Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Erntedankfest, 2. Oktober 2005
Predigt über Jesaja 58, 7-12, verfasst von Michael Nitzke
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7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.
12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.

Liebe Gemeinde,

„Brich dem Hungrigen dein Brot!“ So fordert uns der Prophet auf. Gerade am heutigen Tag, können wir mit gutem Gewissen sagen, dass wir dem Bibeltext folgen. Der Altarbereich ist festlich geschmückt mit Gaben, die traditionell gespendet wurden. Es ist etwas handfestes, nicht nur Symbolik, die mit didaktischen Mitteln die Worte der Predigt unterstützen sollen, nein, diese Dinge kann man wirklich essen.

Und sie werden gegessen. Nach dem Gottesdienst werden sie von der Suppenküche Kana abgeholt. Ehrenamtliche Helfer arbeiten dort, und bereiten aus den gespendeten Gaben Mahlzeiten für die Ärmsten der Armen zu. Ein unscheinbarer Laden in der Mallinckrodtstraße wird so für manche Menschen in unserer Stadt zu einer Oase. Hier bekommen sie eine warme Mahlzeit, hier dürfen sie Mensch sein und hier erfahren sie menschliche Zuwendung, durch die Männer und Frauen, die etwas von ihrer Zeit und von ihrer Kraft teilen, um für diese Menschen da zu sein.

Unsere Gaben erreichen also ihr Ziel. Und wir sind dankbar, dass es solche Einrichtungen, gibt die für andere da sind. Außerhalb der Erntedankfestzeit, wenn nichts vom Altar abgeholt werden kann, lebt diese Einrichtung von den Gaben von Lebensmittelhändlern und Großküchen, die ihre überzähligen Kapazitäten dort hingeben. Dass es mittlerweile mehrere solcher Einrichtungen gibt kann uns nicht beruhigen. Dennoch ist es wichtig, dass neben der Suppenküche auch noch das sogenannte „Gasthaus“ und die Dortmunder Tafel existieren. Es kann uns zumindest etwas trösten, dass die Produkte unserer Überflussgesellschaft so noch wenigstens verwertet werden, und Menschen zum überleben verhelfen.

7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.

Wenn Menschen heutzutage ihre Freigiebigkeit öffentlich machen, dann wird meistens etwas mit der Nase gerümpft. Macht er das nicht nur, um ein gutes Gewissen zu haben? Kauft er sich von seinen Gewissensbissen frei. Will er nur im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen und sich im Licht seiner Menschenfreundlichkeit sonnen?

Das was heutzutage unter dem Generalverdacht des Eigenlobs steht, ist nach dem Propheten Jesaja, die natürliche Folge seines moralisch guten Verhaltens. Ja, dann steht der Mensch im Licht, dann wird es einen richtigen Triumphzug geben, den Gott mit seiner Herrlichkeit begleitet. Aber wer genau zuhört, merkt, warum es solch einen Anlass zu überschwänglicher Freude gibt.

Da heißt es doch: deine Heilung wird schnell voranschreiten. Heißt dass denn, dass im Umkehrschluss, ein Mensch, der nicht freigiebig ist, der nicht teilt, und andere an seinem Reichtum teilhaben lässt, krank ist?

Ja, vielleicht ist Krankheit so gemeint, dass ich merke, dass mir etwas fehlt. Das ist ja auch eine in unserem Sprachgebrauch, durchaus gebräuchliche Form der Umschreibung. Ich gehe zum Arzt, wenn mir etwas fehlt.

Und wenn ich nicht teilen kann, wenn ich andere nicht teilhaben lassen kann, wenn ich nicht freigiebig bin, da fehlt mir eben etwas wichtiges.

Doch diese Situation muss nicht immer so bleiben, in dem Moment, wo ich erkenne, was mir fehlt, und ich an andere denke und für sie sorge, dann stehe ich wieder im Licht. Und fühle selbst, wie die Kraft dieses Lichtes mich dann auch spüren lässt, dass ich gesund bin.

9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Dann gelingt auch die Kommunikation mit Gott. Wenn es mir solchermaßen an nichts fehlt, dann habe ich die Freiheit mich an Gott zu wenden, und dann steht nichts dem im Wege, dass ich seine Antwort auch höre.

Der Prophet beschreibt also, was zu einem gelingenden Leben gehört. Er beschreibt, wie ein ganzheitliches Leben aussieht. Ganz und komplett ist der Mensch nicht nur, wenn er körperlich gesund ist, wenn er wohl situiert ist, sondern wenn er die sittliche Reife mit sich bringt, und wenn er für andere da sein kann.

Allein auf sich bezogen ist der Mensch also kein ganzheitlicher Mensch, er braucht die intakte Beziehung zum Mitmenschen, und auch zur gesamten Schöpfung Gottes.

Der Prophet beschreibt das, wenn er den teilenden Menschen mit Ehrentiteln schmückt. Titel die sich manchmal ganz verwunderlich anhören.

du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.

Wer möchte schon gern ein Lückenbüßer sein? Diese Assoziation könnte einem in den Sinn kommen, wenn man das Wort des Propheten hört. Doch hier ist ja anderes gemeint. Nicht ein Lückenbüßer, der an einen Platz gestellt wird, wo er sich nicht richtig entfalten kann, und nur eine Lücke mit seiner eigenen Person ausfüllen soll. Nein, der Prophet gibt hier dem Menschen eine aktive Aufgabe. Er wird die Lücken selbst entdecken und aktiv suchen, und wird helfen die so entstandenen Schäden gering zu halten.

Und auf das Beispiel des Teilens bezogen, ist die Metapher des Propheten durchaus heute noch passend.

