Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

23. Sonntag nach Trinitatis, 30. Oktober 2005
Predigt über Johannes 15, 18-21, verfasst von Matthias Rein
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Joh 15,18-21
18 Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat.
19 Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb.
Weil ihr aber nicht von der Welt seid,
sondern ich euch aus der Welt erwählt habe,
darum hasst euch die Welt.
20 Gedenkt an das Wort, das ich euch gesagt habe:
Der Knecht ist nicht größer als sein Herr.
Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen;
haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten.
21 Aber das alles werden sie euch tun um meines Namens willen;
denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat.


Liebe Schwestern und Brüder,

„Die Welt kennt den nicht, der mich gesandt hat.
Die Welt haßt mich.
Die Welt hasst euch!“

Schwer hängen diese Worte im Raum.
Schwer klingen sie in mir nach.

Die Christen der johanneischen Gemeinde erleben den Hass der Welt.
Ihre Umwelt hasst sie, die ganze Welt hasst sie.

Wie war es, solchen Hass zu erleben?
Welche Erfahrungen stehen hinter diesen Worten aus dem Johannesevangelium?

Die Christen wurden von ihren jüdischen Glaubensschwestern und –brüdern verstoßen,
Sie wurden ausgeschlossen, weggejagt, tätlich angegriffen.
„Die Juden verstoßen euch aus den Synagogen, sie trachten nach eurem Leben“, heißt es im Johannesevangelium an anderer Stelle. Der Bruch mit den jüdischen Brüdern und Schwestern war unumkehrbar. Dieser Bruch ging durch Familien, durch Freundschaften, durch das jüdische Volk.

Auch von anderen Seiten erlebten die Christen Unverständnis, Hohn, Ablehnung, Verfolgung.

Wie aber kam es dazu?
Was brachte andere dazu, Christen zu hassen?
Ihre Botschaft der Liebe, ihr vorbildlicher Umgang untereinander – all dies ist doch kein Grund zum Hass!
Die Zusammenhänge sind komplex, aber eines steht fest:
Die Botschaft der Christen von der Gegenwart Gottes in Christus stieß auf Grenzen.
Die Botschaft kam nicht überall an.
Sie erreichte ihre Adressaten nicht.
Sie löste Widerstand, Ablehnung, Aggression aus. Sie wollte eine frohe Botschaft sein, eine befreiende, eine Botschaft, die Räume eröffnet. Hier aber wird nichts eröffnet. Hier schlagen Türen zu, hier wird purer Hass sichtbar.

Wie kam es zu diesem schweren Kommunikationsproblem, so meine Frage.

Diese Frage treibt auch den Verfasser des Johannesevangeliums um:
„Das Licht scheint in der Finsternis, aber die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“
„Jesus kam als Sohn Gottes in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“
„In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen, aber die Menschen?
Sie nageln ihn ans Kreuz.“
So fasst das Johannesevangelium diese Erfahrungen in Worte.

Jesus hält eine lange Abschiedesrede an seine Jünger im Johannesevangelium.
Dann geht er hinauf nach Jerusalem in den Tod.
Er bereitet die Jünger vor.
Er bereitet sie auf die Zeit vor, wenn er nicht mehr unmittelbar bei ihnen sein wird.
Er bereitet sie vor auf den Hass der Welt.
„Sie haben mich gehasst und deshalb werden sie Euch hassen.“
Sie halten sich von Gott fern. Sie mögen nicht, wenn Gott ihnen nahe kommt.
Ihr seid Ihnen eine Anfechtung. Denn ihr erinnert die Welt daran, dass Gott in der Welt ist.

Der Gott der Liebe bleibt ein Fremder in der Welt.
Das hat Jesus erlebt. Das hat er am eigenen Leib erlebt am Kreuz.
So erleben es Christen bis heute.

Ich möchte Sie einladen, der Erfahrung der Fremdheit Gottes in der Welt nachzusinnen.

Und ich frage:
Wie kommt die Botschaft von Gottes Gegenwart heute an?
Findet sie Gehör?
Stößt sie auf Ablehnung?
Bleibt sie auch heute fremd in der Welt?
Wo muss sie fremd bleiben, weil sie eine ganze andere Botschaft ist?

Dazu möchte ich Ihnen von zwei Christen von heute erzählen.

Beide treibt um, was es heißt, heute Christ zu sein.
Beide fragen nach der Bedeutung der christlichen Botschaft in unserer Gesellschaft.

1. „Ist es für Sie schwer oder leicht, heute Christ zu sein?“
So wurde ein engagierter Kirchenvorsteher unserer Gemeinde in einem Interview gefragt.

