Göttinger Predigten im Internet
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4. Sonntag im Advent, 18. Dezember 2005
Predigt über 2. Korinther 1, 18-22, verfasst von Jörg Egbert Vogel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


18 Gott ist treu, er bürgt dafür, dass unser Wort euch gegenüber nicht Ja und Nein zugleich ist.
19 Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündigt wurde - durch mich, Silvanus und Timotheus -, ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht.
20 Er ist das Ja zu allem, was Gott verheissen hat. Darum rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auch das Amen.
21 Gott aber, der uns und euch in der Treue zu Christus festigt und der uns alle gesalbt hat,
22 er ist es auch, der uns sein Siegel aufgedrückt und als ersten Anteil (am verheissenen Heil) den Geist in unser Herz gegeben hat.
(Einheitsübersetzung)

Liebe Gemeinde,
als Kind bekam ich irgendwann zu Weihnachten oder zum Geburtstag ein Postspiel geschenkt. Unter anderem befand sich darin ein Siegel mit einem Posthorn darauf und eine Stange roter Siegellack. Es hat mich fasziniert, nun auf alle Schriftstücke und Briefumschläge ein Siegel zu drücken. Diese umständliche Prozedur des Anbrennens der Siegellackstange und das Tropfen der richtigen Menge aufs Papier und dann das Aufdrücken des Siegels und schliesslich das Ergebnis, der rot glänzende erhärtete Abdruck. Natürlich sind einige Siegel auf Papieren gelandet, die dafür nicht vorgesehen waren, was meine Eltern nicht immer erfreute.
Ich ärgere mich bis heute, dass ich für mich kein Siegel mit meinen Initialen gekauft habe, als ich vor ein paar Jahren besonders schöne Exemplare in einem Laden in Italien gesehen habe. Doch es wäre natürlich lächerlich, wenn ich meine Briefe siegeln würde. Und ich schreibe ja ohnehin fast nur noch Emails.
Dass das Siegeln mich bis heute so fasziniert, hängt nicht nur mit der archaischen Tätigkeit zusammen, sondern auch mit seiner Bedeutung.
Das Siegel bezeichnet ja eine Zugehörigkeit, eine Besitzerklärung, eine Beglaubigung durch eine dazu besonders autorisierte Person.
Und so hat sich das Siegeln auch in der Umgangssprache eingebürgert. Wir möchten gerne "der Welt unser Siegel aufdrücken" und meinen damit, dass das, was wir tun, nicht verpuffen, sondern wirksam und sichtbar werden soll, möglichst über eine lange Zeit und von vielen wahrnehmbar.
Oder wie es Albert Camus in seinem "Mythos des Sisyphos" ausgedrückt hat: Die Welt verstehen heisst für einen Menschen, sie auf das Menschliche zurückführen, ihr seinen Siegel aufdrücken.

Paulus schreibt: Gott ist es, der uns sein Siegel aufgedrückt und den Geist in unser Herz gegeben hat.
Er sagt damit der Gemeinde in Korinth Gottes unerschütterliche Treue ihnen gegenüber zu.
Gott sagt nicht heute "Ja" zu uns und morgen "Nein", sondern sein "Ja", das er in der Taufe zu uns gesagt hat, ist unverbrüchlich. Es kann – eben wie ein Siegel – nicht mehr entfernt werden.

Gottes unentfernbares Siegel hebt den Menschen hervor, adelt ihn gleichsam. Ein Diener Gottes zu sein, ist für den Glaubenden die höchste Auszeichnung, ja die Erfüllung seines Lebens.

Gesiegelt zu sein von Gott, macht den gesiegelten Menschen zu etwas Besonderem, zu etwas Wertvollem.
So wie ein gesiegeltes Schriftstück etwas Besonderes ist und immer wahr.

Im Katharinenkloster auf dem Sinai zeigt man dem Besucher gerne die Schutzurkunde die Mohammed dem Kloster ausstellen liess und die mit einem Handabdruck des Propheten gesiegelt ist.

Sehr beeindruckend so ein Siegel. Das so gesiegelte Schriftstück lässt auf einen herausragend wichtigen oder extrem wertvollen Inhalt schliessen.

Paulus schreibt im 3. Kapitel des 2. Korintherbriefes:
Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern - wie auf Tafeln - in Herzen von Fleisch.

