Göttinger Predigten im Internet
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Heiliger Abend, 24. Dezember 2005
Predigt über Jesaja 9,1-6, verfasst von Wolfgang Vögele
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Geburtstag – Namenstag – Friedenstag

Der Predigttext steht beim Propheten Jesaja (9,1-6): „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf daß seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, daß er's stärke und stütze durch, Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.“

1. Welchen Namen hat das Kind?

Liebe Gemeinde,

Weihnachten ist das Fest einer Geburt. Viele von Ihnen sind Mütter oder Väter, und Sie können sich darum lebhaft vorstellen, mit welcher Spannung, Aufregung und auch mit welchen Schmerzen die Geburt eines kleinen Babys verbunden ist. Aber all das verblasst hinter dem Glück, das ein neugeborenes Kind für die Eltern schafft. Wer solch ein verletzliches, kleines Wesen sieht, den überkommen überschwängliche und überströmende Freude, die nach der Geburt eines neugeborenen Sohnes oder einer Tochter alle miteinander teilen, Freunde, Verwandte und Nachbarn.

Und nach einer Geburt wird neben anderem die Frage nach dem Namen wichtig: Schon werdende Eltern zerbrechen sich den Kopf, welchen Namen ihr Kind einmal tragen soll. Spätestens nach der Geburt müssen sie sich entscheiden. Manche Eltern geben ihren Kindern die Namen von Großmüttern, Großvätern, Tanten und Onkeln. Andere wälzen Namensratgeber, und wieder andere nehmen zu ganz ungewöhnlichen Namen Zuflucht. Die Verwaltungsgerichte haben in ihren letzten Urteilen die Rechte der Eltern gestärkt, die für die ungewöhnlichen Namen ihrer Kinder gekämpft haben. Nur die Namen von Produkten sind nach deutschem Recht ausgeschlossen: Niemand darf sein Kind Nivea oder Ikea nennen, obwohl es offensichtlich Eltern gab, die das im Sinn hatten und deshalb vor Gericht gezogen waren.

2. Thronnamen

Der Prophet Jesaja spricht Jahrhunderte vor Christi Geburt von einem erwarteten Kind. Er macht ganz ungewöhnliche Namensvorschläge: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst. Solche Namen laden das Leben des erhofften Messias und Königs mit Erwartung und Bedeutung auf. Vor den staunenden Augen entfaltet sich die Vision eines friedlichen, mit Wohlstand gesegneten und nachhaltig gelingenden Lebens für alle. Jesaja setzte all seine Hoffnungen auf ein kleines Baby.

Im 8.Jahrhundert vor Christi Geburt war das Königreich Israel, zwischen dem Mittelmeer und dem Fluß Jordan gelegen, politisch eine untergeordnete Macht, der keiner viel Beachtung schenkte. Israel lag im Einflußbereich der Großmacht Assyrien. Dort, nicht in Jerusalem wurde die politische Geschichte diktiert. Der Thron Davids im Königreich Israel war verfallen.

"Uns ist ein Kind geboren", sagt der Prophet. Einige Ausleger meinen, mit dem Kind sei der König Hiskia gemeint, während dessen Regierungszeit die Assyrer Jerusalem erfolglos belagerten. Diesem kommenden Kind gibt Jesaja vier Beinamen. Vielleicht hat er das von den Pharaonen Ägyptens übernommen. Dort war es üblich, bei den Krönungsfeierlichkeiten dem neuen Pharao bestimmte Thronnamen zu verleihen. Diese standen in einer besonderen Beziehung zum Regierungsprogramm des Pharaos und zur ägyptischen Götterwelt.

Jesaja hat all seine Hoffnungen auf ein Kind gesetzt. Darum gibt er ihm besondere Namen. "Ein Sohn ist uns gegeben", sagt der Prophet. Mit Sicherheit hat Jesaja nicht an das Kind in der Krippe ein paar Jahrhunderte später gedacht, als er diese Sätze schrieb.

Aber diejenigen, welche die Worte des Propheten Jesaja sammelten, zusammenstellten, darüber nachdachten und sie auslegten, merkten sehr schnell: Dieser Sohn, der Friedensfürst, der Gott-Held, den uns Jesaja verheißen hat, der ist noch gar nicht gekommen. Wir warten noch auf ihn. Das Kind, das geboren werden soll, es ist das Licht, das auf die Finsternis des Elends folgt. Dieses Kind gehört in besonderer Weise zu Gott. Dieses Kind wird ein neues Reich gründen. Es wird Frieden stiften, das Recht aufrichten und Gerechtigkeit schaffen. Dieses Kind ist noch gar nicht geboren.

3. Wunder-Rat in der Krippe

Christen schreiben Jesajas Namen dem Kind in der Bethlehemer Krippe zu. Der Gott-Held ist ein hilfloses, schreiendes Baby, in Windeln gewickelt. Der Ewig-Vater liegt im trockenen Stroh und muß alle vier Stunden gestillt werden.

Der Friedefürst unterläuft die Erwartungen der Menschen, die auf Glanz, Gloria und Lametta gerichtet sind. Der Wunderrat wird am Kreuz des Leidens enden. Er kämpft nicht als Held mit dem Schwert, er wird als Friedefürst nicht Politiker. Aber er tut zärtliche Wunder. Der Gott, der Mensch wird, erweist sich seiner Namen würdig: in Schwachheit, in barmherziger Gemeinschaft mit den Menschen.

