Göttinger Predigten im Internet
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Heiliger Abend, 24. Dezember 2005
Predigt über Jesaja 9, 1-6, verfasst von Gerlinde Feine
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde –

Wenn wir uns die Szene denken, die das Weihnachtsevangelium vor unser inneres Auge stellt – den Stall mit der Krippe, Maria und Josef, die sich über das Neugeborene beugen, die Engel, die Hirten und die vielen Tiere, allen voran Ochs und Esel, Schafe und Hütehunde – dann dürfen auch die Figuren nicht fehlen, die doch eigentlich erst in ein paar Tagen ihren Auftritt haben werden. In unserer Phantasie aber sind sie schon in der heiligen Nacht dabei, die drei Weisen mit ihren Geschenken, ihren Lasttieren und ihrem Gefolge. Sie haben über die Jahrhunderte die Phantasie der Künstler beschäftigt; sie stehen symbolisch für alle Völker, die nicht zu Israel gehören und diesen neugeborenen König dennoch als ihren Herrn und Heiland anerkennen. Viele Legenden ranken sich um ihre Reise; eine davon will ich Ihnen heute abend erzählen; sie spielt auf der Rückreise dieser Fremden in ihre Heimat.

Doch soweit ist es noch nicht; sie sind ja gerade erst angekommen und beugen ihre Knie vor dem göttlichen Kind, auch sie hören den Gesang der himmlischen Heerscharen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“. Sie hören das Wiegenlied der Mutter und das Flötenspiel der Hirten und die ruhigen Atemzüge des schlafenden Knaben. Sie gehören mit dazu in diese Heilige Nacht, sie waren bestimmt dabei, damals in Bethlehem, ohne die Verspätung von 14 Tagen bis zum Epiphaniasfest, die wir ihnen zumuten. Sie werden auf die Geräusche der Tiere gelauscht haben, die in dieser einen, besonderen Nacht untereinander Frieden hielten, und weil es ja weise, gelehrte Männer gewesen sind, werden sie an das Schriftwort gedacht haben, in dem das Friedensreich des Messias als Ort beschrieben wird, wo Wölfe und Lämmer friedlich beieinander wohnen, wo Kühe und Bären miteinander weiden und Löwen zu Vegetariern wurden (Jes 11). Und als der Gesang der Engel verklungen war und auch die Hirten ihre Instrumente beiseite gelegt hatten, da haben vielleicht die drei Sterndeuter selbst das alte Lied aus dem Buch des Propheten Jesaja angestimmt, das uns als Predigttext für den heutigen Abend gesagt ist (Jes 9,1-6):

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, daß er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.

So haben sie gesungen beim Anblick des Kindes, in dem sie die alte Verheißung erfüllt sahen, jetzt endlich, nach mehr als siebenhundert Jahren – jetzt endlich würde Friede sein, jetzt endlich war den Menschen das große Licht aufgegangen, der Stern erschienen, der die Dunkelheit der Welt und der Herzen hell machen konnte. Vorbei der Krieg, vorbei die Angst der Leute, vorbei Not und Gewalt und Rache, vorbei das Oben und Unten zwischen Machthabern und Besiegten, keine Partisanenkämpfe, Selbstmordattentate und Entführungen mehr, keine Erpressung, Schändung und Zerstörung – ein Kind ist geboren, ein kleines, schwaches, hilfloses Wesen, das doch allein durch die Namen, die es führt, Macht hat, die Welt zu verändern! In dieser Nacht konnte man es sehen, als der Himmel offen stand über dem Stall in Bethlehem, hier war der Beweis, daß Gott es ernst meint mit dem, was er den Menschen verspricht; daß das Böse überwunden ist und aus der Welt muß, daß Gott den Menschen heilsam nahe kommt und den Tod in seine Schranken weist. In der Geburt dieses Kindes war endlich der Anfang gemacht, nun musste man nur noch ein Weilchen warten, bis er herangewachsen war, dieser besondere Knabe, der Träger der Verheißung mit den zauberhaften Namen, die mit so viel Hoffnung verknüpft sind: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst – hinter dieser Bestimmung tritt die Herkunft aus königlichem Haus und göttlichem Rat ganz zurück. Was kommen wird, ist wichtiger als das, was gewesen ist: Das Licht ist jetzt in der Welt, und es wird immer größer und heller strahlen über denen, die es erkennen und verbreiten. Die Dunkelheit hat ein Ende: Kommt, lasst uns Gott loben und Dank sagen, kommt, lasst uns das Kind anbeten und es weitersagen: Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte - des Friedens wird kein Ende sein – Gerechtigkeit und Recht werden gelten in Ewigkeit.

