Göttinger Predigten im Internet
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Heiliger Abend, 24. Dezember 2005
Predigt über Jesaja 9,1-6, verfasst von Christian-Erdmann Schott
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde! Die ältesten christlichen Weihnachtslieder, von Engeln und von Menschen angestimmt, finden sich im Neuen Testament. Seitdem sind in jedem Jahrhundert, ja in jeder Generation weitere, neue dazugekommen. Das Weihnachtsfest scheint unausschöpflich. Es gibt aber auch Weihnachtslieder, die noch älter sind. Sie finden sich schon im Alten Testament, vorchristlich-prophetische Hymnen.

Heute haben wir als Predigttext solch ein Lied, entstanden um 730 vor Weihnachten in einer Zeit, in der das Volk Israel bedroht und bedrückt war durch die Assyrer. Es sehnte sich nach einem Retter aus dem Hause Davids, der von Gott gesandt und von Geburt an mit besonderen, wunderbaren, Heil und Frieden schaffenden Kräften ausgestattet ist. Als Jesus Christus geboren wurde, haben sich die Christen an diesen durch die Geschichte noch längst nicht eingelösten Hymnus erinnert und gesagt: Der Sohn Marias und Josephs, der in Bethlehem als Nachkomme Davids im Zeitalter des Augustus geboren wurde, ist das Kind, von das der Prophet Jesaja gewartet hat. Hier finden Hoffnung und Sehnsucht dieses Liedes ihre Erfüllung.

Auf diese Weise hat dieser Hymnus seinen Platz unter den christlichen Weihnachtsliedern gefunden, bis heute. Ich lese:

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht; und über die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell.
Du machst des Volkes viel; du machst groß seine Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
Denn du hast das Joch ihrer Last und die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie zur Zeit Midians.
Denn alle Rüstung derer, die sich mit Ungestüm rüsten, und die blutigen Kleider werden verbrannt und mit Feuer verzehrt werden.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt, Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst;
auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und in seinem Königreich, dass er`s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.
Drei Strophen möchte ich besonders herausgreifen:

I. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht eingroßes Licht; und über die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell“.

Die Finsternis, von der hier die Rede ist, können wir wohl am besten mit Orientierungslosigkeit übersetzen. Viele Menschen unserer Zeit kommen sich vor wie Leute, die im Dunkeln umhertappen, weil sie nicht wissen, was sie eigentlich wollen, was wirklich wichtig ist, worauf es ankommt, für uns persönlich, wie für unsere Gesellschaft. Die Folge ist, dass wir von Ratgebern und Nothelfern umgeben sind, die vorgeben, den Weg zu wissen, tatsächlich aber nur Enttäuschung produzieren. Wem kann man heute noch glauben?

Daraus wieder folgen Unsicherheit, Mutlosigkeit, Zukunftsangst, häufig verbunden mit sehr realen, absolut Besorgnis erregenden Trends wie Arbeitsplatzvernichtung, Ressourcenverknappung, demographische Entwicklung.

Diesen verunsichert umhertappenden Menschen nun scheint das Licht der Weihnacht. Es erhellt die Szene, indem es eine ganz alte und im Grunde auch ganz einfache Wahrheit wieder zum Leuchten bringt – die Erinnerung an Gott. Über allem Fortschritt, allen Problemen, Freuden und Sorgen des Lebens hatten wir diese Wahrheit verloren. Wir haben Gott schlichtweg vergessen. Er kommt in unserem Denken und Reden fast nicht mehr vor. Es ist, als wäre er gestorben. Aber gerade darum wissen wir auch nicht mehr, was oben und unten, was wichtig und unwichtig ist. Wir haben den Bezugspunkt unserer Existenz aus den Augen verloren und darum sind wir unsicher, letztlich auch unfroh und fühlen uns ständig überfordert. Das meint Orientierungslosigkeit.

Das Licht, von dem der Prophet spricht, ist die Wahrheit, dass Gott seinerseits uns nicht vergessen und aufgegeben hat. ER hat uns immer im Blick behalten – und das lässt er uns an Weihnachten in der Botschaft des Engels mitten in der Nacht verkündigen. Es ist sehr wichtig und Bestandteil der weihnachtlichen Wahrheit, dass es Gott selber ist, der diese Botschaft durch seine Boten verkündigen lässt. Sie ist nicht aus uns, so, als wäre die Menschheit in sich gegangen, hätte sich auf ihren Ursprung besonnen und nun den Weg zu Gott gesucht. Nein, die Bewegung ist eindeutig und einseitig von Gott zu uns. Es ist eine Bewegung der Gnade und der Freundlichkeit Gottes, mit der er uns wissen lässt, dass er uns immer nahe geblieben ist – und uns auch in Zukunft nahe bleiben will und wird.

Damit ist das von der Schöpfung an beabsichtigte gesunde Verhältnis zwischen Gott und uns klar gestellt, verkündet, aber noch lange nicht Wirklichkeit. Von Gott aus ist es Wirklichkeit, aber wir haben noch einiges zu tun, um das Erste Gebot „Ich bin der Herr, dein Gott“ in unserem Leben nun auch umzusetzen. Dabei kann uns die Botschaft der II. Strophe helfen:

II. „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst“.

In diesen Worten steckt die ganze Dramatik der Umsetzung, die in dem Augenblick auftritt, wo wir Gott ernst nehmen und uns an ihn gebunden wissen. Denn mit Weihnachten hat sich die Welt in ihren eingespielten Abläufen nicht verändert. Das zeigen bereits die Geschichten in den Evangelien, die auf die Weihnachtsgeschichte folgen. Kaum ist das Kind Jesus Christus da, trachtet ihm Herodes nach dem Leben. Ja, schon vor seiner Geburt war für diesen Sohn kein Platz in der Welt. Diese Momente zeigen schlaglichtartig, dass die Welt vor und nach Weihnachten die gleiche geblieben ist.

