Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

21. Sonntag nach Trinitatis, 16. Oktober 2005
Predigt über Matthäus 10, 34-39, verfasst von Heribert Arens
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Wer sein Leben um meinetwillen verliert, gewinnt es

„Um des lieben Friedens willen“

Um des lieben Friedens willen tun oder unterlassen Menschen so manches. Sie geben klein bei, verzichten auf ihr gutes Recht, drücken sich vor der längst fälligen Aussprache, umgehen notwendige Entscheidungen.

Das kann ich sehr gut verstehen. Wer – außer einigen geborenen Streithähnen – fühlt sich schon wohl, wenn er Streit hat, wenn in seiner nächsten Umgebung Leute mit einem langen Gesicht herumlaufen, ihn beleidigt ansehen oder zornentbrannt anfauchen, wenn man sich tagelang schweigend aus dem Weg geht, wenn Streit in der Familie den Feierabend zum Feuerabend verwandelt oder das gelockerte Gespräch zum verbissenen Schweigen.

Um des lieben Friedens willen! Es ist oft sinnvoll und notwendig, aus diesem Motiv zu handeln. Es lohnt sich nicht, einiger Bagatellen wegen einen Streit vom Zaun zu brechen.

Aber, so paradox das auch klingen mag, diese friedliche Einstellung kann auch zur Quelle von Streit, Hass und Feindschaft werden; sie kann Ursache unheilvoller Fehlentwicklungen sein. Um des lieben Friedens willen gibt es viel Unfrieden auf der Welt, davon bin ich überzeugt. Wo ein Konflikt notwendig ist, wirkt dieser kleine Satz wie Reisig auf die Glut des schwelenden Konfliktes. Für einen Augenblick mag die Glut verdeckt sein. Aber schon bald entsteht daraus ein loderndes Feuer.

Um des Friedens willen ist es manchmal notwendig, einem Streit nicht aus dem Weg zu gehen, nicht klein beizugeben, nicht auf mein gutes Recht zu verzichten, die längst fällige Aussprache anzugehen, die notwendige Entscheidung zu fällen. So fordert Jürgen Moltmann: „Wir müssen es lernen, kritischer als früher zu unterscheiden zwischen der wahren und der falschen Versöhnung.“

Frohbotschaft ist Friedensbotschaft

Dieser Hintergrund hilft mir, den Predigttext besser zu verstehen, der mir zunächst total gegen den Strich geht, der so gar nicht in mein Bild von Jesus passen will. Die Frohbotschaft Jesu ist ja zuerst eine Friedensbotschaft: „Friede auf Erden den Menschen seiner Huld“ ist das Leitwort am Anfang seines Lebens. Liebe ist eines der Hauptthemen seiner Predigt. Und dann schlägt er plötzlich solche Töne an! Er redet vom Streit, den er bringen will, notfalls bis in die Familien hinein. Da muss ich schon erst einmal schlucken – und verdaut habe ich’s dann noch lange nicht.

Warum redet Jesus in solcher Schärfe?

Vielleicht weil er weiß, wie leicht man seine Botschaft vom Frieden vor den Karren eines falschen Friedens spannen kann. Dann mag zwar die Augenblickswirkung Frieden und Harmonie sein, aber die letzten Dinge sind schlimmer als die ersten. Darum scheut auch Jesus selbst sich nicht zu streiten: wenn es um das Glück des Menschen geht, wenn Missstände offenkundig sind, wenn seine Frohbotschaft Gefahr läuft, verzerrt zu werden. „So nannte er seinen obersten Landesherrn einen Fuchs. Den Führern seiner Religion sagte er ‚ihr Schlangenbrut!’, Petrus, seinen engsten Mitarbeiter, fährt er an: „Weiche Satan!’“ (G. Mross)

Er macht nicht gute Mine zum bösen Spiel. Er streitet, wo es nötig ist, damit dauerhafter Friede, dauerhaftes Glück, dauerhaftes Heil möglich wird. Die Versöhnung, die er erwirkt, ist teuer. Er erkauft sie um den Preis des Konfliktes. Das kostet ihm am Kreuz sein Leben. Wenn Jesus sagt, er sei gekommen, Streit zu bringen, dann ist das Ziel nicht der Streit, sondern dauerhafter Friede.

