Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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3. Sonntag im Advent, 11. Dezember 2005
Predigt über Lukas 1, 67-80, verfasst von Hans-Ole Jørgensen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Es gibt nicht viele Kapitel in der Bibel, die so viele Verse enthalten wie das erste Kapitel im Evangelium des Lukas. Die Verse, die wir eben gehört haben – mit den schönen Worten aus dem Lobgesang des Zacharias – waren die Verse 69 bis 80. Lukas hat nämlich viel zu erzählen, ehe er zur Geburt des Kindes in dem Stall kommt, die im 2. Kapitel anfängt.

Zuerst erzählt er von dem Engel Gabriel, den Gott zu dem Priester Zacharias in Jerusalem schickt mit der Botschaft, dass seine alternde Frau Elisabeth – wie seinerzeit Sarah – einen Sohn empfangen und gebären werde. Es wird auch erzählt, dass Zacharias an den Worten des Engels zweifelte und deshalb mit Stummheit geschlagen wurde.

Danach erzählt Lukas von Gabriels zweiter Reise zur Erde, zu Maria in Nazareth. Auch sie soll auf unnatürliche Weise ein Kind empfangen und zur Welt bringen. Aber im Gegensatz zu dem Priester, im Gegensatz zu dem skeptischen Zacharias, glaubte Maria dem Engel aufs Wort, sie wurde deshalb nicht stumm, sie hatte etwas zu sagen: „Siehe,“ sagte sie, „ich bin des Herrn Magd: mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Dann ist Maria bei Elisabeth zu Besuch, und „als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe“ – erzählt Lukas, als wäre es der noch ungeborene Johannes, der im Bauch seiner Mutter den Arm hob und das Jesuskind im Bauch Marias grüßte! Das ist ja die Funktion, die Johannes der Täufer seither auszuüben hat: auf Christus hinzuzeigen, zu sagen „er“ und „nicht ich“.

Dann gebiert Elisabeth ihren Knaben, der beschnitten wird und seinen Namen Johannes erhält. Der noch stumme Vater schreibt den Namen auf eine Tafel, und da „Johannes“ „der Herr ist gnädig“ bedeutet, endet das Ganze damit, dass Zacharias seine Stimme zurückbekommt. Und dann hören wir umgehend seinen Lobgesang, die Worte, die wir heute hier gehört haben. Was ja eigentlich ganz erbaulich ist: das Erste, wozu er seine Stimme gebraucht, als er sie zurückbekommen hat, ist, einen Lobgesant zu singen.

Wozu aber alle diese Vorbereitungen, wozu dieser lange Prolog des ersten Kapitels? Warum nicht einfach gleich mit dem Kind Jesus in Betlehem anfangen?

In einem übergeordneten Sinne vermutlich deshalb, weil es für Lukas ungeheuer wichtig war, darauf hinzuweisen, dass es also die wirkliche Welt ist, in die Jesus eingeflochen wird, wenn er zu eben diesem Zeitpunkt der Geschichte geboren wird. Man könnte glauben, es wäre ein Märchen! Denn hier werden seltsame Sachen erzählt: der Gott des Himmelreichs muss in einem Stall liegen, wie wir gesungen haben. Und es sind seltsame Sachen, die da verkündet werden: „ Für die Menschen Frieden, für die Menschen Gottes Wohlgefallen!“ Man könnte glauben, es wäre ein Märchen. Aber das ist es nicht, betont Lukas also. Jesus ist kein Märchen. Er wird in einen bestimmten, geschichtlichen Zusammenhang hineingeboren – er kommt in die Welt und wird Mensch in der Welt, die wir alle kennen und in der wir unser Leben haben.

Deshalb gibt es da etwas, das zuvor erzählt werden muss. Andernfalls würde man nicht verstehen können, worum es bei Jesus geht. Und das muss man einfach, wenn man bei den Liedern ordentlich mitsingen will.

Wir sind doch Menschen, die verstehen wollen. Und die, wenn sie nicht verstehen, stumm werden – wie Zarachias damals. Seine Stummheit kann auch leicht zur unsrigen werden, zu Weihnachten und zu jedem beliebigen anderen Zeitpunkt. Auch für uns gibt es Engel, deren Botschaft es hören zu können gilt.