Seine erste Antwort lautet: Für mich ist es in meiner Situation nicht schwer, bekennender Christ zu sein. Und er erzählt von seinem Engagement in der Kirchgemeinde:
Er besucht im Auftrag der Kirchgemeinde Menschen, die neu zugezogen sind.
Er arbeitet für die Verbesserung der Kontakte zu den katholischen Schwestern und Brüdern.
Er bedenkt die kirchliche Arbeit in der Dekanatssynode und übernimmt Verantwortung.
Er fährt regelmäßig zu den Kirchentagen.
Er ist in der Gemeinde dabei: bei der Arbeit des Kirchenvorstandes, beim Lektorendienst und vielen anderen Aktivitäten.

Man spürt ihm die Erfahrung ab: Die Botschaft Jesu Christi kommt an. Das Engagement der Christen vor Ort wird geschätzt. Hass begegnet uns hier vor Ort nicht.
Geschätzt wird das Engagement auf diakonischem Gebiet.
Geschätzt wird das Engagement für die Kinder- und Jugendarbeit
Geschätzt wird das Engagement für die Gottesdienste.
Das zeigt sich, wenn junge Eltern Kontakt zur Kirchgemeinde suchen und ihre Kinder taufen lassen.
Das zeigt sich, wenn sich Ehrenamtliche bei der Vorbereitung der Gottesdienste engagieren, weil ihnen die Gottesdienste wichtig sind.
Das zeigt sich, wenn 40 Menschen an einem Gospelwochenende intensiv proben und ein bewegendes Konzert vor übervoller Kirche geben.
Die Botschaft kommt an.
Dass können wir hier dankbar wahrnehmen.

Der zweite Teil seiner Antwort macht nachdenklich:
„Ich weiß nicht“, so der Kirchenvorsteher, „ob ich auch in anderen Situationen standhaft bleiben könnte.“

„Andere Situationen“ – was meint er damit?
Wir denken an Verfolgungssituationen, wie sie Christen in der DDR erlebten.
Wie es sie heute in einigen islamisch geprägten Ländern gibt.

„Andere Situationen“ – das meint, dass meine Teilnahme am Leben der christlichen Gemeinde und mein Engagement von anderen nicht verstanden, nicht nachgefragt, nicht geschätzt wird. Das erleben nicht wenige in der eigenen Familie, im Bekanntenkreis, unter den Arbeitskollegen, bei den Schulkameraden.
Sie erleben, dass die Botschaft nicht ankommt.
Sie erleben: Was mir wichtig ist, stößt auf Ablehnung.
Ich bleibe ein Fremder mit dieser fremden Botschaft.
Und dabei gerate ich selbst in Zweifel.
Die Botschaft wird auch mir fremd.

Wie würde ich mich verhalten? So fragt der Kirchenvorsteher und deutet an, dass er unsicher ist. Ich bin nicht der starke Glaubenskämpfer, der aushält, egal wie die Lebensstürme blasen.

Dabei kommen die Erfahrungen der johanneischen Gemeinde in den Blick.
„Ihr seid nicht aus der Welt“, so sagt Jesus den Jüngern.
„Deshalb hasst euch die Welt.“
„Ihr habt euch nicht allein dieser Welt fremd gemacht kraft eures Verstandes, eurer Glaubensstärke, eurer Widerstandskraft. Ich habe euch erwählt. Deshalb könnt ihr Frucht bringen. Deshalb werdet ihr manchmal fremd sein in der Welt.“

Hilft uns diese Zusage, an Jesus festhalten, wenn uns alles entgegensteht?
Eine Garantie dafür gibt es nicht.
Ermutigend ist es aber, auf Erfahrungen von Christen zu hören, die unter widerständigen Bedingungen ihren Glauben leben. Noch vor einigen Jahren in der DDR und übrigens bis heute in Ostdeutschland.
Aber auch anderswo in der Welt.
Mitunter im nächsten Haus.

2. Die zweite Stimme, die ich ins Spiel bringe, fordert uns als Kirche auf, Widerstand zu leisten.
„Warum sagt die Kirche nichts?“ So fragt mich ein Gemeindeglied in leitender Position eines großen Konzerns.
„Ich habe noch drei Monate bis zum Eintritt in den Ruhestand.
Ich erlebe, dass es in der Arbeitswelt nur noch um Profit geht.
Die Menschen werden unter Druck gesetzt und ausgequetscht.
Wenn man sie nicht mehr braucht, jagt man sie in die Wüste.
Keiner fragt nach langfristigen Perspektiven.
Keinen interessiert, wie der Einzelne mit dem Druck zurecht kommt.
Wir haben für dich hier keine Arbeit, geh ins Ausland, such dir da was.
Familie, Lebenszusammenhänge – das interessiert keinen.
Es geht einzig um schnelle Resultate.
Wie sie zustande kommen, ist uninteressant.“

„Die Kirche muss Widerstand leisten“, so fordert dieser Mann, selbst engagierter Christ.
„Die Kirche muss diese Zustände anprangern, an die Öffentlichkeit bringen und klar sagen, dass das unmenschlich ist.“
„Doch die Kirche schweigt“, so stellt er traurig und vorwurfsvoll fest.

