Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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4. Sonntag im Advent, 18. Dezember 2005
Predigt über 2. Korinther 1, 18-22, verfasst von Christoph Dinkel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.

Liebe Gemeinde!

(1) Irritationen kommen schon einmal vor, auch zwischen Freunden. Irritationen sind unangenehm, sie erschüttern das Vertrauen in den anderen. „Habe ich mich in ihm so getäuscht?“, fragt man sich, wenn eine Verabredung nicht eingehalten, ein gegebenes Wort nicht eingelöst wurde. Manche Irritationen lassen sich leicht aus der Welt räumen: „Ach so war das, na klar, kein Problem!“ Andere Irritationen wiegen schon schwerer. Man muss sich erklären, gute Gründe nennen und darauf setzen, dass die andere Seite Verständnis aufbringt für Unkalkulierbares und Überraschendes. Wirklich heikel wird die Sache, wenn Irritationen über die unmittelbare Beziehungsstörung hinaus zu ganz grundsätzlichen Infragestellungen führen. Dem Apostel Paulus ist es so mit der Gemeinde in Korinth gegangen, die er einst gegründet und der er einen baldigen Besuch versprochen hatte. Doch irgendetwas ging schief. Der Besuch erfolgte nicht zur angegebenen Zeit. Paulus musste seine Pläne ändern und die Korinther wurden misstrauisch. Pech für Paulus und die Korinther, Glück für uns. Denn Paulus erfährt vom Misstrauen der Korinther und fühlt sich zu jener grundsätzlichen Feststellung herausgefordert, die wir gehört haben: Jesus Christus ist das „Ja“ Gottes zu seinen Verheißungen. Dieses „Ja“ gilt auch dann, wenn die Boten Christi, in unserem Fall der Apostel Paulus, durch ihr Verhalten Anlass zu Irritationen geben. Bürge für das „Ja“ Gottes sind mithin in erster Linie nicht jene, die damals und heute als Verkündiger des Wortes Gottes auftreten. Vielmehr ist Christus der Bürge und Zeuge für Gottes „Ja“ zu den Menschen und zu seinen Verheißungen.

(2) Das ist für einen wie mich, dessen Beruf und Auftrag die Verkündigung des Wortes Gottes ist, erst einmal eine beruhigende Botschaft: ich selbst muss nicht für die Wahrheit von Gottes Verheißungen einstehen. Ich habe zwar von ihnen zu reden, meine Aufgabe ist es, Gottes Verheißungen verständlich, nachvollziehbar und gewiss auch ansprechend zu entfalten, aber Garant dieser Wahrheit kann und muss ich nicht sein. Garant dieser Wahrheit ist Christus und damit Gott selbst. Beruhigend ist die Feststellung auch im Blick darauf, dass es auch heute im Verhältnis eines Pfarrers und seiner Gemeinde zu Irritationen kommen kann. Bei aller Mühe, die man sich in seinem Beruf gibt, bei allem Pflichtgefühl und aller Identifikation mit der Sache: manchmal hat man einfach schlecht geschlafen oder ist mies gelaunt und dann bleiben Irritationen eben nicht aus, auch unter Freunden, auch mit Mitarbeitern, auch im Verhältnis zu einzelnen Mitgliedern der Kirchengemeinde. In der Regel und zum Glück, lassen sich die meisten dieser Irritationen leicht wieder aus der Welt schaffen.

