Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 20. November 2005
Predigt über Daniel 12, 1b-3, verfasst von Angelika Überrück
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

Wir haben am Anfang dieses Gottesdienstes noch einmal die Namen aller derer gehört, die im letzten Kirchenjahr aus unserer Gemeinde gestorben sind. Dabei haben wir für jeden eine Kerze angezündet. Das macht betroffen. Dieser Sonntag ist bedrückend: Er erinnert uns noch einmal an die schwersten Stunden des vergangenen Jahres. Wir erinnern uns an die Gesichter, die vor einem Jahr noch unter uns lebten. Wir erinnern uns noch einmal an gemeinsame Erlebnisse und Begebenheiten. Wir erinnern uns an die Situation des Abschieds. An das, was wir sagen und tun konnten und an das, was offen geblieben ist. Alte Wunden brechen auf. Die Erfahrung von Ohnmacht und Trauer wird wieder lebendig.

Der Tod hat viele Pläne zunichte gemacht. Er hat Gemeinsamkeiten zerstört. Hoffnungen mussten begraben werden. Der Tod ist und bleibt ein tiefer Einschnitt und stellt unser Leben in Frage. Was ist eigentlich wirklich wichtig? Wie kann ich weiterleben?

Unser Predigttext heute enthält viele alte Bilder. Aber auf den ersten Blick wirken die alten Bilder nicht tröstlich, ganz im Gegenteil. Wir wünschen uns Trost. Ich möchte Sie einladen, sich mit diesen alten Bildern zu beschäftigen, um zu erfahren, was sie uns angesichts unserer Trauer sagen können.

Da ist das erste Bild vom Gericht Gottes am Ende der Zeiten. Gott wird trennen zwischen denen, die zum ewigen Leben erwählt sind und denen, die zu ewiger Schmach und Schande bestimmt sind. Sie kennen sicher Darstellungen des Gerichtes auf Altären, wo Gott als Richter thront, auf der einen Seite fröhliche Menschen, auf der anderen Seite die Verdammten, die manchmal sogar als Skelette dargestellt sind. Auf der einen Seite die, die alles gewinnen und auf der anderen Seite die, die alles verlieren. Es sind Bilder, die uns vor Augen führen, dass es gutes und gelungenes Leben gibt und eines, dass nicht vor Gott bestehen kann.

So lange wir nicht selbst betroffen sind, sieht man sich diese Bilder an oder hört die Worte: "Viele, die in der Erde schlafen, werden erwachen, die einen zu unvergänglichem Leben, die anderen zu ewiger Schmach und Schande." Aber wenn wir darüber nachdenken, was mit unseren Angehörigen ist und später auch einmal mit uns, dann ruft dieses Bild Ängste hervor. Und es macht betroffen. Die Teilung in die, die vor Gott bestehen können und die, die nicht bestehen, ist schwer zu ertragen. Denn es stellt uns vor die Frage: werden wir, werden unsere Verstorbenen zu denen gehören, die auferstehen? Oder werden wir zu denen gehören, die verdammt sind?

Menschen haben immer wieder mit guten Taten versucht, zu denen zu gehören, die auserwählt sind. Aber was ist gut? Können wir das eigentlich ermessen? Was ist eigentlich das Wichtige, das Gute an einem Menschenleben? Welche Kriterien legt Gott an? Wir überlegen, welche Taten denn ausreichen würden, um am Ende zu denen zu gehören, die ein gelungenes Leben geführt haben. Reicht es, jeden Tag eine gute Tat zu tun? Reicht es, ab und an mal in den Gottesdienst zu gehen? Reicht es, nett zu den Nachbarn zu sein und keinen Streit mit ihnen zu haben? Und was ist, wenn es Streit gab in der Familie, im Freundeskreis, im Ort? Gehört man dann automatisch zu denen in Schmach und Schande?

Sie merken, diese Fragen können uns verrückt machen. Sie helfen uns nicht weiter in unserer Trauer, in unserem Abschied-Nehmen.
Diese Fragen nicht und auch das Bild von den Erwählten und den Verlierern nicht.
Aber was soll dieses Bild dann, was will es uns dann sagen?

Für mich liegt der Sinn dieses Bildes vor allem darin, uns aufmerksam zu machen. Es will uns sagen, dass ich mein Leben vertun kann. Nicht jedes Leben ist ein gelungenes Leben, nicht jedes Leben ist gut und sinnvoll. Aber auch das tröstet noch nicht. Denn dabei bleibt eine Frage: Wie kann unser Leben denn gelingen?
Zum Glück ist der Predigttext hier noch nicht zu Ende.

Er enthält vielmehr ein zweites Bild. Eines, das durchaus positiv ist und mir Trost gibt. Es sagt: unsere Namen sind im Buch des Lebens aufgeschrieben. Wenn Sie heute über den Friedhof gehen oder in den letzten Wochen gegangen sind, dann haben Sie vielleicht auf dem einen oder anderen Grabsteinein aufgeschlagenes Buch gesehen. Die meisten denken dabei an die Bibel. Aber es könnte auch das Buch des Lebens sein. Es gibt einen Kanon, den ich sehr gerne singe, weil er die Gewissheit enthält, dass im Leben alles vergänglich ist, nicht aber unser Leben im Angesicht Gottes. Der Kanon heißt: "Alles ist eitel, du aber bleibst und wen du ins Buch des Lebens schreibst." In Gottes Buch des Lebens stehen die Menschen, die zu ihm gehören. Seit unserer Taufe sind wir Kinder Gottes, die zu ihm gehören und in seinem Buch stehen.