Im alten Israel wusste man mehr über Lobgesang, als wir heute darüber wissen. Der jung verstorbene Theologe Helmut Friis schreibt in seinem kleinen Buch „Lobgesang und Klage“ (Verlag Anis 1994), dass der grundlegende Widerspruch des Menschenlebens im alten Israel nicht der Widerspruch zwischen Leben und Tod war, wie er es für uns heute ist, sondern ganz einfach der Gegensatz zwischen Lobgesang und Schweigen. Wo der Lobgesang verstummt, ist der Tod eingetreten. Wo das Volk in dem gottverlassenen Exil weinend die Zither in die Pappeln hängt und wo Fest und Sabbat in Vergessenheit geraten, dort kann man nicht leben. Da verloren die alten ihre Identität als Menschen, geschaffen im Bilde Gottes. Und wir, wir tun es auch? Und ob wir es sind, die den Lobgesang vergessen oder verstummen, weil wir nichts hören.

Ein singendes Volk kann nicht zugrunde gehen. Das wussten die Alten, auch die Alten bei uns wissen es – unsere Lieder und Gesänge bringen diese Einsicht oft zum Ausdruck – und deshalb war es eine schlimme Strafe, die dem alten Zacharias für seinen Unglauben auferlegt wurde. Aber es ist richtig gedacht. Denn sind wir ein singendes Volk, dann sind wir nicht einfach nur Funktionen der Ganges des Lebens. Dann haben wir Augen, die etwas mehr sehen, dann haben wir Worte zu sagen, die länger reichen als für das Alltägliche, Worte, die auf die vergessenen und übersehenen Freuden hinweisen, Worte, die ein Licht vorauswerfen können, an der großen Hoffnung festhalten können und an den bedrohten Wahrheiten und die den Kampf aufnehmen können, wenn das unsere Aufgabe ist. Ein singendes Volk ist ein lebendiges Volk. Oder wie Zacharias uns das zeigt: es ist Tod darin, wenn wir Gottes Engeln nicht zu glauben wagen. Ja, dann werden wir stumm.

Nicht alles in unserem Leben hat mit Glauben zu tun, aber vieles vom Wichtigen hat mit Glauben zu tun, vieles von dem, worin Bedeutung liegt und was bewirkt, dass wir hier sein können, auch wenn wir um unser Glück kämpfen müssen. Die Liebe eines anderen Menschen z.B., die Tatsache, dass du etwas für jemanden bedeutest, wir besitzen es nur im Glauben – und wir können es uns nicht selbst sagen, Engel müssen damit kommen und es uns sagen – und glauben wir ihnen, diesen Engeln, nicht, was haben wir dann einander zu sagen von dem, was taugt? Sollen unsere Worte etwas bewegen und wirklich etwas bewirken können, dann müssen wir sie von woanders her haben als von uns selbst.

So war es auch mit Zacharias, denn das Kind wurde ja zu etwas. Johannes wurde geboren, und die Freude des Vaters war groß.

Und Johannes ist eine wesentliche Figur auf dem Wege zu Weihnachten. Bei allen Evangelisten kommt er vor Jesus auf die Bühne. Und wir müssen ihn auch irgendwie dabeihaben, wenn wir ordentlich zu dem Kind Jesus hingelangen wollen.

Johannes wurde in seinem Handeln zu einem ernsten Mann. Er war eine empfindsame Seele, der es nicht einfach völlig in Ordnung fand, dass Menschen ihr Leben leben je nachdem, wozu jeder Einzelne seinerseits Lust haben mag und was er mag. Denn Menschen mögen so vieles, und so manches davon ist nicht gut. Johannes sah das und urteilte streng, und zuletzt wurde es den Leuten zu viel, jedenfalls für Herodes – oder seine Königin – und das musste Johannes mit seinem Leben bezahlen.

Aber obwohl Johannes streng war und auch das natürlich zu viel werden kann, so kommt man dennoch nicht darum herum, dass Jesus gleichgültig wird, wenn es in unserem Leben keinen Ernst gibt. So ist es auch mit so vielen anderen Dingen, denn wenn alles gleichgültig und ebenso gut das eine wie das andere sein kann, und wenn wir auch nicht diejenigen sind, die Verantwortung hätten und etwas dafür könnten, dann gibt es keine Freude an irgendwas, nicht daran, dass die Dinge manchmal gelingen, wenn es denn so kommt, und auch nicht daran, wenn sie es nicht tun, so daß wir mit liebevollen Worten empfangen werden könnten wie mit denjenigen vom Leben Jesu, Worten, die uns Gottes Treue und anhaltende Sorge verheißen trotz dessen, was schief ging oder weht tut. Gibt es keine Schwere in den Dingen, dann gibt es auch keine Freude. Wie nicht im Leben, so auch nicht im christlichen Glauben.

