Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 20. November 2005
Predigt über Daniel 12, 1b-3, verfasst von Jochen Cornelius-Bundschuh
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Predigttext Daniel 12, 1b-3 zum Gedenktag der Entschlafenen

"Zu jener Zeit wird Michael, der große Engelfürst, der für dein Volk eintritt, sich aufmachen. Denn es wird eine Zeit so großer Trübsal sein, wie sie nie gewesen ist, seitdem es Menschen gibt, bis zu jener Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen. Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande. Und die da lehren, werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich."

I

Ein Engel erscheint über den Gräbern, liebe Gemeinde. Es ist Michael, der Engel, der für Gottes Volk eintritt. Eine Lichterscheinung. Die Kreuze, die er berührt, leuchten auf. Die Trauernden, hinter die er tritt, fühlen sich gestärkt.

Das Licht, Gottes Licht kommt in die Welt, auch und gerade da, wo wir vor Verzweiflung und Schrecken starr sind. Das Licht leuchtet über den Gräbern, kommt zu jedem einzelnen Grab. Der Tod ist nicht das Ende. „V iele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen.“ Licht leuchtet in die Finsternis.

II

Viele von ihnen, liebe Gemeinde, mussten im vergangenen Jahr von Angehörigen, von Freundinnen und Freunden Abschied nehmen. Bei manchen war es lange vorauszusehen, bei einigen hatte dieser Weg auf den Friedhof nach einer schweren Krankheit eher etwas von Erlösung und von Ruhe finden. Für andere wieder war es ein großer Schrecken, weil die Krankheit oder der Tod überraschend kamen: ein Unfall. Ein Polizist oder ein Seelsorger, der die schreckliche Nachricht überbringt. Die Tochter, der Ehemann kommt nicht mehr wieder. Es blieb keine Zeit mehr, Abschied zu nehmen. Alles ist aus.

Für Sie alle war dieses Jahr eine Zeit der Trauer. „Ein e Zeit so großer Trübsal sein, wie sie nie gewesen ist.“ Lässt sich Trost finden und neue Hoffnung? Manche müssen reden und immer wieder reden; andere brauchen die Ruhe, gehen die Stationen des gemeinsamen Lebens noch einmal entlang; suchen zu klären, was vielleicht vor dem Tod nicht mehr zu klären war.

Der Gang auf den Friedhof ist eine der Formen, Abschied zu nehmen. Einen Ort zu haben, an dem wir traurig sein können, an dem wir noch einmal Zwiesprache halten können, an dem wir über die Bedeutung der Verstorbenen für uns nachdenken können. Das ist gut! Und manchmal ist der Friedhof auch ein Ort, sich gegenseitig zu trösten, anderen Menschen zu begegnen, die in einer ähnlichen Situation sind, miteinander traurig zu sein.

III

Michael macht es hell über den Gräbern! Und „alle, die im Buch des Lebens geschrieben stehen und unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen.“ Das ist eine große Verheißung – und ein Trost. Ja, Gott überlässt die Verstorbenen nicht dem Tod. Es gibt ein Erwachen. Mit schnellen, großen Schritten schreitet die Lichtgestalt über das Gräberfeld, scheint dahin und dorthin zu fassen, an dieses Kreuz, an jenen Grabstein. Und alles, was der Engel berührt, strahlt auf, wo der Engel seinen Blick hinrichtet, tun sich die Gräber auf.

Viele Maler haben diese Szene gemalt; auf vielen Altären ist dieses Motiv zu sehen. Die Gräber öffnen sich und die Menschen steigen daraus hervor. Zwischen Himmel und Erde ist Bewegung. Es schwirrt von himmlischen Wesen und von aufwachenden Menschen.

Doch ihr Weg teilt sich! Da führt eine Leiter oder Treppe in den Himmel, ins ewige Leben. Und auf der anderen Seite tut sich ein Loch auf: groß, schwarz und feurig! „ Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande.“

IV

Was wird aus unseren Verstorbenen? Welcher Weg liegt vor ihnen? Und welcher Weg liegt vor mir, vor uns? Kann unser Gott, der liebende Gott, der Gott, der das Verlorene sucht und immer wieder neu aufrichtet, schickt dieser barmherzige Gott uns wirklich ins Gericht? Und woran entscheidet sich, welchen Weg wir gehen müssen?

Heinz Rühmann hat uns als Hauptmann von Köpenick heiter und humorvoll an das Endgericht erinnert. Dann, wenn jeder und jede für sich antworten muss, für sich gerade stehen muss. „Und denn, denn stehste vor Gott, dem Vater, ... vor dem stehste denn, und der fragt dir ins Jesichte: Willem Voigt, was haste jemacht mit dein Leben? Und da muß ick sagen - Fußmatte, muß ich sagen. Die hab ick geflochten im Jefängnis, und dann sind se alle drauf rumgetrampelt, muß ick sagen. Und zum Schluß haste jeröchelt und jewürcht, um det bißchen Luft, und dann wars aus. Det sagtse vor Gott, Mensch. Aber der sagt zu dir: Jeh wech! Sagt er! Ausweisung! Sagt er! Dafür hab ick dir det Leben nich jeschenkt, sagt er!“

Willem Voigt, der Hauptmann von Köpenick hat es geschafft, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen und noch mal etwas aus seinem Leben zu machen. Kann er damit vor Gott bestehen? Wie wird es ihm gehen im Gericht? Ich weiß die Antwort nicht.

