Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

18. Sonntag nach Trinitatis, 25. September 2005
Predigt über Markus 10, 17-27, verfasst von Irene Mildenberger
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Als Jesus sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.« Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.

Liebe Gemeinde!
Einen liebevollen Jesus zeigt uns Markus, Jesus, der uns Menschen voll Liebe anschaut und anspricht. Jesus sah den Mann an, der zu ihm kam und ihn befragte, und gewann ihn lieb. – Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: ... Liebe Kinder.
Dass Jesus so liebevoll gezeichnet wird, dass er so voller Liebe spricht, das macht es mir etwas leichter, das Erschreckende zu hören, das er dann zu sagen hat. Denn auch ich entsetze mich über seine Worte, genau wie die Jünger. Nur zu gut kann ich den Menschen verstehen, der unmutig wird und traurig davongeht.
So wird der liebevolle Jesus, den Markus zeigt, für mich wie eine Rettungsleine, an der ich mich festhalte, um mich heranzuwagen an die fordernden und ängstigenden Worten Jesu, um mich seinen Ansprüchen auszusetzen.

Halten wir uns also fest und sehen und hören, wie die Geschichte beginnt:
Als Jesus sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.
Gott ist gut – gleich noch ein Rettungsanker in dieser Geschichte, ein vertrauter, sicherer Ort. Danket dem Herrn, denn er ist gut – er ist freundlich, übersetzt Luther – und seine Güte währet ewiglich. Immer wieder hören und singen wir das in den Psalmen. Alle Dinge sind möglich bei ihm.
Aber noch mehr sagt Jesus mit seinen Worten: Niemand ist gut als Gott allein. Hier klingt zugleich das Bekenntnis an, das in unserem Sonntagsevangelium ausgesprochen wird: Höre Israel, der Herr unser Gott ist der Herr allein. Und dieser eine Gott ist gut.

So können wir uns weiter hereinwagen in diese Geschichte: Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Nicht um irgendwelche Nebensächlichkeiten geht es hier, es geht um das ewige Leben. Selig werden, gerettet werden, ins Reich Gottes gelangen – so wird das Lebensziel, von dem der Reiche, Jesus und die Jünger sprechen, später auch benannt.
Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! – Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihn nicht hineingelangen. So hat Jesus gerade erst, unmittelbar vor dieser Szene gesagt. Nun also Liebe Kinder – um das Entsetzen etwas zu mildern.

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder – das war eine Antwort auf die große Frage nach dem Lebenssinn und Lebensziel. Der reiche Mann erhält eine andere, eine klare und einfache Auskunft: Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«
Jesus zitiert die Gebote, die sich auf das Zusammenleben von Menschen beziehen. Es geht um das Miteinander, es geht um ganz irdisch menschliche Dinge bei der Frage nach der Seligkeit, nach dem ewigen Leben. Das ist die Grundvoraussetzung für ein gutes Leben, hier wie in Ewigkeit: Geht miteinander richtig um, achtet den anderen, sein Leben. Achtet seine Beziehungen, achtet seinen Besitz und seinen Ruf. Achtet die Menschen, von denen ihr abhängig seid, die für euch viel getan haben.
Im menschlichen Miteinander ist es also verwurzelt, das Reich Gottes.

Und so weit kann der Frager durchaus mit: Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. Für den reichen Mann besteht nach dieser Antwort von Jesus noch kein Grund, unmutig zu werden, kein Grund zum Entsetzen auch für die Jünger.
Mir erscheint schon das nicht immer leicht. Besser gesagt, ich weiß, dass ich diese zustimmende Antwort nicht geben könnte. Ich kenne meine Verstöße gegen diese Gebote. Ich weiß, dass ich sie nicht so einfach immer erfüllen kann.
Aber der Mensch, der zu Jesus gekommen ist, er meint, diesen Geboten entsprochen zu haben. Und Jesus widerspricht seiner Meinung nicht – er gewinnt diesen frommen Menschen lieb, der es ernst meint mit seinem Glauben.

Darum verlangt er noch mehr von ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!
Es klingt so einfach und wird dem Menschen doch viel zu schwer. Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
Ich denke, hier geht es nicht einfach um Besitz, um Reichtum – warum müssten sonst die Jünger sich entsetzen, die wenige Güter ihr Eigen nennen. Ich will mich damit nicht aus der Verantwortung herausreden, mit meinem Reichtum verantwortlich umzugehen – zu der Achtung für die Anderen gehört auch, ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, so weit das in meiner Macht steht und ich Mittel dafür habe.
Aber Jesu zielt noch auf etwas anderes: Verkaufe alles ... und folge mir nach!
Von wem bin ich abhängig, von was mache ich mich abhängig? Was gibt mir Sicherheit? Der Besitz, den ich habe und für meine Zukunftssicherung aufspare? Was fesselt mich? Das Geld, das ich nicht habe, aber zu gewinnen suche? Das fehlende Geld kann ja in meinen Gedanken und Wünschen und in meinem Planen auch einen riesigen Raum einnehmen.
Vielleicht muss jemand auch ganz anderes einfügen, von dem er, von dem sie abhängig ist: Die Anerkennung der anderen. Die Zustimmung möglichst vieler zu meiner Meinung. Liebe, die ich mir erkaufe mit meinem Verhalten.

Verkaufe alles ... und folge mir nach!
Armut als Grundhaltung der willigen Abhängigkeit von Gott – diese Deutung habe ich vor einiger Zeit kennen gelernt. Eine Haltung, die nicht abhängig ist von meinem Kontostand. (Aber Auswirkungen auf diesen Kontostand kann sie dann doch durchaus gewinnen.) Nachfolge sieht für jede und jeden und zu jeder Zeit anders aus. Nachfolge ist nicht eine ein für alle Mal getroffene Entscheidung, sondern ein Prozess der Einübung: Gott, dein ist, was ich bin und habe. Dein Wille geschehe. Jeden Tag von neuem.

Und jeden Tag von neuem kann diese Aufgabe wieder zu schwer, kann gar unmöglich erscheinen, so dass wir betrübt davon gehen.

Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden?

Wie entsetzlich schwer ist das! Ein großes Kamel und ein winziges Nadelöhr – unmöglich! Ja, sagt Jesus: Bei den Menschen ist's unmöglich.
Aber dann wirft er uns die Rettungsleine zu: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott. Aus seiner Sicht verändert sich alles, verändert sich auch schon die Frage. Die Frage des reichen Menschen, die Frage der Jüngerinnen und Jünger: Wie können wir das ewige Leben ererben, selig werden, ins Reich Gottes kommen?
Dein Reich komme, Gott – so lehrt uns Jesus zu beten. Dein Reich komme zu uns, verändere uns, mache uns arm und selig. Denn alle Dinge sind möglich bei Dir!
Amen.

Pfarrerin Dr. Irene Mildenberger
Liturgiewissenschaftliches Institut der VELKD, Leipzig
liturgie@uni-leipzig.de


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