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Predigt zum 300-jährigen Jubiläum der Dänisch-Hallischen Mission
im Kopenhagener Dom am 29. November 2005
von Erik Norman Svendsen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die Predigt anläßlich des 300-järigen Jubiläums der Dänisch-Hallischen Mission, der ersten protestantischen Mission, die im Jahre 1705 in Zusammenarbeit zwischen dem dänischen König und den hallischen Stiftungen begann.

1. Petr. 4,10-11 und ApG. 4,7-12

Am 11. November 1705 wurden die beiden deutschen Missionare Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau hier in der Frauenkirche vom Bischof von Seeland Henrik Bornemann ordiniert.

Vorausgegangen waren einige hochdramatische Wochen, wo das Verhältnis zwischen Staat und Kirche auf die Probe gestellt wurde und wo der Staat in der Gestalt von König Frederik IV auf gut lutherische Art und Weise über die Bischöfe gesiegt hatte. Denn der König hatte als lutherischer Fürst das Berufungsrecht und wollte als der gute Verwalter von Gottes weltlichem Regiment dazu beitragen, daß alle seine Einwohner das Evangelium hören konnten - auch die Einwohner der dänischen Kolonie in Indien. Es ging um nicht weniger als ihr ewiges Heil.

Die beiden theologischen Kandidaten waren erst einen Monat zuvor direkt aus Halle gekommen, wo sie von der pietistischen Erweckung ergriffen waren und den Ruf erhalten hatten, nach Tranquebar zu reisen, um den "armen blöden Menschen das Licht des Evangeliums zu bringen". Es war der ausdrückliche Wunsch des Königs, daß sie die Aufgabe übernehmen sollten, und auch wenn der erste Mann der dänischen Kirche, Bischof Bornemann, weder Pietisten noch Heidenmission besonders mochte, mußte er dennoch, obwohl er sich kräftig dagegen gesträubt hatte, die beiden Kandidaten ordinieren. Sonst hätte der König nämlich einen anderen darum gebeten! Die Furcht vor dieser Demütigung war offenbar größer als der Unwille, dem Wunsch des Königs zu folgen.

Das Ergebnis war bekanntlich, daß die beiden jungen Deutschen einige Wochen nach der Ordination mit dem Schiff nach Tranquebar als "königliche Missionare" reisen konnten. Am 29. November gingen sie an Bord des gutes Schiffes Sophia Hedvig, das der Ostindischen Kompanie gehörte. Heute vor genau 300 Jahren. Wir feiern das heute als etwas anderes und mehr als ein historisches Ereignis, es war der zaghafte aber entschiedene Beginn der lutherischen Weltmission.

Sie hatten eine königliche Instruktion mit, die vorschrieb, daß sie sich zu den Eingeborenen begeben, deren Sprache lernen und zu ihnen in ihrer Muttersprache predigen sollten. Für die beiden Missionare bedeutete das Fürsorge für das leibliche und geistliche Wohl der Eingeborenen. Für die guten Pietisten, die sie waren, sollte der Glaube wirksam sein in der Liebe, denn das Christentum ist nicht so sehr Lehre wie Leben. Sie begannen deshalb, die tamilische Sprache zu erlernen und sich mit indischer Kleidung zu bekleiden, was nicht zuletzt auf erbitterten Widerstand unter den 500 Einwohnern der dänischen Kolonie stieß, so wie das heute ist, wenn muslimische Frauen in der Schule und am Arbeitsplatz ein Kopftuch tragen. Und dann errichteten sie die erste provisorische Kirche in dem indischen Stadtteil, später auch Schulen und ein Lazarett. Die Kirche wurde deshalb in einem Maße integriert in das Leben der Bevölkerung, die für die Europäer der Kolonie ganz neu war und schockierend und ein Stein des Anstoßes für die Handelskompanie, die die wirtschaftlichen Folgen all dieser christlichen Aktivitäten und Liebestaten fürchtete.

Es ist sowohl dramatisch als auch denkwürdig, daran heute nach 300 Jahren zurückzudenken. Die ersten Jahre der Mission in Tranquebar waren voller Probleme und wurden erschwert durch die Handelskompanie, die für das geistliche und leibliche Wohl der Eingeborenen kein Interesse aufbrachte. "So ist der Kapitalismus", sang der Volkssänger Per Dich in den 70er Jahren mit einer Wendung, die auch für den Kampf zwischen der Mission und der Handelskompanie zu Anfang des 18. Jahrhunderts zutrifft. Im Jahre 1715 aber kam es zu einer mehr dauerhaften Absprache hier in Kopenhagen, die die Zukunft der Mission sicherte unter der Voraussetzung, daß sie den Handel nicht behinderte. Ein dänischer Kompromiß der Art, wie wir ihn auch heute noch liefern können, wenn es um das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft geht.

