Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Reformationsfest, 31. Oktober 2005
Liedpredigt über "Ein feste Burg ist unser Gott"
verfasst von Christian-Erdmann Schott
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Das Lied, das wir eben gesungen haben, „Ein feste Burg ist unser Gott“, ist für viele von uns seit der Kindheit ein vertrauter Bestandteil des Reformationsfestes. Manche würden etwas vermissen, wenn wir es heute nicht gesungen hätten. Es gehört zu unserer Evangelischen Identität. Es ist ein Stück Protestantismus.

Gerade darum macht es Sinn, dieses Lied – und seinen Schöpfer, Martin Luther, - einmal etwas näher zu betrachten. Von Luther stammen der Text und auch die Melodie. Wann es entstanden ist, ist nicht genau bekannt. Man meint heute, zwischen 1521 und 1529; auf jeden Fall nach 1521, dem Jahr des Bekenntnisses vor Kaiser und Reich in Worms. Auf dieses Ereignis könnten nämlich die Worte hinweisen: „Und wenn die Welt voll Teufel wär` und wollt uns gar verschlingen…“. Es gibt Äußerungen Luthers, vor allem Briefe, in denen er etwas Ähnliches gesagt hat, als man ihm abriet, nach Worms zu gehen, weil man für sein Leben fürchtete. Nicht zu Unrecht erinnerten sich damals noch manche an den tschechischen Reformator Johann Hus, dem im Jahr 1415 zum Besuch des Konzils in Konstanz freies Geleit zugesichert worden war, den man dann aber dort festgehalten und auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat. Luther wusste das, aber er sagte, „und wenn in Worms so viele Teufel wie Ziegel auf den Dächern wären, so wollte ich doch hineingehen!“.

Auf der Rückreise von Worms ist Luther im thüringisch-hessischen Grenzgebiet überfallen und im Auftrag seines Landesherren, des Kurfürsten Friedrichs des Weisen von Sachsen, auf die Wartburg in Schutzhaft gesetzt worden. Die Anfangsworte unseres Liedes „Ein feste Burg“ haben Ausleger immer wieder mit diesem Aufenthalt auf der Wartburg in Verbindung gebracht. Wenn die Wachen aufgestellt waren, die Zugbrücke hochgezogen, konnte sich der Bedrohte sicher und geborgen fühlen. Es ist gut möglich, dass dieses Erlebnis für Luther ein Gleichnis für die Geborgenheit des Christen in Gott geworden ist.

Ein zeitgebundener Hinweis wird auch im letzten Vers zu erkennen sein, wenn es heißt: „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib….“. Er erinnert daran, dass Evangelische schon sehr früh um ihres Glaubens willen verfolgt und in einzelnen Fällen sogar verbrannt wurden – so am 16. August 1527 Leonhard Kaiser in Schärding. Das Bekenntnis des ursprünglichen, durch die Reformation wiederhergestellten christlichen Glaubens hat Luther in die Reichsacht des Kaisers und in den Bann des Papstes gebracht. Es war eine gefährliche Sache. Da musste man wissen: Das Bekenntnis kann auch zu Lasten des eigenen Lebens, der Familie, der Ehre gehen, soll sich aber nach dem Apostelwort „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5,29) dadurch nicht einschüchtern lassen.

Vollumfänglich werden wir diesen großen Choral aber wohl nur dann richtig verstehen, wenn wir ihn über die Anlässe seiner Entstehungszeit hinaus in die Geschichte des durch die Zeit wandernden Volkes Gottes hineinstellen und uns klar machen: Dieses Lied hat eine lange Vorgeschichte. Sie leuchtet auf, wenn wir uns daran erinnern, dass „Ein feste Burg“ eine aktualisierende Nachdichtung des 46. Psalms ist. Dort ist von Jerusalem, der Stadt der Gegenwart Gottes, die Rede. Sie ist bedroht von Feinden, so dass sich die Bewohner ängstigen. Aber nun sprechen sie sich Mut zu mit dem Glauben, dass Gott bei ihnen ist, in der Stadt, so, dass sie sich geborgen fühlen können: „Gott ist bei ihr drinnen“ (Ps. 46,6) Gegen Gott, den Schöpfer und Herrn der Welt, den Freund der Stadt Jerusalem, kann keine Macht ankommen. Wenn er in der Stadt und bei seinem Volk ist, sind die Bewohner geschützt – „Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“ (V.8 und 12).

