Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres (Volkstrauertag), 13. November 2005
Predigt über Lukas 16, 1-8, verfasst von Armin Kraft
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Volkstrauertag – und dann solch ein Predigttext!? Das Volk soll zum Trauern bewegt werden – und hier die Geschichte eines Angestellten, der seinen Chef betrügt! Wie sollen wir damit klarkommen? Was hat das Himmelreich mit einem Betrugsmanöver zu tun? Nun – es handelt sich um ein Gleichnis. Es soll etwas verglichen werden. Jesus erzählt uns dieses Betrugsmanöver eines ungerechten Mitarbeiters als ein Gleichnis. Das Himmelreich hat etwas mit Gott und mit uns zu tun.

Es geht nicht darum, uns zum Betrug zu ermuntern. Aber es geht darum, dass wir mit dieser ungewöhnlichen Geschichte in unsere gewöhnliche Geschichte heute erreicht werden sollen. Also: nicht gleich Volkstrauertag – sondern Zwischenschritte!

Da ist ein Mann, ein Gutsverwalter, dem seine Entlassung bevorsteht. Er ist bei seinem Chef, dem Gutsbesitzer, angezeigt worden. Man wirft ihm vor, er bringe das Vermögen seines Chefs durch. Der Gutsbesitzer prüft den Vorwurf gar nicht erst lange, sondern kündigt dem Verwalter seine Entlassung an. Der Verwalter muss die Zahlen in den Geschäftsbüchern abschließen und sie dem Chef übergeben. Die Zeit der gesicherten Existenz dieses Mannes findet plötzlich ein Ende. Der Entlassung steht vor der Tür. Und was kommt nach diesem Ende? Wie soll es weitergehen mit ihm? Der Verwalter blickt besorgt in die Zukunft. Denn in dieser Zukunft begegnen ihm die Folgen seiner Vergangenheit, die ihm ja zum Vorwurf gemacht werden. Ein wegen Veruntreuung entlassener Verwalter wird kaum wieder eine neue Arbeitsstelle bekommen. Was bleibt ihm übrig? Graben kann er nicht, dazu reichen seine körperlichen Kräfte nicht aus. Betteln aber mag er nicht, dazu ist er, der bisher selbst Bettler beglücken oder von sich weisen konnte, zu stolz. Was soll aus ihm werden? Drohend liegt die Zukunft vor ihm, die ihm seine Vergangenheit beschert hat. Jesus erzählt uns dieses Gleichnis sicherlich nicht, um uns mit diesem Mann zu verwechseln, dem man Vermögensveruntreuung vorwirft. Jesus will uns nicht schlecht machen, nicht schlechter als wir sind. Jesus will uns vielmehr in das rechte Licht rücken, in das Licht des Himmelreiches. In diesem Licht gehen uns die Augen auf über unsere Lage. Dann sehen wir, wie wir eigentlich dran sind. Mit dem Halunken aus dem Gleichnis lassen wir uns nicht ohne weiteres vergleichen, aber mit seiner Lage! Gleicht sie nicht unserer eigenen Lage in einer bezeichnenden Weise? Wer von uns kann denn noch sorglos in die Zukunft blicken? Viele von uns sehen ihre Zukunft drohend und bedrohlich. Die Zukunft bedroht uns aufgrund unserer eigenen Vergangenheit. Volkstrauertag! Was da an Zukunft auf uns zukommen wird im Leben unseres Volkes, im Leben unserer Kirche, in unserem eigenen Leben – das ist auch Folge unserer eigenen Vergangenheit. Unsere Zukunft ist bedroht, weil uns unsere eigene Geschichte bedroht: Sorgen und Ungewissheit sind da!

Eine Unruhe, die uns im Blick auf eine drohende Zukunft bewegt, verbindet uns mit dem Haushalter im Gleichnis. Das Gleichnis, in dem das Himmelreich sein Licht auf uns wirft, lässt uns erkennen, wer wir sind. Die Sorge ist unser Aufenthalt und Ungewissheit ist unser Schicksal. Die Angst vor dem, was kommen könnte, lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Hölderlin dichtet: „Uns ist gegeben auf keiner Stätte zu ruhn, es schwinden, es fallen die leidenden Menschen blindlings von einer Stunde zur anderen wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen, Jahre ins Ungewisse hinab ….“ So sind wir. Das ist unser Aufenthalt: Von einer Stunde zur anderen, von Klippe zu Klippe geworfen, jahrelang ins Ungewisse hinab zu fallen. Und in dieser Lagebeurteilung sind wir dem Mann aus dem Gleichnis vergleichbar.

