Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 16. Oktober 2005
Predigt über Römer 12,21 (Wochenspruch), verfasst von Christoph Dinkel
Taufe von Konfirmanden
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Liebe Gemeinde!
Und heute ganz besonders:
liebe neu Getauften!

(1) Die Unterscheidung von Gut und Böse ist eine der grundlegenden Unterscheidungen im menschlichen Leben. Schon als Kind wird man ganz früh auf diesen Unterschied aufmerksam gemacht. Es gibt gute Worte, die man sagen darf, und böse Worte, die man meiden sollte, wenn man nicht Krach mit den Eltern oder den Erzieherinnen im Kindergarten riskieren will. Es gibt gute und böse Handlungen und Taten, für die einen wird man gelobt, für die anderen getadelt.

Für Kinder ist die Unterscheidung von gut und böse fundamental, die ganze Welt ordnet sich danach. Je älter man wird, umso mehr bemerkt man jedoch, dass sich nicht alles nach diesem Muster einteilen lässt. In vielen Fällen kann man so oder auch anders entscheiden. Manches ist einfach Geschmacks- oder Ansichtssache. Anderes wiederum ist umstritten: In der Politik zum Beispiel wollen eigentlich alle irgendwie das Gute, das man dort Gemeinwohl nennt. Wie das jedoch zu erreichen ist, dafür gibt es konkurrierende Vorschläge. Im Wahlkampf versucht man dann die eigenen Vorschläge als moralisch gut und die Vorschläge der Konkurrenz als moralisch böse darzustellen. Manche Wähler glauben das dann auch und entscheiden sich mit großer Überzeugung für die eine und gegen die andere Partei. Und wenn es dann zu Koalitionsverhandlungen kommt steht man wie jetzt in Berlin vor dem Problem, dass man sich von der Wahlkampfrhetorik, an die man am Ende vielleicht sogar selbst geglaubt hat, verabschieden muss und mit dem gerade noch verfemten Gegner nach Kompromissen und gemeinsamen Wegen suchen muss. Die im Wahlkampf so nützliche Unterscheidung gut/böse hilft plötzlich nicht mehr weiter. Jetzt geht es um das Machbare und Erreichbare. Es geht um bessere und schlechtere Lösungen und nicht mehr um gute und böse.

(2) Man muss also genau hinschauen, wo die Unterscheidung von böse und gut weiterhilft. Bei der Erziehung von kleinen Kindern ja, im Wahlkampf auch, bei Koalitionsverhandlungen nein. Am erfolgreichsten wird die Unterscheidung von Gut und Böse übrigens im Film praktiziert. Kaum ein Film kann auf diese Unterscheidung verzichten. Die erfolgreichsten Filme der Filmgeschichte, die sechs Star Wars Filme von George Lucas, ziehen ihre Faszination aus dem Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, personifiziert in Luke Skywalker auf der einen und Darth Vader auf der anderen Seite. Spannung entsteht dabei nicht nur durch den martialisch inszenierten Kampf zwischen beiden Seiten, sondern auch dadurch, dass die dunkle Seite der Macht versucht, den eigentlich Guten auf die Seite des Bösen zu ziehen. Und das Tragische ist, dass Darth Vader als Vertreter des Bösen einstmals auch ein Vertreter des Guten war, jedoch von der dunklen Seite der Macht überwunden und umgedreht wurde. Erst sein Sohn Luke Skywalker schafft es, der Verführung des Bösen zu widerstehen und das Universum zu retten.

Hat man die Star Wars Filme vor Augen, dann muss man unser Predigtwort gar nicht mehr erklären. Es wird unmittelbar deutlich, was das bedeutet: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Luke Skywalker macht es einem vor. Auch die Leserinnen und Leser von Harry Potter werden keine Schwierigkeiten haben, sich diesen Satz zu Eigen zu machen. Potter und seine Freunde bestehen unzählige Gefahren und Versuchungen. Auch in den Potter-Büchern ist eine dunkle Macht am Werk, personifiziert durch den, dessen Name nicht genannt werden darf, Lord Voldemort. Viele können seiner Bosheit nicht widerstehen und werden von ihm überwunden und in Dienst genommen. Auch die Potter-Bücher kann man als gekonnte Illustrationen unseres apostolischen Satzes verstehen: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

(3) Für Science-Fiction-Filme und Fantasy-Bücher eignet sich die Unterscheidung von Gut und Böse ganz vortrefflich. Hier wirkt sie unmittelbar überzeugend und absolut stimmig. In unserem wirklichen Leben, im Alltag, fällt es hingegen deutlich schwerer, so einfach und schlicht nach gut und böse zu unterscheiden. Zwischen Lichtgestalten und finsteren Mächten gibt es im Alltäglichen allerlei Grautöne und Schattierungen und bei vielen Entscheidungen spielt die Unterscheidung von gut und böse überhaupt keine Rolle.

Dennoch, auch in unserem alltäglichen Verhalten kommt es manchmal sehr wohl darauf an, wie wir uns entscheiden. Ich will das an zwei Beispielen zeigen, das eine betrifft Euren Schul- und Konfirmandenalltag, das andere die Politik.

