Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 30. Oktober 2005
Predigt über Matthäus 22, 15-22, verfasst von Erik Bredmose Simonsen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Wenn man wie wir in einer Demokratie lebt, dann folgt damit eine Verpflichtung, die besagt, dass wir in regelmäßigen Abständen zur Wahlurne zu gehen und unsere Schuldigkeit als Bürger der Gesellschaft zu erfüllen haben. Wir sollen uns – jeder für sich – entscheiden, wen wir wählen und welche Interessen, Ideen und Auffassungen wir in unserer gemeinsamen Gesellschaft fördern wollen. Wenn der Wahlkampf tobt, gehen die politischen Diskussionen hin und her, und wir werden mit Argumenten für und gegen alle möglichen Vorhaben überschüttet. Die Politiker versuchen, Aufmerksamkeit und Zustimmung zu schaffen für ihre jeweilige Auffassung, wie die gute Gesellschaft aussehen soll. Das geschieht mit Leidenschaftlichkeit, und die Gemüter erregen sich – und doch, mitten im heißesten Meinungsaustausch, gibt es in der Regel auch Platz für Finten und Foppereien – für ein Lächeln.

So soll es auch sein. Es ist ja alles andere als gleichgültig, wohin wir uns politisch und gesellschaftlich bewegen, und wie wir das tun. Und wir, jeder einzelne von uns, haben die Pflicht, uns zu all dem zu verhalten und Stellung zu beziehen, denn es gehört zum Menschsein in einer Welt, in der wir nicht nur an uns selbst und unsere eigenen engen Interessen zu denken haben, dass wir gemeinsam und jeder für sich mitverantwortlich sind für die Entwicklung, in der wir uns befinden. Es hilft doch nichts, wenn man einfach nur zu Hause sitzt und auf die Politiker schimpft und ihnen das ankreidet, wenn man findet, dass die gesellschaftliche Entwicklung einen schiefen Gang geht. Die Politiker sind ja nicht böse oder untauglich, sondern nur Menschen wie du und ich, die für uns am politischen Spiel teilnehmen, wenn sie sich zur Wahl stellen für die leitenden Gremien und Institutionen in Kommune, Regierungsbezirk und Parlament. Auf diese Weise tragen sie alle – ungeachtet ihrer politischen Position – dazu bei, dass unsere Gesellschaft funktioniert und zusammenhängt mit der Regierungsform, die wir hierzulande nun einmal für die halten, die die wenigsten Nachteile hat.

Ist man versucht, am Wahltag zu Hause zu bleiben, weil man sich über das politische Gerangel haushoch erhaben fühlt, dann sollte man sich zugleich fragen, was man damit dafür getan hat, dass alles anders und besser wird. Politik handelt wie gesagt davon, wie wir unsere Gesellschaft einrichten wollen. Es geht nicht nur um die persönlichen Interessen des Einzelnen, sondern in mindestens ebenso hohem Maße um die Verantwortung für das Gemeinwesen. Und der Verantwortung sollte sich niemand entziehen. Ja, wir können sogar soweit gehen, dass wir sagen: es ist ganz einfach die Pflicht eines Christen, sich dieser Verantwortung zu stellen und sie auf sich zu nehmen.

So viel können wir hier in der Kirche sagen. Was wir dagegen nicht sagen können, ist, wofür man stimmen oder wen man wählen soll.

Man hat gesagt, Christentum und Politik hätten zugleich alles und nichts miteinander zu tun, und das mag recht paradox erscheinen, und dennoch steckt viel Wahrheit in der Aussage.

Einerseits haben Christentum und Politik alles miteinander zu tun, insofern ein Christ immer und in allen Angelegenheiten – also auch in politischen Fragen – unter Verantwortung vor Gott handeln muss. Es gibt nichts im Leben, womit der Glaube nichts zu tun hätte.

Andererseits haben Christentum und Politik nichts miteinander zu tun, insofern keine politische Partei und kein politisches Programm Patent auf das Christentum haben oder sich christlicher als andere nennen kann. Niemand kann m.a.W. den lieben Gott vor seinen politischen Wagen spannen. Denn das wäre Verrat am Evangelium und Missbrauch des Gottesnamens.

Wenn jemand trotzdem versucht, es zu tun, dann gibt es allen Grund, Alarm zu schlagen und auf der Hut zu sein. Denn das ist etwas, was zu Fanatismus und allem möglichen sonstigen Teufelswerk führt. Das ist so etwas, das religiösen Terror auslösen kann wie den, der am 11. September 2001 die ganze Welt erschüttert hat, als das World Trade Center getroffen wurde und mehrere Tausende von Menschen umkamen. Was wir hier erlebt haben, waren religiöse Fanatiker, die glaubten, mit ihren abscheulichen Taten der Sache ihres Gottes zu dienen und für ihn zu handeln.

Eine derartige fatale Vermischung von Religion und Politik hat man auch in der Geschichte der christlichen Kirche erlebt; aber egal, ob sie sich nun christlich, muslimisch oder hinduistisch nennt, so ist sie doch ein teuflisches Unding, das man bekämpfen muss.

Wir müssen an der (paradoxen) Sonderung von Religion und Politik festhalten, von der ich vorhin sprach. Wir müssen andererseits darauf bestehen, dass man sich nie und nimmer bei einer Wahlagitation zu der Behauptung versteigen darf, das eigene Parteiprogramm sei christlicher oder gottwohlgefälliger als das anderer Parteien, ebensowenig wie man unseren christlichen Gottesdienst zu Agitation für ein bestimmtes Parteiprogramm, eine bestimmte Wirtschaftsform oder überhaupt eine bestimmte Auffassung benutzen darf. Andererseits kann wie gesagt jedes einzelne Gemeindeglied sowohl Partei ergreifen als auch parteipolitisch tätig sein – wir alle sind also aufgefordert, Stellung zu beziehen und Verantwortung zu übernehmen.