Hat er Recht? Schweigt die Kirche?
Was soll sie zu diesen Entwicklungen sagen?

1997 veröffentlichten die beiden großen Kirchen in Deutschland eine Stellungnahme zur sozialen Lage in Deutschland. Der Grundtenor: Alle wirtschaftlichen Entwicklungen sind aus der Sicht der Armen zu beurteilen. Die Sicht der Armen, der Verlierer des Systems, ist die Sicht der Kirche Jesu Christi. Aus diesem Blickwinkel beurteilt sie die Entwicklungen.

Hat unsere Kirche berücksichtigt in den letzten Jahren?
Ich habe den Eindruck, dass wir als Kirche ratlos sind im Blick auf die globalen Entwicklungen. Wir sehen die Probleme. Aber wir haben keine Lösung. Deshalb, so scheint mir, sagen wir nichts.
Deshalb sagen die Kirchen zur Frage von Arbeitslosigkeit und zunehmender Kluft von reich und arm in unserem Land wenig.

Dazu kommt: Was wir zu sagen hätten, passt nicht in die Welt.
Wenn wir uns kompromisslos auf die Seite der Armen stellen, werden wir angreifbar, parteiisch, unbequem.
Wer den Finger immer wieder in die Wunde legt, braucht nicht auf Beifall zu hoffen.

Und doch:
Wäre aber das nicht unser Amt heute?
Weil wir die Dinge mit anderen Maßstäben betrachten?
Wäre das nicht unser Amt, um der Menschen willen die Menschlichkeit einzufordern?
Wäre nicht unser Amt, uns fremd zu machen mit dieser Botschaft.
Und dafür den Hass anderer in Kauf zu nehmen?

Offene Fragen bleiben.
Herausforderungen bleiben, denen wir uns stellen müssen.
Das Predigtwort treibt uns einen Stachel unter die Haut.
Der brennt.

Aber hat das Predigtwort auch Trost für uns?
Doch, liebe Gemeinde, ich entdecke Trost in dem schonungslosen Jesuswort.
Der Trost liegt, darin, dass Gott sich vom Hass der Welt nicht überwinden lässt.
Er hält den Anfeindungen stand.
Er gibt nicht nach.
Er bleibt ein Fremder in Welt. Damit die Welt menschlich wird.

Christen, die Jesus nachfolgten, sind oft Fremde in der Welt geworden.
Sie haben dem Hass standgehalten, sie haben sich nicht der Welt und ihren Regeln angepasst.
Und sie wurden damit zum Zeichen für Gottes Liebe in der Welt.
Heute sollten wir auf diese Stimmen unter uns hören und sie ernst nehmen.

Darin liegt Ermutigung.
Das fordert uns zugleich heraus, nach Gottes Botschaft für die Welt heute zu fragen.
Konsequent aus der Perspektive der Armen, der Verlierer.

Denn das ist Gottes Perspektive.

Amen

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Dazu ein Wort Martin Luthers:

„Das sage ich, dass man diesen Text so verstehe, wie durch die Christen ohn Unterlaß die allergrößten Werke geschehen in der Welt (obwohl sie nicht anzusehen sind noch erkannt werden), beide in geistlichem und weltlichem Wesen und Regiment, als nämlich die Zerstörung des Teufels Reichs, Erlösung der Seelen, Bekehrung der Herzen, Sieg und Erhaltung des Friedens bei Land und Leuten, Hilfe, Schutz und Rettung in allerlei Plagen und Nöten. Solches alles, spricht er, soll durch die Christen geschehen, weil sie an Christus glauben und alles von ihm als dem Haupt her geht. Ja, auch durch jeden einzelnen. Das er möchte sagen: Die Werke, die ich tue, die tut ein jeglicher Christ, der heut getauft ist.
...
Darum sind die Christen wahrhafte Helfer und Heilande, ja Herren und Götter der Welt. ...
Sie sind die Beine, die die ganze Welt tragen, dafür sie ihnen auch den Lohn gibt, dass sie verachtet, gedrückt, im Kot und Unflat gehen müssen, geschändet, verlästert, verdammt, ja aus der Welt gejagt werden.“

Aus: Das 14. und 15. Kapitel St. Johannes durch M. Luther gepredigt und ausgelegt, (nach Nachschriften von Luthers Predigten aus dem Jahr 1538), WA Bd. 45, 465-733, 535,17 - 536,2.


Dr. Matthias Rein
Studienleiter am Theologischen Studienseminar der VELKD
Bischof-Meiser-Str. 6
82049 Pullach
Tel. 089/74442428
eMail: Matthias.Rein@t-online.de


(zurück zum Seitenanfang)