Aber nicht immer gelingt das. Immer wieder einmal erzählt einem jemand, dass er einst vor zwanzig Jahren aus Zorn über das Verhalten dieses oder jenes Pfarrers aus der Kirche ausgetreten sei. Die Irritation durch den Boten Christi hat die ganze Sache in Misskredit gebracht: „Wenn der sich so verhält, dann kann es mit der Kirche und mit Gott nicht weit her sein“, so hört man dann sagen. Und ich vermute, dass auch angesichts all der Sparbeschlüsse, die unsere Landessynode in diesen Tagen gefällt hat, manche nicht nur an der Kirche, sondern auch an der Sache der Kirche, an Christus und an Gott zu zweifeln beginnen. „Wie kann man so mit motivierten Mitarbeitern, wie kann man so mit dem theologischen Nachwuchs, wie kann man so mit dem Vertrauen der Menschen umgehen?“ fragen sich manche. Sparbeschlüsse untergraben die Glaubwürdigkeit speziell jener Institutionen, die sich selbst einem hohen sozialen Ethos verpflichtet fühlen. Das ändert im Übrigen nichts an der Unumgänglichkeit solcher Sparbeschlüsse.

(3) Weit gravierender sind jene Irritationen, die derzeit durch den Vatikan ausgelöst werden. Jüngstes Beispiel ist die menschenverachtende Erklärung des Vatikans zur Frage von Homosexuellen im Priesterdienst. Auch solche Verlautbarungen sollte die Glaubwürdigkeit der Sache Christi nicht beeinträchtigen, das bleibt festzuhalten. Aber schon Martin Luther hat das Papsttum als eine schwere Prüfung der Kirche beschrieben. Vieles und Grundlegendes hat sich seitdem an der römischen Kirche gebessert. Aber wer nach all dem, was die Wissenschaft dazu heute weiß, praktizierte Homosexualität noch als Sünde bezeichnet, der liegt doch ziemlich weit neben der Sache.

Es ist klar, dass das die römische Kirche anders sieht. Aus römischer Sicht, Kardinal Kasper, der Oberökumeniker des Vatikans, hat dies unlängst noch einmal in Bochum erklärt, verfällt der Protestantismus immer mehr dem Zeitgeist. Ökumene sei deshalb so schwer geworden, weil sich die Protestanten immer mehr von der christlichen Wahrheit abwenden.

Was Kasper mit Zeitgeist andeutet, heißt im Klartext: Weil die evangelische Kirche Homosexuelle als Pfarrerinnen und Pfarrer akzeptiert, weil sie Frauen zu Pfarrerinnen und zu Bischöfinnen macht, weil sie den Zwangszölibat ablehnt, weil sie Empfängnisverhütung zulässt und in Sachen Abtreibung dem fundamentalistischen Weg Roms partout nicht folgen will, deshalb kommt die römische Kirche mit uns in Sachen Ökumene nicht weiter. Fortschritte sind nur dann möglich, wenn wir Protestanten von diesen Irrtümern ablassen, so die römische Sicht. Aber da sei Gott vor!

Rom, das muss man anerkennen, hat, jedenfalls global betrachtet, die größeren Zahlen auf seiner Seite: gut eine Milliarde Christen betrachten den Papst als ihren obersten Hirten, auch wenn sie ihm längst nicht in allem zustimmen. Rom, auch das muss man anerkennen, liefert unserer Medienlandschaft derzeit die besseren Auftritte. Unsere Kirche inszeniert sich schlichter. Protestanten gibt es deutlich weniger als Katholiken, Lutheraner wie uns nur gut 65 Millionen. Aber in Sachen der Wahrheit und in Sachen des Gewissen sind die Mehrheit und die Pracht der Inszenierung kein Argument. Im Übrigen, und darum ging es ja in der Hauptsache, wird Gottes „Ja“ auch durch noch so verquere Schriftstücke aus Rom nicht in Frage gestellt.

Und wenn Sie hier wiederum mit meinen Äußerungen nicht einverstanden sind, dann empfehle ich auch Ihnen: Halten Sie sich an Christus. Er ist der Maßstab, nicht ich!