Wer heute arm ist und externe Hilfe braucht, der ist an den Lücken des Sozialsystems gescheitert, der ist durchs soziale Sicherungsnetz gefallen, und der ist dankbar, dass es Menschen gibt, die diese Lücken aktiv zu schließen helfen.

Wege ausbessern wird dieser hilfreiche Mensch. Es kommt also nicht darauf an, alles Gott zu überlassen und sich selbst zurückzulehnen. Die aktive Mitarbeit des Menschen ist gefragt.

Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward;

Gerade am heutigen Erntedankfest wird deutlich, dass es ein Zusammenwirken von Mensch und Gott gibt, und dass dieses Zusammenwirken in einem rechten Maß geschehen muss.

Jesaja spricht vom bewässerten Garten, von der wiederaufgebauten Wüste. Das betont die Aufgabe des Menschen, als Teil der Schöpfung die Gaben Gottes zu bebauen und zu bewahren.

Im bekannten Erntedanklied heißt es: Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.

Am heutigen Tag danken wir traditionell für den Teil den Gott zu diesem Gemeinschaftswerk zugesteuert hat, wir danken dafür, dass er das Gedeihen gegeben hat. Und wir denken auch vermittelt durch die aufgebauten Gaben daran, was da die Aufgabe des Menschen ist.

In der Zeitschrift „Natur und Kosmos“(*) wird die Aufgabe des Menschen in der Landwirtschaft als Kulturleistung beschrieben:

„Vor etwa 5000 Jahren spitzen die Menschen in unseren Breiten Holzstücke an und stellten Haken her, mit denen sie den Boden aufreißen konnten, um Furchen und für die Saat zu ziehen: der Hakenpflug. – eine großartige Kulturleistung. Nicht umsonst bedeutet das lateinische cultura ursprünglich „Anbau“ und „Bodenpflege“.

Den Großteil ihrer Geschichte hat die Menschheit als Sammler, Fischer, Jäger zugebracht. Erst als sie lernten, das Land zu bearbeiten, zu säen und zu pflanzen, begannen sie auch, die Natur zu gestalten. Doch die Agrarwirtschaft ist weit mehr als die etymologische Wurzel von Kultur. Die zuverlässige Versorgung mit Lebensmitteln ermöglichte es den Menschen sesshaft zu werden, Dörfer und Städte zu bauen. Die Bevölkerung wuchs, differenzierte Gesellschaften entstanden. All das ist der Humus, auf dem Kunst und Kultur, technischer Fortschritt und soziale Eigenschaften wachsen können.

In Kleinasien begannen die ersten Bauern schon vor rund 10.000 Jahren, wildes Getreide, Erbsen und Linsen anzupflanzen.“ Also in der Region, die für die christlich-jüdische Welt so große Bedeutung hat. „Etwa um dieselbe Zeit erfanden die Menschen in einigen Regionen Chinas und im Nahen Osten bereits Hacke und Grabstock, um damit den Boden zu bearbeiten. Die Europäer ließen sich damit noch einige tausend Jahre Zeit. In Deutschland fand der erste Ackerbau im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung statt – zunächst mussten die dichten Urwälder gerodet werden. Die Römer verbreiteten später Wein-, Obst- und Gemüseanbau bis in den Norden Europas, die Araber führten Baumwolle, Zuckerrohr und Bewässerungssystem auf der iberischen Halbinsel ein. Aus Wald und Moor wurde Schritt für Schritt fruchtbares Ackerland. Heute ernten in den niederländischen Gewächshäusern Hightech-Roboter Gurken und Tomaten. Hochgezüchtete Kulturpflanzen bringen Spitzenerträge rund um den Globus. Doch die besten Weine gedeihen immer noch dort, wo die Winzer die natürliche Beschaffenheit des Bodens respektieren. ... So ist bis heute die – wie auch immer – kultivierte Natur, die den Menschen mit Nahrung und Rohstoffen, mit Biomasse, Heil- und Genussmitteln versorgt und der Fortentwicklung von Kultur und Kunst Impulse gibt.“

Der Mensch wirkt also mit, aber er soll nicht hineinregieren in das Werk der Natur, in den Plan der Schöpfung. Er soll Lücken schließen und Wege ausbessern, dass man gut wohnen kann. Er soll die Kulturleistung vollbringen, aber die Leistung der Kreation, also der Schöpfung, Gott überlassen.

In einem guten Zusammenwirken, weiß jeder wo er seinen Platz hat. Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.

So sind wir dankbar, dass Gott die Welt geschaffen hat, mit allem was auf ihr wächst und lebt, so sind wir dankbar, dass er uns die Möglichkeiten gegeben hat, darin zu gestalten und zu bearbeiten.

So wollen wir ihn bitten, dass er uns immer wieder den Mut gibt zu teilen, und dass er uns die Einsicht gibt zu erkennen, wo das Lücken ausfüllen und Wegeausbessern aufhört, und wo wir versuchen uns in seine Zuständigkeit einzumischen.

Am heutigen Erntedankfest wollen wir Gottes Gaben entgegennehmen und weitergeben, wir wollen innehalten und das Licht Gottes spüren als eine wärmende Kraft, die uns stark macht, die Aufgaben zu erfüllen, die uns gestellt sind. Wir wollen im Gespräch bleiben mit unseren Mitmenschen, damit wir erfahren, wessen sie bedürfen, und wir wollen im Gespräch bleiben mit Gott und immer wieder die nötige Ruhe finden auf sein Wort zu hören, damit wir ihm auch antworten können mit unserem Dank.

Amen.

Text Klaus Sieg und Dierk Jensen. Oktober 2005, Seite 80f. Konradin-Verlag. www.natur.de

Pfarrer Michael Nitzke
Ev. Kirchengemeinde Kirchhörde
nitzke@kirchhoer.de
www.kirchhoer.de


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