Und doch hat Weihnachten etwas verändert: Die Wahrheit ist bekannt gemacht worden, dass Gott uns nahe ist und bleibt. Ja, dass er die, die sich auf ihn einlassen und verlassen und den Glauben an ihn in ihrem Leben umsetzen, nicht verlässt, ihnen vielmehr beisteht und Stärke gibt. Diese Wahrheit drücken die etwas fremdartigen Titel aus, die dem Kind beigelegt werden. Sie besagen: Obwohl der Sohn nur ein Kind ist, obwohl er schwach ist, wird er mit Gottes Hilfe und Unterstützung doch „Wunderbar, Rat, Kraft, Held…. „ sein – als von Gott gesandter Retter wird er andere aufrichten und stärken. Er wird sich als Weg, Wahrheit, Leben erweisen. Er wird die so nötige Orientierung geben.

Wenn wir es mit unseren Worten sagen müssten, dann könnten wir sagen: Er wird ein Mutmacher sein für alle, die ihm nachfolgen; ein Leitbild, ein Vordenker, Kraftspender, Tröster, Helfer, indem er auf den zurückverweist, der ihn zu uns gesandt hat: Gott. .

Das zeigt: Die Botschaft von Weihnachten ist nicht eine abstrakte Verbundenheitserklärung Gottes, die irgendwelchen Kleinviehzüchtern im römischen Palästina zuteil geworden ist. Diese Botschaft ist an das Kind gebunden, an den Sohn Jesus Christus, der Weihnachten geboren wurde, damit wir in ihm den haben, der uns die Umsetzung des Glaubens vorlebt – bis ins Scheitern hinein und doch siegend.

In Anlehnung an ein Bild, das Jesus Christus selbst gebraucht hat, können wir auch sagen: Weihnachten ist der Tag der Geburt des Ersten Sohnes Gottes, der gekommen ist, um uns, die anderen Söhne und Töchter Gottes, an die Hand zu nehmen und zu begleiten auf dem Weg mit dem Vater durch diese Welt; auf dem Weg, der am Ende einmündet in das Haus, in dem uns der Vater selbst erwartet.

Darum sollten wir uns vor der Größe und Härte der Ablehnung, die Gott auch heute entgegenschlagen, nicht beeindrucken lassen. Wir brauchen uns andererseits auch von der Armseligkeit und Kleinheit Gottes in der Welt nicht Angst machen zu lassen. Halten wir es vielmehr wie die Hirten, wie die Weisen aus dem Morgenland oder wie der alte Simeon und die Prophetin Hanna oder Johannes der Täufer und viele andere und lassen wir uns auf dieses Kind ein, geben wir ihm, seinem Wort, geben wir Gott Raum in unserem Herzen und wir werden erfahren, wie dieser äußerlich schwache Gott uns stark macht, weil unser Leben in ein klares Koordinatenfeld eingefügt ist.

Dann wissen wir aus dem Glauben heraus, was oben und unten, was recht und nicht recht ist, was uns gut tut und was nicht. Wir werden im Licht leben und in der Ordnung des Glaubens Geborgenheit, Heimat, Zugehörigkeit, Freude, Dankbarkeit spüren. Wir kommen mit uns selbst ins Reine, kommen bei uns selbst an, wenn wir mit Gott im Frieden und im Reinen leben. Das ist Weihnachten. Wenn Gott zu mir kommt – werde ich gesund, werde ich Mensch.

III. „Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth“.

Der Hymnus des Propheten weist zugleich über Weihnachten hinaus. Gerade weil Gott Gott ist, Schöpfer Himmels und der Erden, Herr allen Lebens und aller Menschen, kann er sich mit der fortdauernden Ablehnung seines Anspruches „Ich bin der Herr“ durch weite Teile der Menschheit nicht abfinden. Er muss und er wird über Weihnachten hinaus auf die volle Erleuchtung der Menschheit, auf die Erlösung in Herrlichkeit hinarbeiten. Das ist „Der Eifer des Herrn Zebaoth“. Weihnachten ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass der Eifer des Herrn ungebrochen ist.

Wir wollen ja gar nicht leugnen, dass es Stunden gibt, in denen wir befürchten, dass das Böse, die Sinnlosigkeit oder die Dummheit überhand nehmen und nicht mehr in Schach zu halten sind. Gerade dann ist es ein Trost und eine große Hoffnung für die Christen, zuletzt aber für die Menschheit insgesamt, dass es den Eifer Gottes gibt.

Es wäre ja immerhin denkbar, dass Gott aufgibt und sich eine neue Menschheit erschafft. Weihnachten zeigt, er gibt nicht auf. Ja, er fängt neu an und will uns ermuntern, auch unsererseits nicht aufzugeben und mit ihm den Kampf des Glaubens zu kämpfen. Es ist aber ein großer Unterschied, wie wir antreten: Wenn wir meinen, nur auf uns gestellt, allein gegen das Böse kämpfen zu müssen, werden wir nicht weit kommen. Seit Weihnachten haben wir Rückenwind durch Gott. Und wo Gott ist, ist zuletzt der Sieg.

Darum sind wir trotz aller Finsternis dankbar Mit den Engeln und mit den Hirten und allen Menschen können wir uns freuen und Weihnachten feiern und unsere schönen alten Lieder singen: Denn: „Christ, der Retter ist da!“ Darum „Freue, freue dich, o Christenheit!“ Amen.

Dr. Christian-Erdmann Schott
Pfarrer em.
Elsa-Brändström-Str. 21
55124 Mainz
ce.schott@surfeu.de

 


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