Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

16. Sonntag nach Trinitatis, 11. September 2005
Predigt über Klagelieder 3, 22-26.31-32 , verfasst von Friedrich Malkemus
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Gerade hören wir auf die Nachrichten aus Amerika. Der gewaltige Wirbelsturm ist über die Gegend von New Orleans hinweggefegt und hat breite Bahnen der völligen Verwüstung und großer Uberschwemmung hinterlassen. Bei dem Anblick der Verheerung könnten die Überlebenden und Geflüchteten mit dem Klagelied des Jeremias ausrufen: Ach wie verlassen liegt die Stadt, die voll Volks war! Die Straßen nach Zion liegen wüst!

Die Sprechchöre der Klagenden sind unüberhörbar. Der Schrecken, ja das Entsetzen sind groß. Die Ratlosigkeit und auch Wut stehen den Leuten ins Gesicht geschrieben. Warum ist diese große Not über uns gekommen? Das intensive Forschen und Deuten des Unheils hat längst angefangen.

Viele Ursachen werden benannt. Doch welche Folgerungen werden gezogen und auch umgesetzt? Gebete steigen zum Himmel: Gott möge ein Einsehen haben, die Verantwortlichen erleuchten und eine Wende aus der Katastrophe ermöglichen, ja die Menschen befähigen, gegen künftige Notlagen besser gerüstet zu sein. Stadt und Staat müssen gerüstet sein, um neu­en verheerenden Stürmen entgegenwirken zu können. Und auch der Privatmann und Bürger muss nachdenken, wo er siedelt und wie er Haus und Garten besser schützt.

Hier hat eine Naturkatastrophe die riesige Not über die Leute gebracht. Bei Jeremia hat der Feind mit Krieg die Stadt und das Land überzogen. Verschleppung, Verwüstung, Hunger und Tod vieler Menschen ist die traurige Gegenwart. Dort wie hier beginnt die heftige Wehklage: 0 mir dreht sich das Herz im Leib um!

Kennen sie nicht auch dieses Gefühl? Und haben sie nicht auch schon so gedacht und gesprochen und wie Jeremia geklagt, gejammert, laut oder leise? Der Orient kennt auch heute die laute, Herz und Kleider zerreissende Klage. Dazu der Schrei der Anklage - sie kennen diese Bilder. Ich weiß nicht, wie sie darauf reagieren. Dringt diese offenkundige Klage nur an ihr Ohr oder auch tief in ihr Herz? - Oder denken sie: Man muss den Schmerz in der Stille, und in sich tragen und verbergen. Hier in den Tracht tragenden Gemeinden gab es das Trauermäntelchen. Von ihm umhüllt vergruben die Frauen ihr vom Schmerz gezeichnetes Gesicht und den Lauf ihrer Tränen. - Ich war auch lange Zeit ein Befürworter der stillen und verborgenen Trauer und Klage. Aber nach der gründlichen Lektüre der Klagelieder des Jeremias habe ich mich abgekehrt von dem Prinzip der Schmerzunterdrückung.

Es liegt eine große Hilfe darin, die Last des Herzens deutlich auszu­schütten. Sollen doch die Hörenden mit nachdenken, mitempfinden und wahr­nehmen: Not ist unter uns, die Klage wollen wir hören und den Grund erforschen.

Wenn das Klagelied bei Jeremia oder bei uns beginnt mit: Ach wie..! dann denken wir nicht: Schon wieder ein Jammer, schon wieder ein Ach!

Nein, wir nehmen den tiefempfundenen Ruf an und in unserem Herzen auf. Hier meldet sich eine gequälte Seele, die unter ihren Lasten noch nicht zusammenbricht und diese beschreibt und noch aussprechen kann.Das hat ihr gutgetan, dass du das Leid geduldig anhörst und mitdenkst und die verwundete Seele aussprechen konnte,was sie mit sich herumschleppt.

Solange ich klage und meinen Jammer mitteilen kann, bin ich noch mit der Kraft zum Klagen und der Sehnsucht nach geheiltem Leben ausgerüstet.­ Höchst bedrohlich aber wird es,wenn in der brennenden Not die Klage und das Wehe verstummen :Die Ältesten sitzen auf der Erde und sind still.. die Jungfrauen senken ihre Köpfe zur Erde. - Haben wir doch den Mut zur Klage und die Geduld, die Klage anzuhöhren und unser Nach- und Mitdenken einzubringen. Ob es sich nun um das akute Naturereignis in Amerika jetzt oder den Terrorangriff auf das World Trade Center vor vier Jahren handelt, um die Stammeskriege in Afrika, die Arbeitslosigkeit in Europa oder aber um deine persönliche und familiäre Not - wir hören den Aufschrei, wenden einander zu und fragen mit nach neuen Wegen und Lichtblicken.

Der Wehklagende und der zuhörende Zeuge können gemeinsam aussprechen: Wir sind noch nicht garaus. Es sind noch Kräfte vorhanden für einen Neu­anfang,um die Ängste zu mindern und die Wunden zu lindern. Trümmer werden beseitigt, Kranke transportiert und versorgt, die ersten Ideen der Abhilfe greifen. Jeremia und wir mit ihm können sprechen Die Güte des Herrn ist es, die noch kein Ende hat.Ja sie ist alle Morgen neu und ermutigt zu einen neuen Beginnen.­ Ist dieses nicht eine herrliche Zusage? Mein Klagelied darf sein, wird nicht verworfen; ich bleibe in Gottes Güte fest geborgen. Denn Gott ist mein Teil. Und das ist unauflösliche Bindung. Nichts, nichts kann uns scheiden von der ­ Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus gegeben ist. Grund zur Freude in allem Leide. Ich kann den Kopf heben und den neuen Tag begrüßen. Amen

Friedrich Malkemus
Dekan i.R., Kirchenrat
Wolfgang-Zeller-Str. 13
34613 Schwalmstadt-Ziegenhain


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