Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 16. November 2005
Predigt über Matthäus 12, 33-37, verfasst von Cornelia Coenen-Marx
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Zu dem Pfarrhaus meiner Kindheit gehörte ein riesiger Obst- und Gemüsegarten mit Erbsen und Bohnen, Kartoffeln und Erdbeeren – und mit Apfelbäumen. Rotbackige , kleine Äpfel, aus denen meine Mutter Kompott kochte. Und auch Quitten für Gelee. Es gab reiche und karge Apfeljahre, es gab Früchte mit Macken, auch manche, in denen der Wurm war – aber die allermeisten Bäume waren gesund und trugen reichlich. Ich liebte diesen Apfelgarten und denke , wenn ich zurückblicke, kaum an faule Früchte und tote Bäume. Aber die gab es natürlich auch.
Die Zeiten meiner Kindheit sind vorbei – und wenn ich heute auf den Markt oder in den Supermarkt gehe, dann sehe ich überhaupt nur noch gute Früchte ... Kein Macken mehr, keine Würmer. Alles sieht glänzend aus. Gespritzt und verpackt – und manche vielleicht sogar gentechnisch verändert. Nein, noch ist es vor allem Soja und Mais, der großflächig transgen behandelt wird – nicht nur in den USA und Kanada, auch in Argentinien zum Beispiel. Ob das auf Dauer eine Chance hat ? Vielen Menschen sind solche Manipulationen unheimlich.
Ist nicht das Echte immer auch gefährdet, hat eben manchmal seine Macken ?
Nicht nur bei Obst und Gemüse zählt in der Mediengesellschaft die Verpackung – nicht nur hier hat man manchmal das Gefühl, dass das Echte verdrängt wird und untergeht. Bei all den großen Auftritten die nachhaltige Debatte. Bei all den großen Worten die innere Motivation. So oft spüren wir genau, dass Worte und Handeln nicht zusammen passen. Selten wird wahr, was Alfred Herrhausen einst propagierte: dass wir tun, was wir sagen. Und sagen, was wir denken. Dass Denken und Handeln übereinstimmen. Wir sind Menschen – fehlerhaft eben und ganz und gar nicht perfekt – auch wenn wir versuchen, diesen Eindruck zu erwecken.

Aber das kann uns nicht hindern, genau hinzusehen. Damit uns keiner ein x für ein u vormacht – damit wir uns nicht täuschen lassen. Das Wort vom guten Baum, der gute Frucht bringt und vom schlechten Baum , der faule Früchte bringt, verstehe ich als Aufforderung zur Unterscheidung. Nehmt die Früchte in die Hand, bevor Ihr sie kauft und esst – seht sie Euch genau an. Geht da einer ehrlich mit Euch um ? Kann man sich auf ihn verlassen ? Es ist offenbar gar nicht so einfach, das zu beurteilen. In der konkreten Situation wissen die Pharisäer nicht so genau, wie sie Jesus beurteilen sollen. Was soll man von einem halten, der am Sabbat heilt und einem Blinden den bösen Geist austreibt. Ist er mit dem Satan im Bunde oder mit Gott? Urteilt selbst, sagt Jesus, der gute Baum bringt gute Früchte.

In unseren Tagen startete eine Initative gegen Ehrenmorde. „ Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen“ steht auf einer Postkarte, die in Berliner Schulen, Cafes und Jugendämtern verteilt wird. Zwei türkische junge Männer haben sich dafür mit ihren Schwestern fotografieren lassen. „Das Wort Ehre bedeutet mir nicht viel“, sagt Sinan, „die Liebe zählt mehr“. „ Für meine Eltern, sagt er, ist das aber schwer vorstellbar. Der Vater war sauer, weil er Angst um seinen Sohn hatte. Angst, dass er für diese Provokation bestraft würde. Denn Ehre ist schließlich ein hoher Wert. – Oder doch eine faule Frucht ? Eine Frucht falscher Gesetzlichkeit ?

Jesus hat offenbar harte Worte gefunden gegen die Gesetzlichkeit und Hartherzigkeit der Pharisäer. Und andere haben sich angeschlossen . Solche Jesusworte wurden als Beleg genommen für so manches antijudaistische Vorurteil. Die Gefahr liegt nahe, dass wir uns auf die Seite Jesu schlagen , als wüssten wir schon, wer Gutes tut und wer Böses. Die Gefahr ist groß, dass wir ganze Gruppen zu Sündenböcken machen – die Pharisäer, die Türken, die Moslems... Es könnte sich lohnen, die Auslegungsgeschichte dieses Textes einmal kritisch zu beleuchten.

Heute am Buß- und Bettag scheint mir die Selbstprüfung wichtiger. Gerade wir hier in Deutschland haben zur Zeit allen Anlaß dazu.
Erwarten wir von der Politik, dass sie uns nur die süßen Früchte zeigt ? Wünschen wir uns ein Schlaraffenland und ermutigen wir Politik und Medien, uns etwas vorzumachen ?
Strafen wir die ab, die uns in Frage stellen, auf faule Stellen und Macken aufmerksam machen?
Wie gehen wir auch mit unseren internationalen Beziehungen um ? Suchen wir Sündenböcke für unsere Wirtschaftssituation ?
Nehmen wir Frieden und Wohlstand überhaupt noch wahr ?

Jesus ermutigt, nicht nur auf den Augenblick zu sehen, sondern auf das Ganze. Auf den Zusammenhang. Ein guter Baum bringt gute Früchte – aber er braucht auch Pflege
Wer in mir bleibt, und ich in ihm - sagt Jesus an anderer Stelle, der bringt viel Frucht. Ich verstehe das als Aufforderung, auf die Kraft zu achten, die unser Leben und Handeln bestimmt. Ist es der Geist Jesu Christi? Die Liebe zu den Menschen? Die Treue zu seiner Kirche? Welche Rolle spielen Geld und Geschäft, welche Rollen weisen wir uns selbst und anderen zu? Wie gehen wir mit Stärke und Schwäche um?

Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Der wird gute Früchte bringen, auch wenn er einmal für eine Zeit wenig trägt. Weil er an der Quelle lebt. In Gottes Apfelgarten sozusagen. Ich wünsche uns, dass wir uns da zu Hause fühlen und uns freuen, an dem, was er gibt. Auch wenn es manchmal so ganz anders ist, als wir erwarten. Amen.

Cornelia Coenen-Marx
cornelia.coenen-marx@ekd.de
Homepage: www.coenen-marx.de


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