In seinem Lobgesang singt Zacharias vom Sonnenaufgang, von dem „aufgehenden Licht aus der Höhe“, das uns besuchen wird, „damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“. Dieser Sonnenaufgang weist auf Jesus hin. Denn Johannes ist nur ein Vorläufer. Aber von allem Licht gilt, dass es nur gesehen werden kann, wenn es scheint, wo es dunkel ist. Auf diese Weise ist Ernst eine Voraussetzung, auch für Freude. „Das Heil in der Vergebung unserer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes!“ Dies sind andere Visionen aus Zacharias’ Lobgesang.

„Durch die Vergebung unserer Sünden“, sagt er. Ja, denn Worte können auch Licht sein. Finsternis kann so vielerlei sein, und ist so vielerlei im Leben von Menschen, aber etwas von der Finsternis ist von der Art, dass nur Worte mit dem Licht kommen können.

Das Leben hat ja nur eine Richtung. Wir können nicht zurückgehen und ändern, was gewesen ist. Wir können nur einen Weg gehen. Wollen wir etwas ändern, dann können wir nur hinzufügen.

So ist auch für Gott die Möglichkeit, die es gibt, etwas hinzuzufügen. Er kann auch nichts mit rückwirkender Kraft ändern, aber er kann etwas einsetzen, was die Zukünft möglich macht, trotz allem. Er kann das Licht seiner Gnade strahlen lassen.

Ich glaube, es hat immer gestrahlt, dieses Licht. Denn ehe Gott das Licht des Tages schuf und es in seinen Rhythmus mit der Finsternis der Nacht einsetzte, da gab es ein anderes. Ein anderes Licht, mit dem alles begann. Viele haben das seitdem vergessen, aber es scheint noch immer. Für uns gilt es nur, es zu entdecken. Das ist es, was wir zu Weihnachten versuchen. So gemeinsam, wie wir es vermögen. Weihnachten ist, Jahr für Jahr, dass wieder Licht angezündet wird im Land der Schatten. Oder dass das, was das Licht verborgen gehalten hat, so dass wir es nicht sehen konnten, – dass das wieder fortgetan wird.

Wir leben jetzt in einer Zeit, in der viele verschiedenen Haltungen und verschiedene Traditionen hart aufeinander prallen. Wir haben bei uns in vielen Jahrhunderten in einer Kultur der Vergebung gelebt – einer Kultur, die ohne das Wort von der Sündenvergebung undenkbar wäre. Aber wir haben jetzt zu tun bekommen mit einer deutlichen Konfrontation mit alten Rachekulturen; und auch mit Gedanken der Reinkarnation und anderen Gedanken der neureligiösen Bewegungen haben wir kräftigen Besuch von den Lehren des „Wie du säst, so wirst du ernten“ bekommen. Es kann gut sein, dass sich die Vergebungskultur zu verteidigen haben wird.

Und da ist es dann vielleicht gar nicht so verkehrt mit einem Mann wie Johannes: denn wenn er mit dem Ernst, der ihm eigen war, auf Christus hinweisen kann und nichts anderes tut, wenn das Leben von Menschen gelebt werden können soll, dann gibt es vielleicht auch einige aus den Reihen der Rachekultur und der Kultur des „Wie du säst, so wirst du ernten“, die das sehen und verstehen können.

Gott gebe uns, dass auch wir das können. Und dass wir so mit Erwartung jetzt wieder Weihnachten entgegen gehen, auf die Engel hören und ihrer Rede Vertrauen schenken können. Auf dass auch wir weiterhin singende Menschen sein können.

Das Meiste von dem Gold und Glanz, die wir zu Weihnachten aufbieten, hilft gar nichts. Es hilft allein, auf sein eigenes Leben zu hören. Und auf die Worte, die Worte an das Herz sind, die Worte, die dir von einem anderen Menschen begegnen mögen – als ein Abglanz der Worte Gottes – oder von ihm selbst. Was sagen die Engel vor den Hirten? Das ist es, was du vor allem in deiner Finsternis hören sollst: und den Menschen Gottes Wohlgefallen! So dass du noch ein Stück Weges gehen kannst.

Pastor Hans-Ole Jørgensen
Hyrdestræde 5
DK-6000 Kolding
Tel.: +45 75 52 06 61
E-mail: haoj@km.dk

Überetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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