So haben die Weisen gesungen zusammen mit den anderen, die mit ihnen um die Krippe herum waren. Doch in der Nacht noch erteilte ihnen ein Engel den Befehl, nicht mehr zu Herodes nach Jerusalem zurückzukehren, sondern auf einem anderen Weg in ihre Heimat zurückzukehren. So machten sie sich auf den Weg, noch ganz erfüllt von dem Gesang der Engel und dem Glanz der Verheißung. Doch da war kein Stern mehr, der ihnen den Weg zeigte – im Gegenteil, es kam ihnen so vor, als würden sie sich immer weiter vom Licht entfernen. Der Stern, der sie hergebracht hatte, der war ja über dem Stall geblieben – und weil sie heimlich reisen mussten, konnten sie sich nicht an die hell erleuchteten Wege halten. Plötzlich befanden sie sich abseits der Straße, die drei Könige mitsamt ihrem Gefolge, mit Pferden und Kamelen (vielleicht auch einem Elefanten, wer weiß). Und keine zwei Stunden weiter – inzwischen war es hell geworden – sahen sie, daß sie sich zwischen Felsen und Schluchten verirrt hatten. Unwegsam war das Gelände, abschüssig und gefährlich für Mensch und Tier. Nun hieß es: Absteigen und Rat halten.

Als die Konferenz der drei Weisen sich immer mehr in die Länge zog, ohne daß sich ein Fortschritt erkennen ließ, drängten sich die Diener heran:

„Ich weiß, wo sich hier ein kleiner Pfad durch die Berge schlängelt“, meinte einer.

Da wurde einer der Könige böse: „Seit wann mischen sich die Knechte ein, ohne gefragt zu werden?“ Und der zweite pflichtete ihm bei: „Wo kämen wir da hin, wenn jeder x-beliebige mitreden wollte? Seit wann weisen denn die Knechte den Weg?“

Da fasste sich der Diener ein Herz und antwortete: „Vor wenigen Stunden noch knieten wir gemeinsam vor dem Kind, jetzt müssen wir uns gemeinsam in die Dingeder Welt hineinknien!“

„Papperlapapp, hier ist nicht mehr die Krippe, hier ist die Wirklichkeit! Und die hat andere Regeln!“ – So wiesen die beiden Könige die Diener zurecht.

Da meldete sich der dritte König zu Wort: „Das ist mir zu seltsam. Unsere Diener haben die ganze Reise über für uns gesorgt, uns beim Essen bedient und in den kalten Nächten das wärmende Feuer in Gang gehalten. Sie tragen unsere Lasten und sorgen für unsere Tiere. Sie sind mit uns auf dem Weg, sie haben mit uns den Stern gesehen und das göttliche Kind begrüßt. Nun, wo wir nicht wissen, wie es weiter gehen soll, da sollten sie nicht mit uns beraten dürfen und nichts zu sagen haben? Das scheint mir nicht recht zu sein.“ Dann zog er den Diener zu sich und fragte: „Sag, kennst du diese Gegend?“

„Ja“, antwortete der, Vor vielen Jahren musste ich schon einmal von hier fliehen. An die Wege, die ich damals von unseren Helfern geführt wurde, kann ich mich noch genau erinnern. Ich bringe uns sicher nach Hause.“

