf geschaffen. Jedem Würde und Ehre gegeben. Ob du groß bist oder klein, arm oder reich, krank oder gesund. Niemand darf sie antasten oder in Frage stellen. Sie bleibt unabhängig von der Gunst von Menschen.

Eine zweite Weisheit: Leben hat sich mit Gebrochenheit auseinanderzusetzen. Niemand sitzt heute morgen hier, der glatt durchs Leben gekommen ist. Du lebst von Brüchen. Ordne sie in dein Leben ein.

Eine dritte: Leben ist vorläufig. Nichts ist fertig. Du denkst, du hast es geschafft und eine neue Frage taucht auf. Du meinst, du hast dich etabliert im Glück und es schmerzt im Rücken, im linken Arm. Du bist hoch alarmiert. Ein Lebensgerüst wankt.

Eine vierte folgt aus den dreien: Schwache werden geachtet. Wie viel Solidarität ist auf der Strecke geblieben in Zeiten des Wohlstandes! Göttliche Weisheit orientiert sich an dem, der Hilfe braucht. „Wer ist der Nächste dem, der unter die Räuber gefallen ist?“ fragt Jesus aus der Perspektive des Verletzten.

Eine weitere Weisheit Gottes: Alles ist dir geschenkt, nichts verdankst du dir selbst.
Die Liebe nicht, die Hoffnung nicht. Das Brot hast du nicht selbst gebacken, das Bier nicht gebraut. Operieren, wenn du krank bist, wirst du dich nicht selbst.

Was machen wir mit diesem Gegensatz der Weisheit der Welt zu der Weisheit Gottes?

Paulus gibt im 2. Kapitel seines Briefes an die Gemeinde in Korinth eine Antwort: Beurteilen kann den Gegensatz nur der geistliche Mensch. „Es muss geistlich beurteilt werden,“ sagt er, von Menschen, die den Geist Gottes empfangen haben.

Wie werde ich ein geistlicher Mensch? Durch Gebet, durch Lesen der Bibel, durch Stille. Sich einmal am Tage 2 bis 5 Minuten Zeit lassen für die Losung, für ein Gebet, für eine Stille. Einmal die Woche die Bibel aufschlagen. Sich dem oft fremden Wort Gottes aussetzen. Die vertrauten Worte aufnehmen. „Der Herr ist mein Hirte.“ Dankbarkeit üben. Zeit als geschenkten Raum bewohnen.

Nun ist die Spiritualität ja überall im Kommen. Aber vor allem außerhalb der Kirche. Die Buchhandlungen bieten mehr Literatur über das Heil in der richtigen Ernährung, der besonderen Meditationspraxis an als Bibeln und christliche Literatur. Seminar und Kurse allüberall zu Seelenpflege und Wellness.

Was ist der Unterschied zur christlichen Spiritualität?
Die weltliche beschäftigt sich mit sich selbst, häufig als eine Art Bauchspiegelung. Der geistliche Mensch im Geiste der Bibel lässt sich von außen von einem Wort Gottes ansprechen, in Frage stellen, anstoßen, trösten.

Was machen wir mit dem Gegensatz? Wir sind ja selber nicht entschieden auf einer der beiden Seiten. Die wenigsten von uns heute morgen stehen in politischer Verantwortung. Niemand von uns, denke ich, könnte von sich sagen, er lebe die Weisheit Gottes. Wir sind Teil des Systems.

Wir sind im Geiste Christi nicht von dieser Welt, aber wir leben in dieser Welt. Deshalb: Sich öffnen für das Wort Gottes, Räume zulassen, einen Raum wie diesen Gottesdienstraum heute morgen in seiner ganz eigenen Sprache, mit Menschen, die mir im Geist verwandt sind, bei aller Unterschiedlichkeit.

Verantwortliche stärken, die um ihre Grenzen wissen., weil wir selber unsere Grenzen kennen. Ein Verlust an Lebensqualität befürchte ich nicht. Gottes Weisheit führt in die Dankbarkeit und die Aufmerksamkeit. Mal sehen, was mit der Welt passiert, wenn wir es in aller Gebrochenheit, mit Frucht und Zittern und Geisteskraft zu leben versuchen.

Heinz Behrends
Superintendent
Entenmarkt 2
37154 Northeim
Heinz.Behrends@evlka.de


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