Daß Mission im Sinne von christlicher Verkündigung und christlicher Arbeit auf erbitterten Widerstand stoßen kann, ist eine bekannte Sache, viel älter als die Mission in Tranquebar. Das geht bis auf die Zeit der ersten christlichen Gemeinde zurück, so wie wir davon im Bericht der Apostelgeschichte hören von dem Verhör von Petrus und Johannes vor dem jüdischen Rat. Der Anlaß waren sowohl ihre Predigt als auch ihr Verhalten. Sie hatten sich erlaubt, einen Lahmen im Namen Jesu im Tempelbereich zu heilen und die Gelegenheit genutzt, Jesus als den Gekreuzigten und Auferstandenen zu verkündigen. "In keinem anderen ist das Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel des Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden" (ApG 4,12), lautete die provozierende Botschaft, die augenblicklich dazu führte, daß man den beiden Aposteln verbot, im Namen Jesu zu verkündigen oder zu lehren. Natürlich vergebens, den der, der Jesus gesehen hat, hat Gott gesehen und damit seine Mission, ganz gleich was die Machthaber wollen und tun.

Der Bericht aus der Apostelgeschichte hat sich unter wechselnden Bedingungen oft wiederholt, in Tranquebar und anderswo, wo die Missionare den christlichen Glauben in einer neuen Umgebung vertreten und gepredigt haben. In diesem Sinne gibt es nichts Neues unter der Sonne, wie der Prediger im Alten Testament sagt. Das Neue im Sinne von christlicher Verkündigung, Unterricht und Fürsorge für Nichtchristen und unter Nichtchristen ist stets eine Verpflichtung und Herausforderung, die eng mit dem verbunden ist, was es heißt, Kirche und Gemeinde zu sein. Wie der dänische Kirchengeschichtler Hal Koch es einmal ausgedrückt hat, so steht die Frage der christlichen Mission in Wirklichkeit nicht zur Diskussion. Hat man selbst das christliche Evangelium als die Wahrheit über die Welt und das eigene Leben empfangen, geht das natürlich auch alle anderen an. Das war wohl der Grund für die Erkenntnis, die den König wie die Kirche anregte und in die Pflicht nahm, auch wenn die offizielle Kirche einige Zeit brauchte, um das zu verstehen und anzuerkennen.

"In keinem anderen ist das Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel des Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden" - diese Worte stehen fast als eine Flammenschrift und können noch heute die Diskussion über das Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen entfachen. Den wie soll man das verstehen? Ja, wie verstehen wir es heute, wo die Begegnung zwischen den religionen gerade diese Aussage zur Diskussion stellt wie nie zuvor in der Geschichte der christlichen Mission. Ist das nur Ausdruck einer groben Geringschätzung anderer Religionen und Lebensäußerungen, oder Ausdruck für eine Glaubenswahrheit, die wir als Christen in Respekt vor den Wahrheiten anderer versuchen sollen zu vermitteln? Die Antwort ist bekanntlich umstritten, sie betrifft aber die Lage der christlichen Kirche angesichts der Globalisierung und der daraus folgenden Begegnung der Religionen.

Kein Christ kann daran zweifeln, daß Christus der Name über allen Namen ist (Phil. 2,11). Wer Jesus begegnet ist und ihn empfangen hat als Erlöser, indem er die Worte und Taten Jesu im Glauben angenommen hat, für den ist er der flammende Mittelpunkt und der himmlische Horizont ist für alles, was mit christlichem Glauben und Leben zu tun hat. Das ist so schön und sichtbar hier in dieser Kirche dargestellt, wo Christus am Altar seine Hände segnend über jeden ausbreitet, der hereinkommt. "Kommt zu mir", steht unter der mächtigen Figur des auferstandenen Christus. Das ist nur eine figürliche Darstellung, aber sie hat ihren Ausdruck aus den Worten und Taten Jesu, seiner Offenbaren dessen, wer Gott ist und wer wir sind. Unser himmlischer Vater, zu dessen lieben Kindern wir geschaffen sind. "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken" (Matth. 11,28).

Daß das Heil mit seinem Namen verbunden ist, ist nicht Ausdruck einer Exklusivität, sondern vielmehr etwas Inklusives. Wenn Petrus sagt, daß man nur im Namen Jesu erlöst werden kann, macht er deutlich, daß nur der lebendige Gott erlösen kann. Der Gott nämlich, den wir von unserem Herren Jesus Christus kennen. Denn Gott heißt Christus. Nur der lebendige Gott kann erlösen, aber er kann es in der tat auch. Selbst dem einen Verbrecher an der Seite Jesu auf Golgatha wurde das Evangelium verkündigt: "Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein". Die Liebe und Fürsorge Gottes gilt jedem, so wahr wie Jesus Christus als unser Bruder und Heiland einem jeden Menschen nahe ist.