Der dritte König gab das Zeichen zum Aufsitzen: „Geh voraus“, sagte er zu dem Diener, der nun ihr Bergführer werden sollte.“Aber zuvor gib mir noch dein Gepäck; ich habe genügend Platz in den Taschen in denen das Gold lag für das Kind.“

Die beiden anderen Könige protestierten: „Bedenkst du nicht, was du tust? Du stellst die Welt auf den Kopf!“ – „Ist das so, wenn man aufeinander hört und die Lasten gerechter verteilt?“ fragte der zurück und setzte sich in Bewegung. Die anderen folgten ihm. Und während sie sich gemeinsam den Weg durch das steinige Gelände bahnten, kam es ihnen auf einmal so vor, als wäre es noch heller und freundlicher um sie herum geworden, und als hörten sie wieder den Gesang der Engel und das Lied des Propheten: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht - Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.

Liebe Gemeinde –

die Erfahrung, die die Könige und ihre Begleiter auf dem Heimweg gemacht haben in dieser kleinen Erzählung aus einem Weihnachtsbuch, die hat ja einen ernsten und gut nachvollziehbaren Hintergrund. Wir alle lassen uns in diesen Tagen gerne anstecken von der Atmosphäre des Festes, fühlen uns wohl in den geschmückten Stuben, genießen das köstliche Essen, haben Tannenduft in der Nase und glänzende Augen von den liebevoll ausgesuchten Geschenken. Und selbst die Unmusikalischen summen die Lieder der Weihnacht mit, singen „Jauchzet, frohlocket“ zur CD oder „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Und gut tun wir daran, wenn wir uns darauf einlassen, wenn wir mit einstimmen in den Jubel, der damals in Bethlehem zum ersten Mal erklang, wenn wir uns anstecken lassen von der Freude, die im Himmel und auf Erden darüber herrscht, daß Gott Mensch geworden ist. Wenn wir einander Geschenke machen, weil Gott uns seinen Sohn geschenkt hat. Wenn wir unsere Häuser schmücken und mit Freunden und Verwandten ein Fest feiern, so wie man sich freut in der Ernte oder wenn ein Krieg siegreich beendet wurde (das ist gemeint mit der „Freude, wenn die Beute verteilt wird“). Und das Besondere daran ist, daß es diesmal keine Besiegten gibt, daß alle sich freuen dürfen, alle Völker auf der ganzen Erde – es scheint hell über denen, die im Dunkel waren, es gibt kein Oben oder Unten, keineBesiegten, keine Gefangenen, keine Folteropfer, keine Hinterbliebenen…

So singt das Lied, das uns der Prophet Jesaja überliefert hat. Aber wenn das Fest vorbei ist, wenn die Kerzen verlöscht sind und die Musik verklingt, dann sind schnell wieder die alten Verhältnisse hergestellt, das sagt die Erfahrung, und die kleine Geschichte von der Rückreise der Könige, die zeigt, wie das dann geht – wie dann die Herren wieder Herren sind und die Knechte wieder Knechte sein sollen, wie ihnen die Jochstange wieder aufgelegt wird, die doch zerbrochen worden ist, wie das Böse wieder in die Welt hineinsteht und in unser Leben. Manchmal, so wie in den letzten Jahren, da muß man gar nicht erst warten, bis das Fest „offiziell“ vorbei ist: Am 26.12.2003 bebte in Bam im Iran die Erde, am 2. Weihnachtsfeiertag 2004 brachte der große Tsunami vor der Küste Sumatras tausendfach Tod und Elend, und man muß kein Prophet sein, um zu ahnen: auch in diesem Jahr werden wir nicht nur Weihnachtslieder hören, sondern auch den Lärm des Krieges und der Terroranschläge, Angstschreie und Totenklage. Es ist, als kämen unsere Weihnachtslieder einfach nicht dagegen an, und ich kann diejenigen gut verstehen, die sich dem lieber entziehen, die da nicht mitmachen wollen oder gar nicht mehr mittun können, weil das Erlebte sie stumm gemacht hat und immun gegen das, was die Kinder so zauberhaft und geheimnisvoll finden an Weihnachten.