Wenn ich Euch in der Konfirmandengruppe oder wenn ich Gruppen von Schülerinnen und Schülern sonst beobachte, dann fällt mir auf, wie oft ihr Euch übereinander lustig macht. Das ist im Allgemeinen völlig ok. Aber gar nicht so selten habe ich den Eindruck, dass das, was die einen als lustig meinen von denen, die damit getroffen werden, gar nicht als so lustig empfunden wird. Wenn sich Gymnasiasten über Real- oder Hauptschüler lustig machen, dann ist das nicht nur witzig. Wenn Jungs über ein Mädchen und ihre Figur herziehen oder Mädchen über einen Jungen, der nicht ganz ins Bild passt, spotten, dann dürften denjenigen, auf deren Kosten gelacht wird, ganz und gar nicht komisch zumute sein. Aus ihrer Sicht ist hier ein ziemlich böses Spiel am Werk. Und auch bei diesem Spiel ist es so wie im Film, dass sich viele von der Faszination dieses bösen Spiels anstecken lassen. Die meisten, die dabei mitspielen, merken gar nicht, wie böse ihr Spiel für denjenigen sein kann, der ihr Opfer ist. Und darauf angesprochen wird das Opfer auch vehement abstreiten in irgendeiner Weise verletzt zu sein, denn das Eingeständnis würde die Verletzung nur verschlimmern. Vielleicht spielt das Opfer sogar mit und feuert die anderen an weiterzumachen. Aber tief im Inneren ist das Opfer solcher Attacken scheußlich verletzt. Es wäre so froh, wenn wenigstens einzelne sich nicht vom Bösen überwinden ließen, sondern dem Bösen widerständen und Beistand und Hilfe leisteten. Überlegt Euch also gut, wie Euer heiteres Spotten auf diejenigen wirkt, auf deren Kosten es geht. Und wenn ihr denkt, dass von anderen ein solch böses Spiel gespielt wird, dann leistet Widerstand! Die Taufe, die Ihr heute empfangen habt, soll Euch stark machen, solchen bösen Spielen zu widerstehen. Mit der Taufe zeigt Euch Gott einen Weg, bei dem ihr andere nicht zum Opfer machen müsst, um Euch zu amüsieren.

(4) Kommen wir zum Beispiel aus der Politik. Der internationale Terrorismus ist eine der großen Plagen unserer Zeit. Fast täglich fallen ihm Menschen zum Opfer, derzeit vor allem im Irak. Nirgendwo kann man vor Anschlägen wirklich sicher sein. Terrorismus ist böse. Er ist durch nichts zu rechtfertigen. Darin sind wir uns einig. Dass er manche Menschen dennoch fasziniert und sie vom Bösen überwunden und zum Mitmachen angeregt werden, nehmen wir mit Schaudern zur Kenntnis. Der Terrorismus hat die westlichen Gesellschaften massiv verändert. Die Freiheitsrechte des einzelnen werden der Prüfung unterzogen. Der Schutz des Kollektivs vor terroristischen Anschlägen zählt höher als das Recht des einzelnen zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Das Reisen unterliegt heute strengeren Kontrollen als vor fünf Jahren. Polizeirechte wurden ausgeweitet. Vermutlich ist das unvermeidlich.

Das Böse hat erkennbar eine infektiöse, eine ansteckende Macht. Es beeinflusst gerade auch die, die sich dagegen wehren wollen. Ein Staat, der sich vor Gewalt schützen will, wird leicht selbst von Gewalt infiziert. Die Schwelle zur Gewaltanwendung sinkt auch auf Seiten derer, die sich nur gegen die Attacke von außen wehren wollen. Das ist in gewisser Weise unvermeidlich, es ist ein aufgezwungener Vorgang. Doch das Beispiel des versehentlich von der englischen Polizei erschossenen brasilianischen Einwanderers zeigt, wie ansteckend das Böse und die Gewalt sein können.

Es liegt mir völlig fern, für solch eine verzwickte Lage Ratschläge geben zu wollen. Ich möchte nicht in der Haut derer stecken, die solche Polizeieinsätze zu befehlen haben oder die politische Verantwortung für den Kampf gegen den Terrorismus haben. Ich bin froh, dass in unserem Land in solchen Angelegenheiten mit hohem Verantwortungsbewusstsein und in aller Regel mit viel Sensibilität entschieden wird. Aber ich möchte etwas zum Geist sagen, in dem wir uns gegen den Terrorismus wehren sollten. Ich möchte an jenen Geist erinnern, den Jesus seinen Jüngern gepredigt hat, den Geist der Feindesliebe. Auch unser apostolisches Predigtwort ist von diesem Geist geprägt: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Was kann das bedeuten? Als sich im Jahr 1977 im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim die Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe das Leben genommen hatten, entspannte sich ein Streit darum, ob die drei – verurteilten Mörder und Terroristen – in Stuttgart begraben werden dürfen. Der damalige Oberbürgermeister Manfred Rommel hat sich für die Bestattung auf dem Waldfriedhof entschieden. Das hat ihm viel Ärger eingebracht. Seine Begründung damals: Beim Tod hört die Feindschaft auf.

So kann es aussehen, wenn jemand im Geist Jesu versucht, das Böse mit Gutem zu überwinden. Die christliche Kirche, in die ihr heute durch eure Taufe aufgenommen wurde, versteht sich als eine Gemeinschaft, in der wir uns gegenseitig ermutigen, das Böse mit Gutem zu überwinden. Wir vertrauen dabei auf den Geist Jesu, wir vertrauen auf Gottes Engel, dass sie uns begleiten, wir vertrauen darauf, dass auch die Macht des Guten anstecken wirkt, dass sie uns stark macht und trägt und uns und Euch zu guten Menschen macht. – Amen.

Prof. Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer
Gänsheidestraße 29
70184 Stuttgart
E-Mail: christoph.dinkel@arcor.de
Internet: http://www.uni-kiel.de/fak/theol/personen/dinkel.shtml

 


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