Das hatte in seiner Nachfolge Paulus begriffen. Petrus verhielt sich in der Frage der Heidenchristen falsch. Das barg für die Entwicklung der Kirche ernsthafte Konflikte. In dieser Situation sagte Paulus nicht „Um des lieben Friedens willen, Petrus, mach weiter so!“ Er sagte ihm: „Dein Weg ist falsch!“ – und widerstand ihm ins Angesicht.

Franziskus von Assisi, dieser sympathische Heilige, der sogar den Tieren predigt, war überzeugt von der Notwendigkeit der Idee der Armut und Geschwisterlichkeit für seine Zeit und für die Kirche seiner Zeit. Das führte zum Konflikt mit seiner Familie, insbesondere mit seinem Vater. Bis auf das letzte Hemd ging der Konflikt. Auf dem Marktplatz von Assisi, in Anwesenheit des Bischofs und vieler Schaulustiger zieht er sich nackt aus, gibt seinem Vater das letzte Hemd zurück und sagt: „Jetzt habe ich keinen Vater mehr auf der Erde, jetzt sage ich ‚Vater im Himmel’.“ Die vergangenen 800 Jahre der Kirchengeschichte zeigen, wie viel Friede durch diesen Mut zum Konflikt unter die Menschen gekommen ist. Wie viel ihn das gekostet hat, lässt Franziskus gegen Ende seines Lebens durchblicken. Gefragt, was das Schwerste in seinem Leben gewesen sei, antwortet er: „Das mit meinem Vater!“

Liebe, Friede, Heilung, Freude

Dieses Evangelium muss im Zusammenhang der gesamten Frohbotschaft gesehen und verstanden werden. „Ich bin gekommen, Streit und Spaltung zu bringen“ – so programmatisch dieser Satz auch klingen mag, er bildet nicht die Zusammenfassung der Verkündigung und des Lebenswerks Jesu. Die Überschrift über sein Leben findet sich eher in Wörtern wie: Liebe, Friede, Heilung, Freude.

Viele möchten bei solchen Worten gern augenblickliche Ergebnisse „wie Pulverkaffee, Fertigsuppen oder Bullrichsalz gegen Sodbrennen.“ (Th. Harris) Dieser Wunsch kann uns tatsächlich helfen, schon jetzt und hier mehr Friede, mehr Liebe, mehr Hoffnung, mehr Heilung, mehr Freude zu erleben.

Dieser Wunsch kann aber auch dazu führen, dass wir das Ziel mit dem Weg dorthin verwechseln, dass wir faulen Frieden schaffen – und damit den Weg in eine gute Zukunft verbauen. In solchen Situationen ist der Konflikt, der Mut zur Auseinandersetzung der einzige Weg in eine gute Zukunft. So steht denn auch das Wort vom Kreuz und vom Leben, des unseren heutigen Text abschließt genau an der richtigen Stelle; denn zu seiner Nachfolge gehört es, solche Kreuze, wie es Konflikte und Auseinandersetzungen sind, zu tragen, wie er es getan hat. Und es stimmt: Wer (durch Ausweichen vor dem Not-Wendenden) sein Leben gewinnen will, der verliert es; wer es aber verliert, gewinnt es. Diese scheinbare Paradoxie ist gefüllt mit Erfahrung und Verheißung.

Von Liebe, Frieden, Heilung, Freude reden heißt, weil es dazugehört: auch von Konflikten reden. Frieden ermöglichen heißt nicht selten: not-wendende Konflikte durchtragen. Mancher, der Konflikte durchgetragen hat, durfte beglückt erleben: Sie sind kein Hindernis, sondern eine Brücke zum Frieden. So kann diese Auslegung des Textes in die paradoxe Einladung münden: Lassen Sie sich durch Jesu Wort Mut machen, notwendige Konflikte durchzustehen, damit Sie Frieden erleben können!

P. Heribert Arens ofm
heribert_arens@huelfensberg.de

 


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