Göttinger Predigten im Internet
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3. Sonntag im Advent, 11. Dezember 2005
Predigt über Römer 15, 4-13, verfasst von Thomas Robscheit
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,
am heutigen dritten Sonntag im Advent werden wir einen Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die Christen in Rom bedenken. Zu Recht wird dieser Brief als Vermächtnis des Paulus bezeichnet. Er ist das einzige erhaltene Dokument, in dem Paulus nicht auf Probleme reagiert, sondern umfassend darlegt, was für ihn am christlichen Glauben wichtig ist.
In unserem Abschnitt ermahnt er zur Einheit bei verschiedener Vergangenheit und unterschiedlichen Vorstellungen in der Gemeinde, wie Christsein aussieht. Die Stärke einer Gemeinde erweist sich in deren Toleranzfähigkeit. Doch hören wir zunächst auf den Text:

Röm. 15, 4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.
5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß,
6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind;
9 die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.«
10 Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!«
11 Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!«
12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.«
13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

"Nanu?", werden Sie jetzt vielleicht denken, "Von Toleranz ist nicht die Rede, es geht doch ständig um Juden und Heiden!" Und genau an diesem Punkt ist von Toleranz die Rede!
Jesus und seine Jünger waren Juden, das ist so selbstverständlich, dass es uns schnell aus dem Blick gerät. Auch die ersten neuen Mitglieder der Gemeinde in Jerusalem dürften Juden gewesen sein. Sie haben sich nach wie vor zur jüdischen Gemeinde gehalten, für sie waren die Gesetzte und Feiertage verbindlich geblieben. Sehr schnell aber fand das Evangelium aber auch Anhänger unter den Nichtjuden, die Heiden genannt werden. Über Jahrzehnte gab es sehr heftige Spannungen zwischen den beiden christlichen Gruppen um die Frage, sind die jüdischen Gesetzte verbindlich oder nicht. Eine Gemeinde, die beides stehen lassen und aushalten kann, das ist eine starke eine Christus gemäße Gemeinde.
"So, das war jetzt ein kurzer Abriss eines Problems von vor 2000 Jahren. Was aber hat das mit mir zu tun?", so fragt sich der eine oder andere. "Wir sind alle "Heidenchristen", diese Spannungen gibt es nicht mehr!"
Sie haben recht, aber wie leicht lässt sich Paulus´ Appell auch auf unsere Zeit übertragen! Zum einen nach wie vor religiös begründete Spannungen zwischen Juden und Christen, zum anderen aber auch innerhalb des Christentums: Sie alle kennen Sätze und Gedanken wie: "Uns so einer will Christ sein!"; "Wer Christ ist, der kann nicht zur Armee gehen!", "Ein Christ nimmt seine Bürgerpflicht wahr und tritt für die Verteidigung der Freiheit ein!" usw. Es fallen Ihnen noch unzählige andere Beispiele ein, an denen deutlich wird, wie Christen einander den wahren Glauben absprechen, sei es in der Frage des Wehrdienstes, der Sterbehilfe, der Abtreibung oder der so genannten Homoehe.

Liebe Gemeinde, ich möchte Ihren Blick aber auch auf einen anderen Gedanken lenken. Vielleicht sind Ihnen neben den Schlagworten Juden und Heiden auch die beiden Begriffe Verheißung und Barmherzigkeit aufgefallen. Diese beiden Begriffe werden den beiden Gruppen, Juden und Heiden, zugeordnet. Nach Paulus´Auffassung beschreiben sie das Verhältnis Gottes zu den Menschen: die einmal gemachte Verheißung wird nicht aufgehoben oder zurückgenommen, denen, die auf Barmherzigkeit angewiesen sind, wird diese versprochen.

"In welche Gruppe gehören wir?, Was welcher Begriff wird denen zugeordnet? Ah, ja Barmherzigkeit. Wunderbar!" - so kann man sich zurücklehnen. "Gott ist barmherzig, ich kann ja ohnehin nicht durch meine Werke gerecht werden! Zum Glück ist Gott barmherzig!" - also tue ich gar nichts. Wir hören das nicht gerne, aber tief in unser protestantisches Denken hat sich das eingegraben, mit fatalen Folgen. Christsein ist immer unverbindlicher geworden, christliches Engagement unterscheidet sich kaum noch von dem verantwortungsbewusster Atheisten.
Aber verstehen wir in unserer Bauernschläue "Barmherzigkeit" überhaupt richtig? Und was ist das mit der Verheißung Gottes? Ist die angekündigte Barmherzigkeit nicht auch Verheißung?
Wem wird eigentlich was Verheißen? Was ist das mit den angesprochenen Vätern?
Abraham zum Beispiel. Der, dem versprochen wurde, dass aus ihm ein großes Volk hervorgehen werde. Ja, wir erinnern uns. Abraham und Sara, beide alt. Die Stadt Ur und die weite Wanderung, Probleme im gelobten Land. Aber Gottes Zusage an ihn ist rückblickend eingehalten worden: ein ganzes Volk führt sich auf ihn zurück. Abraham.

Oder Mose. Der von den Ägyptern wegen Mord Gesuchte. Gott schickt ihn zurück. Vor den Pharao soll er treten um Gottes Volk aus der Knechtschaft zu befreien und in das gelobte Land zu führen. Zurück in die Höhle des Löwen: Ein Himmelfahrtskommando. Aber Mose geschieht nichts, selbst dem Zorn des Pharao entkommt er mit dem ganzen Volk, er kann Israel bis an die Grenze des gelobten Landes führen.

Verheißung und Barmherzigkeit. So streng wie Paulus möchte ich die Begriffe nicht mehr getrennt wissen. Noch deutlicher als ihm ist uns geworden, dass wir aus der selben Wurzel wachsen und uns dem selben Licht entgegenstrecken. Auch uns gilt Gottes Verheißung, dass wir sein Volk sind. Nun ist das mit dieser Verheißung aber eine zweischneidige Angelegenheit. Ist ihnen bei den beiden Beispielen, Abraham und Mose aufgefallen, dass ihnen nicht quasi aus heiterem Himmel etwas versprochen wurde, sie mit einem Geschenk überschüttet worden sind? Nein! Beide hatten einen Auftrag zu erfüllen, die Verheißung war an Bedingungen geknüpft! Das schmeckt uns nicht: ein fordernder Gott: "Geh in ein Land, das ich Dir verheißen werde!" Es ist unbequem zu erfahren wie Mose, dass Gott keine Ausflüchte gelten lässt.
Viele von uns haben gelernt diese fordernde Stimme Gottes zu überhören: Wenn uns zur besten Sendezeit erfrierende Kinder ins Gewissen gebrannt werden, gehen die Wenigsten sofort los, schalten den Computer ein oder rufen ihre Bank an um zu Spenden. Wenn wir am Krankenhaus vorbeifahren, haben wir gänzlich aus unserem Bewusstsein verdrängt, dass dort Menschen sind, die sich über eine halbe Stunde Gesellschaft freuen oder nach einem Gebet sehnen.

"Es gibt so viel Not, da kann man doch nur scheitern!", rufen die Rechthaber. Ja, im ganzen Leben wird man immer wieder scheitern, aber Gott ruft uns nicht nur, schickt uns nicht nur auf schwere Wege, sondern er ist auch barmherzig! Wenn wir ihm vertrauen, die unbequemen Aufgaben angehen und dann scheinbar scheitern, wird er uns auffangen.
Gottes Verheißung des gelobten Landes steht nach wie vor, wer wagt die nötigen Schritte?

Thomas Robscheit
robscheit@web.de


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