(4) In Christus, das ist der zentrale Satz des Apostels, spricht Gott ein ganz unzweideutiges „Ja“ zu den Menschen. Christus ist das „Ja“ Gottes zu seinen Verheißungen. Auch dieses „Ja“ Gottes scheint nötig gewesen zu sein. Auch im Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist es zu Irritationen gekommen, kommt es wohl immer wieder zu Irritationen. Das Alte Testament berichtet uns von mancher Verheißung an das Volk Israel, von mancher Verheißung an die Menschen insgesamt. Wie steht es um diese Verheißungen, wenn es in der Welt weiter Hunger und Elend und Leid gibt? Sind Gottes Verheißungen wirklich wahr? Wie bringen wir das zusammen: Gottes Liebe und all das, was in dieser Welt verkehrt und falsch läuft. Nicht nur der Apostel, nicht nur die Boten Gottes, die damals und die heute, erscheinen manchmal zweifelhaft. Auch Gott selbst muss mit dem Zweifel der Menschen leben. Irritationen kommen schon einmal vor, auch zwischen Freunden, auch zwischen Schöpfer und Geschöpf. Und ganz offensichtlich hat Gott, wenn wir einmal so menschlich von ihm reden dürfen, ganz offensichtlich hat Gott diese Irritation zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht leicht genommen. Als Antwort auf die Irritation der Menschen über den Zustand der Welt in Relation zu Gottes Verheißungen ist Gott Mensch geworden, hat er seinen Sohn gesandt, hat er in Christus ein „Ja“ gesprochen, das alle Zweifel und alle Zweideutigkeit beseitigt. „Ja, ich, Gott, liebe die Menschen, Ja, ich, Gott, wende mich ihnen zu und bin ihnen nahe. Ja, ich stehe dafür ein, dass die Leidtragenden getröstet werden, dass die Sanftmütigen das Erdreich besitzen und die Barmherzigen Barmherzigkeit erlangen. Ja, ich stehe dafür ein, dass die Friedfertigen Gottes Kinder heißen und selig sind. Ja, ich bin der gute Hirte, der das Verlorene sucht und der keinen aufgibt, wie sehr er auch in die Irre gegangen ist.“ In einem Gleichnis erzählt Jesus selbst von diesem bedingungslosen „Ja“ Gottes zu den Menschen:

Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er „eins“ von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über „einen“ Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. (Lukas 15,4-7).

In Gleichnissen wie diesem hat Jesus Gottes „Ja“ den Menschen verkündet. Gott gibt keinen verloren. Gott sucht die Menschen und liebt sie. In seinen Taten hat Jesus seinen Worten Taten folgen lassen. Er hat Kranke gesund gemacht, Ausgestoßene an den Tisch geladen und Menschen den Weg zum Leben gewiesen. Jesu Worte und Taten sind das „Ja“ Gottes an uns Menschen.

„Aber Achtung, Ihr Menschen“, so könnte Gott klarstellen wollen, „verwechselt meine göttliche Zusage nicht mit euren menschlichen Machtworten. Mein ‚Ja‘ ist das ‚Ja‘ der Liebe. Mein ‚Ja‘ ergeht an Euch in einem Kind in der Krippe. Mein ‚Ja‘,“ darauf könnte Gott hinweisen, „wird von Euch Menschen mit vielen ‚Neins‘ beantwortet. Am Ende, so scheint es gar, triumphiert Euer menschliches ‚Nein‘ über mein göttliches ‚Ja‘. Ihr Menschen bringt mein ‚Ja‘ zum Verstummen am Kreuz von Golgatha. Aber weil es mein ‚Ja‘ ist, weil es mein göttliches ‚Ja‘ ist, bleibt es nicht stumm. Meine Liebe ist stärker als Euer Hass, sie ist stärker als der Tod. Mein Licht vertreibt Eure Finsternis und es wird hell, mitten in der Dunkelheit. Irritationen kommen vor. Auch unter Freunden. Aber allen Irritationen, allen Zweifeln zum Trotz sage ich zu Euch: ‚Ja‘.“

Prof. Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer
Gänsheidestraße 29
D-70184 Stuttgart
E-Mail: christoph.dinkel@arcor.de
oder: dinkel@email.uni-kiel.de
Internet: http://www.uni-kiel.de/fak/theol/personen/dinkel.shtml

 

 


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