Diese Botschaft müssen wir, das ist unsere Pflicht, allen Menschen vermitteln und verkündigen. Zu Glauben, Hoffnung und Liebe. Das können wir tun, ohne den Glauben anderer abzuwerten oder uns in enorme religionstheologische oder dogmatische Überlegungen zu verlieren, so wichtig dies auch sein mag. Denn wir können nielmals Grenzen setzen, die den Heilswillen Gottes beschränken oder entscheiden, zu wem sich Jesus in Zeit und Ewigkeit bekennen will. Wir sind nur Diener, die das Evangelium reichen sollen, als Brot des Lebens und als tägliches Brot für den Nächsten. Und alles andere können wir dann dem Gott und Vater unseres Herren Jesus Christus überlassen.

Die Begegnung zwischen den Religionen, die für uns heute wir vor 300 Jahren in Tranquebar eine große Herausforderung darstellt, bringt natürlich viele Überlegungen und Versuche mit sich, Andersgläubige zu verstehen und den rechten Weg und die rechten Mittel zu finden, die christliche Botschaft Menschen anderen Glaubens zu vermitteln. Die Begegnung zwischen Religionen offenbart Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der Lehre und der Praxis der Religionen. Zweifellos können wir viel in anderen Religionen finden, das wir schätzen und was uns fremd ist. Über beides müssen wir reden können in einer Weise, daß wir weder unseren eigenen Glauben verraten noch den der anderen herabwürdigen. Aber wir können und sollen nicht darüber befinden, ob Christus auch bei den anderen ist in irgendeinem Sinne, und was Christus zu tun vermag, wenn und wo sein Wort und seine Taten verkündigt und bezeugt werden. Das können wir getrost Christus überlassen. Wir haben kein Monopol auf Christus, ja er gehört uns in diesem Sinne nicht, als wäre er unser Eigentum. Er ist der Bruder und Heiland aller Menschen. Es war diese Einsicht, die König Frederik IV dazu veranlaßte, die ersten Missionare nach Tranquebar zu schicken und die Ziegenbalg und Plütschau dazu veranlaßten. das Unternehmen im Namen Jesu zu wagen.

In Tranquebar errichteten die Missionare gleich nach ihrer Ankunft in dem Stadtteil der Eingeborenen eine vorläufige Kirche, der man den Namen "Neues Jerusalem" gabe, und auch die spätere bleibende Kirche erhielt den selben Namen, als sie am 11. Oktober 1718 eingeweiht wurde. Dieser Name macht die Perspektive der Mission deutlich. Das neue Jerusalem ist in der Offenbarung des Johannes die Vision der himmlischen Stadt im Gegensatz zum irdischen Jerusalem. Ausdruck für die neue Schöpfung Gottes von Himmel und Erde und der vollkommenen Gegenwart Gottes am Ende der Zeiten: "Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott, wird mit ihnen sein" (Off. 21,3).

Wenn die lutherische Kirche in Tranquebar den Namen Neues Jerusalem erhielt, liegt darin die Vision, daß die Gemeinde als Volk Gottes schon auf dem Weg ist zur Vollendung Gottes, ja daß sie im Raum der Kirche einen Vorgeschmack davon erhält, weil Jesus selbst gegenwärtig ist, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind. In diesem Sinne ist jede Kirche eine Art "Neues Jerusalem", weil wir als Gemeinde, die im Namen Jesu versammelt ist, schon hier und jetzt bei Gott sind und deshalb mit bauen an der Vollendung Gottes. Die echte und wahre Kirche ist nämlich nicht identisch mit den Häusern, die wir bauen, sondern sie ist die lebendige Gemeinde, die Gott selbst durch seinen Geist und sein Wort aufbaut.

So wie die auf dem Altar der heutigen Kirche aus dem Jahre 1918 steht:

Gott hat dies Neu Jerusalem gebaut
In Gnaden zum Versammlungsort,
Daß man jetzt hier Gnaden findet
zu hören Gottes heiliges Wort
und im Gebet und Wachen findet.

Grundtvig sagt dasselbe auf in seinem dänischen Lied:

Auf Jerusalem der neuen
Stadt des großen Königs
laßt uns alle bauen,
mit Gottes Geist und Gottes Sohn
mit Singen, Klagen und Beten,
im Schatten der Flügel Gottes.

Voran nun, im Namen Jesu. Amen.

Bischof Erik Norman Svendsen
Nørregade 11
DK-1165 København K
Tlf. 33 47 65 00
email: ens@km.dk


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