Man weiß nicht ganz sicher, wie alt dieser Psalm ist. Aber er war auch zu Luthers Zeiten schon seine guten 2000 Jahre alt. Er hatte schon eine lange Geschichte hinter sich. Vielen Generationen hatte er Trost und Mut gegeben. Luther greift ihn auf, um mit diesem alten Glaubenslied seine Zeit– und Glaubensgenossen zu stärken.

Die Wirkungsgeschichte des Reformationsliedes reicht bis in die Gegenwart. Während des „Dritten Reiches“ ist es in den Gottesdiensten der „Bekennenden Kirche“, meist stehend, gesungen worden. Viele sahen damals die Macht des Bösen auch in die Kirche eindringen; sahen Menschen, die durch den Zeitgeist verwirrt waren und nicht mehr wussten, was und wem sie glauben sollten. Da ging von diesem Lied eine stärkende Kraft aus.

Gesungen haben es die Leidenden des 30jährigen Krieges, in den Zeiten der Bedrohung durch die Gegenreformation, durch plündernde Soldaten, durch Hunger und Pest. Die Pilgerväter des 19. Jahrhunderts haben es gesungen auf ihren Auswandererschiffen, weil auch ihnen deutlich war: Das Leben ist bedroht von dem „Fürsten dieser Welt“, dem „altbösen Feind“, der es durchaus „Ernst meint“.

Seine Macht scheint übermächtig. Er spielt sich auf, als sei er der Herr der Welt. Und die Menschen haben Angst. Sie durchschauen ihn nicht. Sie fühlen sich ihm gegenüber wehrlos, machtlos, ausgeliefert. Dieses Gefühl artikuliert das Bekenntnis im Vers davor: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren“.

Diese Angst ist uns nicht fremd. Unsere Zeit hat ihre Ängste, Weltuntergangsängste, geschürt durch die Gefahr, dass die technischen Möglichkeiten, die wir geschaffen haben, und ihre Folgen, die wir nicht voraussehen, von uns nicht mehr beherrscht werden können. Nicht wenige Menschen glauben heute, dass wir zu den letzten Generationen gehören, die auf dieser Erde leben. Ganz abgesehen von den Ängsten, die durch Korruption, politische, wirtschaftliche, religiöse, kulturelle Machtkonzentrationen, Ideologien, Terrorismus, soziale Verschiebungen und Verwerfungen, Millionen von Menschen ergreifen und beherrschen.

Aber Luthers Lied weiß nicht nur Angst und Ohnmacht zu artikulieren, sondern weist hin auf den Helfer: „Fragst du, wer er ist, er heißt Jesus Christ“. Er ist in unsere Welt gekommen, um mitten in ihren Dunkelheiten und Bedrohungen ein Licht anzuzünden, das Licht Gottes, das uns vertrauen und geborgen sein lässt, weil wir glauben dürfen, dass wir, in allem, was auch kommen mag, nie aus den Händen Gottes herausfallen können.

Denn am Ende dieser Weltzeit steht nicht das Nichts oder ein von Menschen verursachtes Chaos, sondern der Sieg Gottes, sein Reich, seine Herrschaft. Darum gilt: „Das Feld muss er behalten“. Diese große, tröstliche, zuversichtliche Perspektive muss der Christ stets im Auge behalten, damit er sich von den vielen Erscheinungen um uns herum, die dagegen sprechen und uns bedrücken, nicht unterkriegen lässt.

Der Anfang dieses Endsieges hat schon begonnen, allerdings verborgen, für Nichtglaubende nicht wahrnehmbar, aber doch als eine starke geistliche Realität, als das geistliche Reich Gottes, das den Christen mehr bedeutet als alles, was die Welt zu bieten hat. Was die Welt zu bieten hat, ist vergänglich. Unvergänglich, weil an Gott teilhabend, ist dagegen das geistliche Reich, das unzerstörbare und unbesiegbare Reich Gottes. Dieses „Reich muss uns doch bleiben“.