Wir Christen, so verstehe ich den Apostel, sind für die Welt in der wir leben solche wichtigen, wertvollen und besonderen "Schriftstücke", eben: Briefe Christi.
An uns kann man ablesen, wie Gott zu den Menschen und der Welt steht.
Wir sind das lebendige Schriftstück, auf dem jeder lesen kann, dass Gott die Liebe ist und dass er die Welt nicht den Chaosmächten überlässt, sondern ihr immer noch und immer wieder seine gute und befreiende Ordnung als sein Siegel aufdrückt.

Gott ist treu. Gottes Sohn Jesus Christus ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht.
Er ist das Ja zu allem, was Gott verheissen hat.
Gott ist es, der uns sein Siegel aufgedrückt und den Geist in unser Herz gegeben hat.


Gott macht uns nicht nur zu einem wertvollen Schriftstück, das durch das Siegel als ihm zugehörig gekennzeichnet ist, sondern gibt auch den Inhalt des gesiegelten Schriftstückes mit dazu: Der Geist, den er in unser Herz gegeben hat.
Unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten, der Welt die Liebe Gottes zu zeigen, sind begrenzt und wir müssten daran scheitern, läge es nur an uns.
Doch Gott hat uns seinen Geist in unser Herz gegeben, den Geist des Friedens und der Versöhnung, den Geist der Liebe und der Barmherzigkeit, den Geist der Gerechtigkeit und der Wahrheit.

Wann und wo auch immer wir uns von diesem Geist leiten lassen, wenn wir ihm unser Herz öffnen und ihn unser Denken und Handeln bestimmen lassen, werden wir als gesiegelte Schriftstücke, als Diener und Botschafter Gottes für andere erkennbar. Auch wenn wir klein und schwach und wenige sind, beeinflussen wir doch die Geschicke der ganzen Welt.
Wir sind das Salz, hat Jesus gesagt, nicht die ganze Suppe, wir geben der Gesellschaft in der wir leben den Geschmack. Wenn dieser Geschmack fade wird, dann liegt das auch an uns.
Wir sind der Sauerteig, ohne den das Brot nicht aufgeht, sich nicht entwickeln kann.
Jesus sagt nicht, wenn ihr euch anstrengt, dann werdet ihr das irgendwann einmal sein. Wenn ihr eine grosse, unübersehbare Organisation seid, wenn ihr Macht und Einfluss habt. Sondern: Ihr seid das, jetzt schon und schon immer, weil es nicht durch euch so ist, sondern durch den Geist, den Gott in eure Herzen gegeben hat und weil Gott euch sein Siegel aufgedrückt hat.

Der Gemeinde in Korinth damals will Paulus mit seinen Worten Gewissheit geben und sie zum Vertrauen in das unverbrüchliche "Ja" Gottes ermutigen.
Diese Gemeinde war in einer schwierigen zerrissenen Situation. Es gab verschiedene Arten, das Christsein zu leben, die miteinander konkurrierten. Es gab unterschiedliche Meinungen und Ausrichtungen unter den Gläubigen. Kurz: Es war eine ganz normale Gemeinde.
Eine Gemeinde, die der heutigen Weltchristenheit gleichsam einen Spiegel vorhält.
Dieser Gemeinde sagt Paulus zu, dass ihnen Gott treu ist, so unterschiedlich sie auch glauben, so verschieden sie denken und leben. Ihnen allen hat er seinen Geist ins Herz geben, der immer und überall derselbe Geist ist.

Allen Glaubenden hat Gott sein Siegel aufgedrückt.
So ist also die Einheit der Gemeinde, wie die Einheit der Kirchen überhaupt, nicht in ihrer Gleichförmigkeit begründet, sondern darin, dass Gott ihnen allen gleichermassen sein Siegel aufgedrückt hat, das durch alle Verschiedenheit hindurch und über alle Unterschiedlichkeit hinweg für die Welt sichtbar wird.

Das unverbrüchliche "Ja" Gottes zu uns beinhaltet auch seine Bereitschaft, uns immer mit offenen Armen aufzunehmen, wenn wir uns zu ihm flüchten.
Gott sorgt sich um uns. Er will, dass wir glücklich und friedlich leben. Gottes "Ja" ist Geborgenheit und Licht, nicht finstere Drohung mit Gericht und Strafe.

Diese Zuwendung Gottes zu uns Menschen feiern wir im Advent. Er kommt zu uns, er kommt uns nahe und berührt uns im Innersten, seinen Geist gibt er in unser Herz.

Jesus Christus ist das Ja zu allem, was Gott verheissen hat. Darum rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auch das Amen.


Pf. Jörg Egbert Vogel, Basel
j.e.vogel@gmx.ch
www.luther-basel.ch


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