Jesaja hat alle seine Hoffnungen auf ein Kind gesetzt. Von ihm erhoffte er sich Frieden; in ihm sah er den Friedensbringer und Friedensstifter, den Friedensfürsten. In dieser Hoffnung trifft sich Jesaja mit allen Christen an Weihnachten. Auch wir erhoffen uns Frieden auf Erden von einem kleinen Kind, von diesem kleinen Kind, das vor fast zweitausend Jahren geboren wurde. Der Friedensfürst, der Stifter von Gerechtigkeit und Recht - er ist zu Anfang seines Lebens ein hilfsbedürftiger, schutzloser Säugling wie alle kleinen Kinder. Keiner sieht ihm an, daß es der Heiland ist.

Auch die Hirten werden erst durch den Engel darauf aufmerksam gemacht: "Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids." So sagt es der Engel zu den Hirten. Das Kind in der Krippe ist der Heiland. Von diesem kleinen Kind geht Frieden aus und Freude und Liebe. Sein Anblick weckt keine Angst, keine Befürchtungen, keine Drohungen. Dieses kleine Kind - in ihm verdichten sich alle Hoffnungen der Menschen auf Erden. In ihm wird auch die Vision des Jesaja Wirklichkeit. Seit dieses Kind geboren wurde, haben all unsere Hoffnungen auf Frieden, Gerechtigkeit und Recht in ihm ihren konkreten Anhaltspunkt. Auf dieses Kind kann sich jeder vor Gott berufen. Mit ihm beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Seit dieses Kind in der Krippe lag, können wir sicher sein, daß einmal Friede und Gerechtigkeit herrschen werden. Der Wunder-Rat liegt in der Krippe.

4. Kinder sind Zukunft

Auch die Politik hat neuerdings die Kinder entdeckt. Sie hat bemerkt, dass die Bevölkerungsentwicklung nicht vernachlässigt werden darf. In ihren Kindern liegen die Zukunftschancen einer jeden Gesellschaft. Und die Kirchen täten gut daran, jedes noch so zarte Pflänzchen kinderfreundlicher Politik zu fördern und unterstützend zu begleiten. Kinder sind wertvoll, gleich welchen Namen sie tragen.

Jesaja hat all seine Hoffnungen auf ein Kind gesetzt. Mit Kindern haben sich immer in besonderer Weise Hoffnungen verbunden. Soziologen und Psychologen beobachten in letzter Zeit eine neue Sehnsucht nach Kindern. Was drückt sich darin aus? Vielleicht neuer Mut, vielleicht neue Hoffnung in einer nachegoistischen Gesellschaft? Man weiß das nicht genau, die Demoskopen geben hier keine sichere Auskunft über die Motive von Eltern, ein Kind zu zeugen und groß zu ziehen.

Sicher ist: Eltern sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder; Eltern wünschen sich, daß es ihren Kindern einmal besser geht als ihnen selbst. Aber sie finden sich dabei in einem tiefen Zwiespalt, in dem Zwiespalt zwischen der angestrebten Kinderfreundlichkeit und der tatsächlichen Kinderfeindlichkeit, die in dieser Gesellschaft leider herrscht. Trotzdem gehört es - hoffentlich - zu den Hauptsorgen der Erwachsenen, den Kindern eine Welt zu hinterlassen, die lebenswert ist: eine Welt, in der die Natur sich im Gleichgewicht befindet; eine Welt, in der Ressourcen und Rohstoffe noch nicht verbraucht sind; eine Welt, in der nicht Krieg und Bürgerkrieg vorherrschen; eine Welt, die politisch stabil ist. Kurz: Die Erwachsenen, die Eltern wollen für ihre nachkommenden Kinder einen Frieden schaffen, in dem sie leben und in dem sie sich entfalten können.

Bei Jesaja ist es genau umgekehrt: Bei ihm schaffen nicht die Erwachsenen Frieden für die Kinder, sondern das Kind bringt den Frieden für die Erwachsenen, für die Eltern, für die Altgewordenen .

5. Kindliche Hoffnung auf Frieden

Mit diesem Kind, dem Ewig-Vater verbinden sich hoffnungsvolle Erwartungen, die weit über die Zukunft der Gesellschaft und die Verwirklichung vernünftiger Politik hinausreichen. Gott wird Mensch, uns Menschen zugute. Sein Name lautet: Jesus – Gott heilt. Ein sprechender, barmherziger Name.

Jesaja hat alle seine Hoffnungen auf ein Kind gesetzt. Das kleine Kind in der Krippe, es wird all unsere Hoffnungen auf Frieden erfüllen. Wir sehen in ihm das erstaunlichste Zeichen, das Gott jemals den Menschen gegeben hat. Seit dieses Kind in der Krippe lag, dürfen wir darauf vertrauen, daß zuletzt Friede, Gerechtigkeit und Liebe über Krieg, Unrecht und Haß die Oberhand behalten werden. Daß wir das können, verdanken wir dem kleinen Kind, dem Friedensstifter in der Krippe.

Und der kinderfreundliche Friede Gottes, welcher stärker ist als alle politischen Mächte, Gewalten und Hoheiten, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

PD Dr. Wolfgang Vögele
Goldaper Str.29
12249 Berlin
Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de


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