Diese Sonderung finden wir in Jesu eigenen Worten bestätigt, wenn er heute sagt: „Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“

Jesu Wort hier stammt genau aus einer Situation, in der einige Leute in der damaligen Zeit – u.a. einige Pharisäer – zu ihm kamen, um ihn in einer bestimmten Angelegenheit zu einer politischen Stellungnahme zu bewegen: Darf man dem Kaiser Steuern zahlen, fragten sie, ist das recht besehen nicht eine Art Abgötterei – gehört nicht alles Gott? Die diese Frage stellten, waren Leute, die Gott vor ihre eigenen Ideen und Pläne spannen wollten.

Jesu Antwort war, wie wir gehört haben: Gebt ihr nur dem Kaiser, was des Kaiser ist, und gebt dann Gott, was Gottes ist, d.h. haltet die beiden Dinge auseinander.

Heute in unserer Gesellschaft hätte Jesus gesagt: Gebt der Gesellschaft, was der Gesellschaft ist, und gebt den Regierenden und denen, die Verantwortung haben, was ihnen zusteht. Es muss nämlich jemanden geben, der regiert und für die Ordnung sorgt. Wenn wir ganz nach dem Willen Gottes lebten, dann wären sowohl Kaiser als auch Parlament oder Regierung völlig unnötig, denn dann würden wir einander lieben und nur Gutes tun. Aber so sind wir bekanntlich nicht, deshalb ist die weltliche Macht sowohl notwendig als auch gut und nützlich, um den Schwachen beizustehen und die Starken im Zaum zu halten.

Die weltliche Macht haben wir mit anderen Worten um unserer Sünden willen. Aber man beachte nun, dass Jesus ja auch sagt: „...und gebt Gott, was Gottes ist.“

Hierin liegt u.a. eine Spitze, die gegen diejenigen gerichtet ist, die dem Kaiser alles geben wollten; und in unsere Wirklichkeit übertragen ist das eine Spitze gegen diejenigen, die alles zu Politik machen wollen. Sie ist gegen jegliche Tendenz gerichtet, das Weltliche zum Ganzen zu machen und das Politische zu etwas, das absolut wäre. Indem Jesus sagt, dass wir dem Kaiser geben sollen, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, sagt er zugleich, dass wir uns zum Relativen relativ und zum Absoluten absolut verhalten sollen, und genau so haben wir das Verhältnis zwischen Politik und Christentum zu verstehen.

Wie wichtig die Gesellschaft und das Politische auch sein mögen, so sind das doch keine absoluten, sondern nur relative Größen. Unser Leben steht und fällt nämlich nicht damit, welche Regierungsform wir haben und welche Politiker wir wählen. – Deshalb ist es so wichtig, dass es auch mitten im heißesten Wahlkampf, mitten im leidenschaftlichsten Meinungsaustausch Platz gibt für ein Lächeln und für das freundschalftliche Verhältnis zwischen den politischen Kombatanten über die verschiedenen Parteigrenzen hinweg, als Ausdruck derjenigen notwendigen Distanz, die wir zum Relativen haben müssen.

Aber wir haben auch daran zu denken, dass wir Gott geben, was Gottes ist, daran, dass wir uns absolut zum Absoluten zu verhalten haben. Und was bedeutet das nun?

Ja, das bedeutet u.a., dass die Wahrheit und der tiefe Sinn unseres Lebens bei Gott zu finden ist. Wir können uns nie an ihm vergreifen und uns seiner bemächtigen, aber wir können in seinem Licht leben.

Hier in unserer Welt ist alles geschichtlich und damit veränderlich. Was wir heute für gut und richtig halten, erweist sich vielleicht schon morgen als unhaltbar. Alles ist relativ und zweideutig in dem Sinne, dass selbst unsere besten Absichten und Handlungen wenn nicht ihren eigenen Gegensatz in sich bergen, so doch jedenfalls unzweckmäßige und unbeabsichtigte Schattenseiten und Nebenwirkungen.

Gott allein ist der durch und durch und ungeteilt Gute und Gerechte.

Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, – sich relativ zum Relativen zu verhalten, und absolut zum Absoluten, das bedeutet, dass wir den Sinn unseres Lebens nicht im Politischen zu suchen haben, wie wir ja auch nicht vollkommenes Glück und Gerechtigkeit von der Gesellschaft erwarten können. Weder die Gesellschaft noch die Politker können uns den Sinn des Lebens geben. Wenn wir Antworten auf unsere großen Fragen suchen, dann können wir vielmehr hierher in die Kirche kommen. Nicht weil die Kirche an sich schon Antworten besäße; sondern weil uns hier Gottes Wort verkündet wird und weil wir hier daran festhalten, dass Jesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.

Wenn wir unsere Entschlüsse bezüglich unseres Lebens und unserer Gesellschaft zu treffen haben, sind wir frei gegenüber allen möglichen Mächten und Behörden der Welt, und stehen wir in der Verantwortung allein vor Gott.

Gott geben, was Gottes ist, das heißt glauben, dass Gott in Jesus Christus unser einziger Herr ist, dem allein wir Dank und Ehre schulden für die Erhaltung und den Sinn unseres Lebens. Amen.

Pastor Erik Bredmose Simonsen
Præstebakken 11
DK-8680 Ry
Tel.: +45 86 89 14 17
E.mail: ebs@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


(zurück zum Seitenanfang)