Luther hat diesen Sachverhalt einmal so beschrieben: „Christi Reich auf Erden ist nicht ein weltlich Reich, es bestehet auch nicht darin, wie man hier auf Erden esse, trinke, haushalte, des Leibes warte, dazu alle Notdurft dieses Lebens geordnet und vorhanden sein müssen, sondern er hat ein solch geistlich Reich geordnet, dass man darin göttliche ewige Güter suchen und finden soll, und dasselbe auch so bestellt, dass es mit Gottes Wort, Sakramenten, Kraft und Gaben des heiligen Geistes reichlich versorgt ist und bleibt und gar nichts mangelt an dem, was fürs ewige Leben und dessen Erhaltung dient. Darum lässt er die Welt in ihrem Regiment ihre Notdurft und Vorrat haben, hinnehmen und sich damit reichlich versorgen, aber seinen Christen befiehlt er, ihre Gabe und Trost nicht auf das Zeitliche zu setzen, sondern nach Gottes Reich zu trachten, woran sie ewig genug haben und reich sein sollen“. (WA 22,122,12-23)

Das Medium, durch das wir in das Reich Gottes kommen können, ist das Wort Christi bzw. Gottes. Von ihm hängt unsere Seligkeit ab. Ohne dieses Wort und den Glauben bleiben wir in der Entfremdung von Gott. Darum ist es so wichtig, dass es rein und lauter, ohne Zusätze bleibt und verkündigt wird. „Das Wort sie sollen lassen stahn und kein Dank dazu haben“. „Dank“ meint, keine Gedanken, keine Zusätze dazu stellen und so das Wort verändern oder verdunkeln. Die Reformation hat sich nicht allein auf das Wort gestützt und sie hat auch nicht allein die Bibel in verständlicher Sprache unter das Volk zu bringen versucht, sie hat sich auch mit äußerster Entschiedenheit für die Reinhaltung dieses Wortes eingesetzt – nicht aus Rechthaberei, sondern weil sie wusste, wenn das Wort entstellt wird, verliert der Glaube sein Fundament und seinen Halt.

Wenn wir den Reformationstag angemessen begehen wollen, werden wir uns davor hüten, aus ihm einen Tag der Heldenverehrung zu machen, wie es in der Geschichte des Protestantismus immer wieder geschehen ist. Luther war kein Held. Er war auch kein Heiliger. Er war Reformator der Kirche. Es ist keine Frage, Luther hat auch Fehler gemacht. Was er gegen die Juden, die Bauern oder auch gegen die Mönche, zum Teil auch gegen den Papst gesagt hat, können wir nicht gutheißen. Da hat ihn auch sein Temperament, auch seine Ungezügeltheit hingerissen. Wenn wir Luther gerecht werden wollen, müssen wir nach dem Mittelpunkt seines Glaubens und seiner Rückbesinnung (re-formatio) fragen. Diese Mitte ist das Wort Gottes und der Kampf um seine Alleingeltung in der Kirche. Mit diesem Grundanliegen wird er in allen Generationen in der Kirche auch über den Protestantismus hinaus im ökumenischen Zusammenhang ein Mahner bleiben.

Heute wird dieses Grundanliegen auch dort kritisch zu Gehör gebracht werden müssen, wo das Tun, das politische, gesellschaftliche, moralisch-pazifistische, kirchliche, diakonische, missionarische Engagement, zur Mitte evangelischen Christseins hochstilisiert wird. Unser Tun kann nicht an die Stelle des Glaubens an Gott mittels des Wortes Gottes treten. Wenn das Tun der Sinn des Christentums hätte sein sollen, hätte Christus nicht zu kommen brauchen. Das kannten wir schon, spätestens seit Mose. Darum muss das Hören auf das Wort, so wie es uns durch Jesus Christus erschlossen worden ist, stets das Erste, das Tun aber das Zweite sein.

Dr. Christian-Erdmann Schott
Pfarrer em.
Elsa-Brändström-Str. 21
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Tel.: 06131-690488
FAX 06131-686319
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