Und doch ist das Licht nun in der Welt, seit 2000 Jahren schon, und will sich immer noch ausbreiten und größer werden und seinen Weg finden in die Dunkelheit unserer Zeit. Es will unsere Herzen erreichen und unser Denken erhellen, so wie in unserer Geschichte dem König ein Licht aufging. Und natürlich haben seine Gefährten Recht gehabt, daß er durch sein Handeln die bestehende Welt und ihre Ordnung auf den Kopf stellte: Genau damit aber entsprach er der Welt Gottes, dem Reich des Friedefürsten, das doch in Bethlehem ausgerufen worden war.

Und auch der Diener hat Recht, wenn er behauptet, daß die, die gemeinsam vor dem Kind gekniet haben, sich gemeinsam in die Dinge der Welt hineinknieen müssen: Wer die Bilder der Verheißung einmal vor Augen hatte, findet sich nicht mehr ab mit der Finsternis der Welt, der will, daß es licht und hell wird für sich und andere – man muß nur einen Anfang wagen, sich aufraffen und etwas dafür tun (und wenn es nur eine kleine Geste ist, ein gutes Wort zur rechten Zeit, ein wenig Geduld oder etwas Nachgiebigkeit).

„Dort, wo das Gold war, da ist nun Platz für deine Last“, sagt der König zu dem Diener, der nun den anderen den Weg zeigen soll. Er hat von seinem Wohlstand etwas abgegeben (als Geschenk für das Kind, so wie jede Spende, jeder Beitrag zur Hilfe für andere und zur Unterstützung der Gemeinschaft zählt – „Vergelt’s Gott!“, sei dafür gesagt, für die Zuwendung an die Erdbebenopfer in Pakistan ebenso wie an die Kleiderkammer der Diakonie oder für das Tübinger Projekt zur Häuslichen Betreuung Schwerkranker oder wo sonst Hilfe gebraucht wird). Nun sieht dieser Weise, wo Not am Mann ist, wo Belastungen gerechter verteilt und Kräfte geschont werden können, und ist sich nicht mehr zu fein, um zu tun, was recht ist. Auch das gehört dazu, wenn Gottes Licht sich ausbreiten will in der Welt mit unserer Hilfe und durch unsere bescheidenen Möglichkeiten.

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. So fängt es an, das Lied, das der Prophet Jesaja uns überliefert hat und das in Bethlehem angestimmt wurde, als es an der Zeit war. Der, der es singt, ist niemand anderes als Gott selbst. Mit beinahe denselben Worten, mit denen er die Welt erschuf und das Licht von der Finsternis schied, bringt er das Böse aus der Welt: Jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter…von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

Gott selbst steht dafür ein, daß es auf Erden nicht bleibt wie es ist, finster und unerlöst. Gott selbst hat es hell werden lassen durch die Geburt eines Kindes, dessen Weg durch die Welt uns den Weg in den Himmel eröffnet. Die Freude und der Jubel darüber werden nie verklingen, so laut und störend wir auch manche Geräusche dieser Zeit empfinden mögen. Denn das Licht ist schon in der Welt und sucht sich seinen Weg, breitet sich aus und wird immer größer – und die darauf vertrauen, die merken mit der Zeit, wie es um sie herum heller und freundlicher wird, und die hören den Gesang der Engel und der Propheten: Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Die Dunkelheit hat ein Ende: Kommt, lasst uns Gott loben und Dank sagen, kommt, lasst uns das Kind anbeten und es weitersagen: Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte - des Friedens wird kein Ende sein – Gerechtigkeit und Recht werden gelten in Ewigkeit. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Amen.

Anmerkung: Unter dem Titel „Auf der Suche – nach einer Legende von Werner Reiser“ ist die von in der Predigt in abgewandelter Form verwendete Geschichte abgedruckt in: „Eine heilige Zeit“. 64 Weihnachtsgeschichten zum Vorlesen in Kindergarten, Schule und Gemeinde, hg. von Willi Hoffsümmer, Freiburg 2005.

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