Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

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3. Sonntag im Advent, 11. Dezember 2005
Predigt über Römer 15, 4-13, verfasst von Johannes Neukirch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


"Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit "einem" Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.« Und wiederum heißt es (5.Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!« Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!« Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.« Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes."

Liebe Gemeinde,

das war doch eine schöne Szene vor kurzem im neu gewählten Bundestag. Als der SPD-Politiker Struck an das Rednerpult ging und sagte, dass viele im Bundestag noch ein wenig Probleme damit hätten, bei einer Rede der CDU-Bundeskanzlerin ordentlich zu klatschen. So ist das nun mal – die Parteien, die sich Monate lang bis aufs Messer bekämpft hatten, landeten in einer Koalition, in einem Bündnis, und mussten sich plötzlich vertragen. Für die Abgeordneten bekommt also dieser Satz „Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander“ eine ganz neue Bedeutung.

Dabei haben es die Abgeordneten eigentlich gar nicht so schwer, einträchtig gesinnt zu sein. Denn sie wissen ganz genau, warum sie das tun sollten! Weil sie anders gar keine Chance haben, an der Macht zu bleiben. Weil die ganzen Verhandlungen zum Koalitionsvertrag umsonst gewesen wären. Weil es für unser Land sehr problematisch wäre, wenn diese Zwangsehe nicht halten und vor allen Dingen nichts bewirken würde. Gründe genug zu sagen: lasst uns einträchtig gesinnt sein. Wenigstens vier Jahre lang…

Aber wie ist das bei uns, bei den Christinnen und Christen, in den vielen Gemeinden und Kirchen und Konfessionen? Warum sollen wir einträchtig gesinnt sein? Warum sollen wir mit „einem“ Munde Gott loben? Wo doch schon in den paar Gemeinden, die Paulus vor Augen hat, offensichtlich eine Ermahnung nötig war! Und jetzt, ungefähr 1950 Jahre nachdem Paulus das geschrieben hat, ist die Lage ja nun wirklich ein wenig anders geworden. Wir reden von weltweit ungefähr zwei Milliarden Menschen, die sich zum Christentum bekennen.

Wenn ich unseren Text richtig verstehe, dann ist das Einander-Annehmen aber gerade das Herzstück der christlichen Gemeinschaft: Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit "einem" Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Und egal wie es unter den Christinnen und Christen weltweit aussieht – egal, wie zerstritten die Konfessionen sind – egal, wie schwierig die Gemeinschaft in einer einzelnen Gemeinde sein kann: Dieser Satz „Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob“ ist und bleibt wirksam. Seit fast 2000 Jahren fordert er Christinnen und Christen heraus. Niemand würde jemals auf die Idee kommen zu sagen: das ist nicht nötig. Obwohl uns allen bewusst ist, dass wir daran auch immer wieder scheitern.

Denn wir merken sofort, wie sich dieser Satz von der vorhin erwähnten Szene im Bundestag unterscheidet. Wenn es bei Paulus heißt, dass wir einträchtig gesinnt und uns annehmen sollen, dann geht es nicht darum, sich mal vorübergehend zu vertragen oder Kompromisse zu schließen oder gemeinsame Ziele zu verfolgen. Es geht vielmehr um Christus – um Christus und das, was er für uns ist.

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat. Das heißt doch: Besinnt euch darauf, was Christus für euch bedeutet und in euch bewirkt. Er kommt uns nahe, als Mensch, als Kind in der Krippe. Und während er uns so nahe ist, versöhnt er uns mit Gott und öffnet unsere Herzen für unseren himmlischen Vater. Das kann uns nicht unberührt lassen, das kann nicht folgenlos bleiben.

Ich habe vorhin gesagt, dass sich weltweit ungefähr zwei Milliarden Menschen zum christlichen Glauben bekennen Immerhin 400 Millionen von diesen zwei Milliarden werden vom so genannten Ökumenischen Rat der Kirchen vertreten. Das ist eine internationale Gemeinschaft von 342 christlichen Kirchen weltweit.

Ungefähr alle sieben Jahre treffen sich Vertreterinnen und Vertreter dieser Kirchen zu einer Vollversammlung, die nächste ist im Februar und zwar in Porto Alegre in Brasilien. Zu jeder Vollversammlung gibt es einen Leitspruch. Für den kommenden Februar ist er als Gebet formuliert: "In deiner Gnade, Gott, verwandle die Welt".

Ich finde, liebe Gemeinde, dass dieser Leitspruch sehr gut zusammenfasst und bekräftigt, was Paulus uns heute sagen will. Ja, wir wollen, dass sich die Welt verwandelt. Dass wir alle einmütig gesinnt sind, dass wir mit einem Munde Gott loben, dass wir einander annehmen, so wie uns Christus angenommen hat. Denn wir wissen ganz genau, dass uns nur das weiter hilft.

Und jetzt stellen Sie sich diese Vollversammlung im Februar vor: es werden weit über 2000 Menschen erwartet, aus vielen Ländern, aus vielen verschiedenen Konfessionen. Sie werden diskutieren und sich streiten und es wird auch ganz menschlich zugehen. Und wieder einmal wird allen klar werden, dass die Einheit der Christenheit kein menschliches Werk sein kann. Das kann nur der Heilige Geist bewirken! Deshalb ist dieser Leitspruch als Gebet formuliert: „In deiner Gnade, Gott, verwandle die Welt“. Denn nur die Gnade Gottes kann uns voranbringen. Zurück zu ihm, zur Quelle des Heils, des Trostes und der Befreiung.

Gleichzeitig ist allen klar, dass wir genau so gefragt sind, wenn es um die Verwandlung der Welt geht, um Frieden, um Gerechtigkeit, um die Bewahrung der Schöpfung. „Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau.“ heißt es bei Paulus an einer anderen Stelle.

Nein, wir lehnen uns nicht zurück. Wir meinen aber auch nicht, dass wir ohne die Gnade Gottes viel bewirken könnten. Deswegen ist es gut zu beten: "In deiner Gnade, Gott, verwandle die Welt". Wir tragen dieses Gebet immer wieder vor Gott und halten uns selbst daran fest. Christus hat uns angenommen, also können auch wir einander annehmen. Er gibt uns den Grund und die Kraft, so zu tun. Mit Paulus wünschen wir uns in deshalb, dass uns der Gott der Hoffnung mit aller Freude und mit Frieden im Glauben erfülle, damit wir immer reicher werden an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes. Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Hannover
johannes.neukirch@evlka.de


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