Doch der Mann aus dem Gleichnis fand sich mit diesem Schicksal nicht ab. Er war entschlossen, die drohende Zukunft von sich abzuwenden. Und zu diesem Zweck führt er nun ein raffiniertes Betrugsmanöver durch. Jetzt hat er noch Möglichkeiten in der Hand. Noch ist er nicht entlassen. Aber seine Entlassung steht unweigerlich vor der Tür. Was ihn dann erwartet ist Armut und Schande. Armut und Schande will er nicht auf sich nehmen. Also muss er jetzt, solange er noch Gutsverwalter ist und noch Macht in der Hand hat, handeln. Er tut es, in dem er sich die Schuldner seines Chefs zu Freunden macht. Kurzerhand lässt er sie kommen und ihre Schuldscheine verändern, in dem er ihnen einen beträchtlichen Teil ihrer Schuld erlässt. Das alles geschieht in großer Eile, denn die knappe Frist, die dem Verwalter bis zur Entlassung bleibt, muss genutzt werden. Er nutzt sie mit dem Betrugsmanöver. Dass er seinen Herrn betrügt, kümmert ihn nicht. Jetzt kümmert er sich nur noch um seine Zukunft. Dafür nutzt er die Frist, die ihm geblieben ist, denn die Schuldner, denen er jetzt einen großen Teil ihrer Schuld erlässt, werden ihm das danken. – So weit die Geschichte – ein Gaunerstück! Vielleicht schmunzeln wir ein wenig über dieses Gaunerstück, weil es uns so geht wie einem Bekannten, der gesagt hat: Wenn eine richtige Gaunerei ordentlich klappt, so mag sie noch so empörend sein, sie nötigt uns doch ein Schmunzeln ab.

Doch zur Nachahmung empfiehlt sich dieses Gaunerstück keineswegs.

Aber auch dieser Teil der Geschichte, der uns das Betrugsmanöver des um seine Zukunft besorgten Haushalters schildert, gehört ja zu dem Gleichnis vom Himmelreich. Und im Namen des Himmelreichs zum Betrug aufrufen, wollte Jesus allerdings nicht. Im Gegenteil!

Das Himmelreich will uns aus allem Selbstbetrug herausreißen!

Jesus hat uns an dem Gleichnis klar gemacht, wo wir uns befinden, damit wir uns keiner Selbsttäuschung hingeben. Ebenso sagt uns das Gleichnis aber auch, was geschehen soll, damit wir der Zukunft, die auf uns zukommt, getrost entgegen gehen können. Das macht uns das Gleichnis an diesem Betrüger klar. Jesus lobt den Haushalter, weil er klug gehandelt hat. Klugheit besteht darin, dass er seine Zeit, die kurze Frist, die ihm noch bis zur Entlassung blieb, zu nutzen verstand. Der betrügerische Verwalter hat keine Zeit zu verlieren, er muss jetzt handeln, ihm kann nur die Gegenwart helfen. Das hat er klug erkannt und so rettete ihn seine Geistesgegenwart. Die Geistesgegenwart des Betrügers soll uns als Beispiel dienen. Wir sollen uns an seiner Klugheit orientieren, wie er die Gegenwart richtig einschätzt. Jetzt ist dafür zu sorgen, dass die Zukunft nicht als Drohung auf uns zukommt.

Aber wie können wir das schaffen? Sind wir nicht ohnmächtig?

Wenn wir so fragen und jammern, dann haben wir die Stimme des Himmelreiches in diesem Gleichnis immer noch nicht vernommen, dann haben wir die Gefahr noch nicht richtig eingeschätzt, die uns das Gleichnis vor Augen führt. Denn solche Resignation rechnet allein mit der Zukunft von Menschen. In dem Gleichnis aber geht es um das Himmelreich, also um eine Zukunft, die von Gott auf uns zukommt. Gott ist es, der unsere Zukunft an unserer Vergangenheit messen wird. Gott ist es, der uns als Herr der Zeit entgegen treten wird, um uns nach unserem Umgang mit unserer Zeit zu richten.

Wie sind wir mit unserer Zeit umgegangen? Haben wir die Zeit verplempert? Haben wir sie genutzt zum Mitmenschlichen, zum positiven Miteinanderleben?