Vielleicht tragen wir deshalb auch die Taufe in unsere Kirchenbücher, um ein Abbild davon zu haben, wie das aussieht, wenn unsere Namen aufgeschrieben sind als zu Gott gehörig. Und so wie heute eine Kerze für jeden Verstorbenen auf dem Altar steht, so bekommen wir auch bei der Taufe eine Kerze. Bei der Taufe macht die Kerze deutlich: Du bist Gott wichtig. Gott begleitet dich. Er ist das Licht in deinem Leben. Du bist sein Kind. Die Kerzen heute sagen uns: Das gilt auch für die Verstorbenen. Jede und jeder von ihnen war ein unverwechselbarer Mensch. Sie geraten nicht in Vergessenheit.

Weil für uns Christen wichtig ist, dass Gott einen Menschen für unverwechselbar und einmalig hält, nennen wir auch seinen Namen bei der Beisetzung. Deswegen ist es uns wichtig, dass auf dem Grabstein ein Name steht. Wir vertrauen darauf, dass der Tod bei Gott eben nicht das Letzte ist. Sondern dass wir bei ihm auch über den Tod hinaus gut aufgehoben sind.

Diese Zusage, dass Gott unsere Namen ins Buch des Lebens schreibt, damit keiner in Vergessenheit gerät, ist für mich tröstlich. Gott ist da, auch dann, wenn wir ihn vielleicht in manchen Situationen der Trauer nicht spüren.

Das nächste Bild gibt uns eine Antwort auf die Frage, wie unser Leben gelingt. Sie lautet: "Die Menschen, die Gottes Weisheit bewahrt und vielen Menschen den Weg zum Leben gezeigt haben, werden für alle Zukunft leuchten wie die Sterne am Himmel."

Gelingendes Leben zeigt anderen Menschen den Weg zum Leben. Aber wie will ich einem Anderen zeigen, wie sein Leben gut werden kann, wo ich es doch selbst manchmal gar nicht weiß? So werden Sie jetzt vielleicht denken.

Es geht sicher nicht darum, für einen anderen ein perfektes Lebenskonzept zu entwerfen oder Patentrezepte bereit zu haben. Für mich beginnt der Weg zu einem gelingenden Leben mit ganz kleinen Zeichen und Gesten, die einem Anderen deutlich machen: Du bist wichtig.

Denken Sie noch einmal zurück an die letzten Tage, Wochen oder Monate. Da fallen Ihnen natürlich die Stunden ein, in denen Sie einsam und allein waren. All das, was traurig gestimmt hat.

Aber gab es nicht auch das Andere: Menschen, die ein freundliches Wort hatten? Jemand, der zuhörte? Jemand, der Sie für kurze Zeit auf andere Gedanken gebracht hat? Der Sie eingeladen hat, als Sie es gerade brauchten? Der Sie vielleicht überredet hat, mal wieder ein paar Tage zu verreisen? Oder der Ihnen ein Buch geschenkt hat? Oder jemand, der Ihnen bei Entscheidungen geholfen hat? ... Ich hoffe, Sie haben solche Menschen erlebt.

Im Moment sind wir vielleicht die, die jemanden brauchen, der den Weg zurück aus der Trauer ins Leben zeigt. Aber irgendwann können wir auch die sein, die Anderen zur Seite stehen, die ein freundliches Wort brauchen oder ein wenig Zeit. Dann kann unser Leben gelingen. Es geht also nicht um großartige Leistungen, die zusammengezählt werden und am Ende abgerechnet. Sondern es geht darum, dass wir Gottes Liebe weitergeben.
Und wir werden für allezeit leuchten wie Sterne am Himmel.

Mit diesem Bild erklären wir oft unseren Kindern den Tod. Vielleicht haben Sie das auch getan. Wenn Eltern erklären müssen, wo der Opa oder die Oma nun ist, dann sagen sie oft: Der Opa oder die Oma ist nun ein Stern und sieht auf uns herab. Natürlich wissen wir alle, dass das alles viel schwieriger und komplizierter ist, aber dieses einfache Bild hilft. Es gibt uns das Gefühl, dass die Toten nicht ganz weg sind. Dass sie irgendwie vielleicht noch mitbekommen, wie es uns geht. Ich denke, wir brauchen solche Bilder, um trauern zu können, um Trost zu finden.

Soweit die Bilder unseres Textes. Als Christen können wir den Predigttext des Alten Testamentes noch um ein Bild ergänzen. Die Szene des Gerichtes sieht seit Christus anders aus. Gott trennt am Ende der Zeit, aber neben ihm auf dem Thron sitzt Jesus Christus. Jesus Christus ist nicht ein strahlender und schöner Mann, sondern der, der am Kreuz hing. Der grausam gefoltert und gequält wurde, verraten und schließlich ans Kreuz genagelt. Und da sagt er: "Vater, vergib ihnen."

Auf diese Worte können auch wir vertrauen. Jesus ist gestorben, damit wir nicht allein vor Gott treten müssen. Damit wir ihn als unseren Fürsprecher haben. Jesus Christus wird am Ende der Zeiten mit entscheiden. Wenn wir das wissen, dann müssen wir auch keine Angst mehr haben vor Gottes Gericht. Jesus Christus wird für uns eintreten und mit seiner Liebe für uns da sein. Das ist unser größter Trost. Und er ist uns jetzt schon nahe, weil er weiß, wie es ist, einsam zu sein und allein. Er kennt die dunklen Stunden. Deshalb können wir uns auch an ihn halten. Wir können ihm vertrauen und er wird uns zu denen machen, die am Ende leuchten wie die Sterne am Himmel.

Amen

Angelika Überrück
Pastorin
Eschenweg 3
59423 Unna
Tel.: 02303/256276
Email: RUeberrueck@t-online.de

 


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