Aber ich weiß, dass nicht nur ich Lasten mit mir herum trage: Geheimnisse und Sorgen, Streitpunkte, die ich nicht klären konnte. Ich bin anderen manches schuldig geblieben. Ich habe überlegt: das müsstest du endlich mal klären, mit demjenigen müsstest du dich aussprechen, bei derjenigen dich entschuldigen. Und plötzlich ist es zu spät. Wenn Michael kommt: kann ich bestehen vor Gott?

V

Ich weiß keine Antwort. Aber ich vertraue auf Jesus. Ich glaube, dass er da sein wird, wenn sich die Gräber auftun. Und dass er jubeln wird mit denen, die in den Himmel aufsteigen – und um jedem kämpfen wird, der in Schmach und Schande stürzen soll.

Jesus weiß darum, wie schwach wir sind; nicht nur schwach, auch falsch und böse und unfair und ungerecht. Die Jünger haben ihn verlassen, verraten, einer hat ihn verkauft. Menschen haben ihn geschlagen, ermordet. Er weiß, wie schrecklich der Tod ist, wie traurig und grausam. Und liebt diejenigen doch, die sich auf den falschen Weg machen will sie zurück holen, kämpft um jeden und jede einzelne. Und versucht, das Loch, das in die Hölle führt, zu verstopfen.

Ob es ihm gelingt? Ich hoffe es, ich glaube es. Ich vertraue darauf, dass Jesus unsere Verstorbenen und uns hinauf führen wird in den Himmel, in sein ewiges Reich.

VI

Ist Daniels Bild also überholt? Ist es sinnlos geworden, seit Jesus von den Toten auferstanden ist und Gott sich ein für alle mal festgelegt hat: ich bin Gott für euch! Ich will euer Leben, euer ewiges Leben!

„Willem Voigt, was haste jemacht mit dein Leben?“ Jesus steht dafür ein, dass wir am Ende den Weg in sein Reich finden. Doch dieses Reich ist zuvor schon unter uns. Die Kraft seiner Liebe verändert unser Leben heute schon. Gerade im Angesicht von Sterben und Trauer und Tod.

Wer heute schon aus der Kraft von Jesu Liebe lebt, macht die Welt heute schon heller. W er ausharrt am Bett eines Sterbenden und Trost spendet, wer die Hand hält, zuhört, einfach da ist – bringt den Glanz des Himmels in unsere Welt.

Wer ein Ohr und ein Herz hat für die, die Wand an Wand wohnen. Wer merkt, wenn der Nachbarin der Schuh drückt. Wer nicht vorbeigeht, wer fragt, kann ich helfen, willst du dich mal aussprechen – bringt den Glanz des Himmels in unsere Welt.

Wer sein Herz und seine Hand öffnet auch für die, die fremd sind. Für die, die uns unsympathisch sind, die uns verärgert haben, die schlecht über uns reden. Wer vergeben kann denjenigen, die an ihm schuldig geworden sind und um Verzeihung bitten kann bei denen, denen er nicht gerecht geworden ist– bringt den Glanz des Himmels in unsere Welt.

Da ist ein Leuchten in der Welt, der Glanz des Himmels breitet sich. Menschen verlieren die Angst: Kann ich bestehen vor Gott? Sie spüren Gottes Liebe und erfahren: Gottes Gerechtigkeit trägt mich im Leben und im Sterben.

VII

Wir wissen nicht, was aus uns wird, wenn der Engel Michael durch das Gräberfeld schreitet und sich die Gräber auftun. Wenn Gott alles in allem ist und seine Liebe den Tod überwindet. Wir wissen es nicht, aber wir schauen auf Jesus und vertrauen ihm. Er tritt für uns ein. Er kämpft darum , dass wir das ewige Leben ererben. Dass sich am Ende der Glanz des Himmels auf unserem Gesicht zeigen wird.

Dieses Vertrauen, dass Jesus uns durch das Gericht in das ewige Leben führt, macht uns nicht gleichgültig, sondern gütig und liebevoll im Miteinander. Wir geben die Liebe Gottes weiter; teilen die Sorgen, die Trauer, die Not. Stärken uns. Machen uns Mut. Lehren uns gegenseitig auf Gottes Liebe zu vertrauen.

Die Lasten, die wir nicht zu tragen vermögen, die Streitereien, die wir nicht lösen können, das, was wir einander schuldig bleiben, überlassen wir Jesus. Er bringt die ungelösten und belastenden Dinge zu seinem Vater, vertraut uns und unsere Verstorbenen der Liebe Gottes und seiner Barmherzigkeit an.

Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, und werden leuchten wie des Himmels Glanz und wie die Sterne immer und ewiglich.

Amen.

Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
Gesundbrunnen 10
34369 Hofgeismar
cornelius-bundschuh@ekkw.de

 


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