Jeder Tag ist ein Baustein am Lebenshaus. Was haben wir daraus in der uns geschenkten Zeit gebaut? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, wir sind Diebe an der Zeit. An der Zeit, die uns persönlich gewährt worden ist, aber auch an der Zeit unserer Mitmenschen. Und Diebe gehören bestraft. Deshalb droht uns die Zukunft, sie droht uns schließlich mit einem totalen Zeitverlust, mit dem Tod in Ewigkeit. Denn die Drohung, die uns droht, ist nicht nur die Ungewissheit des menschlichen Lebens, sondern die Gewissheit des Todes. Mit jedem Tag und jeder Stunde gehen wir ihm entgegen und damit auch – so sagt es der christliche Glaube – dem Herrn der Zeit, der uns daran messen wird, wie wir mit der Zeit, die er uns gab, umgegangen sind. Doch wir hätten unser Gleichnis immer noch nicht richtig verstanden, wenn wir nur diese Drohung vernehmen würden. Jesus lobt ja den ungerechten Haushalter, weil er die Drohung der Zukunft abzuwenden verstand, weil er die Gegenwart klug nutzte. Ebenso will Jesus mit diesem Gleichnis uns eine Gelegenheit geben, die Drohung von unserer Zukunft abzuwenden. Deshalb erzählt er uns dieses Gleichnis, das uns aufmerksam machen will, dass er, Jesus, jetzt für uns da ist. Jesu Gegenwart ist die Zeit, die er uns jetzt gibt, damit wir sie nutzen. Darin unterscheiden wir uns nämlich vom Haushalter im Gleichnis. Der musste seine Zeit, seine Gegenwart nutzen. Sie alleine konnte ihm helfen. Kein Wunder, dass die Hilfe durch Betrug zustande kam.

Uns aber hilft Jesu Gegenwart. Auf seine Gegenwart können wir uns verlassen und mit seiner Gegenwart können wir der Drohung der Zukunft standhalten. Denn Jesu Gegenwart ist die Gegenwart der Liebe. Und die Liebe allein kann die Drohung eines Gerichtes überwinden. Jesus hat uns die Liebe vorgelebt und darin unterscheidet sich nun Jesus von uns, dass er uns nicht unserer Zeit raubte, sondern sich für uns Zeit nahm.

In diese Zeit ruft uns das Gleichnis vom Himmelreich hinein, denn in dieser Zeit der Liebe ist das Himmelreich auf Erden da. Volkstrauertag - Jesus schenkt uns das Himmelreich jetzt, wenn er dieses Gleichnis zu uns spricht. Nun kommt es darauf an, dass wir klug sind, wie der Halunke im Gleichnis. Der nutzte geistesgegenwärtig seine Zeit, um die Drohung der Zukunft zu überwinden. Wenn wir neu und anders klug sind, dann nutzen wir Jesu Gegenwart, um mit ihr alle Drohungen der Zukunft zu überwinden. Die Zeit, die mit Jesu Gegenwart beginnt, wird Geschichte machen, weil Gottes Liebe Geschichte macht. Sie nimmt es auf mit der Feindschaft, dem Hass, der verplemperten Zeit, der vergeudeten Mitmenschlichkeit, dem Unglauben. Lasst uns deshalb die Zeit nutzen, die Jesus uns anbietet. Damit beginnen können wir jetzt, Gottes Reich auf Erden mitbauen, ein Reich der Liebe und der Zuversicht, ein Reich, das der Zukunft gewiss ist. Wir können es, weil Jesu Zusage uns dazu kräftigt und Gottes Liebe uns dabei begleitet. Es liegt nun an uns, ob wir dem Gericht Gottes entgegengehen oder der Liebe Gottes. Gott hat uns in der Gegenwart Jesu eine einmalige Chance gegeben. Es liegt nun auch an uns, ob wir der Zukunft unseres Volkes, unserer Kirche und unserer eigenen alltäglichen Zukunft getrost entgegen gehen können. Der Liebe nämlich gehört die Zukunft. Und Jesus will, dass wir an seiner Seite jetzt in diese Zukunft gehen. Die Liebe Gottes, die uns Jesu Gegenwart anbietet, ist unsere Chance. Lasst uns gerade heute am Volkstrauertag diese Chance nutzen. Die Chance der Liebe ist wunderbar. Unsere Gegner und Feinde werden sich wundern, wenn wir ihnen vergeben.

Ich schließe mit einem Satz des Theologen Georg Picht: „Man muss an Gott glauben, wenn man den Glauben an die verborgene Zukunft des Menschengeschlechts nicht verlieren soll.“

Armin Kraft, Propst
E-Mail c/o s.bluhm@propstei-braunschweig.de

 


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